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  • 09.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239027

    Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 21.10.2022 – 7 K 150/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Nürnberg 

    Urteil vom 21.10.2022


    In dem Rechtsstreit
    1. A
    2. B
    - Kläger -
    Prozessbev.:
    zu 1-2:
    gegen
    Finanzamt
    - Beklagter -
    wegen Einkommensteuer 2018

    hat der 7. Senat des Finanzgerichts Nürnberg durch
    xxx
    aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 21. Oktober 2022 für Recht erkannt:

    Tenor:
    1. Unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2018 vom 28.11.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2021 werden die Aufwendungen der Klägerin für die doppelte Haushaltsführung in erklärter Höhe als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt und die Einkommensteuer 2018 entsprechend niedriger festgesetzt.
    2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
    3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

    Die Kläger sind miteinander verheiratet und wurden im Streitjahr 2018 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Beide Kläger erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit ( Techniker und Bürotätigkeit ), der Kläger erzielt zusätzlich gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Werkstatt in Stadt 1 .

    Die berufstätigen Eheleute unterhielten an ihrem jeweiligen Beschäftigungsort eine Wohnung und machten die Aufwendungen hierfür im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung geltend. Der Kläger arbeitete in Stadt 2 und mietete in Stadt 3 ein möbliertes Zimmer an. Die Klägerin arbeitet seit 2011 in Stadt 4 und bewohnte zunächst mit der gemeinsamen Tochter C (geboren am xx.xx. 2011) dort eine angemietete Dreizimmerwohnung mit 65 qm. Zum Ende des Streitjahres kauften die Kläger eine Eigentumswohnung in Stadt 4 (Vierzimmerwohnung mit ca. 111 qm), im Dezember 2018 erfolgte der Umzug der Klägerin und der schulpflichtigen Tochter in die Eigentumswohnung.

    Die Eheleute verfügen über einen eigenen Hausstand in einem Zweifamilienhaus in Stadt 1 (Dachgeschosswohnung mit ca. 120 qm), den die Familie regelmäßig an den Wochenenden und in den Ferien aufsuchte. In dem Anwesen leben auch die Eltern des Klägers, der überwiegende Bekannten- und Freundeskreis beider Kläger hielt sich in Stadt 1 auf. Des Weiteren nutzte die Familie den Hausstand in Stadt 1 um deren Hobbies (Kochen und Wandern) nachzugehen.

    Mit der eingereichten Einkommensteuererklärung machte die Klägerin u.a. Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in Höhe von insgesamt 9.448,20 € wie folgt geltend:

    - Wöchentliche Heimfahrten 52 x 67 km

    - Unterkunftskosten 7.800 €

    - Afa 603 €

    Im Einkommensteuerbescheid 2018 vom 28.11.2019 wurden Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung nur in Höhe von 4.725 € (entspricht aufgerundet 50% der geltend gemachten Kosten) als Werbungskosten anerkannt und die Einkommensteuer auf 30.042 € festgesetzt.

    Hiergegen wurde mit Schreiben des steuerlichen Vertreters vom 16.12.2019 Einspruch eingelegt, der sich gegen die nicht vollständige Berücksichtigung der Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung richtete.

    Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sich der Lebensmittelpunkt seit 2010 weiterhin in Stadt 1 ( Straße 1 ) befände. Die berufstätigen Eheleute unterhielten jeweils am Beschäftigungsort eine Wohnung im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung. An fast jedem Wochenende käme die Familie am Familienwohnsitz zusammen, von dort aus würden auch die sozialen Kontakte gepflegt.

    Der im November 2018 erfolgte Kauf der Wohnung in Stadt 4 sei hingegen als Kapitalanlage (Kaufpreis 415.000 €; 3.738 € / qm) zu sehen. Die Klägerin habe mit der Tochter C in einer angemieteten Wohnung in Stadt 4 gewohnt, Mitte Dezember 2018 sei die 111 qm große Eigentumswohnung mit einer kleinen Dachterrasse bezogen worden. Die im Jahr 2014 renovierte Wohnung in Stadt 1 sei mit 120 qm größer und verfüge zudem über einen großen Balkon und einen großen Garten. Der Jahresstromverbrauch von 1.688 kwh zeige, dass in der Familienwohnung ein nicht nur untergeordnetes Zusammenleben stattfände (Durchschnittswert einer 3 - köpfigen Familie 3.100 kwh pro Jahr). Die Kläger würden alle anfallenden Gebäudeversicherungen und Telefonkosten tragen, hierzu habe der Kläger an seine dort lebenden Eltern einen mtl. Pauschalbetrag von 200 € entrichtet. Für die anfallenden Renovierungen hätten die Kläger jeweils einen höheren Kredit aufgenommen, dies verdeutliche den Stellenwert des Familienwohnsitzes. Das Anwesen sei 2019 an den Kläger übergeben worden.

