25.01.2012 · IWW-Abrufnummer 120204
Finanzgericht Münster: Urteil vom 20.12.2011 – 1 K 4150/08 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
1 K 4150/08 E
Tenor:
Die Einkommensteuerfestsetzung für 2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 9.6.2009 wird dahingehend geändert, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin weitere Werbungskosten in Höhe von 5.390 Euro berücksichtigt werden.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.
T a t b e s t a n d
Streitig ist die Berücksichtigung von Mietaufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
Die Kläger, im Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, haben am 1.12.2006 geheiratet. In der Zeit von Januar 2006 bis zur Heirat bestand eine nichteheliche Lebensgemeinschaft der Kläger. Die Klägerin wohnte am Wochenende und im Urlaub seit Jahreswechsel 2004/2005 in der Wohnung des Klägers in A,. Melderechtlich verlegte sie ihren Wohnsitz allerdings erst zum 1.12.2006 nach A in diese Wohnung. Ein Nebenwohnsitz der Klägerin war dort vorher nicht angemeldet worden.
In der Woche wohnte die Klägerin seit dem Jahreswechsel 2004/2005 in R. Die Wohnfläche der dort von der Klägerin angemieteten Wohnung betrug 59 qm, die monatliche Miete 490 Euro. Die Entfernung zwischen der Wohnung in A und der Wohnung am Beschäftigungsort der Klägerin betrug 91 km. Die Klägerin war seit dem 12.8.1975 in R beschäftigt.
Die Kläger machten in der am 28.9.2007 eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin 52 Familienheimfahrten sowie die Kosten für die Unterkunft am Arbeitsort in Höhe der Jahresmiete von 5.880 Euro geltend. Der Beklagte berücksichtigte allerdings lediglich die anteiligen Aufwendungen für den Monat Dezember 2006 an. Da somit die Werbungskosten der Klägerin den Arbeitnehmerpauschbetrag nicht überstiegen, wurde stattdessen dieser im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin berücksichtigt. Die Einkommensteuer für 2006 wurde durch Bescheid vom 12.3.2008 festgesetzt.
Am 15.4.2008 legten die Kläger Einspruch gegen diesen Einkommensteuerbescheid ein. Dieses Schreiben war von den Klägern nicht unterschrieben worden. Am gleichen Tag legte auch der im Veranlagungsverfahren bevollmächtigte Rechtsanwalt und Steuerberater M Einspruch für die Kläger ein. Mit Schreiben vom 8.5.2008 teilte der Kläger einer Mitarbeiterin des Beklagten allerdings mit, dass Herr M nicht mehr für sie tätig sei. Die Vertretung übernehme nun der Klägervertreter. In diesem Schreiben heißt es weiter:
"Sehen Sie den Einspruch und alle weiteren Schreiben von Herrn M als nicht geschrieben an".
Mit Schreiben vom 27.6.2008 reichte die Klägerseite eine Bescheinigung von Nachbarn der Kläger, datiert vom 24.6.2008, ein, worin diese bestätigen, dass die Klägerin seit dem Jahreswechsel 2004/2005 regelmäßig von freitags bis sonntags in der Wohnung des Klägers in A gewesen sei und man beim Umzug in die Wohnung in A wie die neue Wohnung in R geholfen habe. Dieser Sachverhalt wurde im Schreiben vom 29.7.2008 von Beklagtenseite ausdrücklich als unstreitig angesehen.
Ein Nachweis der Tragung von Kosten für die Wohnung in A durch die Klägerin im Streitjahr konnte von Klägerseite im Verwaltungsverfahren nicht vorgelegt werden.
Der Beklagte wies deshalb den Einspruch durch Entscheidung vom 8.10.2008 als unbegründet ab.
Die Kläger legten am 6.11.2008 Klage ein. Sie behaupten die Lebenshaltungskosten im Streitjahr gemeinsam getragen zu haben und verweisen auf die im Klageverfahren eingereichten Unterlagen (Bl. 62 bis 69 d. GA) sowie die dort gemachten Markierungen.
Aufgrund der geänderten BFH-Rechtsprechung, die auch den Fall des privaten Wegzugs vom Haupthausstand nicht mehr als Hindernis für die Begründung einer doppelten Haushaltsführung ansehe, reiche es aus, so die Klägerseite, wenn sich der Lebensmittelpunkt am neuen Hausstand, hier in A, befinde. Dies sei durch die Bescheinigungen von Nachbarn ausreichend nachgewiesen worden. Eine maßgebliche finanzielle Beteiligung am Hausstand des anderen Lebenspartners sei aufgrund der geänderten Rechtsprechung nicht mehr nötig.
Somit seien neben den bereits im Änderungsbescheid vom 9.6.2009 berücksichtigten Aufwendungen auch die Mieten für die Wohnung der Klägerin in R in den Monaten vor der Heirat zu berücksichtigen.
