02.08.2013
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 15.05.2013 – 4 K 43/12
1. Es gibt keinen allgemeinen Anspruch
auf Erlass von Säumniszuschlägen für die
Zeit bis zur Ablehnung eines AdV-Antrags, auch wenn auf einen sodann gestellten
Antrag Stundung ab dem Zeitpunkt des Stundungsantrags gewährt wird.
2. Die Stundung steht der als Erlassfall in
Nr. 7.2.3 f) AO-DV Zoll zu § 227 angesprochenen Zahlung
der Abgabenschuld nach Ablehnung des AdV-Antrags nicht gleich.
3. Aus der Verwaltungsanweisung in Nr. 6 b)
AEAO zu § 240, nach der eine Frist zur Zahlung der rückständigen
Steuern bewilligt werden kann, wenn ein rechtzeitig gestellter Antrag
auf Aussetzung der Vollziehung nach Fälligkeit abgelehnt
worden ist, lässt sich kein Anspruch auf Erlass von Säumniszuschlag
durch die Zollbehörden ableiten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Erlass von Säumniszuschlägen.
I. Das Hauptzollamt
(HZA) Hamburg-1 erließ am 04.03.2008 einen - zwischenzeitlich
bestandskräftig gewordenen - Nacherhebungsbescheid über einen
Betrag von rund EUR ... mit dem Fälligkeitsdatum 18.03.2008.
Die Klägerin legte am 11.03.2008 Einspruch gegen den
Bescheid ein und stellte sogleich einen Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung. Der Antrag wurde vom HZA Hamburg-1 mit Bescheid vom
09.04.2008 abgelehnt; den sodann gegenüber dem Finanzgericht
(FG) gestellten Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung lehnte
das FG Hamburg mit Beschluss vom 31.10.2008 ab (Az. 4 V 82/08).
Drei Tage nach Zustellung des ablehnenden Beschlusses des FG
Hamburg stellte die Klägerin beim HZA Hamburg-1 am 10.11.2008
einen Antrag auf Stundung. Das HZA Hamburg-1 stundete die nacherhobenen
Einfuhrabgaben mit Bescheid zunächst vom 13.01.2009 und
dann mit Bescheid vom 09.09.2009 rückwirkend auf das Datum
des Stundungsantrags 10.11.2008.
II. Der Beklagte hatte im Rahmen seiner Zuständigkeit
gegenüber der Klägerin die Zahlung der vom HZA
Hamburg-1 am 04.03.2008 festgesetzten Abgaben gemahnt und ein Leistungsgebot
für Säumniszuschläge erlassen.
In einem als Einspruch gegen die Säumniszuschläge
bezeichneten Schreiben vom 08.04.2008 wies die Klägerin
u. a. auf ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Nacherhebungsbescheids
hin. Der Beklagte wertete das Schreiben als Antrag auf Erlass der
Säumniszuschläge, den es jedoch mit Bescheid vom
19.11.2008 ablehnte. Zugleich berechnete der Beklagte die Säumniszuschläge
für 9 Monate auf rund EUR ....
Gegen die Ablehnung des Erlasses der Säumniszuschläge
legte die Klägerin mit Schreiben vom 18.12.2008 Einspruch
ein. Zur Begründung verwies sie u. a. auf den Inhalt der
Dienstvorschrift zur Anwendung der Abgabenordnung im Bereich der
Zollverwaltung (AO-DV Zoll).
Die AO-DV Zoll benennt unter der Ziffer 7.2 zu § 227
AO - ausdrücklich nicht abschließend aufgezählte
- Umstände, die einen Billigkeitserlass von u. a. Säumniszuschlägen
rechtfertigen können.
Die Klägerin nahm Bezug auf Nr. 7.2.3. Buchst. f) AO-DV
Zoll, wo der Erlass von Säumniszuschlägen für
den Fall geregelt ist, dass eine festgesetzte Abgabe binnen Wochenfrist
nach Ablehnung eines - wie hier - rechtzeitig gestellten Antrags
auf Aussetzung der Vollziehung gezahlt wird. Die Klägerin
meinte, die ihr gewährte Stundung mit Ratenzahlungen sei
einer Zahlung gleichzustellen.