    Das Wohnhaus sei mit Holz beheizt worden, aufgrund des hohen Alters der Eltern bzw. aufgrund des Gesundheitszustandes lägen die Waldpflege und das Schlagen von Brennholz im Aufgabenbereich der Kläger. Des Weiteren würden die Aufträge der Werkstatt am Wochenende abgearbeitet. Die ärztliche Versorgung der Kläger und auch der Tochter habe in Stadt 1 stattgefunden. Der Kläger sei in Stadt 1 sozial engagiert, er sei dort Mitglied im Verein 1 bzw. im Verein 2 .

    Das Begründen des Lebensmittelpunktes erfolge durch tatsächliches Handeln, Eintragungen in Verträgen etc. (Angabe des Klägers zum Erstwohnsitz Stadt 4 beim Kirchenaustritt bzw. bei der not. Übergabe des elterlichen Anwesens) hätten keine Aussagekraft.

    Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos. Mit Einspruchsentscheidung vom 04.01.2021 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

    Nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände müsse davon ausgegangen werden, dass sich der Lebensmittelpunkt an den Beschäftigungsort verlagert habe. Die Kläger und das gemeinsame Kind seien 2018 in eine familiengerechte Wohnung eingezogen, die Verlagerung werde durch den Wohnungskauf dokumentiert. Gleichwohl seien 50 % der geltend gemachten Aufwendungen anzuerkennen, da eine längerfristige Suche dem Kauf vorangegangen sei.

    Die Nutzung der früheren Familienwohnung stehe einer Verlagerung nicht entgegen. Das Unterhalten der Wohnung in Stadt 1 diene rein der Befriedigung persönlicher Lebens- und Vermögensinteressen und könne nicht dem steuerlichen Bereich zugeordnet werden.

    Die Waldpflege (ca. 1,56 ha) müsse nicht jedes Wochenende ausgeübt werden. Die Werkstatt sei von Montag - Freitag tagsüber geöffnet, die Aufträge könne der Kläger am Wochenende allein nicht ableisten.

    Die schulpflichtige Tochter besuche die Schule im Stadtbezirk von Stadt 4 , dort habe sie entsprechende Freizeitaktivitäten entfaltet und den Alltag verbracht.

    Hiergegen wurde mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 03.02.2021 Klage eingereicht, mit welcher das Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiterverfolgt wird.

    Ergänzend wird vorgetragen, dass der Kläger regelmäßig nach Stadt 1 gefahren sei. Zum Nachweis hierfür wurde eine Tankkostenauflistung des damaligen Arbeitgebers des Klägers vorgelegt, aus welcher sich ergebe, dass in sehr regelmäßigen Abständen auf der Strecke zwischen Stadt 2 und Stadt 1 getankt worden sei. Aufenthalte des Klägers in Stadt 4 seien zwar erfolgt, doch habe es sich hierbei um Besuchsaufenthalte bzw. um anlassbezogene Aufenthalte (Arbeitsfreistellung Januar und Februar, besondere Einkäufe, Betreuung der Tochter während Dienstreisen oder Erkrankung der Klägerin, Umzug zum Jahresende) gehandelt, die nicht zu einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes führen könnten. Nach der Rechtsprechung führe sogar ein Zusammenleben der Ehegatten am Beschäftigungsort nicht automatisch dazu, dass sich der Lebensmittelpunkt an den Beschäftigungsort verlagere.

