· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Jahresabschluss: Aktuelles zu Rückstellungen für Gewährleistungsverpflichtungen
| Bei der Erstellung des Jahresabschlusses sind gerade von produzierenden Unternehmen Rückstellungen für Gewährleistungsverpflichtungen zu bilden. Der praktische Fall zeigt, was hier bei Pauschal- und etwaigen Einzelrückstellungen zu beachten ist. |
1. Sachverhalt
Die Meise GmbH ist ein produzierendes Unternehmen (Hersteller für Spritzgussteile aus Silikon und Kunststoff) mit kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr. Wegen der gesetzlichen Gewährleistungsfrist von zwei Jahren fallen regelmäßig Gewährleistungsaufwendungen an. Nach den Aufzeichnungen des Qualitätsmanagements liegen zwischen der Auslieferung und einer eventuell erforderlichen Schadensbeseitigung im Durchschnitt drei Monate.
Der neue Bilanzbuchhalter der Meise GmbH soll nun für den 31.12.21 eine Pauschalrückstellung für Gewährleistungsverpflichtungen bilden. Mit einer Ausnahme sind bis zum Bilanzstichtag verursachte Garantieansprüche zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (17.1.22) nicht erkennbar.
Bei der Ausnahme handelt es sich um Nacherfüllungsarbeiten für die Y-GmbH, die die Meise GmbH in der zweiten Kalenderwoche 2022 vorgenommen hat. Die zum Bilanzstichtag nicht absehbare Mängelanzeige ging bei der Meise GmbH am 10.1.22 ein. Der Aufwand für die Nacherfüllung betrug 10.000 EUR. Bis dato mussten für die von der Y-GmbH turnusmäßig angeforderten Standard-Spritzgussteile keine Nachbesserungen vorgenommen werden.
Frage: Wie ist die Gewährleistungsrückstellung für 2021 zu berechnen?
2. Lösung
2.1 Einzelrückstellung
Auch für Rückstellungen gilt grundsätzlich der Einzelbewertungsgrundsatz nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB. Daher ist zunächst zu prüfen, ob für den Ausnahmefall eine Einzelrückstellung zu bilden ist.
Nach der Rechtsprechung des BFH (28.8.18, X B 48/18) ist im Hinblick auf den Sachverhalt keine Einzelrückstellung zu bilden. Zwar können auch zum Bilanzstichtag noch nicht erhobene Mängelrügen bei wertaufhellender Betrachtung den Ansatz einer Verbindlichkeitsrückstellung rechtfertigen. Objektiver Anknüpfungspunkt hierfür ist zum einen ein bereits zum Bilanzstichtag vorliegender Mangel. Zum anderen muss bei noch nicht gerügten Mängeln mit einer Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen (ernsthaft) zu rechnen sein. Jedenfalls dann (so der BFH), wenn die beiderseitige Unkenntnis maßgeblich auf dem Umstand beruht, dass der Mangel am Bilanzstichtag noch keine betriebsbeeinträchtigende Wirkung entfaltete und daher gar nicht erkennbar erschien, liegt es nahe, die Gefahr der Inanspruchnahme des Werkunternehmers am Bilanzstichtag noch nicht als überwiegend anzusehen.
Beachten Sie | Lüdenbach (StuB 19, 286) hat den Beschluss des BFH kritisiert und hält ihn in der Begründung für nicht überzeugend. Im vorliegenden Sachverhalt würde Lüdenbach eine Einzelrückstellung wohl als zulässig erachten.
2.2 Ansatz und Bewertung einer pauschalen Rückstellung
Folgt man der (diskussionswürdigen) BFH-Rechtsprechung, ist keine Einzelrückstellung anzusetzen. Gleichwohl ist es aber erforderlich, eine Pauschalrückstellung nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB zu bilden, wenn der Kaufmann aufgrund seiner Erfahrungen in der Vergangenheit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit Gewährleistungsinanspruchnahmen rechnen muss. Für die Bildung einer pauschalen Gewährleistungsrückstellung werden der am Bilanzstichtag noch garantieverpflichtete Umsatz sowie eine Schadensquote benötigt, die grundsätzlich auf betriebsindividuellen Erfahrungswerten der Vergangenheit beruht.
MERKE | Bei der Ermittlung der Rückstellung muss überprüft werden, ob die betriebsindividuellen Vergangenheitszahlen noch als für die Zukunft maßgebend angesehen werden können. Denn durch zwischenzeitliche Veränderungen kann eine Korrektur der (an reinen Vergangenheitswerten orientierten) Gewährleistungspauschale erforderlich sein (vgl. Thiele/Kahn/Moser/Wätjen in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 253 HGB, Rz. 150 (November 2020)). |
2.2.1 Ermittlung der Schadensquote bei der Meise GmbH
Da die jährlichen Gewährleistungsaufwendungen in der Praxis oft in verschiedenen GuV-Positionen erfasst werden (z. B. als Minderung der Umsatzerlöse oder als Lohnaufwand), kann die relevante Höhe in der Regel nicht direkt aus der Finanzbuchhaltung entnommen werden. Die Höhe der Gewährleistungsverpflichtungen ist aber gerade bei produzierenden Unternehmen für die technische Werksleitung und die Geschäftsführung von großer Bedeutung, sodass die Kosten oft durch das Qualitätsmanagement ermittelt werden.
