01.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186286
Finanzgericht Köln: Urteil vom 24.02.2016 – 3 K 3502/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
3 K 3502/13
24.02.2016
Tenor:
Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2013 wird die Einkommensteuer auf den Betrag herabgesetzt, der sich ergibt, wenn bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 3.940 € berücksichtigt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung entstandenen Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 15% und dem Beklagten zu 85% auferlegt. Für die Zeit danach hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens alleine zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2
Der Beklagte veranlagte die Klägerin und ihren Ehemann für 2011 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer. Die Klägerin ist Diplom-Kauffrau und Diplom-Handelslehrerin und war im Streitjahr in A als beamtete Lehrerin (Studienrätin) im städtischen Berufskolleg M, D-Straße ... beschäftigt.
3
Zu Beginn des Streitjahres wohnte die Klägerin mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Kleinkindern in A im Stadtteil F in der R-Straße ... zur Miete. Den Weg zum Berufskolleg legte die Klägerin mit der Straßenbahnlinie... zurück. Der Fußweg von der Wohnung bis zur U-Bahn-Haltestelle F H-Straße betrug rund 500 Meter. Von dort stieg die Klägerin in die Linie ..., die laut Fahrplan im Zehn-Minuten-Takt verkehrte und die U-Bahn-Haltstelle W in acht Minuten erreichte. Der weitere Fußweg von dort bis zum Berufskolleg war etwa 400 Meter lang.
4
Im Oktober des Streitjahres zog die Klägerin mit ihrem Ehemann und den Kindern in A in den Stadtteil M in die P-Straße ... um, wo die Eheleute eine Eigentumswohnung erworben hatten. Von dort konnte die Klägerin das Berufskolleg in weniger als fünf Minuten zu Fuß erreichen. Sie musste hierzu die P-Straße sowie den angrenzenden Schulhof des Gymnasiums P-Straße überqueren und konnte anschließend das Berufskolleg durch eine Tür im rückwärtigen Teil des Gebäudes betreten. Der Fußweg von Tür zu Tür betrug weniger als 100 Meter.
5
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin für den Umzug Aufwendungen – deren Höhe und Zusammensetzung von 3.940 € ist nach Erörterung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung unstreitig geworden – bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
6
Der Beklagte ließ die Umzugskosten im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 08.05.2013 außer Ansatz. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass Umzugskosten nur dann als Werbungskosten abziehbar seien, wenn sich die Fahrzeit von der Wohnung zur Arbeitsstätte durch den Umzug um mindestens eine Stunde verkürzt habe. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall.
7
Die Klägerin legte Einspruch ein und führte aus, dass der Umzug jedenfalls deshalb beruflich veranlasst sei, weil sie ihren Arbeitsplatz nunmehr zu Fuß erreichen könne.
8
Die Einkommensteuerfestsetzung wurde durch die Bescheide vom 12.07.2013, vom 23.09.2013 und zuletzt mit der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2013 aus hier nicht strittigen Gründen geändert. Hinsichtlich der Umzugskosten blieb der Einspruch ohne Erfolg.
9
Mit der Klage verfolgt die Klägerin den Abzug der Umzugskosten weiter und führt aus:
10
Die Wegezeitverkürzung von einer Stunde werde erreicht. Sie, die Klägerin, müsse den Unterricht stets pünktlich um 8:00 Uhr beginnen. Die Linie... fahre aber gerade morgens sehr unzuverlässig. Außerdem müsse sie, die Klägerin, an mehreren Fußgängerampeln warten. Diese zeitlichen Verzögerungen habe sie einplanen und dementsprechend früher losfahren müssen. An zwei Abenden müsse sie zudem abends ein zweites Mal zu Besprechungen zur Schule kommen. Durch den mitgeführten Lehrerrucksack, in dem sie Bücher, ihren Laptop und Unterrichtsmaterialien transportiere, sei der Fußweg beschwerlich gewesen. Jedenfalls sei die Zeitvorgabe von einer Stunde Wegezeitverkürzung kein absolutes Kriterium. Es müsse berücksichtigt werden, dass sie, die Klägerin, die Schule nunmehr binnen weniger Minuten zu Fuß erreichen könne.
11
Nachdem die Klägerin die zu berücksichtigenden Umzugskosten in der Klageschrift noch mit 4.676 € beziffert hatte, hat sie zuletzt beantragt,
12
den Einkommensteuerbescheid 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung abzuändern und bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 3.940 € zu berücksichtigen und die Steuer entsprechend herabzusetzen.
13
Der Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Er geht weiterhin nicht von einer beruflichen Veranlassung des Umzugs aus. Es müsse beim Kriterium einer Wegzeitverkürzung von einer Stunde, die die Klägerin nach den Fahrplänen nicht erreiche, bleiben. Deshalb spiele die Tatsache, dass die Klägerin ihren Arbeitsplatz nun innerhalb weniger Minuten zu Fuß erreichen könne, keine Rolle. Die übrigen von ihr vorgebrachten Punkte seien lediglich positive Begleiterscheinungen des Umzugs, die einen Werbungskostenabzug nicht begründen könnten. Das Berufskolleg habe von der Klägerin nicht verlangen können, dass sie Vertretungen übernehme.
16
Entscheidungsgründe
17
I.
18
Die zulässige Klage ist begründet.
19
Der bisher festgesetzte Einkommensteuerbetrag für das Streitjahr ist entsprechend dem Antrag der Klägerin herabzusetzen. Rechtsgrundlage dafür ist § 100 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Klägerin begehrt mit der Anfechtungsklage die Änderung des Einkommensteuerbescheids in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2013 (§ 44 Abs. 2 FGO). Soweit der damit auf 1.720 € festgesetzte Einkommensteuerbetrag darauf beruht, dass bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit Werbungskosten in Höhe von 3.940 € nicht berücksichtigt wurden, ist der Bescheid rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt.