    Die Kläger unterhielten an den entsprechenden Beschäftigungsorten weder einen Freundeskreis noch kämen sie dort zu gemeinsamen Wochenenden zusammen. Vielmehr könne anhand von Aufzeichnungen belegt werden, dass die Familie fast ausschließlich an den Wochenenden Familienheimfahrten unternommen habe (wiederkehrende Einkäufe, Essengehen, Tank- und Werkstattbelege, etc.). Die Umsätze in der Region um Stadt 1 hätten ein Ausmaß angenommen, der weit über Besuche bei den Eltern hinausgingen. Der Freundeskreis sei in Stadt 1 angesiedelt, auf die eingereichten Bestätigungen der Bekannten und Freunde werde verwiesen. Das gelte auch für die sozialen Kontakte der Tochter (Großeltern), die in der Grundschule noch nicht so stark ausgeprägt seien.

    Melderechtlichen Eintragungen kämen keinerlei Beweiskraft zu. Die Eintragung des Ortes Stadt 4 in die Ausweise und die Meldung beim Einwohnermeldeamt seien allein dem Schulbesuch der Tochter in Stadt 4 geschuldet.

    Die Familie habe als Hobby das Wandern, dieser Freizeitaktivität könnte die Familie in Stadt 4 aufgrund der Entfernungen rein faktisch nicht nachkommen. Stadt 1 hingegen befinde sich im Mittelgebirge , von wo aus sämtliche Berge in unter 30 Minuten erreichbar seien, kleinere Berge (z.B.  Berg 1 oder Berg 2 ) lägen sogar direkt vor der Haustüre.

    Des Weiteren sei Kochen die große Leidenschaft der Familie, dies könne auch durch Einkaufsbelege dargelegt werden. Hierbei sei anzumerken, dass die Küche in Stadt 1 ca. dreimal so groß sei, wie die Küche in Stadt 4 . Zwischen gerne Essen zubereiten und gerne Essen gehen bestünde kein erkennbarer Wiederspruch, anderslautende Vermutungen des Beklagten seien lebensfremd und nicht nachvollziehbar.

    Die Klägerin sei Eigentümerin des Pferdes D , welches auf einem Reiterhof in Stadt 5 untergestellt sei, der ca. 10 Minuten von der Wohnung in Stadt 4 entfernt sei. Aufgrund des Tierwohles sei das Pferd in der Nähe des Arbeitsortes untergebracht worden, am Wochenende sei das Pferd nicht verlegt worden. Die Klägerin und die Tochter würden beide reiten und sich um das Pferd unterhalb der Woche und gelegentlich auch am Wochenende kümmern.

    Der Klägervertreter beantragt,

    den Einkommensteuerbescheid 2018 vom 28.11.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2021 dahingehend zu ändern, dass die Aufwendungen der Klägerin für die doppelte Haushaltsführung in erklärter Höhe als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt werden und die Einkommensteuer 2018 entsprechend niedriger festgesetzt wird.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und verweist auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend wird ausgeführt, dass sich zwar die Kläger im Streitjahr in nicht unerheblichem Umfang auch in Stadt 1 aufgehalten hätten. Bei den Fahrten nach Stadt 1 handele es sich jedoch um Besuchsfahrten. Die Wohnung in Stadt 1 sei als Ausgangspunkt für Wanderungen und Ferien- und Besuchsaufenthalte bei den Großeltern vorgehalten worden. Die Wohnung sei nicht mehr als Unterhalten eines eigenen Hausstands zu werten, vielmehr befinde sich der Familienwohnsitz in Stadt 4 . Aus den eingereichten Unterlagen sei ersichtlich, dass beide Kläger in Supermärkten und in Drogeriemärkten in Stadt 4 Einkäufe getätigt hätten.

    Auch aus den weiteren Indizien (Frisör, Arztbesuche, Fitnesscenter, Nagelstudio, Optiker, Pferdebeteiligung, Einkäufe für Reitzubehör) sei der Lebensmittelpunkt in Stadt 4 zu verorten.

    Wegen der Einzelheiten wird auf die vorliegenden Akten und auf die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 21.10.2022 verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist begründet.

    Der Einkommensteuerbescheid 2018 vom 28.11.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO).

    Die Aufwendungen der Klägerin für die doppelte Haushaltsführung sind in erklärter Höhe als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu erfassen. Weitere Werbungskosten in Höhe von 4.723,20 € werden hierbei anerkannt, wodurch die Einkommensteuer 2018 entsprechend niedriger festzusetzen ist. Die Berechnung wird gemäß § 100 Abs. 2 FGO der Behörde übertragen.

