17.05.2017 · IWW-Abrufnummer 193971
Bundesfinanzhof: Urteil vom 30.03.2017 – VI R 43/15
1. § 56 Satz 2 EStDV verpflichtet den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung, wenn zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein verbleibender Verlustabzug festgestellt worden ist, so dass der Anlauf der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehemmt ist.
2. Die Verpflichtung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung nach § 56 Satz 2 EStDV gilt nur für den unmittelbar auf den festgestellten Verlustabzug folgenden Veranlagungszeitraum.
3. Ist der Steuerpflichtige nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur auf seinen Antrag hin zur Einkommensteuer zu veranlagen, kommt er mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung nicht nur seiner Erklärungspflicht gemäß § 56 Satz 2 EStDV nach, sondern stellt zugleich einen Veranlagungsantrag i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG, der wiederum die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO auslöst.
Tenor:
Die Revision des Beklagten betreffend den Veranlagungszeitraum 2006 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Im Übrigen wird auf die Revision des Beklagten das Zwischenurteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 5. Dezember 2014 2 K 113/14 betreffend die Veranlagungszeiträume 2007 und 2008 aufgehoben.
Die Klage wird insoweit abgewiesen.
Dem Niedersächsischen Finanzgericht wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Gründe
I.
1
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) hatte mit Bescheid vom 5. Juni 2008 für den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) auf den 31. Dezember 2005 einen verbleibenden Verlustvortrag in Höhe von 46.749 € festgestellt.
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Seine Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre (2006 bis 2008) gab der Kläger, der in dieser Zeit ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt hatte, im Dezember 2013 beim FA ab. Zuvor hatte sein steuerlicher Berater in einem Schreiben ausgeführt: "Bitte führen Sie die Verlustverrechnung mit den Einkünften der Folgejahre durch und tragen Sie den verbleibenden Verlust jeweils vor. Dazu möchten Sie bitte entsprechende Verlustfeststellungen erlassen (§ 171 Abs. 3 AO)".
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Das FA lehnte eine Veranlagung für die Streitjahre ab, da der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht fristgerecht gestellt worden sei.
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Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage war insoweit erfolgreich, als das Finanzgericht (FG) durch Zwischenurteil aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 701 veröffentlichten Gründen entschied, das FA sei dem Grunde nach dazu verpflichtet, den Kläger für die Streitjahre zur Einkommensteuer zu veranlagen.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
das angefochtene Zwischenurteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
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Die Revision des FA ist nur teilweise begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Zwischenurteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—), als dass das FG davon ausgegangen ist, das FA sei für die Streitjahre 2007 und 2008 dazu verpflichtet, den Kläger zur Einkommensteuer zu veranlagen (unter 3.). Für das Streitjahr 2006 hat das FG dagegen zu Recht angenommen, dass das FA dem Grunde nach zu einer entsprechenden Veranlagung des Klägers verpflichtet ist (unter 2.).
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1. Das FG durfte über die entscheidungserhebliche Frage der Festsetzungsverjährung vorab im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 FGO entscheiden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 19. April 1994 VIII R 48/93, BFH/NV 1995, 84; vom 27. Oktober 1993 XI R 17/93, BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 99 Rz 13). Insbesondere hat es ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung hierauf hingewiesen, ohne dass ein Beteiligter widersprochen hat.
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2. Veranlagungszeitraum 2006
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Das FG hat zu Recht entschieden, dass einer Veranlagung des Klägers der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegensteht. Es hat dabei zunächst zutreffend erkannt, dass der Kläger für den Veranlagungszeitraum 2006 nach § 56 Satz 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet war und deshalb die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) eintrat. Das FG ist darüber hinaus im Ergebnis auch zu Recht davon ausgegangen, die Abgabe der Einkommensteuererklärung im Dezember 2013 habe (auch) die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 3 AO eintreten lassen.
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a) Gemäß § 25 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, dass der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat, soweit nicht nach § 46 EStG (und § 43 Abs. 5 EStG in der ab dem Streitjahr 2007 geltenden Fassung) eine Veranlagung unterbleibt.
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Besteht das Einkommen —wie im Streitfall— nach § 46 Abs. 2 EStG ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG abschließend genannten Voraussetzungen durchgeführt.
