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  • 16.09.2014 · IWW-Abrufnummer 142679

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 22.05.2014 – 11 K 3056/11

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln

    11 K 3056/11

    Tenor:

    Der Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom 18.12.2009 und die dazugehörige Einspruchsentscheidung vom 8.3.2010 sind nichtig.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Nichtigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung für 2008.

    Der Kläger hatte zum ....1996 ein Gewerbe als „Handelsvertreter“ angemeldet und erwirtschaftete aus dieser Tätigkeit jedenfalls seit dem Jahr 1997 Provisionserlöse von verschiedenen Versicherungsgesellschaften und einer Bausparkasse. Daneben hatte er als Einzelunternehmer bis einschließlich 1999 den „Fernsehservice A“ betrieben.

    Da der Kläger seinen Steuererklärungspflichten spätestens seit dem Veranlagungszeitraum 1997 nicht mehr nachgekommen war, leitete das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung B gegen ihn am 12.12.2008 eine Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 1997 bis 2006 ein. Dabei wurden aufgrund eines richterlichen Beschlusses auch die Räumlichkeiten des Klägers durchsucht und am 27.1.2009 diverse Unterlagen beschlagnahmt. Die Beschlagnahme erstreckte sich ausweislich des Rückgabeprotokolls (vgl. Bl. 76 f. d.A.) unter anderem auch auf die Ordner mit der Bezeichnung „C“, „D“, „E“ sowie „F“. Die in diesen Ordnern enthaltenen Unterlagen bezogen sich auf die Besteuerungszeiträume 2008 und 2009. Die Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände/Ordner erfolgte am 4.11.2010.

    Der Bericht über die Steuerfahndungsprüfung vom 8.9.2009 enthält Feststellungen sowohl zur Einkommensteuer als auch zur Gewerbesteuer und zur Umsatzsteuer. Hinsichtlich der Einkommensteuer und Gewerbesteuer wurden unter anderem Gewinne aus Gewerbebetrieb in folgender Höhe ermittelt:

    1997 (DM) / 1998 (DM) / 1999 (DM) / 2004 (Euro) / 2005 (Euro) / 2006 (Euro)

    Fernsehservice / 15.000 / 16.500 / 40.000 / - / - / -

    Versicherungsprovisionen / 32.390 / 91.950 / 109.335 / 87.711 / 43.794 / 17.226

    Gewerbl. Photovoltaik / - / - / - / 200 / 1200 / 1500

    Hinsichtlich der Umsatzsteuer enthält der Bericht über die Steuerfahndungsprüfung folgende Einzelfeststellungen:

    „Die in der Anlage 1 des Prüfungsberichts aufgeführten Einnahmen (Anm.: die Versicherungsprovisionen) unterliegen nicht der Umsatzsteuer, da sie nach § 4 Nr. 11 UStG von der Umsatzsteuer befreit sind. Umsatzsteuerveranlagungen sind für die Kalenderjahre 2000 bis 2006 nicht durchzuführen. In den Jahren 1997 bis 1999 kommt es zu keinen Änderungen.“ Für nähere Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Bericht vom 8.9.2009 (Bl. 39 ff. d.A.) Bezug genommen.

    Der Kläger war aufgrund der während der Fahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse seit September 2007 nicht mehr mit seiner eigenen Versicherungsagentur am Markt aufgetreten, sondern als Versicherungsvermittler nur noch für einen Dritten tätig, von dem er noch im Dezember 2008 Provisionserlöse aus der Versicherungsvermittlung vereinnahmt hatte.

    Da der Kläger seiner Steuerklärungspflicht auch für das Jahr 2008 nicht nachgekommen war, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte unter anderem die Umsatzsteuer für 2008 mit einem nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheid vom 18.12.2009 auf 9.500 Euro fest. Dabei legte er ausweislich des sich in der Steuerakte befindenden Ausdrucks der eingegebenen Daten einen umsatzsteuerpflichtigen Jahresumsatz von 50.000 Euro zu Grunde. Vorsteuern wurden nicht berücksichtigt. Als Erläuterung war auf dem mit Datum vom 30.11.2009 unterzeichneten Ausdruck der eingegebenen Daten der Hinweis „Testkäufer nicht Vers. Vertreter!“ vermerkt. Anhaltspunkte über die Ermittlung der Höhe des geschätzten Umsatzes sowie dazu, weshalb der Beklagte nunmehr davon ausging, dass der Kläger im Jahr 2008 umsatzsteuerpflichtige Umsätze aus einer Tätigkeit als Testkäufer erzielte, lassen sich den Steuerakten nicht entnehmen. Ein gesonderter Eingabe- oder Berechnungsbogen betreffend die Ermittlung oder Zusammensetzung des geschätzten Betrags von 50.000 Euro ist in den Steuerakten nicht vorhanden.