    Das beklagte Finanzamt hat in rechtlich unzutreffender Weise die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung verneint und die erklärten Aufwendungen nicht in voller Höhe zum Abzug zugelassen. Im Streitfall sind die Voraussetzungen erfüllt, insbesondere ist der Lebensmittelpunkt der Kläger weiterhin am Familienwohnsitz in Stadt 1 zu verorten.

    Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG liegt eine doppelte Haushaltsführung vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Orts, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist Voraussetzung für eine doppelte Haushaltsführung, dass zwischen dem Wohnen in einer Zweitwohnung am Beschäftigungsort und dem Unterhalten eines eigenen Hausstandes außerhalb dieses Ortes unterschieden werden kann. Mit dem "Hausstand" ist der Ersthaushalt (Hauptwohnung) umschrieben, an dem sich der Arbeitnehmer --abgesehen von den Zeiten der Arbeitstätigkeit und ggf. Urlaubsfahrten-- regelmäßig aufhält, den er fortwährend nutzt und von dem aus er sein Privatleben führt, an dem er also seinen Lebensmittelpunkt hat. Das Vorhalten einer Wohnung außerhalb des Beschäftigungsortes für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist dagegen nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu werten. Denn eine doppelte Haushaltsführung ist nicht gegeben, wenn am Beschäftigungsort zugleich der Lebensmittelpunkt liegt (BFH, Urteil vom 8. Oktober 2014 - VI R 16/14 -, BFHE 247, 406, BStBl II 2015, 511).

    Ob eine außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen (Haupt-) Hausstand darstellt, ist nach ständiger Rechtsprechung anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen. Dies gilt auch, wenn der Lebensmittelpunkt beiderseits berufstätiger Ehegatten zu bestimmen ist, die während der Woche und damit den weitaus überwiegenden Teil des Jahres am Beschäftigungsort zusammenleben (BFH, Urteil vom 8. Oktober 2014 - VI R 16/14 -, BFHE 247, 406, BStBl II 2015, 511). Denn dieser Umstand allein rechtfertigt es nicht, dort den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner Hauptbezugsperson zur verorten (BFH, Beschluss vom 9. Juli 2008 - VI B 4/08 -, juris). Allerdings hat die Rechtsprechung für die Gesamtwürdigung insofern eine Vermutung formuliert, nach der sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen "in der Regel" an den Beschäftigungsort verlagert, wenn der Arbeitnehmer dort mit seinem Ehepartner in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Familienwohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird (BFH, Urteil vom 8. Oktober 2014 - VI R 16/14 -, BFHE 247, 406, BStBl II 2015, 511; BFH, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - VI B 66/17 -, juris).

    Dementsprechend erfordert die Entscheidung über den Lebensmittelpunkt der Klägerin für die Streitjahre eine tatrichterliche Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, die sich aus einer Zusammenschau mehrerer Einzeltatsachen ergibt. In diese Würdigung einzustellende Indizien können neben der genannten Regelvermutung sein, wie oft und wie lange sich der Steuerpflichtige in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Von Bedeutung sind auch die Dauer des Aufenthaltes am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen sowie die Zahl der Heimfahrten. Erhebliches Gewicht hat ferner der Umstand, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen (z.B. Art und Intensität der sozialen Kontakte, Vereinszugehörigkeiten und andere Aktivitäten) bestehen (BFH, Urteil vom 8. Oktober 2014 - VI R 16/14 -, BFHE 247, 406, BStBl II 2015, 511).

    Das gilt auch dann, wenn beiderseits berufstätige Ehegatten/Lebenspartner/Lebensgefährten während der Woche am Beschäftigungsort zusammenleben. Denn dieser Umstand allein rechtfertigt es nicht, dort den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner (Haupt) Bezugsperson zu verorten (BFH, Beschluss vom 9. Februar 2015 - VI B 80/14 -, juris) Bezogen auf den Streitfall ist demnach der Haupthausstand der Kläger außerhalb der jeweiligen Beschäftigungsorte am gemeinsamen Familienwohnsitz in Stadt 1 zu verorten.

    Die Kläger verfügen an ihrem jeweiligen Beschäftigungsort über eine Unterkunft, welche zum Aufsuchen der jeweiligen Beschäftigung genutzt wurde. Eine gemeinsame Unterkunft der Familie an ihrem Beschäftigungsort ist für das Gericht nicht erkennbar geworden. Dies gilt auch hinsichtlich der im Streitjahr angeschafften Eigentumswohnung in Stadt 4 .

    Nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung ist der erkennende Senat zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Lebensmittelpunkt der Kläger und der Familie in Stadt 1 befindet.

    Die Kläger verfügen in Straße 1 / Stadt 1 über einen Wohnsitz, der sowohl von der Größe als auch von der Ausstattung für ein familiengerechtes Wohnen geeignet ist. Die mit 120 qm große Dachgeschosswohnung eines Zweifamilienhauses, zu welcher auch eine Terrasse gehört, wird von den Klägern bewohnt. Das Grundstück hat insgesamt 1800 qm, der Gartenanteil wird von der Familie der Kläger und auch von den Eltern des Klägers genutzt.

    Im Vergleich zu der angemieteten Dreizimmerwohnung mit ca. 65 qm in Stadt 4 , welche von der Klägerin und der Tochter bis zum Umzug im Dezember 2018 genutzt wurde, ist das Anwesen in Stadt 1 deutlich größer und aufgrund der Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch stärker auf die Vorstellungen und Bedürfnisse der Kläger ausgelegt (z.B. größere Küche, Trainingsraum, Grillmöglichkeit, Rauchen von Zigarren).

    Das gilt sinngemäß auch für die neu angeschaffte Eigentumswohnung in Stadt 4 zum Ende des Streitzeitraums. Zwar handelt es sich um eine Vierzimmerwohnung mit ca. 111 qm, demnach nach Größe und Zuschnitt in etwa vergleichbar mit dem Anwesen in Stadt 1 , dennoch sind die o.g. Nutzungsmöglichkeiten des Familienwohnsitzes mehr auf die Bedürfnisse der Kläger ausgelegt (z.B. insbesondere das Kochen s.u.). Die Anschaffung einer Eigentumswohnung ist bereits kein aussagekräftiges Kriterium und wird zudem durch den Umstand relativiert, dass der Kläger im Jahr darauf auch das Eigentum an dem Anwesen in Stadt 1 übernommen hat.

    Nach den Einlassungen der Kläger und auch aufgrund der eingereichten Unterlagen hielten sich die Kläger und auch die Tochter regelmäßig im Streitjahr in Straße 1 / Stadt 1 auf. Für das Gericht ergibt sich dieser Umstand aus der eingereichten Aufstellung über die Aufenthalte bzw. der Fahrten der Kläger. Des Weiteren wird ein regelmäßiger Aufenthalt auch aufgrund der Kostenbelege über Lebenshaltungskosten sowie weiterer Aufwendungen ersichtlich. Der Stromverbrauch im Streitjahr ist zudem ausreichend groß, um eine intensive Nutzung begründen zu können. Zwischen den Beteiligten ist die Nutzung des Wohnsitzes weitgehend unstreitig, auch das beklagte Finanzamt geht davon aus, dass Heimfahrten in erheblichem Umfang stattgefunden haben. Ob eine beidseitige Heimfahrt an jedem Wochenende stattgefunden hat, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. Allerdings ist aufgrund der vorliegenden Unterlagen an fast jedem Wochenende von einer Heimfahrt auszugehen. Zudem haben die Kläger glaubhaft dargelegt, dass regelmäßige Aufenthalte während der Ferienzeit der Tochter stattfanden.

    Die Familie nutzte die Unterkunft auch fortwährend, um ihre sozialen Kontakte zu pflegen und um ihr Privatleben zu führen. Nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sind die sozialen Kontakte der Kläger und der Tochter ganz überwiegend bzw. fast ausschließlich in Stadt 1 zu verorten.

    Die Eltern des Klägers lebten im Streitjahr ebenfalls in dem Mehrfamilienhaus in Stadt 1 , aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen des Vaters infolge eines Unfalls, kümmerte sich der Kläger auch um deren Belange. Der Kläger schilderte in der mündlichen Verhandlung überzeugend, dass er aufgrund seiner häufigen Arbeitsplatzwechsel weder am Arbeitsort noch in Stadt 4 über einen Freundeskreis verfügte, vielmehr befinden sich seine sozialen Kontakte in Stadt 1 .

    Die Klägerin stammt ursprünglich aus Stadt 6 , dort lebt auch ihre Verwandtschaft. Zwar war sie bereits mehrjährig in Stadt 4 berufstätig und hat auch Freundschaft mit einer Kollegin geschlossen. Zudem lebte sie seit mehreren Jahren mit der Tochter in Stadt 4 . Dennoch ist der Familienwohnsitz beider Kläger, an welchem sie die eheliche Lebensgemeinschaft verwirklichen, in Stadt 1 zu sehen. Dort pflegte die Familie auch Kontakte zu anderen befreundeten Familien, insbesondere auch die jeweiligen Kinder zueinander.

    Die Tochter C besuchte im Streitjahr zwar die Schule in Stadt 4 . In der mündlichen Verhandlung führte die Klägerin überzeugend aus, dass die Tochter jedenfalls im Streitjahr kaum Gelegenheiten hatte, Anschluss zu gleichaltrigen Mitschülern in Stadt 4 zu finden. Sie konnte sich lediglich an einer Einladung zu einer Geburtstagsfeier einer Mitschülerin im Streitjahr erinnern. Nach den Einlassungen der Klägerin hat sich diese Situation in den Folgejahren etwas verändert, das Gericht hat jedoch die Verhältnisse des Streitjahres zu würdigen. Der Freundeskreis der Tochter befand sich vielmehr in Stadt 1 , dort traf sie mit ihren Freundinnen während der Aufenthalte zusammen. Auch leben die Großeltern, die auch bereits seit mehreren Jahren die Betreuung der Enkeltochter übernommen haben und als Bezugspersonen dienen, in Stadt 1 .

    Die Familie nutzte auch den Familienwohnsitz um gemeinsamen Aktivitäten nachzugehen. Die Einlassung, dass die Kläger gerne Wandern und den Familienwohnsitz als Ausgangspunkt für Wandertouren nutzen, ist für das Gericht glaubhaft und nachvollziehbar. Das gilt auch für das gemeinsame Hobby Kochen, ein objektiver Beleg hierfür lässt sich aufgrund der größeren Küche in Stadt 1 entnehmen. Entgegen den Ausführungen des Beklagten, kann das Gericht keinen Widerspruch zwischen gerne Essen kochen und gerne Essen gehen erkennen. Vielmehr wird ersichtlich, dass sich die Familie zumeist am Wochenende am Familienwohnsitz zusammengefunden hat, um durch gemeinsame Aktivitäten die eheliche und familiäre Lebensgemeinschaft zu verwirklichen.

    Zudem betrieb der Kläger auch eine Werkstatt in Stadt 1 und erzielte auch erklärte Einkünfte hieraus. Es ist ersichtlich, dass die eingegangenen Aufträge eine regelmäßige Anwesenheit des Klägers vor Ort erforderlich machten. Des Weiteren waren die Übernahme der Waldpflege und die eigene Versorgung mit Brennholz ein weiteres Kriterium für die Anwesenheit vor Ort. Auch diese Obliegenheiten bedingen einen starken Bezug zur Wohnung in Stadt 1 .

    Aus den Gesamtumständen konnte das Gericht keine Verlagerung des Lebensmittelpunktes nach Stadt 4 erkennen. Die Annahme der Behörde, dass sich durch den Kauf der Eigentumswohnung eine Verlagerung bzw. eine Verfestigung in Stadt 4 stattgefunden habe, teilt das Gericht nicht.

    Zum einen ist der Kauf einer Immobilie zunächst eine wirtschaftliche Investition, die Kläger haben ausreichend dargelegt, dass es sich bei der Anschaffung primär um eine günstige und wirtschaftlich motivierte Geldanlage handelte.