Mit Schreiben vom 29.10.2010 korrigierte der Beklagte die Berechnung
der Säumniszuschläge lediglich um einen Monat
zugunsten der Klägerin auf EUR .... Mit Einspruchsentscheidung
vom 09.02.2012 wies der Beklagte den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid
sodann als unbegründet zurück. Die Erlassgründe
für Säumniszuschläge seien in der AO-DV-
Zoll unter Nr. 7.2.3 zu § 227 AO abschließend
geregelt. Der Fall des Buchst. f) sei nicht gegeben. Die Stundung
sei der Zahlung nicht gleichgestellt; der Stundungsantrag sei nicht
vor Fälligkeit gestellt worden. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
III. Die Klägerin hat am 12.03.2012
Klage erhoben.
Die Klägerin meint im Hinblick auf die AO-DV Zoll, dass
der vorliegende Fall, in dem nach Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung
der Vollziehung Stundung mit Ratenzahlung gewährt worden
sei, in gleicher Weise wie eine Zahlung der Abgabenschuld nach Versagung
der Aussetzung der Vollziehung zu behandeln sei. Es sei unbillig,
die Zahlung der gestundeten Einfuhrabgaben weiterhin mit dem besonderen
Druckmittel der Säumniszuschläge zu belegen. Bei
der Entscheidung sei auch zu berücksichtigen, dass die
Klägerin an den Umständen, die zum Erlass des
Einfuhrabgabenbescheids vom 04.03.2008 geführt haben, kein
Verschulden treffe, und dass ihr Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
nicht missbräuchlich gewesen sei.
Die Klägerin weist zur Stützung ihrer Argumentation
auf den Anwendungserlass für die Finanzbehörden
der Länder zur AO (AEAO) zu § 240, Nr. 6 Buchst.
b) hin, nach dem bei Ablehnung eines rechtzeitig gestellten Antrags auf
Aussetzung der Vollziehung eine neue Frist zur Zahlung gewährt
werde. Diese Regelung werde von den Finanzämtern der Bundesländer
regelmäßig angewendet. Die Klägerin habe
als Schuldnerin einer Einfuhrabgabe einen Anspruch auf Gleichbehandlung
mit den Schuldnern von Forderungen der Finanzämter. Letztlich
sei die Regelung der Nr. 6 Satz 1 Buchst. b) AEAO zu § 240
auch in der Regelung in Nr. 7.2.3. Buchst. f) AO-DV Zoll zu § 227 mitenthalten.
Die Klägerin meint, die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit
der Stellung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung würde
ins Leere laufen, wenn der Antragsteller von vorneherein die Entstehung
von Säumniszuschlägen befürchten müsse.
Die Klägerin trägt weiter vor, dass die Erhebung
von Säumniszuschlägen nach der Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofs jedenfalls in Höhe von der hälftigen
Säumniszuschläge sachlich unbillig sei, wenn der
Zweck von Säumniszuschlägen, nämlich
die Ausübung von Druck, um beim Schuldner die Zahlung der
Abgaben zu bewirken, deswegen seinen Sinn verloren habe, weil dem
Schuldner die rechtzeitige Zahlung der Abgaben wegen Überschuldung
und Zahlungsunfähigkeit unmöglich sei. Im Rahmen
der Ermessensentscheidung über den Erlass sei daher auch
zu berücksichtigen, ob bei Fälligkeit verspätet
gezahlter Abgaben eine Erlass- oder Stundungssituation bestanden
habe. Hier habe der Beklagte bei Erlass des Ablehnungsbescheids erkennen
können, dass bei der Klägerin bereits bei Fälligkeit
des Abgabenbescheids vom 04.03.2008 eine Stundungssituation bestanden
habe. Insoweit nimmt die Klägerin Bezug auf näher
bezeichnete Anträge und Schreiben aus dem Verwaltungsverfahren
des HZA Hamburg-1.
Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 19.11.2008 in der Form der Einspruchsentscheidung
vom 09.02.2012 insoweit aufzuheben, als mit ihm der Erlass der Hälfte
der Säumniszuschläge abgelehnt wird, und den Beklagten
zu verpflichten, dem Antrag auf Erlass der verwirkten Säumniszuschläge
in Höhe der Hälfte der Säumniszuschläge
zu entsprechen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt der Beklagte Bezug auf seine Einspruchsentscheidung
und führt erläuternd bzw. ergänzend aus:
Die Klägerin habe ihren Antrag auf Erlass nicht mit ihrer
wirtschaftlichen Lage begründet und hierzu in diesem Zusammenhang
auch keine Angaben gemacht - auch nicht im Einspruchsverfahren gegen
den Ablehnungsbescheid. Aus den Entscheidungen über ihre
Anträge auf Aussetzung der Vollziehung habe sich eine prekäre Situation
nicht ergeben. Das HZA Hamburg-1 habe auf den Stundungsantrag der
Klägerin die Stundung zwar rückwirkend, aber nur
auf den Zeitpunkt der Stellung des Stundungsantrags gewährt.
Damit habe der Beklagte über den Antrag auf Erlass der
Säumniszuschläge insgesamt zutreffend und ermessensfehlerfrei
entschieden.
IV. Dem Gericht lagen außer den Schriftsätzen
der Beteiligten nebst Anlagen noch drei Heftstreifen mit Kopien
aus dem Verwaltungsverfahren vor.
Ergänzend wird auf das Protokoll des Erörterungstermins
am 28.11.2012 Bezug genommen.
Die Beteiligten haben im Erörterungstermin am 28.11.2012
ihr Einverständnis damit erklärt, dass eine Entscheidung
durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung ergeht.
Gründe
Das Gericht entscheidet im Einvernehmen mit den Beteiligten durch
den Berichterstatter im schriftlichen Verfahren, § 79a
Abs. 3, 4, § 90 Abs. 2 FGO.
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Der angefochtene Ablehnungsbescheid vom 19.11.2008 ist in Form
der Einspruchsentscheidung vom 09.02.2012 rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 101
S. 1 FGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erlass der
Säumniszuschläge.
Als Anspruchsgrundlage kommen Art. 232 Abs. 2 Buchst. a) Zollkodex
bzw. § 227 AO in Betracht. In jedem Fall handelt es sich
bei der Entscheidung über den Erlass um eine Ermessensentscheidung,
die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüfbar
ist. Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass der Beklagte bei
der teilweisen Versagung des Erlasses ermessensfehlerhaft gehandelt
hätte. Erst recht ist der Ermessensspielraum im konkreten
Fall nicht derart eingeschränkt, dass das Ermessen fehlerfrei
nur durch Stattgabe des Erlassantrags ausgeübt werden könnte
(sog. Ermessensreduzierung auf Null, vgl. FG Hamburg, Urteil vom
02.07.2010, 6 K
193/09, m. w. N.).
I.
1. Gemäß § 227
AO können die Finanzbehörden Ansprüche
aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Säumniszuschläge
gehören (§ 37 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs.
4 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage
des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit
kann dabei in der Sache selbst (sachliche Gründe) oder
in den persönlichen, d. h. wirtschaftlichen Verhältnissen
(persönliche Gründe) begründet sein;
in letzterem Fall kann der Erlass in gleicher Weise zudem auf Art.
232 Abs. 2 Buchst. a) Zollkodex gestützt werden.
Säumniszuschläge sind nach § 240 Abs.
1 S. 1 AO zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf
des Fälligkeitstages gezahlt wird. Sie sind nach ständiger
Rechtsprechung ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen
zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Gleichzeitig haben sie
den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für
das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten
und die Verwaltungsaufwendungen, die bei den verwaltenden Körperschaften
dadurch entstehen, dass fällige Steuern nicht oder nicht
fristgemäß bezahlt werden, abzugelten (BFH, Urteil vom
16.07.1997, XI
R 32/96)
Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist sachlich
u. a. dann unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige
Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit
unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck
zur Zahlung ihren Sinn verliert (ständige Rechtsprechung,
vgl. z. B. BFH-Urteile vom 13.09.2005, X B 65/05, und vom 07.07.1999 X R 87/96). Überschuldung liegt
vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten
nicht mehr deckt (vgl. § 19 Abs. 2 Insolvenzordnung - InsO).