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Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG wird eine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Der Antrag ist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Die —frühere zusätzliche— Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist ab dem Veranlagungszeitraum 2005 entfallen (dazu Senatsurteil vom 14. April 2011 VI R 53/10, BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746). Einen entsprechenden Antrag hat der Kläger mit Abgabe seiner Einkommensteuererklärung 2006 im Dezember 2013 gestellt.
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b) Der Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG steht nicht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen.
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aa) Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO), und ist gewahrt, wenn der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde vor Fristablauf verlassen hat (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO).
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bb) Der Anlauf der Festsetzungsfrist war vorliegend nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehemmt, weil für das Jahr 2006 gemäß § 56 Satz 2 EStDV eine Steuererklärung einzureichen war.
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(1) Nach § 56 Satz 2 EStDV ist eine Steuererklärung abzugeben, wenn zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein verbleibender Verlustabzug festgestellt worden ist. Das FG ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der in der Vorschrift genannten "Steuererklärung" um die Einkommensteuererklärung handelt (ebenso BFH–Urteil vom 25. Mai 2011 IX R 36/10, BFHE 233, 314, BStBl II 2011, 807, Rz 13; Blümich/ Schlenker, § 10d EStG Rz 205; Paetsch in Beermann/Gosch, AO § 170 Rz 16; Tormöhlen in Korn, § 25 EStG Rz 11.4; Schmidt/ Heinicke, EStG, 36. Aufl., § 10d Rz 49, und Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 46 Rz 34; Hettler in Lademann, EStG, § 25 EStG Rz 25 und 28). So begrenzt § 56 EStDV die allgemeine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung nach § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG auf die Fälle, in denen eine Veranlagung in Betracht kommt (Pfirrmann in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 25 Rz 2), und enthält damit schon dem Grunde nach Regelungen zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung und nicht von sonstigen Erklärungen. § 56 Satz 1 EStDV benennt insofern ausdrücklich die Einkommensteuererklärung. Wie das FG unter Verweis auf den Wortlaut "außerdem" zu Recht ausführt, handelt es sich bei der in § 56 Satz 2 EStDV bezeichneten Verpflichtung zur Abgabe einer "Steuererklärung", wenn zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein verbleibender Verlustabzug festgestellt worden ist, um eine bloße Ergänzung der in Satz 1 bezeichneten Fälle.
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(2) Bestätigt wird dieses Verständnis durch die Entwicklung der Vorschrift. Die im Streitjahr 2006 und auch noch heute geltende Fassung beruht auf der Zweiten Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer–Durchführungsverordnung vom 23. Juni 1992 (BGBl I 1992, 1165). Zuvor lautete § 56 Abs. 1 Satz 2 EStDV wie folgt: "Eine Steuererklärung ist außerdem abzugeben, wenn eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Gesetzes beantragt wird." Steuererklärung in diesem Sinne war jedoch zweifelsfrei die Einkommensteuererklärung.
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Durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung wollte der Verordnungsgeber daran nichts ändern. Entsprechend führt er in der Begründung zu der Änderung von § 56 Abs. 1 Satz 2 EStDV aus, unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen einer Steuererklärungspflicht sei es zur jährlichen Prüfung, inwieweit sich der verbleibende Verlustabzug im einzelnen Veranlagungszeitraum ändere, erforderlich, eine Einkommensteuererklärung abzugeben (BRDrucks 257/92, S. 17).
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(3) Entgegen der Ansicht des FA stellt der Umstand, dass der Kläger nach § 56 Satz 2 EStDV einerseits zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet war, es sich bei seiner Veranlagung andererseits um eine nur auf Antrag vorzunehmende Veranlagung i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG handelt, keinen Wertungswiderspruch dar.
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Denn durch die nach § 56 Satz 2 EStDV abzugebende Einkommensteuererklärung soll insbesondere sichergestellt werden, dass das FA über die notwendigen Kenntnisse verfügt, um die Änderung eines auf den 31. Dezember des Vorjahres festgestellten verbleibenden Verlustvortrags festzustellen und entsprechend "fortzuschreiben", also wiederum gesondert festzustellen (vgl. BRDrucks 257/92, S. 17; Schneider in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 25 Rz 30). Die Anwendung des § 10d EStG erfolgt jedoch von Amts wegen (Blümich/ Schlenker, § 10d EStG Rz 205 und 61 f.).
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Die Frage, ob der Steuerpflichtige auch zur Einkommensteuer zu veranlagen ist, beantwortet sich dagegen für Steuerpflichtige, die —wie der Kläger— ganz oder teilweise Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) erzielen, nach § 46 Abs. 2 EStG (s.a. Tillmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 46 EStG Rz 9; FG München, Urteil vom 18. Januar 2005 12 K 4299/04, EFG 2005, 787; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Dezember 2005 1 K 2020/04, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2006, 1061; Valentin, EFG 2005, 790). Liegt ein Fall der Amtsveranlagung i.S. des § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG vor, ist der Steuerpflichtige zu veranlagen, weil es vermutlich zu einer Nachzahlung kommt und der (nicht ausreichende) Lohnsteuerabzug in diesem Fall keine abgeltende Wirkung (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG) haben soll. Hierdurch werden Sachverhalte erfasst, bei denen die Verwirklichung des Einkommensteueranspruchs allein durch den Lohnsteuerabzug fraglich erscheint (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. September 2013 1 BvR 924/12, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2013, 1157, m.w.N.). Andernfalls, d.h. im Fall einer zu erwartenden Erstattung, muss der Steuerpflichtige einen Antrag auf Veranlagung stellen (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG). Dass ein Steuerpflichtiger, der ganz oder teilweise Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt und für den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein verbleibender Verlustabzug festgestellt worden ist, mit seinem Antrag in Gestalt der Abgabe der Einkommensteuererklärung (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG) zugleich seiner Erklärungspflicht nach § 56 Satz 2 EStDV nachkommt, ist dieser besonderen Konstellation sowie der Unterscheidung zwischen der Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung und der Veranlagung des Steuerpflichtigen geschuldet. Durch die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung gemäß § 56 Satz 2 EStDV greift daher die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ein, weshalb der Arbeitnehmer in diesem Fall ausnahmsweise bis zu sieben Jahren Zeit für seine Antragstellung hat (ebenso Schmidt/ Kulosa, a.a.O., § 46 Rz 34; Paetsch, a.a.O., AO § 170 Rz 16).
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cc) Da der Kläger demnach angesichts des am 5. Juni 2008 auf den 31. Dezember 2005 vom FA festgestellten verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 56 Satz 2 EStDV für das Streitjahr 2006 zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet war, war die vierjährige Festsetzungsfrist infolge der Anlaufhemmung (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) bei Einreichung der Erklärung im Dezember 2013 beim FA noch nicht abgelaufen.
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dd) Das FG ist im Ergebnis auch zutreffend davon ausgegangen, dass im Streitfall die Voraussetzungen der Ablaufhemmung i.S. des § 171 Abs. 3 AO vorlagen.
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(1) Nach § 171 Abs. 3 AO läuft eine Festsetzungsfrist, soweit vor ihrem Ablauf ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt wird, nicht vor der unanfechtbaren Entscheidung über diesen Antrag ab.
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Als "Antrag" i.S. des § 171 Abs. 3 AO sind nur solche Willensbekundungen zu verstehen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörden außerhalb des in Folge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen. Die Abgabe gesetzlich vorgeschriebener Steuererklärungen gehört zur allgemeinen Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen und ist kein Antrag, selbst wenn die Veranlagung zu einer Steuererstattung führt (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 14/15, BFHE 252, 396, BStBl II 2016, 380; BFH-Urteil vom 28. August 2014 V R 8/14, BFHE 247, 21, BStBl II 2015, 3, m.w.N.). Dagegen ist die Abgabe einer Einkommensteuererklärung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO (Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 171 AO Rz 25; Paetsch, a.a.O., AO § 171 Rz 27). Denn liegen die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG für eine Veranlagung von Amts wegen nicht vor, sind die Finanzbehörden aufgrund der Abgeltungswirkung des Lohnsteuerabzugs (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG) an der Steuerfestsetzung gehindert. In einem solchen Fall ist der Steuerpflichtige nicht verpflichtet (§ 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 EStDV), sondern lediglich berechtigt, eine Steuererklärung einzureichen (Senatsurteil in BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746).
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"Gestellt" ist ein Antrag, wenn er bei der zuständigen Behörde eingeht. Für den Zugang des Antrags gelten die bürgerlich-rechtlichen Regelungen über den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen entsprechend (Senatsurteil in BFHE 252, 396, BStBl II 2016, 380, m.w.N.).
