16.06.2004 · IWW-Abrufnummer 041551
Bundesfinanzhof: Urteil vom 19.11.2003 – IX R 54/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger ist u.a. Eigentümer einer Eigentumswohnung und eines Hausgrundstücks. Mit notariellen Verträgen vom Juli 1993 räumte der Kläger, jeweils unter Mitwirkung eines gerichtlich bestellten Ergänzungspflegers und vormundschaftsgerichtlich durch Beschlüsse des Amtsgerichts genehmigt, seinem damals dreijährigen Sohn das lebenslängliche Nießbrauchsrecht an der zur Zeit vermieteten Eigentumswohnung und seinem damals sechsjährigen Sohn das lebenslängliche Nießbrauchsrecht an dem zur Zeit vermieteten Hausgrundstück ein. Der Nießbrauch wurde jeweils eingeräumt "mit dem Recht des Eigentümers, den Nießbrauch jederzeit zu widerrufen, so dass das Recht also auflösend bedingt durch den Widerruf bestellt wird und mit der Maßgabe, dass der Nießbrauch spätestens mit dem Tode des Eigentümers erlischt". Die laufenden Mietverträge wurden aufgrund der Nießbrauchsbestellungen entsprechend ergänzt. Die Mietzahlungen erfolgten auf Sparbücher der nießbrauchsberechtigten Söhne des Klägers.
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1995 (Streitjahr) rechnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Einkünfte aus der Vermietung der mit dem Nießbrauch belasteten Objekte dem Kläger zu und setzte die Einkommensteuer entsprechend fest.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 938 veröffentlichten Urteil die Auffassung, dass die freie Widerrufbarkeit einer schenkweisen Zuwendung eines Vermietungsobjekts mangels gesicherter Rechtsposition daran die Zuwendung steuerlich unbeachtlich mache.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§§ 2, 21 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1995 ohne Berücksichtigung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 10 381 DM neu festzusetzen.
Das FA tritt der Ansicht des FG bei und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Stattgabe der Klage. Dabei geht der Senat --wie auch das FA in seiner Revisionserwiderung-- davon aus, dass die Kläger sich mit der Revision gegen die Zurechnung der Einkünfte, nicht nur der Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung der nießbrauchsbelasteten Objekte wenden.
Zu Unrecht hat das FG allein wegen der freien Widerrufbarkeit der Nießbrauchsbestellungen zugunsten der minderjährigen Kinder und deren fehlender gesicherter Rechtsposition dem Kläger als Eigentümer der belasteten Objekte die daraus erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zugerechnet.
1. Den objektiven Tatbestand der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung verwirklicht, wer die rechtliche oder tatsächliche Macht hat, eines der in § 21 Abs. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter anderen entgeltlich auf Zeit zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen; er muss Träger der Rechte und Pflichten aus einem Miet- oder Pachtvertrag oder einem ähnlichen Vertrag über eine Nutzungsüberlassung sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. März 2003 IX R 16/99, BFH/NV 2003, 1043, m.w.N.). Bestellen Eltern ihren minderjährigen Kindern den Nießbrauch an einem Grundstück, ist weiter Voraussetzung für die Tatbestandsverwirklichung durch die Kinder, dass zu ihren Gunsten ein bürgerlich-rechtlich wirksames Nutzungsrecht begründet worden ist und die Beteiligten die zwischen ihnen getroffenen Vereinbarungen auch tatsächlich durchführen (z.B. BFH-Urteile vom 19. März 1991 IX R 247/87, BFH/NV 1991, 744; vom 31. Oktober 1989 IX R 216/84, BFHE 159, 319, BStBl II 1992, 506; vom 25. April 1995 IX R 41/92, BFH/NV 1996, 122). Mit Einräumung eines Nießbrauchs an einem bereits vermieteten Grundstück tritt der Nutzungsberechtigte kraft Gesetzes (§§ 577, 571 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB-- a.F.; jetzt: §§ 567, 566 BGB) in die Rechtsstellung des Eigentümers als Vermieter ein (vgl. Mellinghoff in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, KompaktKommentar, 3. Aufl. 2003, § 21 Rn. 60; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl. 2003, § 21 Rz. 34; Erman/ Jendrek, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. I, 10. Aufl. 2000, § 571 Rz. 2, 9). Festzustellen, wer den Tatbestand der (jeweiligen) Einkunftsart erfüllt hat, ist Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz.
a) Es kommt darauf an, wer die maßgebenden wirtschaftlichen Dispositionsbefugnisse über das Mietobjekt und damit eine Vermietertätigkeit selbst oder durch einen gesetzlichen Vertreter bzw. Verwalter wirtschaftlich ausübt (vgl. Ruppe, Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung von Einkunftsquellen als Problem der Zurechnung von Einkünften, in Tipke (Hrsg.), Übertragung von Einkunftsquellen im Steuerrecht, 2. Aufl. 1979, S. 18, 24, 25; Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 21 Rz. 5; Mellinghoff in Kirchhof, a.a.O., § 21 Rn. 40, 55).
Daher ist für die Tatbestandsverwirklichung --entgegen der Ansicht des FG-- eine mit der Nießbrauchsbestellung verbundene auflösende Bedingung (Widerrufsvorbehalt) oder Befristung (Dauer) nur dann von Bedeutung, wenn diese als Eingriff in die Dispositionsbefugnis des begünstigten Nutzungsberechtigten anzusehen sind (vgl. Ruppe, a.a.O., S. 24, 35; Stadie, Die persönliche Zurechnung von Einkünften, 1983, S. 31; Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 21 Rz. 5; Jansen in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 2 EStG Anm. 216). Auch zivilrechtlich hindert eine vereinbarte jederzeitige freie Widerrufbarkeit des Nießbrauchs (Widerrufsvorbehalt) als auflösende Bedingung die Entstehung des Nießbrauchs nicht (vgl. Petzold in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 6, 3. Aufl. 1997, § 1030 Rz. 31; Erman/ Michalski, a.a.O., Bd. II, 10. Aufl. 2000, vor § 1030 Rz. 11).
b) Auf das Innehaben einer sog. "gesicherten Rechtsposition" für eine zudem von vornherein festgelegte Zeit (so das FG unter Bezug auf die BFH-Urteile vom 29. November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366, unter 2.a, und VIII R 184/83, BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371, unter 2.c) kommt es demnach nicht an (vgl. Stadie, a.a.O., S. 31; Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 21 Rz. 5; Mellinghof in Kirchhof, a.a.O., § 21 Rn. 56, zur zeitlichen Begrenzung). Abgesehen davon ist im Streitfall eine derartige Rechtsposition in Gestalt eines Nutzungsrechts (Nießbrauch) gegeben.
2. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Zu Unrecht hat das FG allein wegen der freien Widerrufbarkeit der Nießbrauchsbestellungen zugunsten der minderjährigen Kinder und deren fehlender gesicherter Rechtsposition dem Kläger als Eigentümer der belasteten Objekte die daraus erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zugerechnet.
Nach den vorstehend unter 1. aufgezeigten Grundsätzen hat der Kläger aufgrund der Nießbrauchsbestellungen zugunsten seiner Kinder hinsichtlich Eigentumswohnung und Hausgrundstück nicht den Tatbestand der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung verwirklicht. Denn die unter Widerrufsvorbehalt zugewendeten Nießbrauchsbestellungen sind zivilrechtlich wirksam und mangels entgegenstehender, als Eingriff in die rechtliche und tatsächliche Dispositionsbefugnis der begünstigten Nießbrauchsberechtigten zu wertender Umstände auch steuerrechtlich anzuerkennen. Ein solcher Eingriff kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger die Vermietungstätigkeit ohnehin als gesetzlicher Vertreter ausübt.
Die Nießbrauche sind auch nach den bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) tatsächlich durchgeführt worden.
3. Die Sache ist spruchreif. Die Einkünfte aus den nießbrauchsbelasteten Objekten sind mangels Tatbestandsverwirklichung nicht dem Kläger zuzurechnen. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Kläger (bisher: 15 330 DM) sind daher um (4 762 DM plus 5 619 DM =) 10 381 DM zu mindern.
Die festzusetzende Einkommensteuer 1995 berechnet sich danach wie folgt: ...