Unter Zahlungsunfähigkeit ist aus Mangel an Zahlungsmitteln
beruhende dauernde Unvermögen eines Schuldners zu verstehen,
seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen
zu berichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 06.04.2000, IV R 56/99).
Dauerndes Unvermögen wird bejaht, wenn feststeht, dass
der Schuldner in den nächsten drei bis sechs Monaten seine
wesentlichen und fälligen Verbindlichkeiten nicht werde
begleichen können (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 08.03.1984, I R 44/80).
Ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen
Gründen ist außerdem geboten, wenn im Zeitpunkt
ihres Entstehens die Voraussetzungen für die Gewährung
einer Stundung erfüllt waren (FG München, Urteil
vom 24.03.2011, 14
K 2963/09, m. w. N.). In diesen Fällen sind
dem Schuldner die Säumniszuschläge in - von der
Klägerin ohnehin nur beantragter - hälftiger Höhe
zu erlassen.
2. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme
ist eine Ermessensentscheidung, die durch das Gericht nur nach Maßgabe
des § 102 FGO überprüft werden kann.
Soweit die Finanzbehörden ermächtigt sind, nach
ihrem Ermessen zu entscheiden, überprüfen die
Finanzgerichte (nur), ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig
ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten
sind - gegebenenfalls eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt
- oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung
nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
3. Sind Ermessensrichtlinien erlassen, überprüfen
die Finanzgerichte, ob sich die Behörde an die Richtlinie
gehalten hat, ob die erlassene Ermessensrichtlinie die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens einhält und ob sie von dem Ermessen
in eine dem Zweck der Ermächtigung zur Ermessensausübung entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht hat. Die Verwaltung ist in geeigneten Fällen
zum Erlass von Verwaltungsvorschriften berechtigt, die das Ermessen
der nachgeordneten Behörden lenken und binden (BFH, Urteil vom
11.04.2006, VI
R 64/02). Nach ständiger Rechtsprechung des
BFH sind die in den Billigkeitsrichtlinien für die Zollbehörden
entwickelten Grundsätze, da sie den Niederschlag von Rechtsgedanken
beinhalten, die eine jahrzehntelange Ermessensausübung
auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern aus dem Wesen
dieser Abgaben hervorgebracht hat, unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung
der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichheitssatzes auch
bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen
als Material für die Rechtsfindung von Bedeutung (BFH,
Urteil vom 14.02.1989, VII R 189/85, m. w. N.).
4. Eine solche Richtlinie ist in der AO-DV
Zoll zu § 227 AO enthalten. Unter Textziffer 7.2 sind Umstände
erfasst, „die ... - ohne dass dies eine abschließende
Aufzählung wäre - eine Billigkeitsmaßnahme
im Hinblick auf ... Nebenleistungen rechtfertigen” können;
Textziffer 7.2.3 enthält eine Aufzählung weiterer
Fälle, in denen Säumniszuschläge erlassen
werden können. Textziffer 7.2.3. Buchst. f) benennt den
Fall, dass „ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Stundung
oder Aussetzung der Vollziehung erst nach Fälligkeit abgelehnt
wird und die rückständige Steuer spätestens
bis eine Woche nach der Bekanntgabe der Ablehnung und Einräumung
der Schonfrist (§ 240 Abs. 3) vom Ende der vorgenannten
Wochenfrist an gezahlt worden ist”.
II.
Die Entscheidung des Beklagten entspricht der genannten Ermessensrichtlinie, die
sich ihrerseits im Rahmen der durch das Gesetz eingeräumten
Ermächtigung zur Ermessensausübung hält.
1. Die Entscheidung des Beklagten
entspricht der AO-DV Zoll. Der Sachverhalt des vorliegenden Verfahrens
ist in der Aufzählung von Fällen der AO-DV Zoll,
in denen Säumniszuschläge erlassen werden können,
nicht enthalten.
