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  • 16.08.2017 · IWW-Abrufnummer 195887

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 11.07.2017 – 14 K 2825/16 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster

    14 K 2825/16 E

    Tenor:

    Unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2015 vom 26.04.2016 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 03.08.2016 werden die Einkommensteuer 2015 auf … Euro und der Solidaritätszuschlag 2015 auf … Euro festgesetzt.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 53 % und dem Beklagten zu 47 % auferlegt.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

    1

    Tatbestand

    2

    Streitig ist, ob Kindergeld und Betreuungsgeld zu den Bezügen der unterstützten Person im Sinne des § 33a Abs. 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören.

    3

    Der Kläger ist ledig und lebte im Streitjahr 2015 mit der Mutter seiner beiden Kinder, A und B, in eheähnlicher Gemeinschaft. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von … Euro. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger der Kindesmutter im Streitjahr Sach- und Barunterhalt in Höhe von mindestens 8.472,00 Euro geleistet hat.

    4

    Im Einkommensteuerbescheid 2015 vom 26.04.2016 erkannte der Beklagte diese Unterhaltszahlung nicht mit dem Höchstbetrag in Höhe von 8.472,00 Euro sondern lediglich mit einem geminderten Höchstbetrag in Höhe von 2.174,00 Euro als außergewöhnliche Belastung an, da er das Betreuungsgeld (1.800,00 Euro) und das anteilige Kindergeld für A und B (1.504,00 Euro) zu den Bezügen im Sinne des § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG der unterstützten Mutter rechnete.

    5

    Der dagegen am 03.05.2016 eingelegte Einspruch hatte nur teilweise Erfolg. Der Beklagte berechnete die abzugsfähige Unterstützungsleistung gemäß § 33a EStG in der Einspruchsentscheidung vom 03.08.2016 wie folgt:

    6
     
    Mutterschaftsgeld    2.274,36 Euro      
    anteiliges Kindergeld A    1.128,00 Euro      
    anteiliges Kindergeld B    376,00 Euro      
    Betreuungsgeld    1.800,00 Euro      
    Summe    5.578,36 Euro      
    abzüglich Unkostenpauschale    180,00 Euro      
    abzüglich freibleibender Betrag    624,00 Euro      
    Kürzungsbetrag    4.774,00 Euro      
    geminderter Höchstbetrag    3.698,00 Euro     

    7

    Mit der dagegen am 07.09.2016 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, dass sowohl das anteilige Kindergeld (1.504,00 Euro) für die beiden Kinder A und B sowie das Betreuungsgeld (1.800,00 Euro) nicht zu den Bezüge der unterstützten Person im Sinne des § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG gehöre.

    8

    Das anteilige Kindergeld für die Kinder A und B sei nicht für die eigene Verwendung der unterstützten Person bestimmt. Kindergeld werde im Rahmen des Familienlastenausgleichs gezahlt und diene der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums der beiden Kinder. Aufgrund dieser eindeutigen Zweckbestimmung des Kindergeldes könne es sich hierbei nicht um Bezüge der Kindesmutter handeln. Auch bei dem Betreuungsgeld handele es sich nicht um Bezüge der Mutter. Das Betreuungsgeld sei mit dem Bundeserziehungsgeld bzw. dem Landeserziehungsgeld vergleichbar. Auch diese Zahlungen rechneten nicht zu den Bezügen im Sinne des § 33a Abs. 1 EStG. Das Betreuungsgeld sei zwar nach dem Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit, Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), welches inzwischen durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) teilweise für verfassungswidrig erklärt worden sei, gezahlt worden. Es handele sich dabei jedoch nicht um eine Lohnersatzleistung wie bei dem Elterngeld nach dem BEEG. Es unterliege auch nicht dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b EStG. Auf das Arbeitslosengeld I sowie auf Leistungen nach dem Bafög werde das Betreuungsgeld nur angerechnet, wenn es 300,00 Euro pro Monat übersteige. Auch daran sei erkennbar, dass das Betreuungsgeld (zumindestens bis zu diesem Betrag) nicht dem Lebensunterhalt diene.

    9

    Der Kläger beantragt,

    10

    den Einkommensteuerbescheid 2015 vom 26.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.08.2016 abzuändern und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Unterhaltsaufwendungen gemäß § 33a Abs. 1 EStG in Höhe von 7.002,00 Euro neu festzusetzen.

    11

    Der Beklagte beantragt,

    12

    die Klage abzuweisen.

