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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Neues Merkblatt zum Umsatzsteuer-Missbrauch: Mandanten vor übereilten Statements warnen!

    von Dipl.-Finw. Rüdiger Weimann, Dozent, Lehrbeauftragter und freier Gutachter in Umsatzsteuerfragen, Dortmund

    | Umsatzsteuerbetrug kostet den deutschen Fiskus weiter jährlich rund 15 Milliarden Euro. Den Betrug zu bekämpfen bleibt damit zu Recht ein vorrangiges Ziel der Finanzverwaltung. Kritisch zu sehen ist aber, wie die Verwaltung die Problematik neuerdings angeht. Da sie der wahren Täter nur selten habhaft wird, geht die Tendenz dahin, deren Geschäftspartner ins Unrecht zu setzen und diesen dann den Vorsteuerabzug zu versagen. Zu diesem Ziel hat die Finanzverwaltung ein Merkblatt entwickelt, dass sie ausgewählten Unternehmern „erläutert“ und „aushändigt“; die Unternehmer sollen dies durch ihre Unterschrift bestätigen. |

    1. Der Inhalt des Merkblatts

    1.1 Die Einleitung

    Die Finanzverwaltung leitet das Papier wie folgt ein:

    Merkblatt / Überschrift und Abschnitte 1 und 2

    Merkblatt zur Umsatzsteuer

    Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbots

     

    1. Ausgangslage

    In Deutschland finden immer wieder Umsatzsteuerhinterziehungen in erheblichem Umfang statt, bei denen mehrere Unternehmen auch in grenzüberschreitende Lieferketten eingebunden werden. Die Finanzbehörden haben darauf hinzuwirken, dass Umsatzsteuern nicht verkürzt und Steuererstattungen nicht zu Unrecht gewährt werden. Hierbei werden die Finanzbehörden auch präventiv im Interesse der Sicherstellung des Umsatzsteueraufkommens, zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und zum Schutz steuerehrlicher Unternehmer tätig.

     

    2. Gemeinschaftsrechtliches Missbrauchsverbot

    Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH ist der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass dieser Umsatz in eine vom Lieferer bzw. Leistenden oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Steuerhinterziehung einbezogen war. Hat das Finanzamt diese objektiven Umstände rechtlich hinreichend nachgewiesen bzw. substantiiert vorgetragen, obliegt es im Rahmen der Feststellungslast dem Unternehmer, dies zu widerlegen. Dies gilt in gleicher Weise für die Beanspruchung der Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen und die Haftung für die schuldhaft nicht abgeführte Steuer gemäß § 25d UStG. ...

     

    Hierzu ist anzumerken, dass schon die Bezeichnung „Merkblatt“ verharmlosend und damit ein Stück weit irreführend ist. Es geht der Finanzverwaltung nicht darum, dem Unternehmer ein Hilfsmittel an die Hand zu geben. Vielmehr soll er mit dem Ziel belehrt werden, ihm später den guten Glauben abzusprechen und somit den Vorsteuerabzug und eventuelle Billigkeitsmaßnahmen zu versagen.

     

    Wichtig | Da der Unternehmer zu bestimmten Verhaltensweisen veranlasst und auf die Konsequenzen vermeintlichen Fehlverhaltens hingewiesen werden soll, wäre eine Bezeichnung wie „Belehrung über die Mitwirkungspflichten zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug“ sicher treffender.

     

    1.2 Die „schwarze Liste“

    Der Einleitung folgt eine „schwarze Liste“, in der die Finanzverwaltung Anhaltspunkte auflistet, die ihres Erachtens für einen Umsatzsteuerbetrug sprechen sollen:

    Merkblatt / Abschnitt 3 (auszugsweise)

    3. Betroffene Geschäfte

    Das Finanzamt macht den Unternehmer hiermit darauf aufmerksam, dass er bei der Anbahnung und Abwicklung von Geschäften auf ungewöhnliche Geschäftsverhältnisse achten muss. Dem Unternehmer wird deshalb zur Kenntnis gebracht, dass folgende Umstände darauf deuten können, dass ein Unternehmen in einen Umsatzsteuerbetrug eingebunden sein kann.

     

    a) Allgemein

    Der Unternehmer wird durch einen Dritten aufgefordert/gebeten, sich an Umsätzen zu beteiligen, bei denen der Dritte z.B.

    • Lieferanten und/oder Abnehmer vermittelt,
    • Einkaufs und/oder Verkaufspreise sowie
    • Zahlungsmodalitäten und Lieferwege vorgibt.