Zutreffend hat der
Beklagte insoweit auch erkannt, dass auch die von der Klägerin
angesprochenen, in AO-DV Zoll Nr. 7.2.3 Buchst. f) zu § 227 AO
genannten Fallgestaltungen nicht vorliegen.
Die erste Alternative des rechtzeitig gestellten Stundungsantrags
ist schon deswegen nicht gegeben, weil der Antrag auf Stundung erst
weit nach Fälligkeit gestellt wurde. Die Stundung wurde
sodann auch rückwirkend auf den Zeitpunkt der Stellung
des Stundungsantrags gewährt.
Hinsichtlich der zweiten Alternative liegt ein rechtzeitig gestellter
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vor. Allerdings ist die Abgabenschuld nicht,
wie in der Ermessensrichtlinie vorgesehen, nach Ablehnung der Aussetzung
der Vollziehung gezahlt worden. Zahlung ist die Erfüllung der
Abgabenforderung. Die Klägerin hat nach Ablehnung der Aussetzung der
Vollziehung nicht gezahlt, sondern auf ihren sodann gestellten Antrag Stundung
ab Stellung des Stundungsantrags erhalten. Dass die Gewährung
einer Stundung keine Zahlung ist, ist offensichtlich und bedarf
keiner weiteren Begründung. Zu erwähnen ist, dass
bei Vorliegen der Voraussetzungen der Erlass weiterhin eine Ermessensentscheidung
der entscheidenden Behörde und kein Automatismus wäre.
Die zitierte Ermessensrichtlinie ist auch
nicht dahingehend auszulegen, dass in ihr der Fall der Zahlung lediglich
beispielhaft für jegliche Situation genannt ist, in der
der Schuldner nicht (mehr) säumig ist - neben der Zahlung
also etwa auch eine Stundung. Hätte der Ermessensrichtliniengeber
jeglichen diese Situationen erfassen wollen, hätte er die
im Übrigen recht differenziert gestaltete Richtlinie entsprechend
formulieren können. Es spricht auch ansonsten nichts dafür,
dass die Richtlinie in diesem Sinne verstanden werden soll. Denn
nicht jeder dieser Fälle, in denen keine Säumnis
mehr gegeben ist, gleicht dem Fall der Zahlung. Die - in der Richtlinie
ausdrücklich angesprochene - Zahlung bewirkt nämlich nicht
nur, dass der Schuldner nicht mehr säumig ist, sondern
führt - wie der Beklagte zutreffend ausgeführt
hat - zum Erlöschen der Forderung, d.h. der Gläubiger
ist tatsächlich und endgültig befriedigt und weiterhin besteht
für ihn - anders als etwa bei der Stundung - auch das Risiko
des Forderungsausfalls nicht mehr oder eines weiteren Verwaltungsaufwands beim
Vollzug der Forderung nach Beendigung der Stundung.
Wegen dieser wesentlichen Unterschiede zwischen Zahlung und Stundung
ist es auch nicht ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte den Rechtsgedanken
der zitierten Ermessensrichtlinie nicht auf die Stundung erstreckt
hat.
2. Die Ermessensrichtlinie selbst ist nicht
zu beanstanden. Insbesondere begegnet es jedenfalls unter Berücksichtigung
des Umstandes, dass der Katalog der Fälle, in denen die
Ermessenrichtlinie einen Erlass ermöglicht, ausdrücklich
nicht abgeschlossen ist, auch unter Gleichheitsaspekten keinen Bedenken,
dass sie keine dem AEAO zu § 240, Nr. 6 Satz 1 Buchst.
b) entsprechende Regelung enthält (s. dazu auch unten III.
4.).
III.
Es ist weiterhin nicht zu erkennen, dass die Entscheidung des
Beklagten im Hinblick auf die gesetzliche Regelung in der Billigkeitsvorschrift
des § 227 AO ermessensfehlerhaft ist, weil der Beklagte
die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Erlassvorschrift im
Hinblick auf eine etwaige sachliche Unbilligkeit über den
Bereich der in der Ermessensrichtlinie konkret erfassten, aber hier nicht
vorliegenden Fallgestaltungen hinaus verkannt hat, er den Sachverhalt nicht
zutreffend erfasst hat oder ansonsten gegen Rechtsgrundsätze
verstoßen hat.
Über die Sachverhaltserfassung gibt es zu Recht keinen
Streit.
Der Beklagte hat sich mit etwaigen Billigkeitsgesichtspunkten
hinreichend auseinandergesetzt und ist zu dem vertretbaren Ergebnis
gekommen, dass kein sachlicher Grund für den Billigkeitserlass
die Säumniszuschläge gegeben ist.
1. Gemäß § 240
AO entstehen Säumniszuschläge, wenn eine Steuer
nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags entrichtet wird.
Die Fälligkeit wird durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs
nicht aufgehoben, da dieser grundsätzlich die Vollziehung
des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht hemmt und die Erhebung
der Abgabe nicht aufhält (§ 361 AO). Diese die
Rechtsbehelfe betreffende Regelung gilt sinngemäß auch
für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, weil andernfalls
allein durch die Antragstellung vorübergehend bis zur Bescheidung
das Ziel des Antrags, die Aussetzung der Vollziehung, bereits erreicht
werden könnte und der Antrag damit einen Suspensiveffekt
entfalten würde, den ihm das Gesetz gerade nicht belegt. Dementsprechend
bleibt die ursprüngliche Fälligkeit so lange bestehen,
wie sie nicht - gegebenenfalls rückwirkend - beseitigt
wird. Wird die Abgabe während dieser Zeit nicht entrichtet,
so entstehen die Säumniszuschläge.
Gründe, die die Entstehung der Säumniszuschläge
verhindern oder deren Erlass gebieten können, sind nicht
erkennbar. Die Erhebung der Säumniszuschläge ist
nicht unbillig, sondern entspricht den Wertungen des Gesetzes. Wie § 361
Abs. 1 Satz 1 AO zeigt, sind festgesetzte Abgaben prinzipiell zu entrichten.
Dieser Grundentscheidung gemäß trägt
der Steuerpflichtige das Risiko, dass Säumniszuschläge
anfallen, sofern sein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keinen
Erfolg hat. Möglichkeiten, sich diesem Risiko zu entziehen,
bestehen darin, entweder die fällige Abgabe zu entrichten,
Aufhebung der Vollziehung zu betreiben und sich gegebenenfalls verzinsen
zu lassen, oder aber, falls dem Abgabenschuldner dies nicht möglich
ist, eine Stundung zu bewirken (Weber-Grellet, DStR 1990, 700,
701). Nach § 222 AO können Ansprüche
aus dem Steuerschuldverhältnis von der Finanzbehörde
ganz oder teilweise gestundet werden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit
eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten
würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet
erscheint.
Vor diesem Hintergrund begründet der Umstand, dass eine
Einfuhrabgabenschuld ohne Verschulden des Abgabenschuldners erhoben
wird, ebenso wenig einen Anspruch auf Erlass wie der, dass sein
erfolgloser Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht in Missbrauchsabsicht
gestellt worden ist.
2. Soweit die Klägerin meint, es
sei unbillig, die Zahlung der gestundeten Einfuhrabgaben weiterhin
mit dem besonderen Druckmittel der Säumniszuschläge
zu belegen, ist zu betonen, dass das HZA Hamburg-1 Stundung zwar rückwirkend
gewährt hat, aber erst ab den 10.11.2008 und infolgedessen Säumniszuschläge
auch nur für die Zeit berechnet worden sind, in der die
Einfuhrabgaben nicht gestundet gewesen sind. Im Übrigen
lag die Entscheidung über den Zeitraum der Stundung nicht
beim Beklagten. Zu Recht weist der Beklagte auch darauf hin, dass eine
Stundung auch für die Zeit der tatsächlichen Säumnis
grundsätzlich möglich gewesen wäre, die
Klägerin allerdings eine entsprechende Stundung beim hierfür
zuständigen HZA Hamburg-1 nicht erwirkt hat.