    Zum anderen hat sich durch die Kaufentscheidung und durch den Umzug in die neue Wohnung an der Lebensführung der Kläger ersichtlich nichts geändert, der Lebensmittelpunkt verblieb weiterhin in Stadt 1 . Es ist dabei zu beachten, dass der Kläger im Streitjahr ebenfalls einen doppelten Haushalt allein führte und deshalb umso mehr der Schluss gerechtfertigt ist, dass die Familie im Streitfall ihren Haupthausstand dort innehat, wo man überwiegend gemeinsam Aktivitäten nachgeht und Kontakt mit Freunden und Verwandten pflegt. Dies ist zur Überzeugung des Senats die (Familien-) Wohnung in Stadt 1 , deren Nutzbarkeit und Ausstattung nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung gegenüber der gemieteten Wohnung in Stadt 4 als höherwertiger und im Vergleich zur Ende 2018 gekauften Wohnung in Stadt 4 als zumindest gleichwertig einzustufen ist. Aus Sicht des Gerichts ist es unschädlich, dass die Kläger und ihre Tochter in Stadt 4 Einkäufe getätigt und dort auch Aktivitäten entfaltet haben. Die Fokussierung der Behörde auf Lebenseinkäufe, Besuche eines Fitnessstudios, Frisör- und Nagelstudiobesuche u.ä. in Stadt 4 erscheint nicht zielführend. Bei bereits erfolgter Erledigung bestimmter Aufgaben am Beschäftigungsort verblieb für die Eheleute bzw. für die Familie zudem mehr gemeinsame Zeit am Familienwohnsitz. Es entspricht nicht Sinn und Zweck der Vorschriften über die doppelte Haushaltsführung, dem Steuerpflichtigen die Lebensführung am Beschäftigungsort einzuschränken. Die Übernahme einer Reitbeteiligung am Pferd D ändert hieran nichts, zumal die Klägerin und auch die Tochter C am Familienwohnsitz in Stadt 1 ebenfalls regelmäßig ausgeritten sind.

    Bei den gelegentlichen Aufenthalten des Klägers in Stadt 4 (anlassbezogen z.B. während des Umzugs bzw. während des Berufswechsels im Frühjahr 2018) handelte es sich nach Meinung des Senats um Besuchsaufenthalte, die nicht zu einer Verlagerung des Mittelpunktes geführt haben. Im Übrigen liegt Stadt 4 verkehrstechnisch auf der Fahrtstrecke zwischen dem Familienwohnsitz Stadt 1 und der Unterbringung des Klägers in Stadt 3 , gelegentliche Lebensmitteleinkäufe und Aufwendungen des Klägers in Stadt 4 sind auch im Rahmen eines Besuchsaufenthaltes plausibel.

    Die weiteren Voraussetzungen für den vollen Abzug der geltend gemachten Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung der Klägerin sind ebenfalls erfüllt.

    Eine ausreichend finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung für die Annahme eines eigenen Hausstands ist im Streitfall erfüllt. Ebenso sind die geltend gemachten Aufwendungen der Klägerin zuzurechnen.

    Anders als in den Fällen, in denen die Berücksichtigung von Aufwendungen für ein nur von einem Ehegatten genutztes Arbeitszimmer (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 23. September 2009 - IV R 21/08 -, BFHE 227, 31, BStBl II 2010, 337) oder von Drittaufwand bei verwandten Angehörigen (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 13. März 1996 VI R 103/95, BFHE 180, 139, BStBl II 1996, 375) zu beurteilen ist, ist im Streitfall die Nutzung einer Wohnung bzw. die Führung eines weiteren Haushalts zusammen mit dem gemeinsamen Kind gegeben. Dies betrifft nicht nur die Erwerbssphäre der Klägerin bzw. eines Ehegatten, sondern das Familienleben und den Unterhalt insgesamt mit der Folge, dass die v. g. Grundsätze zur Kostentragung oder zum sog. Drittaufwand bzw. Kostenausgleich nicht angewendet werden können. Die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft führt vielmehr dazu, diese Kosten zwar beruflich veranlasster doppelter Haushaltsführung, aber dennoch allgemeiner Lebensführung der Familie, bei dem Ehegatten zu berücksichtigen, der aufgrund seiner Einkunftserzielung den doppelten Haushalt begründet, selbst wenn der andere Ehegatte die Mietkosten von seinem Konto überweist ohne einen Ausgleich zu verlangen. Im Übrigen hat die Klägerin für die angemietete Wohnung Hausgeld und Kosten für den Tiefgaragenplatz gezahlt, was zeigt, dass die Ehegatten der ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft entsprechend gemeinsam die Kosten der Wohnung, die gelegentlich auch der Kläger nutzte, wirtschaftlich aus einem Topf getragen haben. Dies führt aber bei Ehegatten nicht dazu, Aufwendungen für den doppelten Haushalt nur anteilig oder nur in Höhe tatsächlich getragener Kosten steuerlich zum Abzug zuzulassen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig erklärt.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 1, 2 EStG