    Der Kläger legte gegen den Umsatzsteuerbescheid am 30.12.2009 Einspruch ein und reichte eine unterschriebene Umsatzsteuererklärung für 2008 ein. Die Umsatzsteuererklärung enthielt den Hinweis, dass eine Anlage UR nicht beigefügt sei, weil darin keine Angaben zu machen seien. In der Umsatzsteuererklärung war unter der Rubrik „B. Angaben zur Besteuerung der Kleinunternehmer (§ 19 Abs. 1 UStG)“ der Umsatz für die Kalenderjahre 2007 und 2008 jeweils mit 0 Euro angegeben.

    Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 5.1.2010 darauf hin, dass der Einspruch nicht begründet sei und forderte den Kläger auf, für seine Tätigkeiten als Versicherungsvertreter und als Testkäufer jeweils eigenständige, ordnungsgemäße Gewinnermittlungen vorzulegen.

    Nach nochmaliger Erinnerung teilte der Kläger mit Schreiben vom 15.2.2010 Folgendes mit:

    „Sehr geehrte Damen und Herren,

    im Jahr 2008 und 2009 hatte ich umsatzsteuerfreie und umsatzsteuerpflichtige Einkünfte und Umsätze.

    Die geplanten und tatsächlichen umsatzsteuerpflichtigen Einkünfte und Umsätze beliefen sich für den Zeitraum April bis Dezember 2008 auf unter 3000 Euro.

    Für das Jahr 2009 betrugen diese Zahlen unter 8000 Euro für Umsatz und unter 4000 Euro für Einkünfte.

    Für das Jahr 2010 und 2011 sind Umsätze von 10.000 Euro bei voraussichtlichen Einkünften in Höhe von 5000 Euro geplant.

    Daher habe ich unter Berufung auf § 19 UStG keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt und erhalten.

    Aufgrund dieser Kleinunternehmerregelung brauche ich keine Umsatzsteuer-Voranmeldung abgegeben und lege Einspruch bezüglich der oben genannten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid ein.

    Mit freundlichen Grüßen“

    Für nähere Einzelheiten wird auf das in den Steuerakten des Beklagten befindliche Schreiben vom 15.2.2010 Bezug genommen.

    Daraufhin vermerkte ein Bearbeiter des Beklagten auf einer Kopie des Schriftstücks in den Steuerakten mit Datum vom 18.2.2010 Folgendes:

    „Keine weitere Veranlassung hinsichtlich der Schätzung Umsatzsteuer 2008, da eine ordnungsgemäße Gewinnermittlung nicht vorgelegt wurde. Da weiterhin begründete Zweifel hinsichtlich der Höhe der zutreffenden Steuer bestehen, ist eine Abhilfe aufgrund der bisherigen Unterlagen nicht möglich (vgl. insoweit auch die Beanstandung des LRH zur Umsatzsteuer 2005 und 2006 (abgeheftet zur Einkommensteuer 2006)).“

    Mit Schreiben vom 19. Februar 2010 wies der Beklagte den Kläger auf Folgendes hin:

    „Sehr geehrter Herr A,

    ihr vorgenannter Einspruch wurde zwischenzeitlich der Rechtsbehelfsstelle I im Hause zur weiteren Bearbeitung übermittelt. Ich darf sie daher bitten, sämtliche weitere, dieses Verfahren betreffende Korrespondenz zukünftig zu meinen Händen ergehen zu lassen.

    Aufgrund des vorliegenden Einspruchs habe ich die zu Grunde liegende Festsetzung nochmals vollumfänglich überprüft. Danach vermag ich ihrem Einspruchsbegehren gegenwärtig nicht entsprechen zu können.

    Da sie ihren steuerlichen Erklärungspflichten für den Veranlagungszeitraum 2008 nicht zeitgerecht entsprachen, ermittelte das Finanzamt G die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO im Schätzungswege und setzte die Einkommen- und Umsatzsteuer 2008 jeweils durch Bescheid vom 18.12.2009. (sic!)

    Gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen wandten sie sich mit dem vorgenannten Einspruch vom 30.12.2009 und reichten zeitgleich eine Umsatzsteuererklärung per Elster ohne Anlage UR ein, die lediglich eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von 0 Euro festsetzte und entsprechende Umsätze für die Vorjahre deklarierte.

    Trotz mehrfacher Aufforderung des Finanzamts, ordnungsgemäße Gewinnermittlungen vorzulegen, damit eine Prüfung der Einspruchsbegründung erfolgen und gegebenenfalls eine Abhilfe erfolgen könne, entsprachen sie dem nicht.

    Ich bitte sie daher letztmalig um Vorlage der ausstehenden Gewinnermittlungsunterlagen. Als Handelsvertreter betreiben sie ohnehin ein Grundhandelsgewerbe, für das sie bereits nach handelsrechtlichen Grundsätzen Bücher zu führen haben. Da bereits in den Vorjahren - zumindest seit 1997 - kontinuierlich keine Steuererklärungen eingereicht wurden, aufgrund der für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 2007 durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung getroffenen Feststellungen steuerpflichtige Umsätze nicht ausgeschlossen werden können, kann auf die Vorlage der Gewinnermittlungsunterlagen zur Begründung des Einspruchs und Glaubhaftmachung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung nicht verzichtet werden. Die insoweit lediglich vorgelegt[e] Umsatzsteuererklärung reicht zur Begründung des Einspruchs nicht aus. Lediglich der Hinweis im Schreiben vom 17.2.2010, im Jahr 2008 seien umsatzsteuerfreie und umsatzsteuerpflichtige Umsätze und Einkünfte erzielt worden, allerdings keine Umsatzsteuer gesondert in Rechnung gestellt worden, rechtfertigt ebenfalls noch keine Aufhebung der angefochtenen Festsetzung. Ich bitte daher nochmals um Vorlage der bereits angeforderten Unterlagen innerhalb genannter Frist. Ohne ausreichende Begründung des Einspruchs beabsichtige ich ihr vorgenanntes Einspruchsbegehren als unbegründet zurückzuweisen.“

    Für nähere Einzelheiten wird auf das in den Steuerakten des Beklagten befindliche Schreiben vom 19.2.2010 Bezug genommen.

    Da eine Reaktion des Klägers nicht mehr erfolgte, wies der Beklagte den Einspruch des Klägers mit Datum vom 8.3.2010 zurück und führte zur Begründung aus, dass auch nach einer erneuten Überprüfung kein Anlass bestehe, an der Richtigkeit des angefochtenen Steuerbescheids zu zweifeln. Der Kläger habe die ihm kraft Gesetzes obliegende Mitwirkungspflicht verletzt, indem er es trotz wiederholter Aufforderung unterlassen habe, den Einspruch durch Vorlage der Gewinnermittlung nebst erläuternder Unterlagen zu begründen. Die sich hieraus ergebenden Konsequenzen gingen daher zu seinen Lasten.

    Mit Datum vom 4.5.2011 reichte der nunmehr steuerlich beratenden Kläger die ausstehende Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2008 beim Beklagten ein. Dabei beantragte er die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 1 UStG und bezifferte den im Kalenderjahr 2007 erzielten Umsatz mit 0 Euro und den im Jahr 2008 erzielten Umsatz mit 1.998 Euro. Auf der beigefügten Anlage UR zur Umsatzsteuererklärung 2008 bezifferte er die nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfreien Umsätze mit 50.150 Euro.

    In einem der Steuererklärung beigefügten Anschreiben wies die Steuerberaterin des Klägers darauf hin, dass die Schätzung vom 18.12.2009 grob rechtswidrig sei. Das Finanzamt sei seiner Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts im Rechtsbehelfsverfahren nicht nachgekommen. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sei im vorliegenden Fall nichtig. Dem Beklagten seien grobe und offenkundige Schätzungs-Fehler unterlaufen. Bereits aus dem Bericht der Steuerfahndungsprüfung vom 8.9.2009 gehe unstreitig hervor, dass der Kläger seit dem Jahr 2000 keine umsatzsteuerpflichtigen Umsätze erzielt habe. Der Schätzungsbescheid vom 18.12.2009 sei auf Grundlage des Steuerfahndungsberichts ergangen. Zumindest seien der Bericht der Steuerfahndungsprüfung bzw. die darin enthaltenen Feststellungen dem Beklagten beim Erlass des Schätzungsbescheides bekannt gewesen.

    Der Beklagte wies die Steuerberaterin des Klägers mit Schreiben vom 5.5.2011 darauf hin, dass der Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzung verspätet sei und gab ihr Gelegenheit, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO vorzutragen.