3. Die Klägerin kann nicht damit
gehört werden, der Beklagte habe bereits zum Zeitpunkt
des Erlasses seines angefochtenen Ablehnungsbescheides vom 19.11.2008
erkennen können, dass bei der Klägerin eine Stundungssituation schon
bei Fälligkeit des Einfuhrabgabenbescheids vom 04.03.2008
bestanden habe und sie deswegen im Erlassverfahren so zu stellen
ist, als sei von Anfang an gestundet worden.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass für eine Erlassentscheidung über
Säumniszuschläge zu berücksichtigen sein
kann, wenn es bereits bei Fälligkeit einen Anspruch auf
Stundung gegeben hat, es zur Gewährung der Stundung zu diesem
Zeitpunkt aber tatsächlich nicht gekommen ist. Für
die Beurteilung der Ermessensentscheidung ist dabei auf den Zeitpunkt
der Einspruchsentscheidung über den Erlassantrag abzustellen.
Es kann indes nicht festgestellt werden, dass während
des Zeitraums der Säumnis eine Stundungssituation vorgelegen
hat, die für den Beklagten im Zeitpunkt spätestens
seiner Einspruchsentscheidung erkennbar gewesen ist. Ausweislich
der vorliegenden Verfahrensakten des Beklagten ist die jetzt im Klageverfahren
behauptete Stundungssituation weder vor Ablehnung des Erlasses noch
während des Einspruchsverfahrens überhaupt geltend
gemacht worden. Der Beklagte hatte auch keinen Anlass, von sich
aus diesbezüglich Ermittlungen anzustellen (vgl. dazu FG
München, Urteil vom 24.03.1998, 2 K 3840/96).
Insoweit ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass sowohl
das Verfahren der Festsetzung der Einfuhrabgaben als auch das Verfahren
der daraufhin gestellten Anträge auf Aussetzung der Vollziehung
nicht vom Beklagten, sondern vom HZA Hamburg-1 durchgeführt
worden ist, so dass dem Beklagten die Kenntnis möglicherweise
in jenen Verfahren vorgetragener Umstände und vorgelegter Unterlagen
nicht ohne weiteres zugerechnet werden kann. Zugunsten der Klägerin
kann insoweit nur die Kenntnis des Beklagten vom Inhalt des die beantragte
Aussetzung der Vollziehung ablehnenden Beschlusses des Finanzgerichts
Hamburg vom 31.10.2008 (4
V 82/08) unterstellt werden. Die Klägerin
hatte ausweislich des Beschlussinhalts ihren Antrag auf Aussetzung
der Vollziehung allerdings im Wesentlichen nur damit begründet,
dass der Einfuhrabgabenbescheid rechtswidrig sei. Aus den Ausführungen
in jenem Beschluss, die die wirtschaftliche Lage der Klägerin
und ihren diesbezüglichen Vortrag berühren („Soweit
sie in ihrer Antragsbegründung geltend macht, dass es ihr
nicht möglich sei, eine Bankbürgschaft über
den angeforderten Betrag in Höhe von ... € zu
erhalten ist dieser Vortrag nicht geeignet, einen unersetzbaren
Schaden zu begründen. Dasselbe gilt für die vorgelegten
Unterlagen zur wirtschaftlichen Lage der Antragstellerin. Wie der
Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 23.06.2008 zutreffend ausgeführt
hat, hätte es im Hinblick auf diese Unterlagen einer ausführlichen
Erläuterung klärungsbedürftiger Punkte
bedurft ...”), lässt sich weder das Bestehen einer
Stundungssituation ableiten noch eine weitere Amtsermittlungspflicht
des Beklagten begründen. Denn die Darlegung der wirtschaftlichen
Verhältnisse, die den Anspruch auf Stundung hätten
begründen können, ist im Wesentlichen eine Obliegenheit
desjenigen, der Erlass begehrt (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 16.05.2011, 4 K 80/10).
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund
des Inhalts der vorliegenden Akten das Bestehen einer seinerzeitigen
Stundungssituation weiterhin nicht festgestellt werden kann.
