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  • 11.08.2004 · IWW-Abrufnummer 042145

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 29.04.2004 – C-152/02

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
    29. April 2004 (1)

    "Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 17 Absatz 1 und 18 Absätze 1 und 2 - Vorsteuerabzugsrecht - Voraussetzungen für die Ausübung"

    In der Rechtssache C-152/02

    betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom deutschen Bundesfinanzhof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

    Terra Baubedarf-Handel GmbH
    gegen
    Finanzamt Osterholz-Scharmbeck

    vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 17 und 18 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer),
    unter Mitwirkung des Richters P. Jann in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, A. La Pergola und S. von Bahr (Berichterstatter),

    Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
    Kanzler: M. Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,
    unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
    der Terra Baubedarf-Handel GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte H.-G. Fajen und A. C. Stange, der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und M. Lumma als Bevollmächtigte, der französischen Regierung, vertreten durch F. Alabrune, G. de Bergues und P. Boussaroque als Bevollmächtigte,
    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und K. Gross als Bevollmächtigte,
    aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Terra Baubedarf-Handel GmbH und der Kommission in der Sitzung vom 18. September 2003,
    nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Oktober 2003, folgendes

    Urteil

    Mit Beschluss vom 21. März 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 26. April 2002, hat der Bundesfinanzhof gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung der Artikel 17 und 18 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

    Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Terra Baubedarf-Handel GmbH (im Folgenden: Terra Baubedarf) und dem Finanzamt Osterholz-Scharmbeck (im Folgenden: Finanzamt) wegen dessen Weigerung, für das Jahr 1999 den Vorsteuerabzug betreffend im Laufe dieses Jahres an Terra Baubedarf erbrachte Dienstleistungen anzuerkennen, für die die Rechnungen im Dezember 1999 erstellt wurden, ihr jedoch erst im Januar 2000 zugingen.

    Rechtlicher Rahmen

    Gemeinschaftsregelung

    Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 1 Satz 1 der Sechsten Richtlinie sieht vor:

    "Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird. ... "

    Artikel 17 Absätze 1 und 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie lautet:

    "(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

    (2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

    a)
    die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden;"

    Artikel 18 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

    "(1) Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige:

    a)
    über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen;

    (2) Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Erklärungszeitraum schuldet, den Betrag der Steuer absetzt, für die das Abzugsrecht entstanden ist, und wird nach Absatz 1 während des gleichen Zeitraums ausgeübt.

    Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie sieht vor:

    "(3) a)
    Jeder Steuerpflichtige hat für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. ...

    b) Die Rechnung muss getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen.

    c) Die Mitgliedstaaten legen die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann."

    Nationale Regelung

    § 15 Absatz 1 Nummer 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (BGBl. I, S. 1270, im Folgenden: UStG) bestimmt:

    "Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

    1.
    die in Rechnungen im Sinne des § 14 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist".

    Abschnitt 192 Absatz 2 Satz 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2000 (in der am 10. Dezember 1999 bekannt gemachten Fassung, BStBl. I, Sondernummer 2/1999, im Folgenden: UStR) lautet:

    "Fallen Empfang der Leistung und Empfang der Rechnung zeitlich auseinander, so ist der Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum zulässig, in dem erstmalig beide Voraussetzungen erfüllt sind."

    Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    Nach dem Vorlagebeschluss bezog die Terra Baubedarf, ein deutsches Unternehmen, das einen Handel für Baubedarf betreibt, Dienstleistungen, die im Jahr 1999 erbracht wurden. Die Rechnungen für diese Dienstleistungen gingen ihr jedoch, obwohl sie im Dezember 1999 ausgestellt wurden, erst im Januar 2000 zu.

    Das Finanzamt erkannte den Vorsteuerabzug der Klägerin für das Jahr 1999 für die erwähnten Dienstleistungen nicht an, da nach § 15 Absatz 1 Nummer 1 UStG und Abschnitt 192 Absatz 2 Satz 4 UStR das Recht auf Vorsteuerabzug erst im Jahr 2000, dem Jahr des Eingangs der entsprechenden Rechnung, ausgeübt werden könne.