Anhand der Aufzeichnungen des Qualitätsmanagements der Meise GmbH wird nun die durchschnittliche Schadensquote ermittelt, indem die jährlichen Gewährleistungskosten ins Verhältnis zum Jahresumsatz gesetzt werden. Die Betrachtung erfolgt auf Basis der letzten fünf Geschäftsjahre:
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Jahr | Umsatz | Gewährleistungskosten | Schadensquote |
2017 | 43.653.700 EUR | 113.500 EUR | 0,26 % |
2018 | 42.823.300 EUR | 72.800 EUR | 0,17 % |
2019 | 41.541.600 EUR | 99.700 EUR | 0,24 % |
2020 | 37.482.800 EUR | 75.500 EUR | 0,20 % |
2021 | 42.444.300 EUR | 107.500 EUR | 0,25 % |
Summe | 207.945.700 EUR | 469.000 EUR | 0,23 % |
MERKE | Rückgriffsansprüche gegenüber Dritten (z. B. Vorlieferanten oder Versicherungen) sind bei der Bewertung der Rückstellung u. a. dann zu berücksichtigen, wenn sie nicht als eigenständige Forderung zu aktivieren, unbestritten und vollwertig sind (H 6.11 EStH „Rückgriffsansprüche“).
Führt die Berechnung auf Basis des Gesamtumsatzes zu einer offensichtlich unzutreffenden Schadensquote, muss die Berechnung noch „verfeinert“ werden, indem die Schadensquote für jedes einzelne Produkt oder jede einzelne Produktgruppe ermittelt wird. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen ist aus Wesentlichkeitsgründen jedoch vielfach eine Gesamtbetrachtung möglich. |
2.2.2 Garantiebehafteter Umsatz und Rückstellung bei der Meise GmbH
Bereits ausgeführte Garantieleistungen dürfen bei der Rückstellungsberechnung nicht einbezogen werden. Darüber hinaus gilt: Umso weiter das jeweilige Garantiejahr zurückliegt, desto geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme.
Im praktischen Fall ist die durchschnittliche Reklamationszeit (Zeitraum zwischen Ausführung des Umsatzes und abschließender Schadensbeseitigung) deutlich geringer als die gesetzliche Gewährleistungsfrist. Aus den Aufzeichnungen des Qualitätsmanagements geht hervor, dass zwischen der Auslieferung und der eventuell erforderlichen Schadensbeseitigung im Durchschnitt drei Monate liegen. Das heißt: Zum 31.12.21 ist nur noch mit Reklamationen für Umsätze der Monate von Oktober bis Dezember 2021 ernsthaft zu rechnen. Schadensfälle, die Umsätze betreffen, die vor dem 1.10.21 ausgeführt wurden, sind am Bilanzstichtag regelmäßig bereits (aufwandswirksam) abgewickelt.
Demzufolge wird der garantiebehaftete Umsatz der Meise GmbH auf Basis der letzten drei Monate des Jahres 2021 ermittelt:
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tatsächlich garantiebehafteter Umsatz (4. Quartal 2021) | 10.500.000 EUR |
× Schadensquote in % | 0,23 |
pauschale Gewährleistungsrückstellung zum 31.12.21 | 24.150 EUR |
Da auf die tatsächliche Reklamationszeit abgestellt wird, beträgt die Restlaufzeit der Rückstellung am Bilanzstichtag nicht mehr als ein Jahr. Demzufolge unterbleibt sowohl handels- als auch steuerrechtlich eine Abzinsung. Selbst bei einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr findet das Abzinsungsgebot gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG bei einer pauschalen Gewährleistungsrückstellung aus Vereinfachungsgründen keine Anwendung (vgl. BMF 26.5.05, IV B 2 - S 2175 - 7/05).
Da Rückstellungen mit dem notwendigen Erfüllungsbetrag anzusetzen sind (§ 253 Abs. 1 S. 2 HGB), fallen die Rückstellungsbewertungen nach Handels- und Steuerrecht grundsätzlich auseinander. Bei der Meise GmbH liegen zwischen dem Bilanzstichtag und der Schadensbeseitigung jedoch nur drei Monate. Somit sind mögliche Preissteigerungen zu vernachlässigen und ein einheitlicher Ansatz in Handels- und Steuerrecht ist möglich.