4. Der Beklagte hat auch nicht wegen Verkennung
des Gleichbehandlungsgebots im Hinblick auf die für die
Länderfinanzbehörden erlassene Verwaltungsanweisung
in Nr. 6 Buchst. b) AEAO zu § 240 ermessensfehlerhaft entschieden.
Nach jener Anweisung kann im Allgemeinen eine Frist zur Zahlung
der rückständigen Steuern bewilligt werden, wenn
ein - wie hier - rechtzeitig gestellter Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung nach Fälligkeit abgelehnt worden ist. Weiter
heißt es dort, dass bis zum Ablauf der Schonfrist keine
Säumniszuschläge zu erheben seien.
Zum einen können die für andere Behörden
erlassenen Verwaltungsanweisungen per se keine Bindungswirkung entfalten.
Zum anderen entfaltet die zitierte Verwaltungsanweisung aber
ohnehin (auch gegenüber den Länderfinanzbehörden)
- jedenfalls für Fallgestaltungen wie die vorliegende -
keine Bindungswirkung. Nach Ansicht des FG München (Urteil
vom 26.10.1989,10
K 10143/85, EFG 1990, 213) gelten Verwaltungsanweisungen,
nach denen in Fällen, in denen eine Aussetzung der Vollziehung
vor Fälligkeit des Steueranspruchs beantragt, aber erst
nach Fälligkeit abgelehnt worden ist, eine Frist zur Entrichtung
der rückständigen Steuer zu gewähren
und bei Zahlung der rückständigen Steuer innerhalb
der Nachfrist im allgemeinen auf die Erhebung der verwirkten Säumniszuschläge
aus Billigkeitsgründen zu verzichten ist, nicht für
vom Gericht abgelehnte Aussetzungsanträge. Im streitgegenständlichen
Fall betrifft die Säumnis im Wesentlichen den Zeitraum,
in dem der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim FG Hamburg
anhängig war.
Nach Ansicht des entscheidenden Gerichts ist allerdings mit Weber-Grellet (a.
a. O.) noch weitergehend davon auszugehen, dass auch für
die Fälle der Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der
Vollziehung durch die Finanzbehörden eine Bindung der Länderfinanzverwaltungen
durch die Anweisung nicht erfolgt ist. Denn die Verwaltungsanweisung
geht über das hinaus, was rechtlich zulässig ist.
Die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung hat nach
der Regelungssystematik der Abgabenordnung keine Auswirkung auf
die Fälligkeit.
Eine rückwirkende Stundung führt nicht dazu,
dass die bis zum Erlass des Stundungs-Verwaltungsakts bereits eingetretenen
Rechtsfolgen der Säumnis mit der Bekanntgabe des rückwirkenden
Verwaltungsakts gleichsam automatisch entfallen (BFH, Urteil vom
08.07.2004, VII
R 55/03, m. w. N.). Vielmehr bildet die rückwirkende
Stundung lediglich die rechtliche Grundlage für entsprechende
Maßnahmen der Finanzbehörden, mit denen sie den
Abgabenschuldner von den eingetretenen Folgen der Säumnis
befreien kann; bereits verwirkte Säumniszuschläge
bleiben trotz rückwirkender Stundung verwirkt (BFH a. a.
O.). Mag eine neue Fristsetzung nach Ablehnung im Einzelfall gerechtfertigt
sein, so ist sie doch keinesfalls allgemein geboten (Loose in Tipke/Kruse
AbgabenordnungFinanzgerichtsordnung, § 240, Rdnr. 25).
Für eine hälftige Reduzierung der Säumniszuschläge
im Billigkeitswege auf die Zinshöhe besteht kein Anlass.
Wegen des fehlenden Suspensiveffekts behalten die Säumniszuschläge
trotz des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ihren Sinn. Der
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bewirkt keinen stundungsgleichen
Zustand (Weber-Grellet a. a. O.).
IV.
Gründe, die einen Billigkeitserlass aus persönlichen
Gründen rechtfertigen, sind nicht vorgetragen worden und
auch ansonsten nicht ersichtlich.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Gründe für die Zulassung der Revision, § 115
Abs. 2 FGO, sind nicht gegeben.