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuerfestsetzung für 2006 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 9.6.2009 dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 5.390 Euro bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, dass auch weiterhin für den Fall der Annahme einer doppelten Haushaltsführung die Existenz von zwei Haushalten nötig sei. Im Fall von nichtehelichen Lebensgemeinschaften, bei denen ein Partner auch in der Wohnung des anderen Partners wohnt müsse der Nachweis von Aufwendungen für diese Wohnung auch weiterhin geführt werden. Dieser Nachweis sei nicht erfolgt.
Die zunächst zuständige Berichterstatterin des 5. Senats des FG Münster, Frau Richterin am FG , hat am 7.5.2009 den Sach- und Streitstand erörtert. Darauf hin hat der Beklagte durch Bescheid vom 9.6.2009 die Einkommensteuerfestsetzung dahingehend geändert, dass Werbungskosten in Höhe von 2.038 Euro zum Abzug zugelassen worden sind.
Der Berichterstatter hat den Sach- und Streitstand aufgrund der neuen Rechtsprechung des BFH zu den sog. Wegzugsfällen bei der doppelten Haushaltsführung am 4.4.2011 erörtert. Im Anschluss hieran haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
Die zulässige Klage ist begründet.
Auch in den Monaten Januar 2006 bis November 2006 sind bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin die geltend gemachten Aufwendungen für die Wohnung in R als Werbungskosten zu berücksichtigen. Diese Aufwendungen sind beruflich veranlasst, da der Lebensmittelpunkt der Klägerin auch in diesen Monaten bereits in der Wohnung des Klägers in A zu sehen ist. Auf die hier fehlende Beteiligung der Klägerin an den Aufwendungen für diesen Haushalt kommt es nach der neuen Rechtsprechung des BFH nicht mehr an.
1. Die Klage ist zulässig.
Die Kläger haben auch das in § 44 Abs. 1 FGO vorgeschriebene Einspruchsverfahren durchgeführt. Der Kläger hat auch erkennbar für die Klägerin am 15.4.2008 Einspruch eingelegt. Unerheblich ist hier, dass dieses Schreiben nicht von ihm unterschrieben worden ist. Eine Unterschriftserfordernis des Einspruchsschreibens wird nicht verlangt (vgl. nur Seer in T/K, § 357 AO, Rz. 11 mwN.). Unerheblich ist deshalb auch, wie die im Schreiben vom 8.5.2008 gemachte Aussage des Klägers zu verstehen ist, das Schreiben seines damaligen Vertreters als nicht geschrieben anzusehen sind. Da er selbst neben diesem Vertreter fristgerecht Einspruch eingelegt hat, erübrigen sich weitere Ausführungen zur Auslegung dieses Schreibens vom 8.5.2008.
2. Die Klage ist auch begründet.
Die Mietaufwendungen für die Wohnung der Klägerin in R sind Werbungskosten i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG, da es sich um notwendige Mehraufwendungen der Klägerin als Arbeitnehmerin wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung handelt.
Aufgrund des privat veranlassten Umzugs der Klägerin zum Jahreswechsel 2004/2005 bei gleichzeitigem Umzug in eine kleinere Wohnung am Beschäftigungsort in R ist es zur beruflichen Veranlassung der Kosten für diese neue Wohnung am Beschäftigungsort gekommen.
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sieht für den Fall, dass aus beruflichem Anlass eine doppelte Haushaltsführung begründet wird, den Abzug der notwendigen Mehraufwendungen u.a. für die Kosten der Wohnung am Beschäftigungsort als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit vor (vgl. nur BFH-Urteil vom 9.8.2011 VI R 10/06, BStBl II 2007, 820). Dabei ist allein auf die berufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung abzustellen. Unerheblich ist aufgrund der Rechtsprechungsänderung des BFH, dass die doppelte Haushaltsführung dadurch begründet wird, dass aus privaten Gründen ein weiterer Haushalt neben dem dann beruflich notwendigen Haushalt genutzt wird, um so den Arbeitsplatz erreichen zu können - sog. Wegzugsfälle (vgl nur BFH-Urteil vom 5.3.2009 VI R 23/07, BStBl II 2009, 1016).
Die Klägerin unterhält seit dem Jahreswechsel 2004/2005 auch einen eigenen Hausstand in A und zwar in der Wohnung des Klägers, da seitdem dort ihr Lebensmittelpunkt liegt.
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG verlangt für das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung das Vorliegen eines weiteren eigenen Hausstandes neben dem Hausstand am Beschäftigungsort. Ein solcher liegt hier unter Berücksichtigung der Gesamtumstände in A vor.
