· Fachbeitrag · Verlustverrechnung
Feststellung von Verlusten nach § 10d Abs. 4 EStG: Diese Fallstricke sollte man im Blick haben
von Dipl.-Finw. Karl-Heinz Günther, Übach-Palenberg
| Mit dem Jahressteuergesetz 2010 hat der Gesetzgeber - auf eine geänderte BFH-Rechtsprechung reagierend - die Grundlagen für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 S. 1 EStG maßgeblich verändert. Die Auswirkungen dieser Rechtsänderung auf die Besteuerungspraxis werden vielfach unterschätzt. Grund genug, sich dieser „haftungsträchtigen“ Materie noch einmal genau zu widmen. |
1. Die geänderte Gesetzeslage nach dem JStG 2010
Für nach dem 13.12.10 - dem Tag der Verkündung des Jahressteuergesetzes 2010 - erklärte Verluste gilt nunmehr folgendes Verfahren:
- Bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags sind die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zu Grunde gelegt worden sind. In diesem Zusammenhang sind die Regelungen in § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 351 Abs. 2 AO sowie § 42 FGO entsprechend anzuwenden (§ 10d Abs. 4 S. 4 EStG).
- Die Besteuerungsgrundlagen dürfen nur dann insoweit abweichend von der Steuerfestsetzung bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung des Steuerbescheids ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt (§ 10d Abs. 4 S. 5 EStG).
2. Verfahrensrechtliche Konsequenzen
Mit der Regelung in § 10d Abs. 4 S. 4 EStG will der Gesetzgeber die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags an den ESt-Bescheid koppeln, aus dem sich die Verluste ergeben. Der ESt-Bescheid entfaltet insoweit Bindungswirkung für den Verlustfeststellungsbescheid, was sich aus dem Verweis auf die insoweit maßgeblichen Vorschriften der AO und FGO ergibt. Dennoch ist er für den Verlustfeststellungsbescheid nach wie vor kein Grundlagenbescheid. Man wollte lediglich erreichen, dass sich die erstmalige oder geänderte Feststellung des Verlustes nach den Besteuerungsgrundlagen des Steuerbescheides richtet (OFD Münster 1.8.11, StEK EStG § 10d Nr. 58).
Hinweis | Für die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs sind daher grundsätzlich die sich aus dem ESt-Bescheid ergebenden Besteuerungsgrundlagen maßgebend.
MERKE | Konkret bedeutet dies, dass nach Ergehen des ESt-Bescheides eine erstmalige Verlustfeststellung auf der Basis des negativen Gesamtbetrags der Einkünfte des ESt-Bescheides zu ergehen hat. Eine geänderte Verlustfeststellung kann jetzt nur noch erreicht werden, wenn auch der ESt-Bescheid verfahrensrechtlich noch aufhebbar, berichtigungsfähig oder änderbar ist (§§ 129, 164, 165, 172 ff. AO). |
Eine Ausnahme ergibt sich lediglich dann, wenn die Aufhebung, Berichtigung oder Änderung des Einkommensteuerbescheides verfahrensrechtlich zwar möglich wäre, jedoch mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt. Hier ermöglicht § 10d Abs. 4 S. 5 EStG eine von den Besteuerungsgrundlagen im Steuerbescheid abweichende Verlustfeststellung.
3. Praktische Auswirkungen
Die Neuregelungen in § 10d Abs. 4 S. 4 und 5 EStG haben erhebliche Konsequenzen in der Praxis. Denn die Feststellung eines vortragsfähigen Verlustes oder dessen Änderung ist jetzt - im zeitlichen Rahmen der Feststellungsfrist - grundsätzlich nur noch in Abhängigkeit von der ESt-Festsetzung möglich.
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A ist Gewerbetreibender und wird für 2011 mit einem Gewinn von 70.000 EUR (= Gesamtbetrag der Einkünfte) veranlagt. Der ESt-Bescheid 2011 ergeht in 2012 endgültig ohne Nebenbestimmungen. In 2013 beantragt A die nachträgliche Berücksichtigung eines (unstreitigen) Auflösungsverlusts aus einer GmbH-Beteiligung von 100.000 EUR (§ 17 Abs. 4 i.V.m. § 3c Nr. 40 Buchst. c EStG), der sich aus einer erst in 2013 erfolgten Bürgschaftsinanspruchnahme ergibt. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH wurde in 2011 mangels Masse eingestellt.
Lösung: Die in Form der Bürgschaftsinanspruchnahme anfallenden nachträglichen Anschaffungskosten sind bei Ermittlung des Auflösungsverlusts in 2011 als rückwirkendes Ereignis zu berücksichtigen, d.h. der ESt-Bescheid 2011 ist insoweit nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern (BFH 2.10.84, VIII R 20/84, BStBl II 85, 428). Entsprechend kann daher auch der sich nunmehr ergebende negative Gesamtbetrag der Einkünfte von 30.000 EUR als Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG zum 31.12.11 festgestellt werden. |
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Abwandlung zu Beispiel 1: A hatte in 2011 lediglich einen Gewinn in Höhe von 10.000 EUR erzielt, sodass die Einkommensteuer mit 0 EUR festgesetzt wurde.