20
Die Klägerin ist nichtselbständig tätig. Sie erhält Bezüge für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst, nämlich als beamtete Lehrerin am städtischen Berufskolleg M (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Satz 2 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Als „Einkünfte“ bezeichnet § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG bei nichtselbständiger Arbeit den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Dass die hier zu beurteilenden Umzugskosten Werbungskosten sind, folgt aus § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Ihrem Abzug bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit steht die Regelung in § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG jedenfalls im Ergebnis nicht entgegen.
21
1. Werbungskosten sind über den Wortlaut von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG hinaus zum Zweck der Gleichbehandlung mit Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) Aufwendungen, die durch das Erzielen von Einkünften im Sinne der § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG veranlasst sind. Eine solche Veranlassung ist gegeben, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt sind, das heißt wenn sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer der Einkunftsarten stehen (vgl. BFH, Beschluss vom 04.07.1990 GrS 2-3/88, BStBl II 1990, 817). Damit wird der Trennung zwischen der durch die einzelnen Einkunftsarten definierten Erwerbssphäre und der privaten Sphäre der Einkommensverwendung Rechnung getragen. Ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen "auslösenden Moments", zum anderen dessen Zuweisung zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre. Deswegen sind Umzugskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten abzuziehen, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen der entscheidende Grund für den Umzug war und private Umstände allenfalls eine ganz untergeordnete Rolle spielen (BFH, Urteil vom 16.10.1992 VI R 132/88, BStBl II 1993, 610; Beschluss vom 02.02.2000 X B 80/99, BFH/NV 2000, 945 und Urteil vom 23.03.2001 VI R 175/99, BStBl II 2001, 585). Ob dieser Rechtssatz allein durch Auslegung von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG aufgestellt werden kann, oder ob dabei – was Umzugskosten anbelangt – das Abzugsverbot aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zu berücksichtigen ist (so wohl FG München, Urteil vom 02.03.2015 2 K 1904/12, bei juris), ist angesichts der inzwischen befürworteten restriktiveren Interpretation des Wortlauts von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG (BFH, Beschluss vom 21.09.2009 GrS 1/06, BStBl II 2010, 672) fraglich, kann aber letztlich dahinstehen, da dies nicht zu einem anderen Ergebnis führt.
22
2. Das Gericht hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), dass die Tätigkeit der Klägerin als Lehrerin am städtischen Berufskolleg M der entscheidende Grund für den Umzug war und private Umstände allenfalls eine ganz untergeordnete Rolle spielen.
23
a) Finanzbehörden und Finanzgerichte müssen sich bei der Prüfung, durch welche Umstände Aufwendungen im Einzelfall veranlasst worden sind, in erster Linie an objektiv und leicht feststellbare Kriterien halten, die typischerweise auf eine berufliche oder private Veranlassung schließen lassen (BFH, Urteil vom 10.09.1982 VI R 95/81, BStBl II 1983, 16). Feststellungen dieser Art dürfen nicht zu einem unzumutbaren Eindringen in die privaten Verhältnisse der Steuerpflichtigen führen (BFH, Urteil vom 15.10.1976 VI R 162/74, BStBl II 1977, 117). Unabhängig davon, ob man die Selbstnutzung einer Wohnung - und dementsprechend den Wechsel einer selbstgenutzten Wohnung - noch unter § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG fasst, betrifft dieser Vorgang jedenfalls grundsätzlich nicht die durch die einzelnen Einkunftsarten definierte Erwerbssphäre, sondern ist der privaten Sphäre der Einkommensverwendung zuzurechnen. Ein Zusammenhang mit der Erwerbssphäre entsteht durch die Regelung § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, wenn derjenige, der die Wohnung selbst nutzt, von dort aus den Weg zu seiner Arbeitsstätte antritt. Diese Bestimmung qualifiziert die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu Werbungskosten und macht deren Höhe ferner von der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abhängig. Der Gesetzgeber gibt an dieser Stelle zu erkennen, dass er solche Fahrten dem beruflichen Bereich des Arbeitnehmers zuordnet. Ein Umzug ist dann der Erwerbssphäre des Steuerpflichtigen und nicht der Sphäre der Einkommensverwendung zuzurechnen, wenn er zu einer wesentlichen Verkürzung der Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und damit zu einer entsprechend wesentlichen Verbesserung dieser Arbeitsbedingungen führt (BFH, Urteil vom 06.11.1986 VI R 106/85, BStBl II 1987, 81).
24
b) Als objektiv und leicht feststellbares Kriterium, das typischerweise auf eine berufliche und gegen eine private Veranlassung schließen lässt, fordert die Rechtsprechung, der das Gericht folgt, grundsätzlich eine wesentliche Verkürzung der Wegezeit. Die Zeitersparnis durch den Umzug muss mindestens eine Stunde täglich betragen. In diesem Fall treten alle mit einem Umzug sonst einhergehenden privaten Begleitumstände regelmäßig in den Hintergrund und können vernachlässigt werden (BFH, Urteile vom 16.10.1992 VI R 132/88, BStBl II 1993, 610; vom 27.07.1995 VI R 17/95, BStBl II 1995, 728; vom 24.05.2000 VI R 147/99, BStBl II 2000, 476; vom 21.02.2006 IX R 79/01, BStBl II 2006, 598, Beschluss vom 15.10.2012 VI B 22/12, BFH/NV 2013, 198 und zuletzt Urteil vom 07.05.2015 VI R 73/13, HFR 2015, 1025). In die Berechnung der Ersparnis sind die Zeiten für die Hin- und Rückfahrt einzubeziehen (BFH, Urteil vom 15.10.1976 VI R 162/74, BStBl II 1977, 117). Muss der Arbeitnehmer den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mehrmals am selben Tage zurücklegen, z.B. um in den Abendstunden zu Besprechungen zur Verfügung zu stehen, sind für die Berechnung der Ersparnis auch diese Fahrten zu berücksichtigen (BFH, Urteil vom 10.09.1982 VI R 95/81, BStBl II 1983, 16).
25
c) Der Senat hat Zweifel, ob die Klägerin durch den Umzug die Verkürzung der Wegezeit um mindestens eine Stunde täglich erreicht hat. Die reguläre Fahrzeit der U‑Bahnlinie... zwischen den Haltestellen F H-Straße und W beträgt acht Minuten. Für die Fußwege von der Wohnung zur Haltestelle bzw. von der Haltestelle zur Arbeitsstelle, die zusammen höchstens 1 km lang sind, können unter Einschluss der Wartezeiten an den Haltstellen sowie an Ampeln insgesamt weitere zwölf Minuten veranschlagt werden, so dass für eine Fahrt 20 Minuten und die Hin- und Rückfahrt zusammen 40 Minuten anfallen. Die Klägerin hat zwar eine Vielzahl von Umständen vorgetragen, dass die tatsächliche Fahrzeit deutlich länger sei; sie verkennt dabei aber, dass das Gericht nur objektiv und leicht feststellbare Kriterien einbeziehen kann. Nach Auffassung einzelner Finanzgerichte sind die Fahrzeiten- und Streckenermittlungen von Routenplanern im Internet eine ausreichende Erkenntnisquelle (FG Hamburg, Urteil vom 09.10.2008 5 K 33/08, EFG 2009, 244). Bei der Berechnung ist ferner zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Streitjahr nur an drei Tagen pro Woche im Berufskolleg gearbeitet hat und davon lediglich an zwei Tagen zusätzlich abends zu Besprechungen erscheinen musste. Die diesbezüglichen Einwände des Beklagten sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Das Gericht kann die Frage nach einer Zeitersparnis von mindestens einer Stunde täglich aber letztlich offenlassen.
26
d) Nach der Rechtsprechung kann in Ausnahmefällen auch „die Erreichbarkeit der Arbeitsstätte ohne Verkehrsmittel“ zu einer solch wesentlichen sonstigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen, dass selbst eine weniger als eine Stunde betragende Zeitersparnis für die Annahme einer beruflichen Veranlassung der Umzugskosten ausreicht (BFH, Beschluss vom 02.02.2000 X B 80/99, BFH/NV 2000, 945; vgl. auch FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.06.1995 1 K 2702/92, EFG 1995, 1048, rechtskräftig). Diese Auffassung wird in der Literatur geteilt (vgl. Krüger in Schmidt, EStG, 35. Auflage 2016, § 19 Rn. 19 Stichwort „Umzugskosten“; Thürmer in Blümich, EStG, Kommentar, Loseblattausgabe, Stand Oktober 2013, § 9 Rn. 700; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Loseblattausgabe, Stand August 2014, § 9 Rn. 313). Der Beklagte ist dem nicht substantiiert entgegen getreten. Daran gemessen ist im Streitfall der entscheidende Grund für den Umzug beruflicher Natur.
27
aa) Von der neuen Wohnung in der P-Straße ... ist es der Klägerin möglich geworden, ihre Arbeitsstätte im Berufskolleg in weniger als fünf Minuten zu Fuß zu erreichen. Sie musste lediglich die P-Straße sowie den angrenzenden Schulhof des Gymnasiums P‑Straße überqueren und konnte anschließend das Berufskolleg durch eine Tür im rückwärtigen Teil des Gebäudes betreten. Der Fußweg war weniger als 100 Meter lang. Diese Möglichkeit hatte die Klägerin von der vorherigen Wohnung in der R-Straße ... aus nicht. Die Klägerin hat diese Strecke mit der U-Bahn und die Wege von bzw. zu den Haltestellen zu Fuß zurückgelegt. Abgesehen davon, dass es jedem Arbeitnehmer freisteht, ob und welche Art von Verkehrsmitteln er verwendet (vgl. Urteil des BFH vom 25.09.1970 VI R 85/68, BStBl II 1971, 55), war die Strecke für den Hin- und Rückweg von der R-Straße ... zur D-Straße ... mit mindestens 7,4 km zu lang, um sie ausschließlich zu Fuß zurückzulegen. Mag die Zeitersparnis durch den Umzug auch nicht regelmäßig mindestens eine Stunde täglich betragen haben, so lag sie andererseits ebenso wenig deutlich unter einer Stunde.
28
Die zur Anwendung dieses Kriteriums erforderlichen Tatsachen sind objektiv und leicht feststellbar. Das Gericht hat lediglich die im Internet verfügbaren Karten über die Lage der Wohnung der Klägerin und des Grundstücks, auf dem sich das Berufskolleg befindet, herangezogen. Diese Karten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
29
bb) In die Beurteilung, ob der Umzug trotz Zeitersparnis von weniger als einer Stunde zu einer wesentlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Klägerin geführt hat, sind noch weitere Gesichtspunkte einzubeziehen. Wer in einer Großstadt keine Verkehrsmittel benutzen muss und den Weg zur Arbeit zu Fuß gehen kann, für den entfallen der Zeitdruck und der Stress, die von der Notwendigkeit des pünktlichen Erscheinens ausgehen, insbesondere wenn der Arbeitnehmer – wie hier – keine gleitende Arbeitszeit hat. Die Klägerin hatte auf ihren Wegen zudem nicht unerhebliches Gepäck – Bücher, Unterrichtsmaterialien und Laptop – in einem Rucksack zu tragen, das sie nicht in der Schule aufbewahren konnte. Da die Wegezeit vor ihrem Umzug überwiegend auf die Fußwege sowie das Warten an den Haltestellen bzw. Ampeln entfiel, macht die Verkürzung speziell des Fußweges den Transport des schweren Gepäcks erheblich bequemer. Die allgemein bekannten Unannehmlichkeiten beim Ein- und Aussteigen mit Gepäck während der Hauptverkehrszeiten von Straßenbahnen sind infolge des Umzugs komplett weggefallen. Dass die Klägerin durch den Umzug im regulären Stundenplan sowie im Vertretungsplan flexibler eingeplant werden bzw. an ihren freien Tagen sogar nur für eine Stunde zur Schule kommen konnte, gehört im Ergebnis ebenfalls zu ihren Arbeitsbedingungen. Ob das Berufskolleg diesen Einsatz zuvor von ihr hätte verlangen dürfen oder nicht, ist – entgegen der Ansicht des Beklagten – nicht von Belang. Die berufliche Veranlassung stellt dies nicht in Frage.
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e) Anhaltspunkte dafür, dass private Gründe für den Umzug eine entscheidende Rolle gespielt haben, sind nicht ersichtlich.
31
aa) Für die berufliche Veranlassung spielt es keine Rolle, dass der Umzug (nur) innerhalb von A zwischen zwei Stadtteilen durchgeführt wurde. Liegen - wie hier - besondere Gründe für einen Umzug vor, ist auch ein Wohnungswechsel innerhalb desselben Ortes anzuerkennen (BFH, Urteil vom 18.10.1974 VI R 72/72, BStBl II 1975, 327). Dass die Klägerin nach wie vor am Berufskolleg unterrichtet, ist ebenfalls unschädlich. Es ist weder erforderlich, dass der Umzug mit einem Arbeitsplatzwechsel im Zusammenhang steht, noch dass er vom Arbeitgeber gefordert wurde (BFH, Urteil vom 10.09.1982 VI R 95/81, BStBl II 1983, 16).
32
bb) Auf die berufliche Situation des Ehemanns der Klägerin und insbesondere dessen Wegezeiten von der Wohnung zur Arbeitsstätte kommt es nicht an. Bei der Abgrenzung, ob Umzugskosten eines verheirateten Arbeitnehmers nahezu ausschließlich beruflich veranlasst sind oder nicht, sind die Fahrzeitveränderungen von Ehegatten nicht zu saldieren (BFH, Urteil vom 21.02.2006 IX R 79/01, BStBl II 2006, 598). Nach §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 26b EStG folgt das Gesetz im Bereich des Erzielens steuerbarer Einkünfte dem Prinzip der Individualbesteuerung. Jeder Ehegatte erzielt für sich Einkünfte, wenn er in seiner Person den Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht. Erst im Anschluss an die für jeden Ehegatten gesondert vorzunehmende Ermittlung der Einkünfte werden die von den Ehegatten erzielten Einkünfte bei der Zusammenveranlagung gemäß § 26b EStG zunächst zusammengerechnet und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet.
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cc) Dass der Umzug der Klägerin mit dem Erwerb und dem Bezug einer Eigentumswohnung im Zusammenhang stand, hindert die berufliche Veranlassung der Umzugskosten nicht. Eine dadurch entstandene private Ursachenkette wird durch die vorrangige berufliche Veranlassung überlagert (BFH, Urteil vom 06.11.1986 VI R 106/85, BStBl II 1987, 81).
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dd) Dass die bessere Möglichkeit der Kinderbetreuung das Hauptmotiv der Klägerin für den Umzug gewesen sei (vgl. zu diesem Kriterium BFH, Urteil vom 10.09.1982 VI R 95/81, BStBl II 1983, 16), ist weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich. Ob sich die Situation durch den Umzug sogar verschlechtert hat, wie die Klägerin geltend macht, kann auf sich beruhen.
35
3. Die Berechnung des Einkommensteuerbetrags, der unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten in Höhe von 3.940 € bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit festzusetzen ist, überträgt das Gericht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten.
36
II.
37
1. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der bis zur mündlichen Verhandlung angefallenen Kosten auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO, da die Klägerin in der Klageschrift beantragt hat, Werbungskosten in Höhe von 4.676 € zu berücksichtigen. Für die Zeit danach hat der Beklagte die Kosten nach § 135 Abs. 1 FGO alleine zu tragen, da er hinsichtlich des in der mündlichen Verhandlung zuletzt gestellten Antrags in voller Höhe unterlegen ist. Eine nach verschiedenen Zeitabschnitten getrennte Kostenentscheidung ist zulässig (BFH-Urteile vom 18.05.2004 IX R 42/01, BFH/NV 2005, 168).
38
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
39
3. Die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, besteht kein Anlass. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH. Dieser hat bereits entschieden, dass nach der dem FG obliegenden Würdigung der tatsächlichen Umstände im Einzelfall auch eine weniger als eine Stunde betragende Zeitersparnis für die Annahme einer beruflichen Veranlassung der Umzugskosten ausreichen kann, wenn die Erreichbarkeit der Arbeitsstätte ohne Verkehrsmittel zu einer solch wesentlichen sonstigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt (BFH, Beschluss vom 02.02.2000 X B 80/99, BFH/NV 2000, 945).
3 K 3502/13
24.02.2016
Tenor:
Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2013 wird die Einkommensteuer auf den Betrag herabgesetzt, der sich ergibt, wenn bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 3.940 € berücksichtigt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung entstandenen Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 15% und dem Beklagten zu 85% auferlegt. Für die Zeit danach hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens alleine zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Tatbestand
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Der Beklagte veranlagte die Klägerin und ihren Ehemann für 2011 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer. Die Klägerin ist Diplom-Kauffrau und Diplom-Handelslehrerin und war im Streitjahr in A als beamtete Lehrerin (Studienrätin) im städtischen Berufskolleg M, D-Straße ... beschäftigt.
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Zu Beginn des Streitjahres wohnte die Klägerin mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Kleinkindern in A im Stadtteil F in der R-Straße ... zur Miete. Den Weg zum Berufskolleg legte die Klägerin mit der Straßenbahnlinie... zurück. Der Fußweg von der Wohnung bis zur U-Bahn-Haltestelle F H-Straße betrug rund 500 Meter. Von dort stieg die Klägerin in die Linie ..., die laut Fahrplan im Zehn-Minuten-Takt verkehrte und die U-Bahn-Haltstelle W in acht Minuten erreichte. Der weitere Fußweg von dort bis zum Berufskolleg war etwa 400 Meter lang.
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Im Oktober des Streitjahres zog die Klägerin mit ihrem Ehemann und den Kindern in A in den Stadtteil M in die P-Straße ... um, wo die Eheleute eine Eigentumswohnung erworben hatten. Von dort konnte die Klägerin das Berufskolleg in weniger als fünf Minuten zu Fuß erreichen. Sie musste hierzu die P-Straße sowie den angrenzenden Schulhof des Gymnasiums P-Straße überqueren und konnte anschließend das Berufskolleg durch eine Tür im rückwärtigen Teil des Gebäudes betreten. Der Fußweg von Tür zu Tür betrug weniger als 100 Meter.
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In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin für den Umzug Aufwendungen – deren Höhe und Zusammensetzung von 3.940 € ist nach Erörterung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung unstreitig geworden – bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
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Der Beklagte ließ die Umzugskosten im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 08.05.2013 außer Ansatz. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass Umzugskosten nur dann als Werbungskosten abziehbar seien, wenn sich die Fahrzeit von der Wohnung zur Arbeitsstätte durch den Umzug um mindestens eine Stunde verkürzt habe. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall.
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Die Klägerin legte Einspruch ein und führte aus, dass der Umzug jedenfalls deshalb beruflich veranlasst sei, weil sie ihren Arbeitsplatz nunmehr zu Fuß erreichen könne.
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Die Einkommensteuerfestsetzung wurde durch die Bescheide vom 12.07.2013, vom 23.09.2013 und zuletzt mit der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2013 aus hier nicht strittigen Gründen geändert. Hinsichtlich der Umzugskosten blieb der Einspruch ohne Erfolg.
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Mit der Klage verfolgt die Klägerin den Abzug der Umzugskosten weiter und führt aus:
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Die Wegezeitverkürzung von einer Stunde werde erreicht. Sie, die Klägerin, müsse den Unterricht stets pünktlich um 8:00 Uhr beginnen. Die Linie... fahre aber gerade morgens sehr unzuverlässig. Außerdem müsse sie, die Klägerin, an mehreren Fußgängerampeln warten. Diese zeitlichen Verzögerungen habe sie einplanen und dementsprechend früher losfahren müssen. An zwei Abenden müsse sie zudem abends ein zweites Mal zu Besprechungen zur Schule kommen. Durch den mitgeführten Lehrerrucksack, in dem sie Bücher, ihren Laptop und Unterrichtsmaterialien transportiere, sei der Fußweg beschwerlich gewesen. Jedenfalls sei die Zeitvorgabe von einer Stunde Wegezeitverkürzung kein absolutes Kriterium. Es müsse berücksichtigt werden, dass sie, die Klägerin, die Schule nunmehr binnen weniger Minuten zu Fuß erreichen könne.
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Nachdem die Klägerin die zu berücksichtigenden Umzugskosten in der Klageschrift noch mit 4.676 € beziffert hatte, hat sie zuletzt beantragt,
12
den Einkommensteuerbescheid 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung abzuändern und bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 3.940 € zu berücksichtigen und die Steuer entsprechend herabzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er geht weiterhin nicht von einer beruflichen Veranlassung des Umzugs aus. Es müsse beim Kriterium einer Wegzeitverkürzung von einer Stunde, die die Klägerin nach den Fahrplänen nicht erreiche, bleiben. Deshalb spiele die Tatsache, dass die Klägerin ihren Arbeitsplatz nun innerhalb weniger Minuten zu Fuß erreichen könne, keine Rolle. Die übrigen von ihr vorgebrachten Punkte seien lediglich positive Begleiterscheinungen des Umzugs, die einen Werbungskostenabzug nicht begründen könnten. Das Berufskolleg habe von der Klägerin nicht verlangen können, dass sie Vertretungen übernehme.
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Entscheidungsgründe
17
I.
18
Die zulässige Klage ist begründet.
19
Der bisher festgesetzte Einkommensteuerbetrag für das Streitjahr ist entsprechend dem Antrag der Klägerin herabzusetzen. Rechtsgrundlage dafür ist § 100 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Klägerin begehrt mit der Anfechtungsklage die Änderung des Einkommensteuerbescheids in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2013 (§ 44 Abs. 2 FGO). Soweit der damit auf 1.720 € festgesetzte Einkommensteuerbetrag darauf beruht, dass bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit Werbungskosten in Höhe von 3.940 € nicht berücksichtigt wurden, ist der Bescheid rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt.
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Die Klägerin ist nichtselbständig tätig. Sie erhält Bezüge für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst, nämlich als beamtete Lehrerin am städtischen Berufskolleg M (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Satz 2 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Als „Einkünfte“ bezeichnet § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG bei nichtselbständiger Arbeit den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Dass die hier zu beurteilenden Umzugskosten Werbungskosten sind, folgt aus § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Ihrem Abzug bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit steht die Regelung in § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG jedenfalls im Ergebnis nicht entgegen.
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1. Werbungskosten sind über den Wortlaut von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG hinaus zum Zweck der Gleichbehandlung mit Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) Aufwendungen, die durch das Erzielen von Einkünften im Sinne der § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG veranlasst sind. Eine solche Veranlassung ist gegeben, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt sind, das heißt wenn sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer der Einkunftsarten stehen (vgl. BFH, Beschluss vom 04.07.1990 GrS 2-3/88, BStBl II 1990, 817). Damit wird der Trennung zwischen der durch die einzelnen Einkunftsarten definierten Erwerbssphäre und der privaten Sphäre der Einkommensverwendung Rechnung getragen. Ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen "auslösenden Moments", zum anderen dessen Zuweisung zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre. Deswegen sind Umzugskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten abzuziehen, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen der entscheidende Grund für den Umzug war und private Umstände allenfalls eine ganz untergeordnete Rolle spielen (BFH, Urteil vom 16.10.1992 VI R 132/88, BStBl II 1993, 610; Beschluss vom 02.02.2000 X B 80/99, BFH/NV 2000, 945 und Urteil vom 23.03.2001 VI R 175/99, BStBl II 2001, 585). Ob dieser Rechtssatz allein durch Auslegung von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG aufgestellt werden kann, oder ob dabei – was Umzugskosten anbelangt – das Abzugsverbot aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zu berücksichtigen ist (so wohl FG München, Urteil vom 02.03.2015 2 K 1904/12, bei juris), ist angesichts der inzwischen befürworteten restriktiveren Interpretation des Wortlauts von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG (BFH, Beschluss vom 21.09.2009 GrS 1/06, BStBl II 2010, 672) fraglich, kann aber letztlich dahinstehen, da dies nicht zu einem anderen Ergebnis führt.
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2. Das Gericht hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), dass die Tätigkeit der Klägerin als Lehrerin am städtischen Berufskolleg M der entscheidende Grund für den Umzug war und private Umstände allenfalls eine ganz untergeordnete Rolle spielen.
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a) Finanzbehörden und Finanzgerichte müssen sich bei der Prüfung, durch welche Umstände Aufwendungen im Einzelfall veranlasst worden sind, in erster Linie an objektiv und leicht feststellbare Kriterien halten, die typischerweise auf eine berufliche oder private Veranlassung schließen lassen (BFH, Urteil vom 10.09.1982 VI R 95/81, BStBl II 1983, 16). Feststellungen dieser Art dürfen nicht zu einem unzumutbaren Eindringen in die privaten Verhältnisse der Steuerpflichtigen führen (BFH, Urteil vom 15.10.1976 VI R 162/74, BStBl II 1977, 117). Unabhängig davon, ob man die Selbstnutzung einer Wohnung - und dementsprechend den Wechsel einer selbstgenutzten Wohnung - noch unter § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG fasst, betrifft dieser Vorgang jedenfalls grundsätzlich nicht die durch die einzelnen Einkunftsarten definierte Erwerbssphäre, sondern ist der privaten Sphäre der Einkommensverwendung zuzurechnen. Ein Zusammenhang mit der Erwerbssphäre entsteht durch die Regelung § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, wenn derjenige, der die Wohnung selbst nutzt, von dort aus den Weg zu seiner Arbeitsstätte antritt. Diese Bestimmung qualifiziert die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu Werbungskosten und macht deren Höhe ferner von der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abhängig. Der Gesetzgeber gibt an dieser Stelle zu erkennen, dass er solche Fahrten dem beruflichen Bereich des Arbeitnehmers zuordnet. Ein Umzug ist dann der Erwerbssphäre des Steuerpflichtigen und nicht der Sphäre der Einkommensverwendung zuzurechnen, wenn er zu einer wesentlichen Verkürzung der Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und damit zu einer entsprechend wesentlichen Verbesserung dieser Arbeitsbedingungen führt (BFH, Urteil vom 06.11.1986 VI R 106/85, BStBl II 1987, 81).
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b) Als objektiv und leicht feststellbares Kriterium, das typischerweise auf eine berufliche und gegen eine private Veranlassung schließen lässt, fordert die Rechtsprechung, der das Gericht folgt, grundsätzlich eine wesentliche Verkürzung der Wegezeit. Die Zeitersparnis durch den Umzug muss mindestens eine Stunde täglich betragen. In diesem Fall treten alle mit einem Umzug sonst einhergehenden privaten Begleitumstände regelmäßig in den Hintergrund und können vernachlässigt werden (BFH, Urteile vom 16.10.1992 VI R 132/88, BStBl II 1993, 610; vom 27.07.1995 VI R 17/95, BStBl II 1995, 728; vom 24.05.2000 VI R 147/99, BStBl II 2000, 476; vom 21.02.2006 IX R 79/01, BStBl II 2006, 598, Beschluss vom 15.10.2012 VI B 22/12, BFH/NV 2013, 198 und zuletzt Urteil vom 07.05.2015 VI R 73/13, HFR 2015, 1025). In die Berechnung der Ersparnis sind die Zeiten für die Hin- und Rückfahrt einzubeziehen (BFH, Urteil vom 15.10.1976 VI R 162/74, BStBl II 1977, 117). Muss der Arbeitnehmer den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mehrmals am selben Tage zurücklegen, z.B. um in den Abendstunden zu Besprechungen zur Verfügung zu stehen, sind für die Berechnung der Ersparnis auch diese Fahrten zu berücksichtigen (BFH, Urteil vom 10.09.1982 VI R 95/81, BStBl II 1983, 16).
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c) Der Senat hat Zweifel, ob die Klägerin durch den Umzug die Verkürzung der Wegezeit um mindestens eine Stunde täglich erreicht hat. Die reguläre Fahrzeit der U‑Bahnlinie... zwischen den Haltestellen F H-Straße und W beträgt acht Minuten. Für die Fußwege von der Wohnung zur Haltestelle bzw. von der Haltestelle zur Arbeitsstelle, die zusammen höchstens 1 km lang sind, können unter Einschluss der Wartezeiten an den Haltstellen sowie an Ampeln insgesamt weitere zwölf Minuten veranschlagt werden, so dass für eine Fahrt 20 Minuten und die Hin- und Rückfahrt zusammen 40 Minuten anfallen. Die Klägerin hat zwar eine Vielzahl von Umständen vorgetragen, dass die tatsächliche Fahrzeit deutlich länger sei; sie verkennt dabei aber, dass das Gericht nur objektiv und leicht feststellbare Kriterien einbeziehen kann. Nach Auffassung einzelner Finanzgerichte sind die Fahrzeiten- und Streckenermittlungen von Routenplanern im Internet eine ausreichende Erkenntnisquelle (FG Hamburg, Urteil vom 09.10.2008 5 K 33/08, EFG 2009, 244). Bei der Berechnung ist ferner zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Streitjahr nur an drei Tagen pro Woche im Berufskolleg gearbeitet hat und davon lediglich an zwei Tagen zusätzlich abends zu Besprechungen erscheinen musste. Die diesbezüglichen Einwände des Beklagten sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Das Gericht kann die Frage nach einer Zeitersparnis von mindestens einer Stunde täglich aber letztlich offenlassen.
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d) Nach der Rechtsprechung kann in Ausnahmefällen auch „die Erreichbarkeit der Arbeitsstätte ohne Verkehrsmittel“ zu einer solch wesentlichen sonstigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen, dass selbst eine weniger als eine Stunde betragende Zeitersparnis für die Annahme einer beruflichen Veranlassung der Umzugskosten ausreicht (BFH, Beschluss vom 02.02.2000 X B 80/99, BFH/NV 2000, 945; vgl. auch FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.06.1995 1 K 2702/92, EFG 1995, 1048, rechtskräftig). Diese Auffassung wird in der Literatur geteilt (vgl. Krüger in Schmidt, EStG, 35. Auflage 2016, § 19 Rn. 19 Stichwort „Umzugskosten“; Thürmer in Blümich, EStG, Kommentar, Loseblattausgabe, Stand Oktober 2013, § 9 Rn. 700; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Loseblattausgabe, Stand August 2014, § 9 Rn. 313). Der Beklagte ist dem nicht substantiiert entgegen getreten. Daran gemessen ist im Streitfall der entscheidende Grund für den Umzug beruflicher Natur.
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aa) Von der neuen Wohnung in der P-Straße ... ist es der Klägerin möglich geworden, ihre Arbeitsstätte im Berufskolleg in weniger als fünf Minuten zu Fuß zu erreichen. Sie musste lediglich die P-Straße sowie den angrenzenden Schulhof des Gymnasiums P‑Straße überqueren und konnte anschließend das Berufskolleg durch eine Tür im rückwärtigen Teil des Gebäudes betreten. Der Fußweg war weniger als 100 Meter lang. Diese Möglichkeit hatte die Klägerin von der vorherigen Wohnung in der R-Straße ... aus nicht. Die Klägerin hat diese Strecke mit der U-Bahn und die Wege von bzw. zu den Haltestellen zu Fuß zurückgelegt. Abgesehen davon, dass es jedem Arbeitnehmer freisteht, ob und welche Art von Verkehrsmitteln er verwendet (vgl. Urteil des BFH vom 25.09.1970 VI R 85/68, BStBl II 1971, 55), war die Strecke für den Hin- und Rückweg von der R-Straße ... zur D-Straße ... mit mindestens 7,4 km zu lang, um sie ausschließlich zu Fuß zurückzulegen. Mag die Zeitersparnis durch den Umzug auch nicht regelmäßig mindestens eine Stunde täglich betragen haben, so lag sie andererseits ebenso wenig deutlich unter einer Stunde.
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Die zur Anwendung dieses Kriteriums erforderlichen Tatsachen sind objektiv und leicht feststellbar. Das Gericht hat lediglich die im Internet verfügbaren Karten über die Lage der Wohnung der Klägerin und des Grundstücks, auf dem sich das Berufskolleg befindet, herangezogen. Diese Karten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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bb) In die Beurteilung, ob der Umzug trotz Zeitersparnis von weniger als einer Stunde zu einer wesentlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Klägerin geführt hat, sind noch weitere Gesichtspunkte einzubeziehen. Wer in einer Großstadt keine Verkehrsmittel benutzen muss und den Weg zur Arbeit zu Fuß gehen kann, für den entfallen der Zeitdruck und der Stress, die von der Notwendigkeit des pünktlichen Erscheinens ausgehen, insbesondere wenn der Arbeitnehmer – wie hier – keine gleitende Arbeitszeit hat. Die Klägerin hatte auf ihren Wegen zudem nicht unerhebliches Gepäck – Bücher, Unterrichtsmaterialien und Laptop – in einem Rucksack zu tragen, das sie nicht in der Schule aufbewahren konnte. Da die Wegezeit vor ihrem Umzug überwiegend auf die Fußwege sowie das Warten an den Haltestellen bzw. Ampeln entfiel, macht die Verkürzung speziell des Fußweges den Transport des schweren Gepäcks erheblich bequemer. Die allgemein bekannten Unannehmlichkeiten beim Ein- und Aussteigen mit Gepäck während der Hauptverkehrszeiten von Straßenbahnen sind infolge des Umzugs komplett weggefallen. Dass die Klägerin durch den Umzug im regulären Stundenplan sowie im Vertretungsplan flexibler eingeplant werden bzw. an ihren freien Tagen sogar nur für eine Stunde zur Schule kommen konnte, gehört im Ergebnis ebenfalls zu ihren Arbeitsbedingungen. Ob das Berufskolleg diesen Einsatz zuvor von ihr hätte verlangen dürfen oder nicht, ist – entgegen der Ansicht des Beklagten – nicht von Belang. Die berufliche Veranlassung stellt dies nicht in Frage.
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e) Anhaltspunkte dafür, dass private Gründe für den Umzug eine entscheidende Rolle gespielt haben, sind nicht ersichtlich.
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aa) Für die berufliche Veranlassung spielt es keine Rolle, dass der Umzug (nur) innerhalb von A zwischen zwei Stadtteilen durchgeführt wurde. Liegen - wie hier - besondere Gründe für einen Umzug vor, ist auch ein Wohnungswechsel innerhalb desselben Ortes anzuerkennen (BFH, Urteil vom 18.10.1974 VI R 72/72, BStBl II 1975, 327). Dass die Klägerin nach wie vor am Berufskolleg unterrichtet, ist ebenfalls unschädlich. Es ist weder erforderlich, dass der Umzug mit einem Arbeitsplatzwechsel im Zusammenhang steht, noch dass er vom Arbeitgeber gefordert wurde (BFH, Urteil vom 10.09.1982 VI R 95/81, BStBl II 1983, 16).
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bb) Auf die berufliche Situation des Ehemanns der Klägerin und insbesondere dessen Wegezeiten von der Wohnung zur Arbeitsstätte kommt es nicht an. Bei der Abgrenzung, ob Umzugskosten eines verheirateten Arbeitnehmers nahezu ausschließlich beruflich veranlasst sind oder nicht, sind die Fahrzeitveränderungen von Ehegatten nicht zu saldieren (BFH, Urteil vom 21.02.2006 IX R 79/01, BStBl II 2006, 598). Nach §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 26b EStG folgt das Gesetz im Bereich des Erzielens steuerbarer Einkünfte dem Prinzip der Individualbesteuerung. Jeder Ehegatte erzielt für sich Einkünfte, wenn er in seiner Person den Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht. Erst im Anschluss an die für jeden Ehegatten gesondert vorzunehmende Ermittlung der Einkünfte werden die von den Ehegatten erzielten Einkünfte bei der Zusammenveranlagung gemäß § 26b EStG zunächst zusammengerechnet und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet.
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cc) Dass der Umzug der Klägerin mit dem Erwerb und dem Bezug einer Eigentumswohnung im Zusammenhang stand, hindert die berufliche Veranlassung der Umzugskosten nicht. Eine dadurch entstandene private Ursachenkette wird durch die vorrangige berufliche Veranlassung überlagert (BFH, Urteil vom 06.11.1986 VI R 106/85, BStBl II 1987, 81).
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dd) Dass die bessere Möglichkeit der Kinderbetreuung das Hauptmotiv der Klägerin für den Umzug gewesen sei (vgl. zu diesem Kriterium BFH, Urteil vom 10.09.1982 VI R 95/81, BStBl II 1983, 16), ist weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich. Ob sich die Situation durch den Umzug sogar verschlechtert hat, wie die Klägerin geltend macht, kann auf sich beruhen.
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3. Die Berechnung des Einkommensteuerbetrags, der unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten in Höhe von 3.940 € bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit festzusetzen ist, überträgt das Gericht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten.
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II.
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1. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der bis zur mündlichen Verhandlung angefallenen Kosten auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO, da die Klägerin in der Klageschrift beantragt hat, Werbungskosten in Höhe von 4.676 € zu berücksichtigen. Für die Zeit danach hat der Beklagte die Kosten nach § 135 Abs. 1 FGO alleine zu tragen, da er hinsichtlich des in der mündlichen Verhandlung zuletzt gestellten Antrags in voller Höhe unterlegen ist. Eine nach verschiedenen Zeitabschnitten getrennte Kostenentscheidung ist zulässig (BFH-Urteile vom 18.05.2004 IX R 42/01, BFH/NV 2005, 168).
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
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3. Die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, besteht kein Anlass. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH. Dieser hat bereits entschieden, dass nach der dem FG obliegenden Würdigung der tatsächlichen Umstände im Einzelfall auch eine weniger als eine Stunde betragende Zeitersparnis für die Annahme einer beruflichen Veranlassung der Umzugskosten ausreichen kann, wenn die Erreichbarkeit der Arbeitsstätte ohne Verkehrsmittel zu einer solch wesentlichen sonstigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt (BFH, Beschluss vom 02.02.2000 X B 80/99, BFH/NV 2000, 945).