     

    b) Bei einem Kauf

    • Der Lieferant bietet Ware an, deren Preis unter dem Marktpreis liegt.
    • Der Lieferant ist ein neu gegründetes Unternehmen oder hat gerade seine Geschäftstätigkeit begonnen.
    • Der Lieferant ist in der Branche unbekannt.
    • Der Gesellschaftszweck des Lieferanten laut Handelsregister entspricht nicht dem tatsächlich ausgeübten oder ist sehr allgemein gehalten.
    • ...
    • Es bestehen Zweifel an der umsatzsteuerlichen Registrierung des Lieferanten.
    • Die Geschäftsadresse des Lieferanten ist ungewöhnlich, z.B. eine Büroservice- oder c/o-Adresse.
    • Der Lieferant verfügt über keine oder keine angemessenen Lagerräume.
    • Die verantwortlichen Personen des Lieferanten haben keinen Wohnsitz in der Nähe des Unternehmens oder in Deutschland und/oder sind der deutschen Sprache nicht mächtig.
    • Die schriftlichen Anfragen des Lieferanten wirken laienhaft, z.B. bezüglich Briefpapier, Schrift, Logo.
    • ...
    • Die E-Mail-Adresse ist in einem anderen Staat vergeben.
    • Der Lieferant bietet Waren an, die der Unternehmer schon einmal eingekauft hat (z.B. identische Fahrzeug-Identifikationsnummer, IMEI-Nummer u.Ä. Seriennummern). ...

     

    c) Bei einem Verkauf

    • Der Abnehmer ist ein neu gegründetes Unternehmen ... “
     

    Hinweis | Die Anhaltspunkte, die für einen betrügerischen Verkauf aufgelistet werden, entsprechen denen für den Einkauf; auf eine Wiedergabe an dieser Stelle wurde daher verzichtet. Hervorhebungen durch Fettdruck sind vom Autor. Den vollständigen Originaltext finden Sie als Download unter der IWW-Abruf-Nr. 143272.

     

    Die vermeintlichen Anhaltspunkte für einen Umsatzsteuerbetrug sind eine „bunte Mischung“ von zweifelsohne kritischen Geschäftsumständen mit solchen, die zum Teil völlig üblich oder auch gar nicht nachprüfbar sind:

     

    • Sicherlich sollte es einem Einkäufer auffallen, wenn derselbe Artikel von ihm schon einmal eingekauft wurde (gleiche Fahrzeug-Identifikations- oder IMEI-Nummer); das spricht für ein „klassisches“ Karussellgeschäft.

     

    • Ähnliches gilt für Ware, die weit unter dem Marktwert angeboten wird. Aber muss der Einkäufer auch Preise hinterfragen, die leicht darunter liegen?

     

    • Was spricht gegen ein Geschäft mit einem neu gegründeten oder bislang unbekannten Unternehmen? Woraus ergibt sich das den meisten Branchen völlig fremde Erfordernis eines Abgleichs mit Handelsregisterauszügen?

     

    • Lagerkapazitäten des Geschäftspartners abzufragen ist unüblich, die Arbeit mit einer Spedition dagegen in vielen Branchen an der Tagesordnung.

     

    • Ein im Ausland wohnender Geschäftsführer ist sicher nichts Ungewöhnliches. Gleiches gilt für eine ausländische E-Mail-Anschrift (...@com).

     

    PRAXISHINWEIS | Die Tatbestandsmerkmale scheinen weit hergeholt und wenig aussagekräftig. Die Finanzverwaltung wird daher genauestens argumentieren müssen, warum ein Merkmal im konkreten Einzelfall der Annahme eines guten Glaubens entgegensteht. Für den Unternehmer kann es indes schwer sein, die Argumente zu entkräften.

     

    1.3 Die Belehrung und der Unterschriftsteil

    Das Papier schließt wie folgt:

    Merkblatt /  Belehrung und Unterschriftsteil

    ... Liegen objektive Umstände vor, die darauf schließen lassen, dass der Unternehmer in einen Umsatzsteuerbetrug eingebunden war und hat der Unternehmer insbesondere oben genannte Anhaltspunkte dafür ignoriert oder übersehen, kann im Einzelfall

    • eine Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Steuer (§ 25d UStG) infrage kommen.

     

    Der Unternehmer sollte deshalb in der Lage sein, im Einzelfall gegenüber dem Finanzamt zu dokumentieren, dass aufgetretene Anhaltspunkte untersucht wurden. Er sollte auch alle ihm zur Verfügung stehenden Angaben über die beteiligten Unternehmer und Kontaktpersonen (Name, Adresse, Telefon/Fax/E-Mail) aufbewahren.

     

    Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Beachtung der Hinweise dieses Merkblattes nicht automatisch zur Gewährung des Vorsteuerabzugs oder der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen führt.

     

    Das Merkblatt wurde erläutert durch ...........................

    Das Merkblatt wurde ausgehändigt an ................................

    Datum: .......................... Empfang wird bestätigt: ..........................

     

    Hier zeigt sich, was die Verwaltung will: dem Unternehmer soll durch das Merkblatt die Gutgläubigkeit im Vorgriff genommen werden.

     

    PRAXISHINWEIS | Es stellt sich die Frage, ob der Unternehmer der Aufforderung zur Unterschrift Folge leisten sollte oder nicht. Unterschreibt er nicht, wird der Beamte das Gespräch protokollieren und das Dokument nachweisbar übersenden, etwa per Einschreiben mit Rückschein. Wesentlich wichtiger wäre es, sofort mit einer Gegenäußerung zu reagieren (siehe 3.)

