17.08.2000 · IWW-Abrufnummer 000193
Bundesfinanzhof: Urteil vom 19.10.1999 – IX R 30/98
BUNDESFINANZHOF
Vermieten Eltern ihrem unterhaltsberechtigten Kind eine ihnen gehörende Wohnung, dann ist der Mietvertrag nicht deshalb rechtsmißbräuchlich i.S. des § 42 AO 1977, weil das Kind die Miete durch Verrechnung mit dem Barunterhalt der Eltern zahlt (Änderung der Rechtsprechung gegenüber BFH-Urteil vom 23. Februar 1988 IX R 157/84, BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604).
AO 1977 § 42 EStG § 21 Abs. 1 BGB § 1612 Abs. 2
Urteil vom 19. Oktober 1999 - IX R 30/98 -
Vorinstanz: FG Münster (EFG 1998, 1325)
Gründe
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung in M. Durch schriftliche Mietverträge vom 3. Mai 1992 hat sie jeweils einen der drei Haupträume der Wohnung unter Einräumung eines Mitbenutzungsrechts an den Gemeinschaftsräumen an ihre volljährige, unverheiratete Tochter sowie zwei weitere Personen vermietet. Für die Tochter beträgt die monatliche Warmmiete 350 DM. Auch mit den beiden fremden Mieterinnen wurden Warmmieten in vergleichbarer Höhe vereinbart.
Die Eltern zahlen ihrer Tochter Unterhalt in Höhe von monatlich 800 DM, von denen sie nach Abzug der Miete nur 450 DM überwiesen. Nach dem unstreitigen Vortrag der Kläger verfügte die Tochter ferner über monatliche Einnahmen durch Gelegenheitsarbeiten in Höhe von 150 DM und Zuwendungen ihrer Großeltern in Höhe von 300 DM.
Für das Streitjahr 1994 ermittelten die Kläger einen Werbungskostenüberschuß bei der Wohnung in Höhe von 13 049 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte das Mietverhältnis mit der Tochter nicht an, weil es rechtsmißbräuchlich sei (§ 42 der Abgabenordnung --AO 1977--). Der Werbungskostenüberschuß wurde entsprechend gekürzt.
Nach vergeblichem Einspruch erhoben die Kläger Klage, die das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurückwies (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1998, 1325).
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 23. Februar 1988 IX R 157/84, BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604, und Beschluß vom 14. Juni 1988 IX B 157/87, BFH/NV 1990, 97) sei ein Mietvertrag zwischen Eltern und unterhaltsberechtigten Kindern steuerrechtlich nicht zu berücksichtigen, wenn das Kind den vereinbarten Mietzins nur aus dem überlassenen Barunterhalt zu entrichten in der Lage sei. Gewährten Eltern einem unverheirateten Kind Unterhalt, so könnten sie gemäß § 1612 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die Art der Unterhaltsgewährung bestimmen. Dementsprechend werde Wohnraum, den Eltern ihren studierenden Kindern zu Verfügung stellen, üblicherweise formlos als Naturalunterhalt überlassen. Für den Abschluß eines Mietvertrages bestehe zur Erreichung dieses wirtschaftlichen Zwecks aus der Sicht der unterhaltsleistenden Eltern regelmäßig kein Anlaß. Ein Mietvertrag diene der Umgehung des § 21a des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Auf das BFH-Urteil vom 28. März 1995 IX R 47/93 (BFHE 177, 416, BStBl II 1996, 59) könnten sich die Kläger nicht berufen, weil in diesem Fall das Kind im Unterschied zum Streitfall über eigene Mittel zur Zahlung der Miete verfügt habe. Die monatliche Zuwendung von 300 DM seitens der Großeltern beruhe auf freiwilligen Schenkungen und berühre den Unterhaltsanspruch nicht.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts (§ 42 AO 1977, § 21 EStG).
Das Mietverhältnis sei nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 28. Januar 1997 IX R 27/95 (BFHE 182, 291, BStBl II 1997, 599) anzuerkennen. Darin habe der BFH entschieden, daß in einem Mietverhältnis zwischen dem Vater und der Tochter und ihrem Partner das Vertragsverhältnis zwischen Vater und Tochter und Vater und Schwiegersohn nicht trennbar sei. Mit Rücksicht auf die Mietverträge über die zwei anderen Räume der Wohnung müsse der Streitfall ebenso behandelt werden.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG Münster vom 22. Oktober 1997 dahingehend zu ändern, daß bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung aus ihrer Eigentumswohnung im Streitjahr 1994 ein Werbungskostenüberschuß in Höhe von 13 049 DM angesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 8. September 1998 hat das Bundesministerium der Finanzen gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) seinen Beitritt erklärt. Es äußert sich im wesentlichen wie folgt:
Die gegen das BFH-Urteil in BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604 vorgebrachten Bedenken im Schrifttum überzeugten nicht. Das Unterhaltsbestimmungsrecht der Eltern (§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB) werde mit einer bestimmten Zahlungsmodalität verbunden. Anstelle der Leistung von Unterhalt durch Sachleistung trete die Zahlung einer Geldrente, die teilweise an die Eltern zurückfließen solle. Die Steuerumgehung liege im "vorprogrammierten Rückholverfahren" (Fischer, Steuer und Wirtschaft 1995, 87, 95; ein Vertragspartner leiste aus einem gesetzlichen Rechtsverhältnis, die Leistung fließe über ein freiwillig begründetes Rechtsverhältnis teilweise wieder zurück). Die Gestaltung sei unangemessen, weil die Steuerpflichtigen einen ungewöhnlichen Weg wählten, auf dem nach dem Willen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreicht werden solle.
Die mißbräuchliche Gestaltung des Rechtsverhältnisses sei nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Tochter eigene Mittel zur Verfügung standen. Entgegen dem BFH-Urteil in BFHE 177, 416, BStBl II 1996, 59 sei die Anerkennung zu versagen, wenn Geldschenkungen so bemessen seien, daß die Mietzahlungen allein aus der Substanz des zugewendeten Kapitals bestritten werden könnten. Mit solchen Zahlungen erfüllten die Eltern den Unterhaltsanspruch des Kindes im voraus. Dieser Sachverhalt sei steuerrechtlich ebenso zu behandeln wie der Fall, in dem die Miete aus laufenden Unterhaltszahlungen geleistet werde.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht das Mietverhältnis der Klägerin mit ihrer Tochter wegen Rechtsmißbrauchs (§ 42 AO 1977) der Besteuerung nicht zugrunde gelegt.
1. Entgegen der Auffassung des FA und des FG hat die Klägerin den Tatbestand des § 21 Abs. 1 EStG auch insoweit erfüllt, als sie einen Teil ihrer Eigentumswohnung an ihre Tochter vermietet hat. Der Mietvertrag mit der volljährigen Tochter ist zivilrechtlich gültig. Er hält auch einem Fremdvergleich stand, denn es gibt keine Anzeichen dafür, daß das Mietverhältnis nicht wie unter Fremden eindeutig begründet oder nicht wie vereinbart durchgeführt worden ist (zu den Merkmalen des Fremdvergleichs BFH-Urteil vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196). Die Vereinbarung einer Warmmiete ist bei der Zimmervermietung an Studenten nicht unüblich. Die Höhe der Miete entspricht der, die mit den fremden Mitbewohnern der Wohnung vereinbart wurde. Die Zahlung der Miete durch Verrechnung mit der Unterhaltsforderung ist ebenfalls kein Grund, die Überlassung der Wohnung dem familiären Bereich zuzuordnen (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 1996 IX R 13/92, BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214, zum Mietverhältnis mit der unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehefrau).
2. Der Abschluß des Mietvertrags ist keine rechtsmißbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO 1977. Der erkennende Senat hat dies allerdings im Urteil in BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604 und in dem Beschluß in BFH/NV 1990, 97 in vergleichbaren Fällen angenommen. Er hält an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest. Er geht zwar nach wie vor davon aus, daß die unterhaltspflichtigen Eltern die Möglichkeit haben (§ 1612 Abs. 2 BGB), ihrer unverheirateten Tochter entweder Barunterhalt zu zahlen, von dem sie die Kosten einer Wohnung bestreiten kann, oder aber ihr eigenen Wohnraum unmittelbar zu überlassen. Die Entscheidung der Eltern, die dem familiären Bereich zuzuordnen ist, ist jedoch grundsätzlich der Besteuerung zugrunde zu legen. Sie kann nicht darauf überprüft werden, ob sie (überwiegend) aus steuerlichen oder außersteuerlichen Erwägungen getroffen wurde mit der Folge, daß im ersteren Fall die Unterhaltszahlung in bar steuerrechtlich wie eine Naturalleistung zu behandeln wäre. Damit würde mittelbar das Recht der Eltern gemäß § 1612 Abs. 2 BGB eingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, daß es Eheleuten freisteht, eine Dienstleistung im Betrieb des Ehepartners auf familiärer oder vertraglicher Grundlage zu erbringen (Urteile vom 24. Januar 1962 1 BvL 32/57, BStBl I 1962, 492, und 1 BvR 232/60, BStBl I 1962, 506). Entscheiden sie sich für einen Arbeitsvertrag, ist Voraussetzung für dessen steuerrechtliche Anerkennung allein, daß diese Entscheidung in der Vereinbarung und ihrer tatsächlichen Durchführung klar zum Ausdruck kommt. Mit Rücksicht auf ihre Vertragsfreiheit (§ 305 BGB, BVerfG-Urteil in BStBl I 1962, 492, 495) ist unerheblich, warum die Eheleute sich für die vertragliche Alternative entschieden haben. Das gleiche gilt in bezug auf die Ausübung des Wahlrechts im Rahmen des § 1612 Abs. 2 BGB. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die Entscheidung vom heutigen Tage in der Sache IX R 39/99.
Legt man danach die Entscheidung der Eltern für die Zahlung von Barunterhalt im Streitfall zugrunde, dann ist das streitige Mietverhältnis in gleicher Weise zu beurteilen wie andere Mietverträge zwischen Unterhaltsverpflichtetem und -berechtigtem, wenn der Unterhaltsverpflichtete kein Wahlrecht in bezug auf die Unterhaltsleistung hat, sondern von vornherein zur Zahlung von Unterhalt in Form einer Geldrente verpflichtet ist (z.B. §§ 1361 Abs. 4, 1612 Abs. 1, 1585 Abs. 1 BGB). Für einen dieser Fälle (§ 1585 Abs. 1 BGB) hat der BFH das Mietverhältnis zwischen Unterhaltsverpflichtetem und Unterhaltsberechtigtem steuerrechtlich anerkannt und insbesondere einen Gestaltungsmißbrauch (§ 42 AO 1977) verneint; die Zahlung des Unterhalts und die Zahlung der Miete sind unter dieser Voraussetzung kein wirtschaftlich inhaltsloses Hin und Her, bzw. ein "vorprogrammiertes Rückholverfahren". Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die BFH-Urteile in BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214, sowie vom 19. Dezember 1995 IX R 85/93, BFHE 180, 265, BStBl II 1997, 52 (vgl. auch BFH-Urteil vom 28. Januar 1997 IX R 27/95, BFHE 182, 291, BStBl II 1997, 599).
3. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Klage ist stattzugeben. Der im übrigen nicht streitige Werbungskostenüberschuß in Höhe von 13 049 DM ist bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.