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(2) Nach diesen Grundsätzen steht der Veranlagung des Klägers gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG im Streitfall der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegen. Denn der Kläger hat den Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG durch Abgabe seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006 vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim FA eingereicht.
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Die Ablaufhemmung, die ein Antrag auf Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG auslöst (Senatsurteil in BFHE 252, 396, BStBl II 2016, 380; ebenso Banniza in HHSp, § 171 AO Rz 25; Paetsch, a.a.O., § 171 AO Rz 27), wird insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Kläger im Streitfall —wie dargelegt— zur Abgabe der Einkommensteuererklärung für 2006 verpflichtet war (insoweit im Ergebnis a.A. Paetsch, a.a.O., § 171 AO Rz 27).
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Kommt —wie im Streitfall— trotz der Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung nur eine Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG in Betracht, besitzt die Einkommensteuererklärung einen doppelten Zweck. Mit ihr erfüllt der Steuerpflichtige einerseits seine Erklärungspflicht nach § 56 Satz 2 EStDV. Andererseits stellt er mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung gleichzeitig einen Antrag i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG, wenn die Veranlagung nicht gemäß § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG von Amts wegen durchzuführen ist. Da der Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG, der (nur) durch Abgabe einer (wirksamen) Einkommensteuererklärung gestellt werden kann (dazu Senatsurteil vom 22. Mai 2006 VI R 15/02, BFHE 214, 137, BStBl II 2007, 2), die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO auslöst, ist das FA dem Grunde nach verpflichtet, den Kläger zur Einkommensteuer 2006 zu veranlagen.
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3. Veranlagungszeiträume 2007 und 2008
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Entgegen der Ansicht des FG hat es das FA jedoch zutreffend abgelehnt, den Kläger für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2008 zur Einkommensteuer zu veranlagen.
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a) Gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Satz 2 EStDV besteht eine Verpflichtung zur Erklärungsabgabe nur für den Veranlagungszeitraum, der auf das Jahr der Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs folgt.
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b) Danach war der Kläger für die Streitjahre 2007 und 2008 nicht nach § 56 Satz 2 EStDV zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen verpflichtet. Denn das FA hat nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) des FG nur auf den 31. Dezember 2005 einen verbleibenden Verlustvortrag festgestellt. Anders als für das Streitjahr 2006 war der Kläger damit für die Streitjahre 2007 und 2008 gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG lediglich berechtigt, eine Einkommensteuererklärung einzureichen. Da für diese Jahre eine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung gerade nicht aus § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 Satz 2 EStDV abgeleitet werden kann, kommt die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht zur Anwendung (vgl. Senatsurteile in BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746; vom 14. April 2011 VI R 77/10, nicht veröffentlicht; VI R 86/10, BFH/NV 2011, 1515; vom 6. Oktober 2011 VI R 17/11, BFH/NV 2012, 551; vom 18. Oktober 2012 VI R 16/11, BFH/NV 2013, 340; Senatsbeschlüsse vom 17. Juli 2014 VI R 3/13, BFH/NV 2014, 1739, und VI R 4/13, BFH/NV 2014, 1740).
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Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 170 Abs. 1 AO verjährte die Einkommensteuer für 2007 demnach mit Ablauf des Jahres 2011, die Steuer für 2008 mit Ablauf des Jahres 2012. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger die erforderlichen Anträge durch Abgabe der Einkommensteuererklärungen für 2007 und 2008 aber (erst) im Dezember 2013 beim FA und damit zu spät gestellt. Diese konnten die bereits abgelaufene Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO nicht mehr hemmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 27. November 2013 II R 57/11 (BFHE 243, 313, BStBl II 2016, 506). Ob die beantragten Feststellungen der zum Ende der Streitjahre verbleibenden Verlustabzüge noch durchzuführen sind, ist nicht Gegenstand dieses, die Einkommensteuer des Klägers betreffenden Verfahrens.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Über die Kosten des Revisionsverfahrens hat das FG insgesamt im Endurteil zu entscheiden, weil die Kostenentscheidung im Revisionsverfahren eine einheitliche sein muss (vgl. Gräber/Ratschow, a.a.O., § 143 Rz 24; BFH-Urteil vom 4. Februar 1999 IV R 54/97, BFHE 187, 418, BStBl II 2000, 139).