     

    2. Das Merkblatt widerspricht der neueren Rechtsprechung

    2.1 EuGH vom 21.6.12: Der Einkäufer hat keine generelle Pflicht zur Verifizierung von Eingangsrechnungen

    Die Steuerverwaltung kann von einem Steuerpflichtigen jedoch nicht generell verlangen, zu prüfen,

    • ob der Aussteller der Rechnung z.B. über die Gegenstände und Dienstleistungen, für die der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, tatsächlich verfügte und sie liefern konnte oder
    • ob er seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und der Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist,

    um sich zu vergewissern, dass auf Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorgelagerten Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehungen vorliegen (EuGH 21.6.12, C-80/11 u. C-142/11, C-80/11, C-142/1, Mahagében und Dávid, Rn. 61 bis 65; vgl. auch EuGH 31.1.13, C-643/11, LVK, HFR 13, 361, Rz. 61).

     

    MERKE | Es ist nämlich grundsätzlich Sache der Steuerbehörden, bei den Steuerpflichtigen die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und USt-Hinterziehungen aufzudecken und entsprechende Sanktionen zu verhängen.

     

    Die Steuerbehörde würde ihre eigenen Kontrollaufgaben auf die Steuerpflichtigen übertragen, wenn sie oben genannte Maßnahmen aufgrund der Gefahr der Verweigerung des Vorsteuerabzugsrechts den Steuerpflichtigen auferlegt (EuGH-Urteil vom 21.6.2012, a.a.O., Rn. 62 ff.).

     

    PRAXISHINWEIS | Der Rechnungsempfänger darf also von der Finanzverwaltung nicht mittelbar zu Nachprüfungen bei seinem Vertragspartner verpflichtet werden, die ihm grundsätzlich nicht obliegen.

     

    2.2 EuGH vom 6.9.2012: Guter Glaube erfordert nur die verständige Würdigung aller bekannten Umstände

    In der Entscheidung Mecsek-Gabona (Rs. C-273/11, BFH/NV 2012, 1919) nimmt der EuGH auch Stellung zu der Frage, welche Nachweishandlungen einem Wirtschaftsteilnehmer zur Wahrung seiner Rechte zumutbar sind. Für die Beurteilung eines (Ausgangs- oder Eingangs-)Umsatzes kommt es danach immer auf den Kenntnisstand der Beteiligten bei Ausführung des Umsatzes an!

     

    PRAXISHINWEIS | Sind alle bekannten Umstände verständig gewürdigt, ist der gute Glaube gewahrt!

     

    2.3 FG Münster vom 12.12.13: Kein Vorsteuerabzug? - Dann muss das Finanzamt dem Einkäufer Betrugsabsicht nachweisen!

    Das FG Münster hat sich der unter 2.1 vorgestellten EuGH-Rechtsprechung angeschlossen und - zur Fortbildung des Rechts (§ 128 Abs. 3 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) - die Beschwerde zum BFH zugelassen (vgl. GStB 14, 275). Die Finanzverwaltung hat darauf - soweit ersichtlich - verzichtet.

     

    PRAXISHINWEIS | In diesem Verzicht steckt eine große Aussagekraft! Rechnet die Finanzverwaltung nämlich mit einer für sie negativen Entscheidung des BFH, vermeidet sie gerne, dass ein Streitfall „hochgekocht“ wird, verzichtet auf Rechtsmittel und wendet die profiskalische Rechtsauffassung weiter an.

     

    3. Gegenäußerung nach Aushändigung des Merkblatts

    So pauschal, wie die Finanzverwaltung den guten Glauben durch den Einsatz des Merkblatts zu beseitigen versucht, sollten Unternehmer und Berater versuchen, diesen wiederherzustellen. Dazu empfiehlt sich - ebenfalls möglichst per Einschreiben mit Rückschein - in etwa folgende schriftliche Gegenäußerung:

     

    Musterschreiben / 

    Wir bestätigen, das Merkblatt erhalten zu haben, erkennen jedoch nach nochmaliger sorgfältiger Überprüfung unserer Ein- und Verkaufsbeziehungen keinerlei Auffälligkeiten.

     

    Sollten behördlicherseits bereits konkrete andere Erkenntnisse vorliegen, bitten wir zur Abwendung eines Schadens von unserem Unternehmen, uns diese zeitnah schriftlich mitzuteilen.

     

    Wichtig | Der letzte Satz bringt die Finanzverwaltung insoweit in Zugzwang, als bei einem Zurückhalten besserer Erkenntnisse über eine (Staats-)Haftung nachzudenken sein wird.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zur Beweislast bei Versagung des Vorsteuerabzugs vgl. Weimann, „Kein Vorsteuerabzug? - Dann muss das FA dem Einkäufer Betrugsabsicht nachweisen“ in GStB 14, 275 ff.
    Quelle: Ausgabe 02 / 2015 | Seite 68 | ID 43134848