Auch nach der Änderung der Rechtsprechung in Bezug auf die sog. Wegzugsfälle im Zusammenhang mit der doppelten Haushaltsführung ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt (vgl nur BFH-Urteil vom 5.3.2009 VI R 23/07, BStBl II 2009, 1016 mwN.; auch: BFH-Urteil vom 21.4.2010 VI R 26/09, BFH/NV 2010, 1894). Hausstand in diesem Sinne, so der BFH zwischenzeitlich weiter, ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt (BFH-Urteil vom 21.4.2010 VI R 26/09, BFH/NV 2010, 1894). Ein solcher wird als eigener unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die Haushaltsführung zumindest mitbestimmt, also nicht nur in einen fremden Haushalt, etwa in den der Eltern oder als Gast, eingegliedert ist (BFH-Urteil vom 21.4.2010 VI R 26/09, BFH/NV 2010, 1894). Eine Entgeltlichkeit ist zwar ein Indiz, nicht aber eine unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non) hierfür. Dies gilt nach Ansicht des BFH auch hinsichtlich der Frage, ob der Steuerpflichtige im Übrigen für die Kosten des Haushalts aufkommt. L ässt sich eine finanzielle Beteiligung nicht feststellen, ist damit eine eigene Haushaltsführung des auswärtig Beschäftigten nicht zwingend ausgeschlossen, wie auch umgekehrt aus einem finanziellen Beitrag allein nicht zwingend auf das Unterhalten eines eigenen Haushalts zu schließen ist (so ausdrücklich nun: BFH-Urteil vom 21.4.2010 VI R 26/09, BFH/NV 2010, 1894).
Auf den vorliegenden Fall angewandt, spricht hier für einen eigenen Hausstand der Klägerin in der dem Kläger gehörenden Wohnung in der Zeit vor der Eheschließung zum einen der unstreitig vorliegende Umzug der Klägerin zum Jahreswechsel 2004/2005 und der anschließende Aufenthalt an den Wochenenden und im Urlaub der Klägerin dort. Weiter spricht für diesen eigenen Hausstand in A auch der Umzug in R in eine kleinere Wohnung durch die Klägerin. Hierdurch wird deutlich, dass sie ihren Lebensmittelpunkt nach A in die Wohnung des Klägers verlagert und nur aus beruflichen Gründen eine kleinere - und angesichts der Quadratmeterzahl von 59 qm auch angemessene - Wohnung während der Woche unterhält. Die Anzahl der zwischenzeitlich auch von der Beklagtenseite eingeräumten Fahrten nach A - nach dem Erörterungstermin mit der zunächst zuständigen Berichterstatterin des FG Münster sind fast wöchentliche Fahrten angenommen worden - spricht nach Überzeugung des Senats ebenfalls dafür, dass zumindest im Streitzeitraum 2006 der Lebensmittelpunkt der Klägerin in A bei ihrem Lebenspartner ist. Diese Lebenspartnerschaft, die im Streitjahr sogar in der Eheschließung mündet, unterstreicht für sich schließlich das Vorliegen des Lebensmittelpunkts in A.
Der Senat geht aufgrund des bisher Gesagten auch davon aus, dass die Klägerin vor ihrer Eheschließung, insbesondere aber auch im Streitjahr, nicht mehr als Gast in den Haushalt des Klägers eingegliedert war, sondern diesen Haushalt als den ihren betrachtet hat und dies auch nach außen erkennbar ist. Die melderechtliche Ummeldung erst mit der Eheschließung beweist nicht das Gegenteil, ist dies doch in der Regel für rechtliche Laien wie die Kläger allein ein formeller Akt, der sich an die Eheschließung anschließen muss.
Unschädlich ist im vorliegenden Fall, dass der Senat eine finanzielle Beteiligung der Klägerin an den Kosten des Haushalts nicht feststellen kann. Die im Klageverfahren eingereichten Belege zeigen nur sehr vereinzelt Aufwendungen für einen Haushalt, die in A oder der Nähe getätigt worden sind. So liegt am 3.4.2006 ein Einkauf im Penny-Markt in der benachbarten Stadt S in Höhe von 20,21 Euro vor. Unklar bleibt, bei welchen Lidl-Märkten die Einkäufe am 2.5.2006 und am 12.6.2006 erfolgten. Andere von der Klägerseite markierte Buchungen betreffen nicht erkennbar die Haushaltsführung. Vielmehr handelt es sich um Geldautomatenabbuchungen, Abbuchungen von Tankstellen oder - vereinzelt - um Käufe in Geschäften in A. Aus diesen Angaben eine finanzielle Beteiligung der Klägerin an den Kosten des Haushaltes des Klägers anzunehmen, ist für den Senat nicht möglich. Aufgrund der anderen Indizien, die eindeutig nach der Überzeugung des Senats für das Vorliegen des Haushaltes auch der Klägerin in A sprechen, ist diese fehlende Kostentragung durch die Klägerin aber auch unerheblich.
Die hier noch streitigen Aufwendungen, die sich aus Sicht des Senats nunmehr allein auf die noch nicht anerkannten Mietaufwendungen für die Monate Januar 2006 bis November 2006 beziehen, sind notwendige Mehraufwendungen i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG. Die Wohnung ist insbesondere hinsichtlich der Größe angemessen und überschreitet nicht die nach der Rechtsprechung angenommenen 60 qm (vgl. insoweit nur BFH-Urteil vom 9.8.2007 VI R 10/06, BStBl II 2007, 820). Die Angemessenheit ist auch schon deshalb gegeben, weil der Beklagte diese Aufwendungen für den Monat Dezember 2006 im Änderungsbescheid vom 9.6.2009 berücksichtigt hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.