    Mit Schreiben vom 9.5.2011 stellte die steuerliche Beratung des Klägers klar, dass die Nichtigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung geltend gemacht werde.

    Der Beklagte lehnte den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheids mit Schriftsatz vom 9.5.2011 ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Voraussetzungen für eine Nichtigkeit im vorliegenden Fall nicht gegeben seien. Die Nichtigkeit könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass im Rahmen der für die Jahre 1997 bis 2006 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung lediglich umsatzsteuerbefreite Versicherungsleistungen festgestellt worden seien. Denn der Kläger sei im Jahr 2008 auch als Testkäufer tätig geworden und habe hieraus steuerpflichtige Umsätze erzielt, die er jedoch nicht erklärt habe. Allein diese Umsätze seien Gegenstand des Umsatzsteuerschätzungsbescheides gewesen. Zudem habe der Kläger gegen den Umsatzsteuerschätzungsbescheid Einspruch eingelegt und im Rahmen des Einspruchsverfahrens das Vorliegen steuerpflichtige Umsätze eingeräumt.

    Gegen die Ablehnung des Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit legte die steuerliche Beraterin mit einem am 14.6.2011 beim Beklagten eingegangenen Schriftsatz Einspruch ein.

    Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 29.8.2011 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Voraussetzungen für eine Nichtigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung nicht gegeben seien. Die Schätzung sei rechtmäßig, da der Kläger keine Umsatzsteuererklärung abgegeben habe. Im Schätzungsbescheid seien die Feststellungen der Steuerfahndung berücksichtigt worden. Hinsichtlich der Umsätze aus der Versicherungsvermittlung sei weiterhin von einer Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 11 UStG ausgegangen worden. Die Schätzung stütze sich auf die Tatsache, dass der Kläger seit dem Jahr 2008 als Testkäufer tätig sei. Umsätze aus dieser Tätigkeit seien umsatzsteuerpflichtig. Alleine hierauf habe die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Bescheid vom 18.12.2009 abgezielt. Da der Kläger seine Mitwirkungspflichten verletzt habe, sei die Schätzung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ermessensfehlerfrei und sachgerecht. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs selbst eine Mehrzahl grober Schätzungsfehler oder gar ein überhöhtes Schätzungsergebnis nicht zwingend zu einer Nichtigkeit der Schätzung führten.

    Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter und macht die Nichtigkeit des Umsatzsteuerschätzungsbescheides geltend. Der Beklagte habe im vorliegenden Fall bewusst und willkürlich zu seinem – des Klägers – Nachteil geschätzt. Es sei zu berücksichtigen, dass er – der Kläger – bis zum 13.7.2010 nicht steuerlich vertreten gewesen sei. Darüber hinaus sei er insbesondere krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, seine steuerlichen Pflichten mit der hierfür erforderlichen Sorgfalt ordnungsgemäß zu erfüllen. Im Bericht der Steuerfahndungsprüfung vom 8.9.2009 sei ausdrücklich festgestellt worden, dass die Einnahmen aus der Tätigkeit als Versicherungsvertreter nach § 4 Nr. 11 UStG von der Umsatzsteuer befreit seien und somit Umsatzsteuerveranlagungen für die Jahre 2000 bis 2006 nicht durchzuführen seien. Für das Jahr 2007 habe er - der Kläger - am 11.5.2008 eine Umsatzsteuererklärung eingereicht. Gegen den am 18.12.2009 für das Jahr 2008 ergangenen Umsatzsteuerschätzungsbescheid habe er fristgerecht am 30.12.2009 durch Einreichung der Umsatzsteuererklärung 2008 Einspruch eingelegt und zusätzlich erklärt, dass die Umsätze aus Testkäufen unterhalb der Kleinunternehmergrenze im Sinne des § 19 UStG gelegen hätten. Der Beklagte habe dennoch an den geschätzten Umsätzen von 50.000 Euro aus den Testkäufen festgehalten. Das Festhalten an diesen Umsätzen habe eindeutig Strafcharakter, da alleine die nicht ordnungsgemäße Erfüllung der Steuererklärungspflicht in den Vorjahren nicht bedeute, dass eine nunmehr eingereichte Steuererklärung als fehlerhaft anzusehen sei. Für die Vermutung, dass die Angaben in der Steuererklärung für 2008 falsch seien, habe der Beklagte keine nachvollziehbare Begründung abgegeben. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren alleine relevanten Umsatzsteuer 2008 selbst die vom Beklagten geforderte Abgabe der Gewinnermittlung hinsichtlich der steuerfreien Versicherungsprovisionen und der unter der Kleinunternehmergrenze liegenden Umsätze aus Testkäufen nicht zu neuen Erkenntnissen bzw. zu einem von der Steuererklärung abweichenden Ergebnis geführt hätte. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Steuerfahndungsprüfung am 27.1.2009 auch Unterlagen für den vorliegend relevanten, jedoch von der Steuerfahndungsprüfung nicht umfassten Besteuerungszeitraum 2008 beschlagnahmt worden waren. Hierbei habe es sich insbesondere um die Ordner gehandelt, die die Unterlagen hinsichtlich der im Jahr 2008 durchgeführten Testkäufe enthielten. Diese Unterlagen seien erst am 4.11.2010 zurückgegeben worden. Dementsprechend habe der Beklagte zum Zeitpunkt des Erlasses des Schätzungsbescheids und der Einspruchsentscheidung über die vollständigen Unterlagen verfügt, aus denen die Angaben des Klägers im Einspruchsverfahren ohne weiteres hätten verifiziert werden können. Soweit der Beklagte darauf abstellt, dass der Schätzungsbescheid auf den Feststellungen der Steuerfahndungsprüfung beruhe, ist zu berücksichtigen, dass die Steuerfahndungsprüfung nur den Zeitraum 1997 bis 2006 betroffen habe. Hinsichtlich der Umsätze aus Testkäufen ließen sich dem Bericht der Steuerfahndungsbehörde keine Anhaltspunkte entnehmen. Es sei vor diesem Hintergrund zudem in keinster Weise nachvollziehbar, weshalb der Beklagte davon ausgehe, dass der Kläger im Jahr 2008 als Testkäufer 50.000 Euro an Erlösen erzielt haben sollte.

    Der Kläger beantragt,

    die Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheids 2008 vom 18.12.2009 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung festzustellen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, dass die Höhe der Schätzung im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden sei. Die Voraussetzungen für eine Nichtigkeit seien vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Beklagte habe zum Zeitpunkt der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen keine Anhaltspunkte in Bezug auf die vom Kläger erzielten Provisionseinnahmen gehabt. Der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die in der während des Rechtsbehelfsverfahrens am 30.12.2009 eingereichten Umsatzsteuererklärung enthaltenen Angaben seien zu Recht nicht der Besteuerung zu Grunde gelegt worden. Die Umsatzsteuererklärung enthalte offensichtliche Mängel, die eine Berücksichtigung der erklärten Besteuerungsgrundlagen als nicht zulässig erschienen ließen. So habe der Kläger steuerpflichtige Umsätze im Sinne des § 19 UStG von null Euro erklärt. Zudem habe er die Anlage UR nicht beigefügt. Diese Angaben seien insgesamt unzutreffend gewesen. Der Kläger habe die Angaben in der Steuererklärung nicht nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Der Kläger sei hinsichtlich der Einkommensteuererklärung ohnehin zur Abgabe der Gewinnermittlungen verpflichtet gewesen. Vor diesem Hintergrund habe er die Gewinnermittlungen auch für die Umsatzsteuer abgeben können. Der Kläger habe zudem lediglich formlos mitgeteilt, dass seine steuerpflichtigen Einnahmen „weniger als 3.000 €“ betragen hätten. Die konkret erzielten Einnahmen habe er nicht erklärt. Die Konkretisierung und Erklärung der erzielten Einnahmen liege jedoch alleine in seinem Verantwortungsbereich. Dieser Verantwortung sei er nicht gerecht geworden. Die Höhe der tatsächlich erzielten Einnahmen habe von Amts wegen nicht ermittelt werden können. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Schätzung im Rahmen der Einkommensteuer unbestritten geblieben sei. Die gewerblichen Einkünfte seien im Einkommensteuerbescheid vom 18.12.2009 mit 45.000 € angesetzt worden. Da diese Gewinnschätzung nicht beanstandet worden sei, habe er - der Beklagte - bei Erlass der Einspruchsentscheidung davon ausgehen dürfen, dass auch die geschätzten Umsätze zutreffend seien. Nach der erst am 4.5.2011 vorgelegten Gewinnermittlung habe der Kläger aus Testverkäufen Zahlungen von der D, der C und von diversen anderen Unternehmen erhalten. Im Übrigen sei es nicht Aufgabe des Beklagten, die Buchführung und Gewinnermittlung des Klägers anhand der beschlagnahmten Unterlagen zu erstellen. Insgesamt sei festzuhalten, dass weder eine Straf- noch eine Willkürschätzung vorliege. Den Anlass zur Schätzung hätten ausschließlich das steuerliche Verhalten des Klägers sowie die Feststellungen der Steuerfahndung gegeben.

    Der Berichterstatter hat einen Erörterungstermin durchgeführt. Für nähere Einzelheiten wird auf den Inhalt des Protokolls vom 19.11.2013 (Bl. 101 ff. d.A.) Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    1. Der Umsatzsteuerbescheid vom 18.12.2009 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung sind nichtig.

    a)

    Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Selbst grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides, und zwar selbst dann nicht, wenn sie auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12.12.2013 X B 205/12, Juris; BFH-Urteil vom 15.5.2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415). Ein schwerwiegender Fehler im Sinne des § 125 Abs. 1 AO liegt demgemäß vor, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt wurden, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (vgl. BFH-Urteil vom 15.5.2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415).

    Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen setzt nach § 162 AO voraus, dass die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Dies ist unter anderem der Fall, wenn Mitwirkungspflichten nicht erfüllt werden. Der Bundesfinanzhof hat in diesem Zusammenhang grundsätzlich festgestellt, dass eine Schätzung erst dann in Betracht kommt, wenn alle anderen Möglichkeiten, die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, für das Finanzamt ausgeschöpft sind. Die Erzwingung der Abgabe der Steuererklärungen hat für das Finanzamt Vorrang gegenüber einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (vgl. BFH-Urteil vom 23.8.1994 VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194). Gleichwohl toleriert die Rechtsprechung die Vorgehensweise der Verwaltung, auf Zwangsmittel zu verzichten und die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Dabei räumt sie der Verwaltung einen weiten Schätzungsrahmen ein und legt die Vorschriften über die Schätzung dahin gehend aus, dass Tatsachenfeststellungen mit einem geringeren Grad an Überzeugung getroffen werden, als dies in der Regel nach § 88 AO geboten ist. Der Grad der noch erforderlichen Gewissheit wird in der Weise reduziert, dass der Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden darf und Behörde und Gericht sich hinsichtlich nicht feststehender Tatsachen über gegebene Zweifel hinwegsetzen können. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss nur schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein und feststehende Tatsachen berücksichtigen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28.3.2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217, m.w.N.). Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, wird eine Schätzung, die den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt, grundsätzlich nur als rechtswidrig angesehen und muss angefochten werden, wenn sie nicht in Bestandskraft erwachsen soll (vgl. BFH-Urteile vom 15.5.2002 X R 34/99, juris und X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415). Gerechtfertigt wird dies auch damit, dass ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trage (vgl. BFH-Beschluss vom 1.10.1981 IV B 13/81, BStBl. II 1982, 133).

    Anders verhält es sich nur, wenn das Finanzamt bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Beschlüsse vom 12. Dezember 2013 X B 205/12, Juris; vom 16. Mai 2003 II B 50/02, BFH/NV 2003, 1150 und vom 20. Oktober 2005 IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240; Urteile vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl. II 2001, 381 und vom 15. Mai 2002 X R 34/99, Juris). Willkürlich und damit nichtig im Sinne des § 125 Abs. 1 AO ist ein Schätzungsbescheid nicht nur bei subjektiver Willkür des handelnden Bediensteten. Auch wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und die Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und gegebenenfalls welche Schätzungserwägungen angestellt wurden - wenn somit ein "objektiv willkürlicher" Hoheitsakt vorliegt - ist eine Nichtigkeit im Sinne von § 125 Abs. 1 AO gegeben. Denn in einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Schätzung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang steht, da das Finanzamt grundsätzlich gehalten ist, diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, auszuschöpfen. Selbst wenn derartige Erkenntnismöglichkeiten und auch andere geeignete Anhaltspunkte für die Schätzung fehlen, muss es Ziel der Schätzung sein, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln. Die Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten. Strafschätzungen gilt es zu vermeiden (vgl. dazu nur BFH-Urteile vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BStBl. II 1993, 259; vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl. II 2001, 381; vom 15. Mai 2002 X R 34/99, juris und X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415; vom 17. Juni 2004 IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618; siehe auch BFH-Beschluss vom 20. Oktober 2005 - IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240).

    b)

    Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze, denen sich der Senat anschließt, leiden der Umsatzsteuerbescheid vom 18.12.2009 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 125 Abs. 1 AO, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Der Beklagte hat die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den Umsatzsteuerbescheid 2008 als verbindlich anzuerkennen.

    aa)

    Die Schätzung weicht zunächst in einem krassen Umfang von den tatsächlichen Gegebenheiten ab und verlässt damit den zulässigen Schätzungsrahmen in einem dermaßen eklatanten Umfang, dass sich schon aus diesem Grund der Verdacht einer unzulässigen Strafschätzung aufdrängt. Denn der Kläger hat im Streitjahr ausweislich der am 4.5.2011 eingereichten Steuererklärung Umsätze aus der Tätigkeit als Testkäufer in Höhe von lediglich 1.998 Euro erzielt. Dieser vom Beklagten im Übrigen nicht bestrittene Umsatz entspricht nur rund 1/25 der im Schätzungsbescheid angesetzten Besteuerungsgrundlagen.

    bb)

    Die Schätzung der Umsätze aus den Testkäufen ist darüber hinaus zumindest objektiv willkürlich und nicht nachvollziehbar.

    Für den Senat ist bereits in keiner Weise erkennbar, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Schätzung irgendwelche Erwägungen zu den Umsätzen des Klägers aus der Tätigkeit als Testkäufer angestellt hat.

    Aus den im Klageverfahren vorgelegten Steuerakten lässt sich an keiner Stelle entnehmen, aus welchem Grund der Beklagte beim Erlass des Schätzungsbescheids überhaupt zu der Annahme gelangt ist, dass der Kläger im Jahr 2008 als Testkäufer tätig wurde. Weder aus den Steuerakten noch den Feststellungen der Steuerfahndungsprüfung - die sich im Übrigen lediglich auf den Zeitraum 1997 bis 2006 erstreckte - sind Anhaltspunkte für diese im Vergleich zu den Jahren bis 2006 neu aufgenommene Tätigkeit des Klägers ersichtlich. Vor diesem Hintergrund sind zudem die Ausführungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 28.1.2014 nicht nachvollziehbar, dass die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen auf den Feststellungen der Steuerfahndungsprüfung beruhen soll. Denn zu umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen aus einer Tätigkeit als Testkäufer enthält der Prüfungsbericht überhaupt keine Feststellungen. Der Bericht der Steuerfahndung führt sogar vielmehr aus, dass jedenfalls für die Zeit von 2000 bis 2006 mangels steuerpflichtiger Umsätze überhaupt keine Umsatzsteuerveranlagungen durchzuführen sind. Auch die Vertreterin des Beklagten konnte weder im Rahmen des Erörterungstermins noch in der mündlichen Verhandlung auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts erläutern, weshalb der Beklagte beim Erlass des Schätzungsbescheids eine Tätigkeit des Klägers als Testkäufer zugrunde gelegt hatte und auf welchen Erkenntnissen diese Annahme beruht haben soll. Sollte die Schätzung darauf beruhen, dass der Veranlagungsbeamte – ohne dass dies in den Steuerakten jedoch dokumentiert wäre und ohne dass der Beklagte dies vorgetragen hätte, obwohl er hierzu im Rahmen des Erörterungstermins ausdrücklich aufgefordert worden war – aufgrund der Steuerfahndung und der in diesem Zusammenhang unstreitig auch für den Zeitraum 2008 beschlagnahmten Unterlagen von einer Tätigkeit des Klägers als Testkäufer erfahren hatte, so erschließt sich dem Senat nicht, weshalb dann die in den auch für den nicht prüfungsrelevanten Zeitraum 2008 beschlagnahmten Ordnern enthaltenen Unterlagen über die Testeinkäufe (Ordner D, C und E) nicht auch inhaltlich – d.h. hinsichtlich der Höhe der jeweils erzielten Umsätze – berücksichtigt wurden.