    13

    Das Kindergeld werde laut Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zur Steuerfreistellung des elterlichen Einkommens in Höhe des Existenzminimums eines Kindes gezahlt. Dabei seien grundsätzlich beide Elternteile zur Hälfte anspruchsberechtigt. Der Einwand des Klägers, das anteilige Kindergeld für die Kinder A und B sei nicht für die Verwendung der unterstützten Person, der Mutter, bestimmt, laufe daher ins Leere.

    14

    Zwar sei es zutreffend, dass das Betreuungsgeld auf das Arbeitslosengeld I und Bafög nur angerechnet werde, wenn es 300,00 Euro übersteige. Dieses setze aber bei der Höhe des Betreuungsgeldes von 100,00 Euro bis 2014 und 150,00 Euro ab 01.08.2014 voraus, dass für mindestens vier bzw. drei Kinder gleichzeitig Betreuungsgeld bezogen werde.

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    Hingegen werde der Rückschluss des Klägers, dass das Betreuungsgeld (bis zur Höhe von 300,00 Euro) nicht dem Lebensunterhalt diene, durch die Tatsache, dass das Betreuungsgeld in voller Höhe auf das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) angerechnet werde, widerlegt.

    16

    Bezüglich der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf die Einspruchsentscheidung vom 03.08.2016 Bezug genommen.

    17

    Entscheidungsgründe

    18

    Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung, §§ 79a Abs. 3, 4, 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

    19

    Die Klage ist teilweise begründet.

    20

    Das anteilige Kindergeld gehört im Gegensatz zum Betreuungsgeld nicht zu den Einkünften und Bezügen der Kindesmutter im Sinne des § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG.

    21

    Die Kindesmutter hat gegenüber dem Kläger Unterhaltsansprüche gemäß § 1615 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, worauf der Kläger unstreitig mindestens 8.472,00 Euro im Streitjahr aufgewendet hat.

    22

    I. Unter Bezügen im Sinne des § 33a Abs. 1 Satz 5 1. Halbsatz EStG sind alle Einnahmen in Geld und Geldeswert zu verstehen, also auch nicht steuerbare oder– z. B. in den §§ 3 und 3b EStG – für steuerfrei erklärte Einnahmen, die nicht bereits im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden. Trotz Streichung des in § 33 Abs. 1 Satz 4 EStG in der bis zum 01.09.2009 geltenden Fassung (a. F.) enthaltenen Verweises auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a. F. hält das Gericht es nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes für geboten, nur solche Einnahmen zu den Bezügen zu rechnen, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt und geeignet sind. Nur dadurch wird das subjektive Nettoprinzip vollständig umgesetzt (vgl. zum Streitstand Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 20.10.2016 – VI R 57/15, BStBl II 2017, 194, Rz. 12).

    23

    II. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze gehört das anteilige Kindergeld nicht zu den Bezügen der unterstützten Mutter.

    24

    Die Grundkonzeption für die steuerliche Berücksichtigung der dem Steuerpflichtigen durch seine Kinder entstehenden finanziellen Belastung ergibt sich aus § 31 Satz 1 EStG. Danach wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung entweder durch Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach Abschnitt X des EStG bewirkt. Soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie, § 31 Satz 2 EStG. Das Gesetzt unterscheidet dabei nicht danach, ob die Eltern des Kindes in einem gemeinsamen Haushalt leben. Familienbedingte Aufwendungen sind somit ab 1996 durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs abgegolten (vgl. BFH-Urteil vom 17.09.2015 – III R 36/14, BFH/NV 2016, 545, Rz. 19, 30, m. w. N.). Dementsprechend wird das Kindergeld im Sozialrecht als Einkommen des Kindes nach § 11 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) angesehen, wenn das Kind zur Bedarfsgemeinschaft gehört (vgl. auch Beschluss des BVerfG vom 11.03.2010 – 1 BvR 3163/09, NJW 2010, 1803; BFH-Urteil vom 11.11.1988 – IIIR 261/83, BStBl II 1989, 278 zum Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz).

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    III. Das Betreuungsgeld nach §§ 4a ff. BEEG gehört zu den Bezügen der Mutter, da es nicht für einen zweckgebundenen Sonderbedarf gezahlt wird.

    26

    Im Gegensatz zum Elterngeld im Sinne der §§ 1 ff. BEEG, welches nach der Art der gesetzliche Ausgestaltung als eine Art Einkommensersatz gezahlt wird (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2017, 194), wird das Betreuungsgeld für diejenigen Kinder gezahlt, die keine Leistungen nach § 24 Abs. 2 i. V. m. §§ 22 bis 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB) VIII in Anspruch nehmen, § 4a Abs. 1 Nr. 2 BEEG. Voraussetzung ist somit, dass das Kind seinen Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege nicht in Anspruch nimmt.

    27

    Zum Zweck der Einführung eines Betreuungsgeldes findet sich in der Begründung des Gesetzesentwurfs u. a. folgende Erwägungen (Bundestagsdrucksache 17/9917, Seite 7):

    28

    „Das Betreuungsgeld ist durch den Zweck der Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung von Eltern mit Kleinkindern und durch die Schaffung von größeren Gestaltungsfreiräumen für die familiäre Kinderbetreuung gekennzeichnet. Es verbessert die Wahlfreiheit von Vätern und Müttern und schließt die verbliebende Lücke im Angebot staatlicher Förder- und Betreuungsangebote für Kinder bis zum dritten Lebensjahr. …

    29

    Eltern treffen verantwortungsvolle Entscheidungen mit Blick auf die Betreuung ihrer Kinder. Mütter und Väter wählen die Betreuung, die für ihr Kind am besten ist. Auf die Frage nach dem richtigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebot gibt es keine einheitliche Antwort für jedes Kind. Ob externe oder familieninterne Betreuung, ob Tageseinrichtung, Kindertagespflege, Elterninitiative, Betreuung bei Vater oder Mutter, durch Großeltern oder Au-pair, ob Ganztagsangebot oder stundenweise Inanspruchnahme, alle diese Optionen sollen sich im Interesse von Vielfalt und Wahlfreiheit idealerweise ergänzen. Deshalb ist es die Aufgabe staatlicher Familienförderung, alle Formen der Kleinkindbetreuung zu unterstützen, Barrieren abzubauen und Übergänge zu ermöglichen. Für die öffentliche Förderung in Tageseinrichtungen sind im Kinderförderungsgesetz jährlich Bruttobetriebskosten von 12.000,00 Euro pro Platz in Ansatz gebracht worden; für einen Platz in der Kindertagespflege sind dies 9.450,00 Euro (Bundestagsdrucksache 16/9299, Seite 22). Diese Förderung erhalten alle Eltern unabhängig von ihrer finanziellen Situation, da die Beiträge der Eltern nicht kostendeckend sind. Die staatliche Förderung kann im Einzelfall bei einer Gebührenfreistellung bis zu 100 % betragen. Dementsprechend wird nicht jeder Betreuungsplatz mit einem erheblichen staatlichen Anteil gefördert. Dies belegt z. B. eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, das eine bundesweite Erhebung für das Kindergartenjahr 2009/2010 durchgeführt hat (Kindergarten-Monitor 2009/2010). So reichen die Beiträge für Familien mit mittlerem Einkommen für einen Betreuungsplatz von 0,00 Euro bis zu 1.752,00 Euro im Jahr. Angesichts von Kosten von 12.000,00 Euro in Tageseinrichtungen und 9.450,00 Euro in der Tagespflege ist selbst dieser Höchstbetrag weit davon entfernt, kostendeckend zu sein. Dies gilt selbst bei einem jährlichen Höchstbetrag von 2.520,00 Euro für Familien mit hohen Einkommen.

    30

    Diejenigen Eltern, die diese öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung nicht in Anspruch nehmen, erhalten demgegenüber bislang keine Förderung. Diese verbliebende Förderungslücke für Eltern, die keinen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, schließt der Bundesgesetzgeber mit der Einführung eines Betreuungsgeldes, die er bereits mit der Einführung des § 16 Abs. 5 SGB VIII im Jahr 2008 aufgezeichnet hat. …“

    31

    Im Gegensatz zum Kindergeld, welches die besondere Unterhaltsverpflichtung von Eltern ausgleicht und damit für den Unterhalt der Kinder bestimmt ist, wird das Betreuungsgeld nicht für einen Sonderbedarf der Eltern, sondern als Ausgleich einer nicht in Anspruch genommenen anderweitig zur Verfügung gestellten staatlichen Sachleistung gezahlt. Damit ist das Betreuungsgeld zur Sicherung des Unterhaltes der Mutter geeignet und bestimmt und gehört somit zu den Bezügen im Sinne des § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG.

    32

    IV. Die Kosten waren entsprechend des Obsiegens und Unterliegens aufzuteilen, § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung hinsichtlich der Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10; 711 ZPO.