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  • 04.01.2008 · IWW-Abrufnummer 080032

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 28.11.2007 – X R 12/07

    Auch nach Neufassung durch das JStG 1996 kann der Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG nur gewährt werden, wenn der Veräußerer das 55. Lebensjahr bereits im Zeitpunkt der Veräußerung des Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils vollendet hat.


    Gründe:

    I.

    Der am 26. Dezember 1945 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Kommanditist der N-GmbH & Co. KG. Die N-GmbH & Co. KG verkaufte mit Vertrag vom 8. Mai 2000 die ..., ihr einziges Schiff. Das Schiff wurde am 16. Juni 2000 an den Erwerber übergeben. Ausweislich der Mitteilungen für 2000 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen des Finanzamtes H vom 22. November 2002 und vom 9. September 2003 hatte der Kläger als Beteiligter der N-GmbH & Co. KG nach Anwendung des § 15a des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzende steuerpflichtige Veräußerungsgewinne und andere tarifbegünstigte Einkünfte gemäß §§ 16, 34 EStG in Höhe von 39 604 DM erzielt.

    Mit Bescheid vom 22. Juli 2005 legte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die um den Veräußerungsgewinn von 39 604 DM erhöhten Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Besteuerung des Klägers zugrunde. Mit seinem hiergegen gerichteten Einspruch vom 4. August 2005 beantragte der Kläger die Gewährung eines Freibetrags gemäß § 16 Abs. 4 EStG. Das FA wies den Einspruch zurück. Die Gewährung des Freibetrags gemäß § 16 Abs. 4 EStG scheide aus, da der Kläger im Zeitpunkt der Veräußerung das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.

    Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1020 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.

    Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er ist der Auffassung, die Vollendung des 55. Lebensjahres spätestens am Ende des Veranlagungszeitraums müsse als ausreichend angesehen werden, weil zum Ende des Veranlagungszeitraums die Steuer entstehe und sich aus dem Text des § 16 Abs. 4 EStG nichts anderes ergebe. Hätte der Gesetzgeber die frühere klar auf den Veräußerungszeitpunkt abstellende Regelung belassen wollen, hätte er die Formulierungen der früheren Regelung ohne Probleme übernehmen können.

    Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 22. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juni 2006 mit der Maßgabe zu ändern, dass der Veräußerungsgewinn in Höhe von 39 604 DM um den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG ermäßigt und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.

    Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

    II.

    Die Revision des Klägers ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG dem Kläger die Gewährung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG in der im Jahr 2000 geltenden Fassung versagt, weil der Kläger im Zeitpunkt der Veräußerung des Mitunternehmeranteils das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

    1. Gemäß § 16 Abs. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs oder des Anteils eines Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), erzielt werden. Ein "Härteausgleich für die punktuelle Besteuerung der --teilweise über einen längeren Zeitraum entstandenen-- stillen Reserven" (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) wird durch § 16 Abs. 4 EStG --neben § 34 EStG-- dadurch gewährt, dass der Veräußerungsgewinn auf Antrag zur Einkommensteuer nur herangezogen wird, soweit er 60 000 DM übersteigt, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. Der Freibetrag ist dem Steuerpflichtigen nur einmal zu gewähren; er ermäßigt sich um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn 300 000 DM übersteigt (§ 16 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG).