    Nach erfolglosem Einspruch erhob Terra Baubedarf Klage beim Niedersächsischen Finanzgericht (Deutschland), das der Auffassung des Finanzamts folgte und die Klage abwies.

    Die Terra Baubedarf legte gegen dieses Urteil Revision an den Bundesfinanzhof ein; zur Begründung machte sie geltend, ihr Recht auf Vorsteuerabzug sei unter Verstoß gegen die Sechste Richtlinie zeitlich eingeschränkt worden.

    Der Bundesfinanzhof führt aus, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sei das Recht der Klägerin auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 der Sechsten Richtlinie 1999 entstanden und könne nach Artikel 18 dieser Richtlinie erst im Jahr 2000, nach Erhalt der Rechnung, ausgeübt werden (vgl. insbesondere Urteil vom 5. Dezember 1996 in der Rechtssache C-85/95, Reisdorf, Slg. 1996, I-6257, Randnr. 22).

    Zweifelhaft sei jedoch, ob dieses Recht auf Vorsteuerabzug mit Wirkung für den Besteuerungszeitraum 1999 geltend gemacht werden dürfe oder müsse. Denn Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie könnte so auszulegen sein, dass er nur die Voraussetzungen der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug regele, aber nichts darüber besage, für welchen Besteuerungszeitraum der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden müsse oder dürfe.

    Daher hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Kann der Steuerpflichtige das Recht auf Vorsteuerabzug nur mit Wirkung für das Kalenderjahr ausüben, in dem er gemäß Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 77/388/EWG die Rechnung besitzt, oder gilt die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug stets für das Kalenderjahr (auch rückwirkend), in dem das Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG entsteht?

    Zur Vorlagefrage

    Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen erfahren, ob für den Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie Artikel 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden nach dieser Bestimmung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, dass das Vorsteuerabzugsrecht entstanden ist und dass der Steuerpflichtige eine nach Artikel 22 Absatz 3 dieser Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzt.

    Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

    Die Terra Baubedarf macht geltend, das Recht auf Vorsteuerabzug entfalte gemäß Artikel 18 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie Wirkung für den Veranlagungszeitraum, in dem es gemäß Artikel 17 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 10 Absatz 2 dieser Richtlinie entstanden sei.

    Diese Auslegung werde gestützt durch Artikel 18 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie, der für die Durchführung der Besteuerung nur darauf abstelle, dass das Abzugsrecht entstanden sei. Die Ausübung werde zudem für den "gleichen Zeitraum" festgelegt.

    Dieser Sofortabzug, der Steuer und Abzugsrecht parallel entstehen lasse, sei Bestandteil des Grundsatzes der Neutralität. Technisch könne der Sofortabzug nur über eine rückwirkende Ausübung gewährleistet werden, wenn die Rechnung nach Ablauf des Veranlagungszeitraums eingehe.

    Ferner entspreche die Normierung zusätzlicher Voraussetzungen für die Ausübung des Abzugsrechts, wie des Besitzes einer Rechnung (vgl. Urteil vom 14. Juli 1988 in den Rechtssachen 123/87 und 330/87, Jeunehomme und EGI, Slg. 1988, 4517), nur dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn die Rückwirkung anerkannt werde.

    Die deutsche Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften weisen darauf hin, dass die deutsche Fassung des Artikels 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie wie folgt laute:

    "Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Erklärungszeitraum schuldet, den Betrag der Steuer absetzt, für die das Abzugsrecht entstanden ist, und wird nach Absatz 1 während des gleichen Zeitraums ausgeübt."

    Sie vertreten in Bezug auf die Modalitäten der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts die Auffassung, dass diese Fassung nicht die eindeutige Feststellung erlaube, ob mit dem Zeitraum, für den das Abzugsrecht geltend gemacht werden könne, der Zeitraum gemeint sei, in dem das Abzugsrecht entstanden sei, oder aber derjenige, in dem zusätzlich zum Abzugsrecht die Voraussetzungen von Artikel 18 Absatz 1 vorgelegen hätten. Andere Sprachfassungen erlaubten jedoch, zu einem eindeutigen Verständnis dieser Bestimmung zu gelangen.

    Nach Ansicht der deutschen Regierung folgt bereits aus einer vergleichenden Wortlautauslegung insbesondere der englischen und der französischen Sprachfassung des Artikels 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie, dass der Steuerpflichtige das Recht auf Vorsteuerabzug allein mit Wirkung für den Besteuerungszeitraum ausüben könne, in dem er auch die nach Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels erforderliche Rechnung besitze. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf den Wortlaut der französischen und der englischen Sprachfassung des Artikels 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie:

    "La déduction est opérée globalement par l'assujetti par imputation, sur le montant de la taxe due pour une période de déclaration, du montant de la taxe pour laquelle le droit à déduction a pris naissance et est exercé en vertu du paragraphe 1, au cours de la même période." (französische Sprachfassung)

    "The taxable person shall effect the deduction by subtracting from the total amount of value added tax due for a given tax period the total amount of the tax in respect of which, during the same period, the right to deduct has arisen and can be exercised under the provisions of paragraph 1." (englische Sprachfassung)

    Außerdem würde ein rückwirkendes Vorsteuerabzugsrecht sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Finanzbehörden zu einer erheblichen Zusatzbelastung führen. Durch die Rückwirkung des Vorsteuerabzugs müssten die für einen Erklärungszeitraum abgegebenen Voranmeldungen nämlich, unter Umständen auch mehrmals innerhalb eines Voranmeldungszeitraums, berichtigt werden, und die Finanzbehörden müssten Änderungsveranlagungen vornehmen.

    Dagegen gewährleiste die von der deutschen Regierung vertretene Auslegung in Bezug auf den Vorsteuerabzug ein effizient handhabbares und kontrollierbares Mehrwertsteuersystem.

    Die Kommission führt neben der französischen und der englischen die italienische und die niederländische Fassung an. Daraus gehe hervor, dass der in Rede stehende Zeitraum durch das kumulative Vorliegen der Entstehung des Abzugsrechts und des Besitzes der Rechnung bestimmt werde.

    Nach Ansicht der Kommission ist dieses Ergebnis sachgerecht. Artikel 18 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie gewährleiste eine korrekte Anwendung des Mehrwertsteuersystems. Indem der Zeitraum, für den der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden könne, vom Besitz der Rechnung abhängig gemacht werde, werde eine sonst erforderliche rückwirkende Geltendmachung des Vorsteuerabzugs vermieden.

    Die französische Regierung macht geltend, die Rechnung erfülle die Funktion eines Belegs für die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen im Bereich der Mehrwertsteuer und erlaube es, die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung insbesondere im Hinblick auf das Abzugsrecht sicherzustellen (Urteil Reisdorf, Randnr. 29, und Urteil vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-141/96, Langhorst, Slg. 1997, I-5073, Randnrn. 17 und 21).

    Würde systematisch zugelassen, dass das Abzugsrecht unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige tatsächlich in den Besitz der Rechnung gelange, an den Besteuerungszeitraum anknüpfe, in dem es entstanden sei, so würde dies die sachgerechte Bearbeitung der Mehrwertsteuererklärungen durch die einzelnen Mitgliedstaaten erheblich gefährden.

    Antwort des Gerichtshofes

    Zunächst ist festzustellen, dass Artikel 18 der Sechsten Richtlinie die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug betrifft, während das Bestehen dieses Rechts unter Artikel 17 dieser Richtlinie fällt (vgl. Urteil vom 8. November 2001 in der Rechtssache C-338/98, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-8265, Randnr. 71).

    Gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Nach Artikel 10 Absatz 2 dieser Richtlinie ist dies der Fall, sobald die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird (vgl. Urteil vom 8. Juni 2000 in der Rechtssache C-400/98, Breitsohl, Slg. 2000, I-4321, Randnr. 36).

    Dagegen ergibt sich aus Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a in Verbindung mit Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie, dass die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Sinne des Artikels 17 Absatz 2 Buchstabe a dieser Richtlinie in der Regel an den Besitz der Originalrechnung oder des Dokuments geknüpft ist, das nach den vom jeweiligen Mitgliedstaat festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann (Urteil Reisdorf, Randnr. 22).

    Hinsichtlich des Erklärungszeitraums, für den der Vorsteuerabzug vorzunehmen ist, erlaubt die deutschen Fassung des Artikels 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie, wie die deutsche Regierung und die Kommission vortragen, nicht die eindeutige Feststellung, ob mit dem Zeitraum, für den das Abzugsrecht geltend gemacht werden kann, der Zeitraum gemeint ist, in dem das Abzugsrecht entstanden ist, oder aber derjenige, in dem sowohl die Voraussetzung des Besitzes einer Rechnung als auch die des Abzugsrechts erfüllt wurde.
    Auch wenn aber die deutsche Fassung dieser Bestimmung insoweit nicht eindeutig ist, so ergibt sich doch u. a. aus der französischen und der englischen Fassung der Sechsten Richtlinie, dass der Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 2 dieser Richtlinie für den Erklärungszeitraum vorzunehmen ist, in dem beide nach Artikel 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung muss also bewirkt worden sein, und der Steuerpflichtige muss im Besitz einer Rechnung oder eines Dokuments sein, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als an die Stelle der Rechnung tretend betrachtet werden kann.

    Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung, wonach das in den Artikeln 17 ff. der Sechsten Richtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug, das integrierender Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann, für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann (u. a. Urteile vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-97/90, Lennartz, Slg. 1991, I-3795, Randnr. 27, und vom 8. Januar 2002 in der Rechtssache C-409/99, Metropol und Stadler, Slg. 2002, I-81, Randnr. 42). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Steuerpflichtigen grundsätzlich keine Zahlungen vornehmen und daher keine Vorsteuer abführen, bevor sie eine Rechnung oder ein anderes, als Rechnung zu betrachtendes Dokument erhalten haben, und dass nicht von der Belastung eines Umsatzes mit der Mehrwertsteuer ausgegangen werden kann, bevor diese abgeführt wurde.

    Diese Auslegung entspricht auch dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, der nach ständiger Rechtsprechung dadurch gewahrt ist, dass die Abzugsregelung in Abschnitt XI der Sechsten Richtlinie es den Zwischengliedern der Absatzkette gestattet, von der Grundlage ihrer eigenen Besteuerung die Beträge abzuziehen, die sie jeweils an ihren eigenen Lieferanten als Mehrwertsteuer auf den entsprechenden Umsatz gezahlt haben, und an die Steuerverwaltung somit den Teil der Mehrwertsteuer abzuführen, der der Differenz zwischen dem Preis, zu dem sie ihren Abnehmern die Ware geliefert haben, und dem Preis entspricht, den sie selbst an ihren Lieferanten gezahlt haben (vgl. Urteile vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-317/94, Elida Gibbs, Slg. 1996, I-5339, Randnr. 33, und vom 15. Oktober 2002 in der Rechtssache C-427/98, Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I-8315, Randnr. 42).

    Es verstößt keineswegs gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug für den Erklärungszeitraum vorzunehmen hat, in dem sowohl die Voraussetzung des Besitzes einer Rechnung oder eines als Rechnung zu betrachtenden Dokuments als auch die der Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts erfüllt sind. Dieses Erfordernis steht nämlich zum einen im Einklang mit einem der Ziele der Sechsten Richtlinie, das darin besteht, die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung sicherzustellen (vgl. Urteile Reisdorf, Randnr. 24, und Langhorst, Randnr. 17), zum anderen erfolgt, wie in Randnummer 35 des vorliegenden Urteils festgestellt, die Zahlung für die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen und damit die Abführung der Vorsteuer regelmäßig nicht vor Erhalt einer Rechnung.

    Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass für den Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie Artikel 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden nach dieser Bestimmung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, dass die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und dass der Steuerpflichtige die Rechnung oder das Dokument besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann.

    Kosten

    Die Auslagen der deutschen und der französischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

    Aus diesen Gründen
    DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
    hat

    Für den Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist Artikel 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden nach dieser Bestimmung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, dass die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und dass der Steuerpflichtige die Rechnung oder das Dokument besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann.

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. April 2004.

    Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

    RechtsgebietUmsatzsteuerVorschriftenAuslegung des Artikel 17 und 18 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer