16.01.2017 · IWW-Abrufnummer 191215
Bundesfinanzhof: Urteil vom 16.10.1992 – VI R 132/88
Zieht ein Arbeitnehmer in eine größere Wohnung um, so reicht es für die Anerkennung der Umzugskosten als Werbungskosten nicht aus, wenn dadurch lediglich eine Fahrtzeitverkürzung zur Arbeitsstätte von 20 Minuten arbeitstäglich eintritt und die neue Wohnung wegen der wesentlich größeren Platzverhältnisse die Einrichtung eines Arbeitszimmers erlaubt.
Tatbestand:
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger ist hauptberuflich als Angestellter bei einem Verlag in K tätig; nebenberuflich erzielt er Einkünfte aus gelegentlicher Anwaltstätigkeit sowie aus einer stillen Beteiligung an einer Buchhandlung. Die Klägerin ist Lehrerin an einer Realschule in D. Die Eheleute bewohnten gemeinsam mit ihren 1977 und 1980 geborenen Kindern eine 76 qm große Wohnung in K, D Straße. In dieser Wohnung wurde ein von der Klägerin zunächst als Arbeitszimmer genutzter ca. 15 qm großer Raum im Jahre 1979 in ein Kinderzimmer umgewandelt. Zur Vorbereitung des Unterrichts verwendete die Klägerin seitdem einen nicht abgetrennten Bereich der Wohnung. Im Streitjahr 1982 zogen die Kläger in eine wesentlich größere Wohnung (122 qm) in K um, in der die Klägerin seither ein abgeschlossenes Arbeitszimmer von 18 qm nutzt.
Die in der Einkommensteuererklärung 1982 für die Klägerin als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemachten Umzugskosten von 4 431 DM (für Speditions- und Maklerkosten) ließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nicht zum Abzug zu. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das FG aus, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien Umzugskosten auch innerhalb einer Großstadt als Werbungskosten anzuerkennen, wenn sich der Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erheblich verkürze. Im Streitfall könne offenbleiben, ob der arbeitstägliche Zeitgewinn von 10-15 Minuten für die Klägerin bzw. von 5 Minuten für den Kläger allein geeignet sei, eine berufliche Veranlassung des Umzugs zu begründen; denn es trete als weiterer Umstand hinzu, daß die Klägerin in der neuen Wohnung ein abgeschlossenes Arbeitszimmer eingerichtet habe. Der nicht abgeschlossene Arbeitsplatz in der alten Wohnung sei wegen der zwei Kleinkinder zum konzentrierten Arbeiten nicht geeignet gewesen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
6
Die Revision ist begründet; das FG hat nach dem von ihm festgestellten Sachverhalt zu Unrecht angenommen, daß berufliche Gründe den entscheidenden Anlaß für die entstandenen Umzugskosten bildeten und private Gründe keine oder nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt haben (§ 12 Nr. 1 EStG).
a) Da das Bewohnen einer Wohnung dem privaten Lebensbereich zuzurechnen ist, sind auch die Kosten für einen Wechsel der Wohnung grundsätzlich als steuerlich nicht abziehbare Kosten der Lebensführung anzusehen (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen den entscheidenden Grund für den Wohnungswechsel darstellt und private Umstände nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen (zuletzt Urteil des Senats vom 22. November 1991 VI R 77/89, BFHE 166, 534 [BFH 22.11.1991 - VI R 77/89], BStBl II 1992, 494). Eine derartige berufliche Veranlassung hat der Senat z. B. anerkannt, wenn der Umzug aus Anlaß eines Arbeitsplatzwechsels erfolgen mußte oder wenn - auch ohne berufliche Veränderung - durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich vermindert worden ist. Als wesentliche Verkürzung der Wegezeit hat er dabei eine Fahrtzeitverkürzung von einer Stunde täglich angesehen (Urteile vom 15. Oktober 1976 VI R 162/74, BFHE 121, 27, BStBl II 1977, 117; vom 10. September 1982 VI R 95/81, BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16; vom 21. Juli 1989 VI R 129/86, BFHE 158, 26, BStBl II 1989, 917). Erst wenn nach diesen objektiven Kriterien (Ein- oder Auszug aus einer Dienstwohnung, wesentliche Fahrtzeitverkürzung von mindestens einer Stunde oder sonstige erhebliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen) die berufliche Veranlassung des Umzugs feststand, hat der Senat nicht mehr entscheidend darauf abgestellt, aus welchen Motiven der Steuerpflichtige gerade in eine bestimmte Wohnung (z. B. eine größere Mietwohnung oder ein Einfamilienhaus) umgezogen ist (Urteil in BFHE 166, 534 [BFH 22.11.1991 - VI R 77/89], BStBl II 1992, 494).
b) Im Streitfall hat das FG zu Unrecht für die nahezu ausschließliche berufliche Veranlassung des Umzugs ausreichen lassen, daß der Umzug zu einer Fahrtzeitersparnis von 10-15 Minuten für die Klägerin bzw. von 5 Minuten für den Kläger führte und der Umzug in die wesentlich größere neue Wohnung die Einrichtung eines abgeschlossenen Arbeitszimmers ermöglichte. Die festgestellte Fahrtzeitverkürzung von 10-15 Minuten bzw. 5 Minuten arbeitstäglich unterschreitet die nach der Rechtsprechung des Senats erforderliche einstündige Fahrtzeitverkürzung erheblich. Auch der hinzutretende Umstand, daß die neue Wohnung aufgrund der wesentlich großzügigeren Platzverhältnisse die Einrichtung eines Arbeitszimmers ermöglichte, reicht für die Feststellung eines Umzugs aus nahezu ausschließlich beruflichen Gründen nicht aus; denn aufgrund des natürlichen Bestrebens nach Verbesserung der Wohnqualität läßt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit ermitteln, ob die Einrichtung des Arbeitszimmers Anlaß oder nur Folge des Umzugs in eine wesentlich größere Wohnung mit besseren Wohnbedingungen war. Das Gebot der Rechtssicherheit erfordert, bei der Frage nach der beruflichen Veranlassung des Umzugs regelmäßig nur auf objektiv feststellbare Umstände abzustellen, die typischerweise auf eine berufliche Veranlassung schließen lassen. Solche Umstände sind allein in dem Bestreben, ein abgeschlossenes Arbeitszimmer einzurichten - anders als bei einem Umzug aus konkretem beruflichen Anlaß (Arbeitgeberwechsel, Umzug in neue Betriebsräume oder bei einer wesentlichen Fahrtzeitverkürzung) -, nicht gegeben. Zudem ist hier als private Mitveranlassung zu berücksichtigen, daß die Einrichtung eines abgeschlossenen Arbeitszimmers in der neuen Wohnung zur ungestörten Nutzung des ansonsten mit der Arbeitsecke belasteten Wohnraums führt.
c) Das Erfordernis der einstündigen Fahrtzeitverkürzung verstößt auch bei beiderseits berufstätigen Ehegatten nicht gegen den von Art. 6 des Grundgesetzes verbürgten Schutz der Ehe und Familie. Ob bei der Feststellung einer Zeitersparnis bei beiderseits berufstätigen Ehegatten die sich jeweils ergebenden Fahrtzeitverkürzungen bzw. Fahrtzeitverlängerungen zusammengerechnet werden dürfen, was sich sowohl zu ihren Gunsten wie auch zu ihren Lasten auswirken kann, mag dahinstehen. Denn im Streitfall ergeben sich beiderseits lediglich Fahrtzeitverkürzungen, die weder bei Einzelbetrachtung (15 Minuten) noch bei Zusammenrechnung (20 Minuten) dem Erfordernis der mindestens einstündigen Fahrtzeitverkürzung genügen.
d) Ob das FG im Streitfall darüberhinaus in verfahrensfehlerhafter Weise weitere, der privaten Lebensführung zuzurechnende Umstände (Direktanbindung an Schule, Kindergarten und Krankenhaus sowie erleichterte Kinderbetreuung) übergangen und dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht zugrunde gelegt hat (Verstoß gegen § 96 FGO), kann dahinstehen.
e) Wie der Senat bereits entschieden hat, können bei einem nicht aus beruflichem Anlaß durchgeführten Umzug auch die durch den Transport von Arbeitsmitteln entstehenden (anteiligen) Aufwendungen nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden (Urteil vom 21. Juli 1989 VI R 102/88, BFHE 158, 28, BStBl II 1989, 972).
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger ist hauptberuflich als Angestellter bei einem Verlag in K tätig; nebenberuflich erzielt er Einkünfte aus gelegentlicher Anwaltstätigkeit sowie aus einer stillen Beteiligung an einer Buchhandlung. Die Klägerin ist Lehrerin an einer Realschule in D. Die Eheleute bewohnten gemeinsam mit ihren 1977 und 1980 geborenen Kindern eine 76 qm große Wohnung in K, D Straße. In dieser Wohnung wurde ein von der Klägerin zunächst als Arbeitszimmer genutzter ca. 15 qm großer Raum im Jahre 1979 in ein Kinderzimmer umgewandelt. Zur Vorbereitung des Unterrichts verwendete die Klägerin seitdem einen nicht abgetrennten Bereich der Wohnung. Im Streitjahr 1982 zogen die Kläger in eine wesentlich größere Wohnung (122 qm) in K um, in der die Klägerin seither ein abgeschlossenes Arbeitszimmer von 18 qm nutzt.
Die in der Einkommensteuererklärung 1982 für die Klägerin als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemachten Umzugskosten von 4 431 DM (für Speditions- und Maklerkosten) ließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nicht zum Abzug zu. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das FG aus, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien Umzugskosten auch innerhalb einer Großstadt als Werbungskosten anzuerkennen, wenn sich der Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erheblich verkürze. Im Streitfall könne offenbleiben, ob der arbeitstägliche Zeitgewinn von 10-15 Minuten für die Klägerin bzw. von 5 Minuten für den Kläger allein geeignet sei, eine berufliche Veranlassung des Umzugs zu begründen; denn es trete als weiterer Umstand hinzu, daß die Klägerin in der neuen Wohnung ein abgeschlossenes Arbeitszimmer eingerichtet habe. Der nicht abgeschlossene Arbeitsplatz in der alten Wohnung sei wegen der zwei Kleinkinder zum konzentrierten Arbeiten nicht geeignet gewesen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
6
Die Revision ist begründet; das FG hat nach dem von ihm festgestellten Sachverhalt zu Unrecht angenommen, daß berufliche Gründe den entscheidenden Anlaß für die entstandenen Umzugskosten bildeten und private Gründe keine oder nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt haben (§ 12 Nr. 1 EStG).
a) Da das Bewohnen einer Wohnung dem privaten Lebensbereich zuzurechnen ist, sind auch die Kosten für einen Wechsel der Wohnung grundsätzlich als steuerlich nicht abziehbare Kosten der Lebensführung anzusehen (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen den entscheidenden Grund für den Wohnungswechsel darstellt und private Umstände nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen (zuletzt Urteil des Senats vom 22. November 1991 VI R 77/89, BFHE 166, 534 [BFH 22.11.1991 - VI R 77/89], BStBl II 1992, 494). Eine derartige berufliche Veranlassung hat der Senat z. B. anerkannt, wenn der Umzug aus Anlaß eines Arbeitsplatzwechsels erfolgen mußte oder wenn - auch ohne berufliche Veränderung - durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich vermindert worden ist. Als wesentliche Verkürzung der Wegezeit hat er dabei eine Fahrtzeitverkürzung von einer Stunde täglich angesehen (Urteile vom 15. Oktober 1976 VI R 162/74, BFHE 121, 27, BStBl II 1977, 117; vom 10. September 1982 VI R 95/81, BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16; vom 21. Juli 1989 VI R 129/86, BFHE 158, 26, BStBl II 1989, 917). Erst wenn nach diesen objektiven Kriterien (Ein- oder Auszug aus einer Dienstwohnung, wesentliche Fahrtzeitverkürzung von mindestens einer Stunde oder sonstige erhebliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen) die berufliche Veranlassung des Umzugs feststand, hat der Senat nicht mehr entscheidend darauf abgestellt, aus welchen Motiven der Steuerpflichtige gerade in eine bestimmte Wohnung (z. B. eine größere Mietwohnung oder ein Einfamilienhaus) umgezogen ist (Urteil in BFHE 166, 534 [BFH 22.11.1991 - VI R 77/89], BStBl II 1992, 494).
b) Im Streitfall hat das FG zu Unrecht für die nahezu ausschließliche berufliche Veranlassung des Umzugs ausreichen lassen, daß der Umzug zu einer Fahrtzeitersparnis von 10-15 Minuten für die Klägerin bzw. von 5 Minuten für den Kläger führte und der Umzug in die wesentlich größere neue Wohnung die Einrichtung eines abgeschlossenen Arbeitszimmers ermöglichte. Die festgestellte Fahrtzeitverkürzung von 10-15 Minuten bzw. 5 Minuten arbeitstäglich unterschreitet die nach der Rechtsprechung des Senats erforderliche einstündige Fahrtzeitverkürzung erheblich. Auch der hinzutretende Umstand, daß die neue Wohnung aufgrund der wesentlich großzügigeren Platzverhältnisse die Einrichtung eines Arbeitszimmers ermöglichte, reicht für die Feststellung eines Umzugs aus nahezu ausschließlich beruflichen Gründen nicht aus; denn aufgrund des natürlichen Bestrebens nach Verbesserung der Wohnqualität läßt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit ermitteln, ob die Einrichtung des Arbeitszimmers Anlaß oder nur Folge des Umzugs in eine wesentlich größere Wohnung mit besseren Wohnbedingungen war. Das Gebot der Rechtssicherheit erfordert, bei der Frage nach der beruflichen Veranlassung des Umzugs regelmäßig nur auf objektiv feststellbare Umstände abzustellen, die typischerweise auf eine berufliche Veranlassung schließen lassen. Solche Umstände sind allein in dem Bestreben, ein abgeschlossenes Arbeitszimmer einzurichten - anders als bei einem Umzug aus konkretem beruflichen Anlaß (Arbeitgeberwechsel, Umzug in neue Betriebsräume oder bei einer wesentlichen Fahrtzeitverkürzung) -, nicht gegeben. Zudem ist hier als private Mitveranlassung zu berücksichtigen, daß die Einrichtung eines abgeschlossenen Arbeitszimmers in der neuen Wohnung zur ungestörten Nutzung des ansonsten mit der Arbeitsecke belasteten Wohnraums führt.
c) Das Erfordernis der einstündigen Fahrtzeitverkürzung verstößt auch bei beiderseits berufstätigen Ehegatten nicht gegen den von Art. 6 des Grundgesetzes verbürgten Schutz der Ehe und Familie. Ob bei der Feststellung einer Zeitersparnis bei beiderseits berufstätigen Ehegatten die sich jeweils ergebenden Fahrtzeitverkürzungen bzw. Fahrtzeitverlängerungen zusammengerechnet werden dürfen, was sich sowohl zu ihren Gunsten wie auch zu ihren Lasten auswirken kann, mag dahinstehen. Denn im Streitfall ergeben sich beiderseits lediglich Fahrtzeitverkürzungen, die weder bei Einzelbetrachtung (15 Minuten) noch bei Zusammenrechnung (20 Minuten) dem Erfordernis der mindestens einstündigen Fahrtzeitverkürzung genügen.
d) Ob das FG im Streitfall darüberhinaus in verfahrensfehlerhafter Weise weitere, der privaten Lebensführung zuzurechnende Umstände (Direktanbindung an Schule, Kindergarten und Krankenhaus sowie erleichterte Kinderbetreuung) übergangen und dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht zugrunde gelegt hat (Verstoß gegen § 96 FGO), kann dahinstehen.
e) Wie der Senat bereits entschieden hat, können bei einem nicht aus beruflichem Anlaß durchgeführten Umzug auch die durch den Transport von Arbeitsmitteln entstehenden (anteiligen) Aufwendungen nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden (Urteil vom 21. Juli 1989 VI R 102/88, BFHE 158, 28, BStBl II 1989, 972).
Vorschriften§ 9 EStG