    2. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Veräußerungsfreibetrags müssen bereits im Zeitpunkt der Betriebsveräußerung vorliegen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. Dezember 2005 IV B 2 -S 2242- 18/05, BStBl I 2006, 7; Kobor in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 16 EStG Rz 508; Schmidt/Wacker, EStG, 26. Aufl., § 16 Rz 579; Blümich/ Stuhrmann, § 16 EStG Rz 460; Blümich/Lindberg, § 34 EStG Rz 90; Hörger/Rapp in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 16 Rz 247; Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 16 Rz 503; Schuhmann in Dankmeyer/Giloy, Einkommensteuer, § 16 Rz 428; Kauffmann in Frotscher, EStG, 6. Aufl., § 16 Rz 254; Gänger in Bordewin/Brandt, § 16 EStG Rz 253; G. Söffing in Lademann, EStG, § 16 EStG Rz 426; Horn in HHR, § 34 EStG Rz 77; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 34 Rz 74; Gérard in Lademann, a.a.O., § 34 EStG Rz 83; Wendt, Finanz-Rundschau --FR-- 2000, 1199, 1201; wohl auch Kanzler, FR 1995, 851, 852; a.A. Stahl in Korn, § 16 EStG Rz 415; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 34 Rz 61; Schiffers in Korn, § 34 EStG Rz 64; Hötzel in Schaumburg/Rödder, Unternehmenssteuerreform 2001, München 2000, 335).

    a) Dem Wortlaut des § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG in der im Streitjahr 2000 geltenden Fassung selbst ist dieses Ergebnis nicht eindeutig zu entnehmen. Die Vorschrift lautet: "Hat der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet oder ist er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig, so wird der Veräußerungsgewinn auf Antrag zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er 60 000 Deutsche Mark übersteigt." Die Wortlautinterpretation lässt sowohl den Schluss zu, das Merkmal "Vollendung des 55. Lebensjahres" auf den Veräußerungszeitpunkt als auch auf den Zeitpunkt der Heranziehung zur Steuer zu beziehen.

    b) Im Unterschied dazu stellte die Vorgängervorschrift des § 16 Abs. 4 EStG, die durch das Jahressteuergesetz 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) geändert wurde, eindeutig auf den Zeitpunkt der Veräußerung ab, indem die Formulierung des damaligen § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG folgendermaßen lautete: "An die Stelle der Beträge von 30 000 Deutsche Mark tritt jeweils der Betrag von 120 000 Deutsche Mark und an die Stelle der Beträge von 100 000 Deutsche Mark jeweils der Betrag von 300 000 Deutsche Mark, wenn der Steuerpflichtige nach Vollendung seines 55. Lebensjahres oder wegen dauernder Berufsunfähigkeit seinen Gewerbebetrieb veräußert oder aufgibt". Aus dem geänderten Wortlaut ist jedoch entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu schließen, dass der Gesetzgeber durch die neue Formulierung den zeitlichen Anknüpfungspunkt für das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen sowohl aufgrund des Alters als auch wegen einer Berufsunfähigkeit verändern wollte (so auch Kanzler, FR 1995, 851, 852).

    Dies ergibt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte des JStG 1996. Die Neuformulierung des § 16 Abs. 4 EStG wurde durch den Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren des JStG 1996 eingeführt. Der Gesetzesvorschlag wurde folgendermaßen begründet: "Die Freibeträge nach § 16 Abs. 4 Satz 1 und § 17 Abs. 3 bisheriger Fassung werden gestrichen. Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 Satz 3 bisheriger Gesetzesfassung wird (...) beibehalten" (Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines JStG 1996 - Drucksache 13/1173, BTDrucks 13/1686, S. 36). Aus dieser Erläuterung wird ersichtlich, dass eine Änderung der zeitlichen Anknüpfung an das Alter bzw. die Berufsunfähigkeit nicht beabsichtigt war. Ansonsten wäre es inkonsequent gewesen, auf einen Hinweis in der Begründung zu verzichten, da eine andere sachliche Änderung der Regelung des § 16 Abs. 4 EStG --der Verzicht auf die Quotelung bei dem Ansatz von Freibeträgen bei der Veräußerung nur eines Teilbetriebs bzw. nur eines Anteils an einem Betriebsvermögens-- ausdrücklich näher begründet wurde.

    c) Dass § 16 Abs. 4 EStG weiterhin die Vollendung des 55. Lebensjahres im Veräußerungszeitpunkt fordert, wird auch durch den Vergleich mit der Gewährung des Freibetrags aufgrund einer sozialversicherungsrechtlichen Berufsunfähigkeit bestätigt. Zu Recht weist das FG darauf hin, dass in der dem Gesetzeswortlaut nach parallel gestalteten Regelung zur Gewährung des Freibetrags wegen dauernder Berufsunfähigkeit des Veräußerers sprachlich kein zwingender Bezug zwischen dem Begriff der dauernden Berufsunfähigkeit und dem Zeitpunkt der Veräußerung bzw. alternativ dem Ende des Veranlagungszeitraums hergestellt wird. Gleichwohl ist aufgrund der kausalen Verknüpfung mit dem Merkmal der dauernden Berufsunfähigkeit offensichtlich, dass diese bereits im Zeitpunkt der Veräußerung vorgelegen haben muss.

    d) Vor allem aber hat der Gesetzgeber in der Veräußerung eines Gewerbebetriebs einen in sich geschlossenen, vom laufenden Gewinn zu trennenden, einheitlichen Vorgang gesehen und die Besteuerung des Veräußerungsgewinns besonderen Regelungen unterworfen (BFH-Beschluss in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns ist dabei der Veräußerungszeitpunkt von entscheidender Bedeutung.

    aa) Als Veräußerungszeitpunkt ist nicht der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts maßgebend, sondern der Übergang des (mindestens) wirtschaftlichen Eigentums an den wesentlichen Betriebsgrundlagen (BFH-Entscheidungen in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; vom 21. September 1995 IV R 1/95, BFHE 178, 444, BStBl II 1995, 893).

    bb) Der Veräußerungszeitpunkt bestimmt zunächst den Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns. Der Veräußerungszeitpunkt ist aber auch relevant für die Ermittlung der Höhe des Veräußerungsgewinns, da sowohl die Bewertung der Gegenleistung als auch die Ermittlung des Buchwerts des Betriebsvermögens auf diesen Zeitpunkt vorgenommen werden. Für die Beurteilung der Frage, ob als Veräußerungsobjekt i.S. des § 16 EStG ein Gewerbebetrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil vorliegt, ist ebenfalls der Veräußerungszeitpunkt der maßgebende Zeitpunkt (BFH-Urteil vom 3. Oktober 1984 I R 119/81, BFHE 142, 433, BStBl II 1985, 245). Auch ob die Summe von Wirtschaftsgütern einen Teilbetrieb darstellt, kann nur nach den tatsächlichen Verhältnissen in dem Zeitpunkt entschieden werden, in dem diese Wirtschaftsgüter veräußert werden (BFH-Urteil vom 16. Juli 1970 IV R 227/68, BFHE 99, 535, BStBl II 1970, 738). Für die steuerbegünstigte Veräußerung eines Betriebs oder Teilbetriebs wird ebenfalls vorausgesetzt, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem Veräußerungsvorgang, d.h. einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang, veräußert und dadurch die in dem veräußerten (Teil-)Betrieb gebildeten stillen Reserven von Bedeutung en bloc in einem einheitlichen Vorgang aufgelöst werden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 178, 444, BStBl II 1995, 893, und in BFHE 142, 433, BStBl II 1985, 245, jeweils m.w.N.).

    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass es sowohl für die Antwort auf die Frage, welcher Zeitpunkt für das Entstehen und für die Ermittlung der Höhe des Veräußerungsgewinns maßgeblich ist, als auch für die Beurteilung, ob der Veräußerungsgegenstand (Betrieb, Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil) und der Übertragungsakt selbst die sachlichen Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung gemäß § 16 EStG erfüllen, auf den Veräußerungszeitpunkt ankommt. Das Ende des Veranlagungszeitraums spielt demgegenüber keine Rolle. Für die Beurteilung, ob ein Veräußerer die besonderen persönlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 4 EStG erfüllt, also das 55. Lebensjahr vollendet hat, kann in gleicher Weise nur der Veräußerungszeitpunkt maßgebend sein.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 16 Abs. 4