Lösung: In diesem Fall löst das rückwirkende Ereignis keine Änderung des Steuerbescheides aus, da die festgesetzte Einkommensteuer bereits 0 EUR beträgt. Hier kommt nun § 10d Abs. 4 S. 5 EStG zur Anwendung. Da die ESt-Festsetzung grundsätzlich verfahrensrechtlich änderbar wäre und diese nur mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt, ist hier zum 31.12.11 ein Verlustvortrag von (10.000 EUR ./. 100.000 EUR =) 90.000 EUR gesondert festzustellen. |
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B erzielt als Unternehmer in 2011 einen Gewinn von 10.000 EUR. Die Einkommensteuer 2011 wird in 2012 mit 0 EUR bestandskräftig festgesetzt. In 2013 stellt B, dessen Steuererklärung von einem Steuerberater gefertigt worden ist, den Antrag, für 2011 noch einen Verlust von 20.000 EUR zu berücksichtigen, da er (unstreitig) in 2011 in ein bislang leerstehendes Gebäude mit der Absicht der späteren Vermietung investiert habe.
Lösung: In diesem Fall kommt eine Verlustfeststellung zum 31.12.11 nicht mehr in Betracht, da der ESt-Bescheid 2011 dem Grunde nach aufgrund der nachträglich erklärten negativen Vermietungseinkünfte nicht mehr änderbar ist. Zwar handelt es sich um eine neue Tatsache im Sinne von § 173 AO, deren Berücksichtigung aber am groben Verschulden des B scheitert, da er diesen Vorgang bereits in seiner Steuererklärung 2011 hätte erklären müssen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO). |
4. Fehlende ESt-Veranlagung im Verlustentstehungsjahr
Die Regelungen in § 10d Abs. 4 S. 4 und 5 EStG setzen voraus, dass ein ESt-Bescheid vorhanden ist, an den die Verlustfeststellung anknüpft bzw. dass ein vorhandener Bescheid aufgehoben, berichtigt oder geändert wird bzw. dem Grunde nach aufhebbar, berichtigungsfähig oder änderbar wäre. Wurde jedoch bislang keine ESt-Veranlagung für das Verlustentstehungsjahr durchgeführt, ist eine nachträgliche Verlustfeststellung im Rahmen der Feststellungsfrist grundsätzlich noch möglich. Dabei ist zu beachten, dass die Feststellungsfrist für die Verlustfeststellung unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO zu berechnen ist (BFH 10.7.08, IX R 90/07, BStBl II 09, 816) und damit maximal sieben Jahre beträgt (vgl. auch Nacke in GStB 09, 277 ff.).
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C war bis 2007 als Arbeitnehmer tätig. In 2008 erzielte er keine Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit, sondern besuchte auf eigene Kosten verschiedene Fortbildungsseminare für (unstreitige) 12.000 EUR. Während dieser Zeit hat C seinen Lebensunterhalt durch Zuwendungen seiner Eltern bestritten. In 2013 beantragt C die Feststellung eines vortragsfähigen Verlustabzugs in Höhe von 12.000 EUR zum 31.12.08.
Lösung: In 2008 war C ein Antragsveranlagungsfall nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG, d.h. die Einkommensteuer 2008 verjährt mit Ablauf des 31.12.12, da im Fall der Antragsveranlagung die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO keine Anwendung findet (BFH 14.4.11, VI R 53/10, BStBl II 11, 746). Da für 2008 jedoch noch keine Veranlagung durchgeführt wurde, finden die Regelungen des § 10d Abs. 4 S. 4 und 5 EStG keine Anwendung, d.h. der Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr 2008 mit Ablauf des 31.12.12 steht einer Verlustfeststellung in 2013 auf den 31.12.08 nicht entgegen. Bis zum Ablauf der Feststellungsfrist (unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31.12.15) kann daher grundsätzlich noch ein Antrag auf Verlustfeststellung auf den 31.12.08 gestellt werden, sodass dem Antrag des C in 2013 zu entsprechen ist. |
5. Verbrauch des Verlustes durch nicht mehr änderbare Steuerbescheide
Ein verbleibender Verlustabzug ist nur insoweit zulässig, als die Verluste nicht abgezogen worden sind und auch nicht in vorangegangenen Veranlagungszeiträumen abgezogen werden konnten. Dabei ist es unerheblich, ob verfahrensrechtlich eine Verlustberücksichtigung tatsächlich möglich war.
Beachten Sie | Auch wenn für diesen Veranlagungszeitraum bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen und daher eine Änderung des ESt-Bescheides verfahrensrechtlich nicht mehr möglich war, ändert dies nach Auffassung des BFH nichts daran, dass die Verluste dort abgezogen werden konnten und auch mussten. Das Verlustabzugspotenzial verschiebt sich in diesem Fall nicht in den verfahrensrechtlich noch „offenen“ nächsten Veranlagungszeitraum (BFH 29.6.11, IX R 38/10, BStBl II 11, 963).
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D sind in 2007 Fortbildungskosten von 12.000 EUR entstanden, ansonsten hatte er in diesem Jahr keine Einkünfte erzielt. In 2008 betrugen seine Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit 30.000 EUR. Die Veranlagung 2008 ist in 2009 bestandskräftig durchgeführt worden. Auch in den Jahren 2009 bis 2012 wurde D mit positiven Lohneinkünften bestandskräftig veranlagt. In 2013 stellt er den Antrag auf Verlustfeststellung in Höhe von 12.000 EUR zum 31.12.07.
Lösung: Grundsätzlich wäre die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2008 mit Ablauf des 31.12.12 abgelaufen (Antragsveranlagung). Dies gilt jedoch nicht für die Feststellungsfrist betreffend den zum 31.12.07 bestehenden Verlustabzug, die erst mit Ablauf des 31.12.14 endet. Ergeht nun in 2013 aufgrund des Antrags auf Verlustfeststellung ein Verlustfeststellungsbescheid auf den 31.12.07, muss der ESt-Bescheid 2008 nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden, da dessen Festsetzungsfrist insoweit nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Verlustfeststellungsbescheides als Grundlagenbescheid endet (§ 171 Abs. 10 AO). |
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Der Antrag auf Verlustfeststellung wird erst in 2015 gestellt. |
Hier greift nun die vorgenannte Entscheidung des BFH, denn in 2015 ist die Feststellungsfrist für eine Verlustfeststellung auf den 31.12.07 bereits (zum 31.12.14) abgelaufen. Es darf nun auch keine Verlustfeststellung auf den 31.12.08 erfolgen. Eine solche wäre zwar grundsätzlich bis zum 31.12.15 möglich, jedoch existiert zu diesem Zeitpunkt kein feststellungsfähiger Verlust mehr, da das Verlustabzugspotenzial von 12.000 EUR in voller Höhe in 2008 hätte verbraucht werden müssen und damit in 2008 als verbraucht gilt, unabhängig davon, dass dies verfahrensrechtlich nicht mehr möglich war. Das Verlustabzugspotenzial verschiebt sich daher nicht in den verfahrensrechtlich noch offenen nächsten Veranlagungszeitraum 2009, der bei einer Verlustfeststellung zum 31.12.08 über § 175 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 171 Abs. 10 AO grundsätzlich noch änderbar wäre.
6. Verlustrücktrag
Die Neuregelungen in § 10d Abs. 4 EStG betreffen ausschließlich die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags, lassen jedoch die bisherigen Regularien zum Verlustrücktrag unberührt.
MERKE | Konkret bedeutet dies, dass aufgrund der nunmehr bestehenden Bindung an die Besteuerungsgrundlagen des ESt-Bescheides der Verlustvortrag ausgeschlossen, gleichwohl aber ein Verlustrücktrag noch weiterhin möglich sein kann. |
Im vorstehenden Beispiel 3 ist die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.11 zwar aufgrund der Neuregelungen in § 10d Abs. 4 S. 4 und 5 EStG ausgeschlossen. B kann jedoch in 2013 noch den Verlustrücktrag nach 2010 beantragen (§ 10d Abs. 1 S. 1 und 3 EStG), da der Einkommensteuerbescheid 2011 für die Höhe des Verlustrücktrages nach 2010 keine Bindungswirkung entwickelt.
7. Besonderheiten bei Anfechtung
Die veränderte verfahrensrechtliche Rechtslage in § 10d Abs. 4 EStG hat auch Auswirkungen auf ein eventuell zu führendes Einspruchsverfahren.
Grundsätzlich ist nun zu beachten, dass der Steuerpflichtige, wenn er mit der Höhe des festgestellten Verlustvortrags nicht einverstanden ist, sich gegen die Steuerfestsetzung wenden muss. Ein Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid wäre wegen der verfahrensrechtlichen Bindung an den ESt-Bescheid unbegründet (§ 351 Abs. 2 AO). Dies gilt auch bei einer Steuerfestsetzung über 0 EUR; die Beschwer (§ 350 AO) ergibt sich insoweit aus der Regelung in § 10d Abs. 4 S. 5 EStG.
PRAXISHINWEIS | Unterlässt das Finanzamt die Feststellung eines sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergebenden Verlustvortrags, sollte der Steuerpflichtige einen Antrag auf Verlustfeststellung stellen. Wird dieser abgelehnt, ihm nur teilweise entsprochen oder über ihn nicht entschieden, ist hiergegen Einspruch (bzw. bei Nichtbearbeitung Untätigkeitseinspruch gemäß § 347 Abs. 1 S. 2 AO) einzulegen. |