21.07.2004 · IWW-Abrufnummer 041897
Bundesfinanzhof: Urteil vom 03.12.2003 – XI R 31/02
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.
Der im Juli 1928 geborene Kläger war gemeinsam mit seinem Bruder S und einem Herrn R zu gleichen Teilen an der X-GmbH (Betriebsgesellschaft) und gemeinsam mit seinem Bruder an der Y-KG (Besitzgesellschaft) beteiligt. S veräußerte seine GmbH-Anteile mit Vertrag vom 24. November 1993 an den Kläger und an R. Der Kläger räumte R. das Recht zur Übernahme seiner Anteile gegen Zahlung des Nennwerts ein. Er sollte mit Vollendung des 65. Lebensjahres seine aktive Tätigkeit einstellen, war jedoch noch im Jahr 1996 nach wie vor Mitgesellschafter-Geschäftsführer.
Die GmbH hatte dem Kläger --wie auch seinem Bruder S-- eine Pensionszusage mit einem Anspruch auf eine monatlich zu zahlende Rente erteilt; ein Kapitalisierungswahlrecht war nicht vorgesehen. Der versicherungsmathematische Wert der Zusage betrug zum 31. Dezember 1992 964 495 DM. Mit Schreiben vom 15. März 1993 bot die GmbH dem Kläger und auch S an, die Pension für einen Betrag von 800 000 DM abzulösen. Es heißt dort u.a.: "Im Zuge der Regelungen der Unternehmensnachfolge möchten wir diese ungewisse Verpflichtung für unsere Gesellschaft gerne begrenzen." Beide nahmen das Angebot an. Die Abfindung wurde am 9. November 1993 ausbezahlt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versagte die von den Klägern begehrte Besteuerung der Pensionsabfindung gemäß § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Mit der Revision machen die Kläger geltend:
1. Ein Mitgrund für den Pensionsverzicht seien die Kaufpreisbedingungen eines Dritten gewesen. Dieser habe als Bedingung für den Anteilserwerb die Auflösung der Pensionsrückstellung verlangt. Das FA habe diesen Sachverhalt bestätigt. Weiter habe das FA eingeräumt, dass auch die GmbH im Zuge der Regelung der Unternehmensnachfolge ein berechtigtes Interesse an der vereinbarten Abfindung gehabt habe. Im Streitfall seien auf diesem Weg die "Altlasten" bereinigt worden. Im Übrigen sei die wirtschaftliche Lage der GmbH im Jahr 1993 bereits kritisch gewesen.
2. Hilfsweise sei über die Anwendbarkeit des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG zu entscheiden.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Pensionsabfindung tarifbegünstigt nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu versteuern.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
1. Der Kläger sei keinem relevanten Druck durch seinen Arbeitgeber ausgesetzt gewesen. Er habe eine unverfallbare Anwartschaft auf Zahlung der monatlichen Beträge besessen. Er habe nicht unter einem wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden. Das Interesse des Arbeitgebers, "Altlasten" zu beseitigen, reiche nicht aus. Der Kläger sei nicht gehindert gewesen, das Angebot abzulehnen.
2. Die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG lägen ebenfalls nicht vor.
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet; eine ermäßigte Besteuerung der Pensionsabfindung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a, b, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2 EStG kommt nicht in Betracht.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. Urteile des BFH vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00, BFH/NV 2002, 638; vom 4. September 2002 XI R 53/01, BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann. An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte, die also nicht zwangsläufig sind, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen. So kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss zum Anteilsverkauf eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen (BFH in BFH/NV 2002, 638; in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177; vom 10. April 2003 XI R 4/02, BFHE 202, 294, BStBl II 2003, 748); der Anteilsverkauf und der Verzicht auf Versorgungsansprüche sind insoweit getrennt zu beurteilen.
2. Im Streitfall haben die Kläger im Klageverfahren vorgetragen, dass ein Verzicht notwendig gewesen sei, weil dies ein namentlich benannter Unternehmensnachfolger verlangt habe.
Nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats kann eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber des Unternehmens nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177).
Im Streitfall scheidet diese Möglichkeit allerdings bereits deshalb aus, weil es im Zusammenhang mit der Ablösung der Pensionsverpflichtung nicht zu einer Veräußerung der Anteile gekommen ist; der Kläger war im Jahr 1996 noch Mitgesellschafter-Geschäftsführer. Zwischen der möglichen Veräußerung der Geschäftsanteile und der Ablösung der Pensionsansprüche besteht daher kein ausreichender Zusammenhang, aus dem sich ergibt, dass der Kläger bei der Aufgabe seiner Ansprüche unter Druck gestanden hat. Allein die Aussicht oder Erwartung, dass im Rahmen einer Anteilsveräußerung eine Ablösung hätte notwendig werden können, genügt nicht, um eine Zwangslage anzunehmen, die eine ermäßigte Besteuerung rechtfertigen könnte.
3. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG können Zahlungen, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche gewährt werden, steuerbegünstigte Entschädigungen sein; eine Zwangslage wird --anders als bei § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG-- nicht vorausgesetzt (BFH-Urteile vom 12. Juni 1996 XI R 43/94, BFHE 180, 433, BStBl II 1996, 516; vom 23. Januar 2001 XI R 7/00, BFHE 194, 411, BStBl II 2001, 541; vom 6. März 2002 XI R 36/01, BFH/NV 2002, 1144). Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht erfüllt; die Abfindung für die Ablösung des Pensionsanspruchs war weder Gegenleistung für die Aufgabe bzw. Nichtausübung einer Tätigkeit durch den Kläger noch für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung.