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  • 03.07.2014 · IWW-Abrufnummer 141964

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 26.02.2014 – 1 K 234/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FG Hamburg, 26.02.2014 - 1 K 234/12
    Tatbestand

    Streitig ist, ob Aufwendungen des Klägers für eine Zweitwohnung als Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung und damit als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.

    Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger wohnen seit 1997 mit ihren beiden ... und ... geborenen Kindern in Hamburg ..., X-Straße in einem Einfamilienhaus. Der Kläger ist Rechtsanwalt und Steuerberater und seit ... 2009 Geschäftsführer ... in Hamburg, Y-Straße. Zum 01.05.2010 mietete er eine 46 m2 große Zweizimmerwohnung in Hamburg ..., Z-Straße (Zweitwohnung) an. Die Entfernung zwischen der Familienwohnung in Hamburg ... und dem Arbeitsplatz des Klägers in Hamburg ... beträgt gemäß Berechnungen eines Routenplaners 25,24 km und ist mit dem Pkw in einer Zeit von 41 Minuten zurückzulegen. Demgegenüber beträgt die Entfernung von der Wohnung in Hamburg ... zum Arbeitsplatz des Klägers 3,5 km bei einer Fahrzeit von neun Minuten. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln beträgt die Wegezeit von der Familienwohnung in Hamburg ... zum Arbeitsplatz des Klägers knapp eine Stunde.

    Mit der Einkommensteuererklärung für 2010 erklärte der Kläger Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung in Höhe von 10.717 €, die neben Fahrtkosten in Höhe von 8 € für die erste und letzte Fahrt zum Arbeitsplatz und 186 € für Familienheimfahrten Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.404 € sowie Aufwendungen für die Anmietung und Ausstattung der Zweitwohnung in Höhe von 9.119 € enthielten. Der Beklagte berücksichtigte diese Aufwendungen bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 2010 mit Bescheid vom 10.05.2012 nicht. Der rechtzeitig eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 09.11.2012 als unbegründet zurückgewiesen, wobei die Einkommensteuer aus hier nicht streitigen Gründen erhöht wurde. Mit Bescheid vom 30.11.2012, bezeichnet als Anlage zur Einspruchsentscheidung für 2010, setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2010 aus hier ebenfalls nicht streitigen Gründen auf 62.414 € herab.

    Die Kläger begehren mit der am 07.12.2012 erhobenen Klage die Berücksichtigung von Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung in Höhe von 10.717 €. Sie tragen vor, der Kläger halte sich wegen seiner langen Arbeitszeiten lediglich von Freitagabend bis Sonntagabend bzw. bis Montag früh in der Familienwohnung auf und fahre ansonsten täglich von seinem Arbeitsplatz zur Zweitwohnung und übernachte dort. Es sei unschädlich, dass sowohl der Ort des eigenen Hausstandes wie der Beschäftigungsort sich in Hamburg befänden. Für die Frage, ob Beschäftigungsort und Ort des eigenen Hausstandes auseinanderfallen, komme es nicht auf politische Gemeindegrenzen an. Maßgeblich sei auch nicht, ob der Beschäftigungsort von dem Ort des eigenen Hausstandes in zumutbarer Weise erreichbar sei. Vielmehr müsse darauf abgestellt werden, ob sich der Beschäftigungsort (noch) am Ort des privaten Lebensmittelpunktes befinde, in dessen näherer Umgebung der Steuerpflichtige üblicherweise sein Privatleben führe. Hierzu nehmen die Kläger insbesondere Bezug auf eine Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Berlin vom 29.07.1985, VIII 221/84, EFG 1986, 286, in der eine doppelte Haushaltsführung bei einem Familienhausstand und einer Unterkunft in einem Personalwohnheim beim Arbeitsplatz jeweils innerhalb Berlins, aber mit einer Entfernung von 15 bis 20 km zwischen der Familienwohnung und der Zweitwohnung bejaht wurde, sowie auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19.04.2012, VI R 59/11, BFHE 237,449, BStBl II 2012, 833 zum Begriff der Wohnung am Beschäftigungsort. Aus dem Urteil des BFH sei zu folgern, dass die politische Gemeindegrenze nicht nur für den Begriff des Beschäftigungsortes unerheblich sei, sondern auch kein Kriterium dafür sein könne, ob der Ort des eigenen Hausstandes und der Beschäftigungsort auseinanderfielen.

    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 30.11.2012 dahingehend zu ändern, dass Mehraufwendungen des Klägers für doppelte Haushaltsführung in Höhe von 10.717 € als zusätzliche Werbungskosten des Klägers bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit berücksichtigt werden.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte ist der Auffassung, es fehle an einer örtlichen Trennung von "Ort des eigenen Hausstandes" und "Beschäftigungsort". Dem Kläger seien tägliche Fahrten von der Familienwohnung zu seinem Arbeitsplatz ohne weiteres möglich und zumutbar. Auch wenn man mit der vom Kläger angeführten Entscheidung des FG Berlin eine doppelte Haushaltsführung auch bei der Familienwohnung und der weiteren Wohnung in derselben politischen Gemeinde für möglich halte, müsse die berufliche Veranlassung der Begründung der Zweitwohnung besonders geprüft werden. Hier sei eine solche berufliche Veranlassung zu verneinen im Hinblick auf die geringe Entfernung zwischen Familienwohnung und Arbeitsstätte.

    Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten IV und Rechtsbehelfsakten zur Einkommensteuer 2010 zur die Kläger betreffenden Steuernummer ... vorgelegen.
    Entscheidungsgründe

    I. Streitgegenstand ist gemäß § 68 S. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der nach der Einspruchsentscheidung vom 09.11.2012 ergangene Bescheid vom 30.11.2012 zur Einkommensteuer 2010. Die Bezeichnung des Bescheides als Anlage zur (vorher ergangenen) Einspruchsentscheidung ist angesichts des eindeutigen Regelungsgehaltes - Herabsetzung der Einkommensteuer für 2010 - unerheblich.

    II. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

    Die Kläger sind insoweit in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO), als der Beklagte Fahrtkosten des Klägers in Höhe von 194 € für Fahrten von der Familienwohnung zum Beschäftigungsort nicht berücksichtigt hat. Der Beklagte hat jedoch im Übrigen zu Recht die geltend gemachten Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung nicht als Werbungskosten des Klägers bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit berücksichtigt, weil die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung nicht erfüllt sind.

    1. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Dabei sind gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

    In der ständigen Rechtsprechung des BFH ist anerkannt, dass der Begriff des Beschäftigungsortes weit auszulegen und darunter insbesondere nicht nur dieselbe politische Gemeinde zu verstehen ist (vgl. z. B. BFH vom 19.04.2012, VI R 59/11, BFHE 237, 449, BStBl II 2012, 833). Der BFH leitet aus der gesetzlichen Definition der doppelten Haushaltsführung und der beruflichen Veranlassung der Errichtung eines Zweithaushalts am Beschäftigungsort her, dass der Arbeitnehmer in einer Wohnung am Beschäftigungsort wohnt, wenn er von dort aus ungeachtet von Gemeinde- oder Landesgrenzen seine Arbeitsstätte täglich aufsuchen kann. Die Entscheidung darüber, ob die fragliche Wohnung derart zur Arbeitsstätte gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen kann, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das FG. Der BFH hat in der oben genannten Entscheidung bei einer Zugfahrzeit von einer Stunde und einer Entfernung zwischen Zweitwohnung und Arbeitsplatz von 141 km eine Wohnung am Beschäftigungsort bejaht.

    Zur Möglichkeit der Annahme einer doppelten Haushaltsführung bei Belegenheit sowohl des eigenen Hausstandes wie der Zweitwohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes in derselben politischen Gemeinde liegt bisher lediglich das Urteil des FG Berlin vom 29.07.1985, VIII 221/84, EFG 1986, 286 (zustimmend Loschelder in Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 9 Rz 142) vor. Danach ist der Ort des eigenen Hausstandes nicht identisch mit der politischen Gemeinde und eine doppelte Haushaltsführung deshalb grundsätzlich auch innerhalb einer großflächigen politischen Gemeinde möglich. Das FG Berlin stellt für die Eingrenzung des Ortes des eigenen Hausstandes darauf ab, wo der Ort des privaten Lebensmittelpunktes liegt und wo daher üblicherweise die mit der Führung eines privaten Haushaltes verbundenen und von der Wohnung aus unternommenen Besorgungen erledigt zu werden pflegen, also der Radius, in dem Lebensmittelläden, Drogerien, Apotheken, Postamt, Bank und Tankstelle erreicht und übliche Spaziergänge unternommen werden können. Bei einer im dortigen Streitfall vorliegenden Entfernung der Zweitwohnung von 15 bis 20 km von der Familienwohnung hat das FG Berlin angenommen, dass die Zweitwohnung nicht mehr am Ort des eigenen Hausstandes liegt, hat aber auch die Notwendigkeit der Prüfung der beruflichen Veranlassung betont.

    Dahin stehen kann, ob eine doppelte Haushaltsführung innerhalb einer großflächigen politischen Gemeinde wie Hamburg in bestimmten Konstellationen denkbar ist. Jedenfalls kann für die Beurteilung, ob Beschäftigungsort und Ort des eigenen Hausstands auseinanderfallen, nicht mit den Ausführungen des FG Berlin allein darauf abgestellt werden, wie weit der Ort des eigenen Hausstandes als Ort des privaten Lebensmittelpunktes reicht. Vielmehr muss auch in den Blick genommen werden, dass der Beschäftigungsort unter Heranziehung der oben genannten ständigen Rechtsprechung des BFH nicht eng zu verstehen ist, sondern eine Wohnung am Beschäftigungsort vorliegt, wenn der Arbeitnehmer von dort in zumutbarer Weise täglich seine Arbeitsstätte aufsuchen kann. Eine doppelte Haushaltsführung innerhalb einer großflächigen politischen Gemeinde kann daher nur dann vorliegen, wenn der Ort des eigenen Hausstandes und Beschäftigungsort sowohl aus der Perspektive des eigenen Hausstandes wie aus der Perspektive des Beschäftigungsortes auseinanderfallen. Befindet sich der eigene Hausstand am Beschäftigungsort entsprechend dem Verständnis in der ständigen Rechtsprechung des BFH, scheidet daher eine doppelte Haushaltsführung aus. Es kann deshalb nicht nur auf einen Lebensmittelpunkt der Kläger in Hamburg ... nebst angrenzenden Stadtteilen (und damit nicht in Hamburg ...) abgestellt werden, sondern es kommt auch darauf an, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz in Hamburg ... in zumutbarer Weise täglich vom eigenen Hausstand aus aufsuchen kann und der eigene Hausstand daher auch dem Beschäftigungsort zuzurechnen ist. Denn eine Entfernung von 25 km bei einer Fahrzeit von 41 Minuten mit dem Pkw bzw. eine Wegezeit von unter einer Stunde bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist unter großstädtischen Bedingungen auch für den täglichen Arbeitsweg üblich und ohne weiteres zumutbar. Im Streitfall fallen Ort des eigenen Hausstandes und Beschäftigungsort daher nicht auseinander.

    2. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG gehören zu den Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Hat ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, so sind gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 6 EStG die Wege von einer Wohnung, die nicht der regelmäßigen Arbeitsstätte am nächsten liegt, nur zu berücksichtigen, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet und nicht nur gelegentlich aufgesucht wird. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich für die Familienwohnung des Klägers in Hamburg ... erfüllt, so dass neben den bereits berücksichtigten Fahrten für die Wege des Klägers zwischen der Zweitwohnung und seinem Arbeitsplatz auch die einmal wöchentlich durchgeführten Fahrten von der Familienwohnung zu seinem Arbeitsplatz zu berücksichtigen sind. Hierfür ist der für diese zusätzlichen Fahrten angegebene Betrag gemäß Einkommensteuererklärung der Kläger in Höhe von 194 € anzusetzen, der sich bei 0,30 € je Entfernungskilometer errechnet. Danach ist die Einkommensteuer auf 62.332 € herabzusetzen.

    III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 S. 3 FGO. Die Kläger obsiegen und der Beklagte unterliegt lediglich in einem Umfang von weniger als 2 % des Klagebegehrens, so dass es angemessen ist, den Klägern die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

    Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 9 Abs. 1 S. 1 EStG; § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG