16.10.2003 · IWW-Abrufnummer 032279
Bundesfinanzhof: Urteil vom 07.08.2003 – VI R 162/00
1. Ein Büroarbeitsplatz in der Schalterhalle einer Bank ist auch dann ein "anderer Arbeitsplatz" im Sinne der Abzugsbeschränkung, wenn sich der Steuerpflichtige dort durch die konkreten Arbeitsbedingungen (z.B. Reinigungsarbeiten und Kundenverkehr) in seiner Konzentration gestört fühlt.
2. Muss ein Bankangestellter in einem nicht unerheblichen Umfang Bürotätigkeiten auch außerhalb der üblichen Bürozeiten verrichten und steht ihm hierfür sein regulärer Arbeitsplatz nicht zur Verfügung, können die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer grundsätzlich (bis zu einer Höhe von 2 400 DM - jetzt: 1 250 ?) als Werbungskosten zu berücksichtigen sein.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, wann einem Steuerpflichtigen ein "anderer Arbeitsplatz" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit der Folge zur Verfügung steht, dass die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer steuerlich nicht geltend gemacht werden können.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der mit seiner Ehefrau (der Klägerin) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wird, erzielte im Streitjahr 1996 bei einer Stadtsparkasse als Leiter der Auslands- und Wertpapierabteilung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sein Arbeitsplatz befand sich in der Schalterhalle der Sparkasse. Mit der Einkommensteuererklärung 1996 machte er Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 5 170 DM als Werbungskosten geltend. Er legte hierzu eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vor, derzufolge er im Streitjahr 400 von 550 Überstunden zu Hause geleistet hatte. Aus der Bescheinigung geht weiter hervor, dass der Kläger regelmäßig dienstliche Aufgaben von zu Hause aus wahrnahm, dass er neben seiner hauptamtlichen Tätigkeit auch als Dozent für den betriebsinternen Unterricht der Auszubildenden tätig war und dass er hierfür eine zusätzliche Vergütung erhielt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte die geltend gemachten Aufwendungen nicht an.
Mit der dagegen gerichteten Klage trug der Kläger vor, sein Arbeitsplatz in der Schalterhalle sei aufgrund der zu beachtenden Sicherheitsvorkehrungen grundsätzlich nur von 7 bis 19 Uhr zugänglich gewesen. Dieser Zeitraum sei zusätzlich noch durch weitere Faktoren wie das Anlaufen der Klimaanlage, Reinigungsarbeiten und Kundenverkehr eingeschränkt worden. Berücksichtige man dies, so habe ihm der Arbeitsplatz tatsächlich nur an 42,5 Stunden pro Woche zur Verfügung gestanden. Bei 550 geleisteten Überstunden folge daraus zwangsläufig, dass diese zu einem beträchtlichen Teil im häuslichen Arbeitszimmer hätten erbracht werden müssen. Hiervon abgesehen sei ein konzentriertes Arbeiten angesichts des zeitweise herrschenden Geräuschpegels in der Schalterhalle ebenfalls nicht möglich gewesen.
Die Klage wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass dem Kläger bei seinem Arbeitgeber ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden habe und dass eine Berücksichtigung der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer dadurch ausgeschlossen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 132 veröffentlicht.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger. Sie machen geltend, das FG habe § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG unzutreffend ausgelegt. Hinsichtlich der Frage, ob ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, sei nicht --allgemein-- auf eine bestimmte Einkunftsart oder ein Arbeitsverhältnis abzustellen, sondern konkret auf die jeweils unterschiedlichen, im Rahmen eines Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses zu verrichtenden Tätigkeiten. Hierbei seien auch Gesichtspunkte wie die Arbeitsatmosphäre und das Umfeld eines Arbeitsplatzes zu würdigen, im Streitfall etwa die Arbeitsbedingungen in der Schalterhalle. Schließlich hätte das FG auch berücksichtigen müssen, dass der Kläger die von ihm geleisteten Überstunden zu Zeiten erbracht habe, zu denen ihm sein Arbeitplatz aufgrund der Banköffnungszeiten --auch bei einer idealen Verteilung der Arbeitszeit-- nicht in dem erforderlichen Umfang zur Verfügung gestanden habe.
Die Kläger beantragen, die vorinstanzliche Entscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1996 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 1998 dahin gehend zu ändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 2 400 DM berücksichtigt werden.
Das FA tritt der Revision entgegen.
II.
Die Revision der Kläger ist begründet.
Das vorinstanzliche Urteil war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. a) Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach Satz 2 der letztgenannten Vorschrift u.a. dann nicht, wenn dem Steuerpflichtigen für die berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird nach Satz 3 Halbsatz 1 der Vorschrift (in der hier maßgeblichen Fassung) die Höhe der abziehbaren Aufwendungen regelmäßig auf 2 400 DM begrenzt.
Ein "anderer Arbeitsplatz" im Sinne der Abzugsbeschränkung ist grundsätzlich jeder Arbeitsplatz, der zur Erledigung büromäßiger Arbeiten geeignet ist; weitere Anforderungen an seine Beschaffenheit sind nicht zu stellen. Der andere Arbeitsplatz steht allerdings nur dann "für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit ... zur Verfügung", wenn ihn der Steuerpflichtige in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise tatsächlich nutzen kann. Übt der Steuerpflichtige nur eine berufliche Tätigkeit aus, muss geprüft werden, ob der --an sich vorhandene-- andere Arbeitsplatz tatsächlich für alle Aufgabenbereiche der Erwerbstätigkeit zur Verfügung steht. Es genügt jedoch nicht, dass nach Feierabend oder am Wochenende im häuslichen Arbeitszimmer Arbeiten verrichtet werden, die grundsätzlich auch an dem anderen Arbeitsplatz verrichtet werden könnten.
Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf das Urteil des Senats vom 7. August 2003 VI R 17/01 (zur Veröffentlichung bestimmt) Bezug genommen.
b) Das FG ist von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Das vorinstanzliche Urteil war daher aufzuheben.
aa) Zwar ist der Arbeitsplatz des Klägers in der Schalterhalle der Bank als Büroarbeitsplatz ein "anderer Arbeitsplatz" im Sinne der Abzugsbeschränkung. Auf die geltend gemachten Arbeitsbedingungen wie das Anlaufen der Klimaanlage, die täglichen Reinigungsarbeiten oder den Kundenverkehr kommt es --entgegen der Ansicht des Klägers-- nicht an, da an die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes keine weiteren Anforderungen zu stellen sind. Unbeachtlich ist insbesondere auch, dass der Kläger dort seiner Meinung nach nicht "ungestört" und "konzentriert" arbeiten konnte.
bb) Allerdings hätte das FG die Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger in seinem häuslichen Arbeitszimmer Überstunden geleistet hat und leisten musste, nicht offen lassen dürfen.
Zwar wäre der Umstand, dass der Kläger im Streitjahr nach Büroschluss und an den Wochenenden Überstunden geleistet hat, an sich unbeachtlich (s.o. unter 1. a). Es müsste sich allerdings insoweit um Arbeiten gehandelt haben, die grundsätzlich auch an dem Arbeitsplatz in der Schalterhalle der Bank hätten erbracht werden können.
Den Feststellungen des FG zufolge hat der Arbeitgeber des Klägers die erbrachten Überstunden gesondert entlohnt; das dafür gezahlte Überstundenentgelt betrug im Streitjahr 18 724 DM. Dieser Umstand und die durch den Arbeitgeber bescheinigte hohe Anzahl der Überstunden könnten dafür sprechen, dass der Kläger aus Gründen, die im Arbeitsverhältnis selbst angelegt sind --und nicht aufgrund persönlicher Befindlichkeiten--, in einem nicht unerheblichen Umfang auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten berufliche Tätigkeiten verrichten musste. Stand ihm hierfür aber der Arbeitsplatz in der Schalterhalle aufgrund der Öffnungszeiten des Bankgebäudes tatsächlich nicht in dem erforderlichen Maße zur Verfügung --auch dies hat das FG offen gelassen--, so wäre der Kläger den konkreten Arbeitsbedingungen nach auf das häusliche Arbeitszimmer angewiesen gewesen.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, in welchem Umfang der Kläger im Streitjahr die vorgetragenen Überstunden tatsächlich im häuslichen Arbeitszimmer erbracht hat und erbringen musste und welche Tätigkeiten er dort verrichtet hat. Dabei wird das FG auch der Frage nachgehen müssen, in welchem Umfang der Kläger im Hinblick auf seine Dozententätigkeit auf das häusliche Arbeitszimmer angewiesen war. Des Weiteren wird festzustellen sein, zu welchen Zeiten der Kläger den Arbeitsplatz in der Schalterhalle der Bank tatsächlich nutzen konnte. Maßgeblich ist hierbei, wann der Kläger Zugang zum Bankgebäude hatte. Störfaktoren im Umfeld des Arbeitsplatzes sind hingegen nicht zu berücksichtigen.