· Fachbeitrag · Organschaft
Keine grenzüberschreitende Verlustverrechnung
von Dr. Hansjörg Pflüger, Stuttgart
| Ein weiteres Mal hat der BFH zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen eine inländische Muttergesellschaft die Verluste ihrer ausländischen Tochtergesellschaft übernehmen kann. Dabei geht es um die Frage, ob eine „faktische“ Organschaft innerhalb der EU anzuerkennen ist und unter welchen Voraussetzungen dabei Verluste von inländischen Organträgern übernommen werden können. Die Voraussetzungen für eine Verlustübernahme wurden vom BFH erneut verneint (BFH 9.8.23, I R 26/19, Abruf- Nr. 238729 ). |
Sachverhalt
Die A-GmbH hat ihren Sitz in Deutschland. Sie war alleinige Gesellschafterin der in Frankreich ansässigen A-s.a.r.l., die seit Jahren Verluste machte und deren Geschäftsbetrieb daher zum 31.10.05 eingestellt werden sollte. Gleichwohl lieferte die A-GmbH ihrer französischen Tochtergesellschaft weiterhin Waren, ohne diese bezahlt zu bekommen. Beitreibungsmaßnahmen unternahm die A-GmbH nicht. Die Einstellung des Geschäftsbetriebes der A-s.a.r.l. erfolgte ohne Liquidation durch Übertragung des Vermögens als Ganzes auf die A-GmbH im Wege einer „Transmission Universelle de Patrimoine (TUP)“ gemäß Art. 1844-5 des französischen Code Civil. Die A-s.a.r.l. wurde mit Wirkung zum 31.10.05 im französischen Handelsregister gelöscht.
In ihren Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen für die Jahre 04 und 05 hatte die A-GmbH eine Verrechnung des von der A-s.a.r.l. in diesen Jahren erwirtschafteten Verlustes erklärt. Das FA erkannte die Verluste nicht an. Die Begründung: Die Verrechnung der Verluste der A-s.a.r.l. auf Ebene der A-GmbH komme weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht in Betracht. Der BFH wies die dagegen erhobene Klage im Ergebnis zurück.
Anmerkungen
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 KStG setzt die Berücksichtigung der Verluste einer Tochtergesellschaft auf der Ebene der Muttergesellschaft ein zwischen beiden Unternehmen bestehendes Organschaftsverhältnis voraus. Zwar fällt die A-GmbH unstreitig in den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 KStG. Die A-s.a.r.l. ist jedoch keine taugliche Organgesellschaft, weil sie weder über eine inländische Geschäftsleitung noch über einen Sitz im Inland verfügte. Auch wurde keine im Handelsregister hinterlegte Vereinbarung über eine Gewinn- und Verlustübernahme abgeschlossen.
Zwischen den beiden Gesellschaften besteht auch kein „faktisches“ Organschaftsverhältnis. Die A-GmbH hat der A-s.a.r.l. fortwährend Fremdkapital in Gestalt von kreditierten Warenlieferungen und nicht etwa Eigenkapital zur Verfügung gestellt. Damit hat die A-GmbH die laufenden Verluste ihrer Tochtergesellschaft gerade nicht nach Maßgabe der §§ 14 ff. KStG getragen. Zudem hat die A-GmbH auf ihre Forderungen gegenüber der A-s.a.r.l. Teilwertabschreibungen vorgenommen. Dies spricht gegen ein faktisches Organschaftsverhältnis.
Eine Anerkennung der Verluste der A-s.a.r.l. würde zu einer quasi voraussetzungslosen Abzugsfähigkeit „finaler Verluste über die Grenze“ führen. Dafür gibt es weder im nationalen deutschen Steuerrecht eine Grundlage noch ist dies aus unionsrechtlichen Gründen geboten. Es ist ausgeschlossen, dass Unternehmen eines grenzüberschreitenden Verbunds unter Berufung auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten nachträglich einzelne für sie vorteilhafte Elemente der Organschaftsbesteuerung (hier: Verlustverrechnung) für sich in Anspruch nehmen können, ohne im relevanten Zeitraum zumindest den Willen bekundet zu haben, eine Organschaft bilden zu wollen, und ohne dass sie zumindest versucht haben, die für die steuerliche Anerkennung der Organschaft im Inlandsfall erforderlichen Voraussetzungen tatsächlich zu schaffen.
Relevanz für die Praxis
Der BFH hat hier erneut eine faktische Organschaft abgelehnt. Allerdings sagt er nicht, dass es eine solche grundsätzlich nicht geben könne. Wenn es allerdings vor der Geschäftseinstellung der A-s.a.r.l. zumindest tatsächlich ‒ oder auf Grundlage einer schuldrechtlichen Vereinbarung ‒ zu einer Übernahme der jährlichen Verluste der A-s.a.r.l. gekommen wäre, hätte sich die Frage gestellt, ob und inwieweit die zu ausländischen Betriebsstätten ergangene Rechtsprechung des EuGH auf die hier einschlägige Konstellation einer ausländischen Tochtergesellschaft übertragbar ist.
Voraussetzung für eine Anerkennung einer Organschaft über die Grenze ist also eine „gelebte“ Organschaft. Es muss zwischen inländischer Organträgerin und faktischer ausländischer „Organgesellschaft“ eine Vereinbarung zur Gewinnabführung bzw. zum Verlustausgleich geben. Diese muss auch durchgeführt werden, d. h. es müssen
- jährlich anfallende Gewinne an die Organträgerin abgeführt werden und
- jährlich anfallende Verluste der „Organgesellschaft“ durch Eigenkapitalstärkung (Anteilserhöhung) ausgeglichen werden.
Nur wenn alle Bedingungen einer Organschaft auch tatsächlich „gelebt“ werden, kann eine „faktische“ Organschaft unterstellt werden. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH Gelegenheit erhält, in einem weiteren Verfahren eine solche „gelebte“ Organschaft anzuerkennen oder ob es dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt, die Voraussetzungen einer „Organschaft über die Grenze“ zu normieren.