    Die dem Bescheid vorausgegangene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist – mit Ausnahme des bloßen Hinweises „Testkäufer nicht Vers.Vertreter!“ auf dem Ausdruck der Eingabedaten – darüber hinaus nicht in den Akten dokumentiert. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, woher der Beklagte die Information über die Tätigkeit des Klägers als Testkäufer hatte, enthält die Steuerakte keine Anhaltspunkte darüber, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte überhaupt Erwägungen zur Höhe der Schätzung angestellt hat. Wie und anhand welcher Umstände der zugrunde gelegte Betrag von 50.000 Euro ermittelt wurde, erschließt sich dem Senat insgesamt nicht. Dabei ist es entgegen der Ansicht des Beklagten unerheblich, ob der Kläger im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für 2008 einen Gewinn in Höhe von 45.000 Euro akzeptiert hat. Denn zum Einen sind die Einkommen- und die Umsatzsteuerfestsetzung sowohl bei der Ermittlung der jeweiligen Besteuerungsgrundlagen als auch bei der Beurteilung der Nichtigkeit des jeweiligen Steuerbescheids jeweils getrennt voneinander zu betrachten. Zum Anderen führt alleine die Akzeptanz von geschätzten Besteuerungsgrundlagen im Rahmen der Einkommensteuer nicht dazu, dass auf diese Weise fehlende Schätzungserwägungen bei der Umsatzsteuer ersetzt würden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung vom 8.3.2010 selbst davon ausging, dass der Kläger seit 2007 als Versicherungsvermittler für einen Dritten tätig war, von dem er noch im Dezember 2008 Provisionserlöse vereinnahmt hatte. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der in den Vorjahren aus der Tätigkeit als Versicherungsvermittler erzielten Gewinne und Umsätze liegt es sogar nahe, dass der Kläger den im Rahmen der Einkommensteuer geschätzten Gewinn zunächst deshalb akzeptierte, weil er in etwa dem aus der Tätigkeit als Versicherungsvermittler tatsächlich erzielten Gewinn entsprach; denn dieser – vom Beklagten nicht bestrittene – Gewinn belief sich laut der später nachgereichten Einkommensteuererklärung auf 43.291 Euro und entspricht damit in etwa dem geschätzten Gewinn.

    Die Schätzung des Beklagten erfolgte vor diesen Hintergründen nicht mit dem Ziel, den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit nahe zu kommen, sondern vielmehr um über die Steuerbelastung Druck auf den Kläger auszuüben und diesen für die auch schon die Vorjahre betreffende Nichtabgabe der Steuererklärungen und der Nichtabgebe der Gewinnermittlung zu sanktionieren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger im Rahmen des Einspruchsverfahrens die ausstehende Umsatzsteuererklärung (zwar ohne Anlage UR, diese betraf jedoch nur die nach § 4 Nr. 11 UStG ohnehin steuerfreien Versicherungsprovisionserlöse, auf die es für die vorliegende Steuerfestsetzung der Höhe nach nicht ankommt) eingereicht und seine Angaben hinsichtlich der Tätigkeit als Testkäufer nochmals ergänzt hatte.

    Erstmals im Rahmen des Einspruchsverfahrens ergaben sich Anhaltspunkte für eine Tätigkeit des Klägers als Testkäufer. Weshalb der Beklagte trotz des Hinweises des Klägers, dass die Umsätze mit „rund 3.000 Euro“ unterhalb der Grenzen des § 19 UStG lägen und dass er zudem keine Umsatzsteuer offen ausgewiesen habe, weiterhin an der ursprünglichen Schätzung festgehalten hat und die Ausführungen des Klägers nicht berücksichtigte, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, zumal sich der zusätzliche Erkenntnisgewinn für die Umsatzsteuer aus den vom Beklagten weiterhin angeforderten Gewinnermittlungen kaum erschließt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre im Rahmen einer ordnungsgemäßen Schätzung zumindest eine Herabsetzung des bislang geschätzten Umsatzes - gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlags - geboten gewesen, da sich die Schätzung an denjenigen Besteuerungsgrundlagen zu orientieren hat, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Der Beklagte versagte dennoch eine (Teil)Abhilfe weiterhin ausdrücklich mit der Begründung, dass keine ordnungsgemäße Gewinnermittlung vorgelegt worden sei und deshalb Zweifel an der zutreffenden Höhe der Steuer bestünden. Dabei wurden die Angaben in der Steuererklärung und die erläuternden Ausführungen bewusst nicht berücksichtigt. Diese Gesamtumstände legen einen Strafcharakter der Schätzung nahe. Damit verbleibt als einziger erkennbarer Gesichtspunkt für das Verhalten des Finanzamts zum Zeitpunkt der Schätzung und beim Erlass der Einspruchsentscheidung, dass die Verletzung der Steuererklärungspflicht sanktioniert werden und der Kläger zur Ergänzung seiner Steuererklärung und zur Abgabe der Gewinnermittlung angehalten werden sollte.

    2.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    3.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    RechtsgebietAOVorschriften§ 88 AO; § 125 Abs. 1 AO; § 162 AO