08.05.2008 · IWW-Abrufnummer 081466
Bundesfinanzhof: Urteil vom 04.03.2008 – IX R 80/06
Verbürgt sich ein wesentlich an einer GmbH beteiligter Gesellschafter zugunsten eines Dritten, um zu ermöglichen, dass dieser mit der GmbH ein für sie günstiges Geschäft abschließt, so kann eine einem Darlehen wirtschaftlich vergleichbare Rechtshandlung (§ 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG) darin liegen, dass der Gesellschafter nach seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft einen Aufwendungsersatzanspruch gegen die GmbH nicht geltend macht und in der Liquidation endgültig mit ihm ausfällt.
Gründe:
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war zu 50 % an einer Wohnbau GmbH (GmbH) beteiligt, die im Laufe des Jahres 1993 in die Krise geriet. Die GmbH verkaufte im Jahr 1993 zwei Wohnungen an K. Der Kläger übernahm es, für die Erfüllung von dessen Verbindlichkeiten aus einem Darlehensverhältnis mit einer Bank (B) zu einem Teilbetrag von 129 000 DM als Bürge gegenüber B einzustehen, um im Interesse der GmbH ein für diese günstiges Geschäft (Verkauf schwer absetzbarer Wohnungen) zu ermöglichen.
Als K seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkam, nahm B den Kläger im Jahr 1996 in Anspruch. Zur Teilablösung des an K gegebenen Darlehens gewährte B dem Kläger ein Darlehen in Höhe von 129 000 DM, das er in der Folgezeit bediente. Über das Vermögen des K wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger machte seine Forderung aus der Bürgschaft geltend, die vom Insolvenzgericht im Jahr 2003 in voller Höhe festgestellt wurde.
Die GmbH wurde im Jahr 1998 aufgelöst und der Kläger zum Liquidator bestellt. Die Liquidation war im Streitjahr (2000) beendet. Es kam nicht zur Auskehrung von Vermögen an die Gesellschafter.
Im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr machte der Kläger einen Verlust nach § 17 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) aus der GmbH-Beteiligung geltend und bezog darin seine Aufwendungen aus der "Bürgschaftsinanspruchnahme" ein. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte lediglich den Verlust des Stammkapitals an.
Seine Klage hatte im hier streitigen Umfang Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 678, veröffentlichten Urteil aus, die Aufwendungen des Klägers aus der persönlichen Haftung für das dem K gewährte Darlehen seien als nachträgliche Anschaffungskosten zu beurteilen. Der Kläger habe im Interesse der GmbH die Bürgschaft übernommen, um den Verkauf von Wohnungen zu ermöglichen. Seine Inanspruchnahme sei durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen. Insoweit handele es sich um einen abgekürzten Vertragsweg: Statt Sicherheiten der GmbH abzutreten, damit diese gegenüber B als absatzfördernde Maßnahme f ür den Kauf Sicherheiten habe bestellen können, sei die Sicherheit direkt durch den Kläger bestellt worden.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA: Nachträgliche Anschaffungskosten in Gestalt verdeckter Einlagen kämen nicht in Betracht, da die Bürgschaft gegenüber einem fremden Dritten übernommen worden sei. Ein abgekürzter Vertragsweg liege darin nicht.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage in vollem Umfang als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat im Ergebnis zutreffend die Zahlungen des Klägers im Zusammenhang mit der Bürgschaftsinanspruchnahme als nachträgliche Anschaffungskosten bei der Ermittlung des Auflösungsverlusts i.S. des § 17 Abs. 1, 2 und 4 EStG berücksichtigt.
Nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb unter weiteren, hier nicht problematischen Voraussetzungen, auch der Gewinn aus der Auflösung von Kapitalgesellschaften. Entsprechendes gilt für Verluste (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Bundesfinanzhof --BFH-- Urteil vom 26. Januar 1999 VIII R 50/98, BFHE 188, 295, BStBl II 1999, 559, unter II. 2. a, m.w.N.).
a) Auflösungsverlust i.S. von § 17 Abs. 2 und 4 EStG ist der Betrag, um den die im Zusammenhang mit der Auflösung der Gesellschaft vom Steuerpflichtigen persönlich getragenen Aufwendungen (entsprechend den Veräußerungskosten nach § 17 Abs. 2 EStG) sowie seine Anschaffungskosten den gemeinen Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft übersteigen.
Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 16. April 1991 VIII R 100/87, BFHE 165, 31, BStBl II 1992, 234; zu Einlagen und Nachschüssen, vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 2000 VIII R 62/93, BFHE 194, 130, BStBl II 2001, 234; siehe zum Begriff der nachträglichen Anschaffungskosten auch Döllerer, Finanz-Rundschau 1992, 233, 234). Dazu rechnen Finanzierungshilfen, z.B. durch Übernahme einer Bürgschaft oder durch andere Rechtshandlungen i.S. des § 32a Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), wenn sie eigenkapitalersetzenden Charakter haben (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 9/98, BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817; zu § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG: BFH-Urteil vom 12. Dezember 2000 VIII R 52/93, BFHE 194, 120, BStBl II 2001, 286). Maßgebend dafür ist, ob ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt oder eine dem Darlehen wirtschaftlich entsprechend andere Rechtshandlung ausführt (§ 32a Abs. 1 und 3 GmbHG; BFH-Urteil in BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817).
b) Nach diesen Grundsätzen führen die Aufwendungen des Klägers im Zusammenhang mit seiner Inanspruchnahme als Bürge zu nachträglichen Anschaffungskosten. Er hat dadurch der GmbH Mittel zugeführt.
aa) Der Kläger hatte sich gegenüber der B zwar nicht zugunsten der GmbH, sondern des K für dessen Darlehensverbindlichkeit verbürgt. Die Finanzierungshilfe kam also zunächst nur K zugute. Mit der Inanspruchnahme durch B und dem anschließenden Darlehensvertrag verwirklichte sich ein Risiko, das der Kläger gegenüber K eingegangen ist. Auf diese Bürgschaftsverpflichtung zugunsten eines Dritten (hier: K) konnte ein im Verhältnis zur GmbH begründeter Veranlassungszusammenhang auch nicht übertragen werden; denn der Kläger ist sie nicht eingegangen, um dadurch der Inanspruchnahme aus einer ursprünglichen kapitalersetzenden Bürgschaft zu vermeiden (vgl. dazu BFH-Urteil vom 23. Mai 2000 VIII R 3/99, BFH/NV 2001, 23). Aus diesem Grund kommen auch die Rechtsgrundsätze zum abgekürzten Zahlungs- oder Vertragsweg entgegen der Vorentscheidung nicht zum Zuge. Denn sie beantworten die --hier nicht problematische-- Frage, ob Kosten, die ein Dritter im Interesse des Steuerpflichtigen leistet, dem Steuerpflichtigen als eigener Aufwand zurechenbar sind (vgl. allgemein BFH-Urteile vom 15. Januar 2008 IX R 45/07 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt), BFH/NV 2008, 664; vom 15. November 2005 IX R 25/03, BFHE 211, 318, BStBl II 2006, 623, und - zu § 17 EStG BFH-Urteil in BFHE 194, 120, BStBl II 2001, 286).
bb) Indes ist dem FG darin beizupflichten, dass der Kläger die Bürgschaft gegenüber B zwar zugunsten des K übernommen, dabei aber nach dem festgestellten und damit den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Sachverhalt im alleinigen Interesse der GmbH gehandelt hat, um den Verkauf von nur schwer absetzbaren Wohnungen zu fördern.
Aus diesem Sachverhalt ergibt sich eine dem eigenkapitalersetzenden Darlehen nach § 32a Abs. 1 GmbHG ähnliche Kreditierung, die gemäß § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG wie eine Mittelzuführung (verdeckte Einlage) zu behandeln ist (vgl. dazu eingehend Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., §§ 32a, 32b Rz 121 ff.).
Der Kläger erlangte mit der Bürgschaftsübernahme im Interesse der GmbH einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen, der sich --mangels einer vorrangigen Vorschrift-- jedenfalls aus § 683 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt. Der Kläger handelte --in eigener Person-- im Interesse wie auch im wirklichen Willen der GmbH, deren Geschäftsführer er war (vgl. zu den Voraussetzungen einer Fremdgeschäftsführung durch den GmbH-Geschäftsführer auch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 1989 II ZR 334/87, Der Betrieb 1989, 1762). Dieser Aufwendungsersatzanspruch war zunächst nach § 257 BGB auf Freistellung gerichtet und konkretisierte sich mit der Inanspruchnahme des Klägers aus der Bürgschaft im Jahre 1996. Doch statt nun die GmbH auf Ersatz in Anspruch zu nehmen, machte er seine Forderung (zunächst) nicht geltend. Dies führt zu einer verdeckten Einlage (vgl. BFH-Beschluss vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307 zu einem Verzicht) und im Rahmen des § 17 EStG zu mit dem Nennwert zu bewertenden nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung (vgl. zur Bewertung mit dem Nennwert BFH-Urteil in BFHE 165, 31, BStBl II 1992, 234). Denn der Kläger nahm die einem Darlehen ähnliche Kreditierung ab dem Jahr 1996 vor, also zu einer Zeit, in der sich die GmbH nach den Feststellungen des FG bereits in der Krise befand.
cc) Der Kläger konnte seinen Anspruch gegen die GmbH nicht realisieren. Zwar hatte er noch einen Rückgriffsanspruch aus der Bürgschaft gegen K nach § 774 Abs. 1 BGB, dessen (teilweise) Erfüllung mit der verfahrensrechtlichen Folge des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung rückwirkend auf die nachträglichen Anschaffungskosten einwirken würde. Indes ist der Kläger auch mit diesem Anspruch ausgefallen.