17.05.2006 · IWW-Abrufnummer 061341
Bundesfinanzhof: Urteil vom 21.02.2006 – IX R 79/01
Bei der Abgrenzung, ob Umzugskosten eines verheirateten Arbeitnehmers Aufwendungen für die Lebensführung oder deshalb nahezu ausschließlich beruflich veranlasst sind, weil sich die Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte regelmäßig arbeitstäglich um insgesamt mindestens eine Stunde verkürzen, sind die Fahrzeitveränderungen der Ehegatten nicht zu saldieren.
IX R 79/01
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über den Abzug von Umzugskosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger ist als Angestellter in A, die Klägerin als Lehrerin in B nichtselbständig tätig. Im April des Streitjahres (1997) zogen die Kläger von ihrer gemieteten Wohnung in A in ein Einfamilienhaus nach B, das nahe bei der Schule liegt, in der die Klägerin tätig ist. Die Klägerin hatte dieses Haus im Jahr 1992 erworben und bis zum Umzug vermietet. Sie musste vor dem Umzug eine Entfernung von 35 km zurücklegen, um von A nach B zu gelangen, während der Kläger statt bisher lediglich 4 km nun 33 km fahren muss, um seine Arbeitsstelle in A zu erreichen.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit Umzugskosten in Höhe von 4 191 DM als Werbungskosten geltend (Kosten für Spedition: 1 955,58 DM, Kosten für eigene Fahrten: 327,60 DM und Pauschale für sonstige Umzugskosten von 1 907 DM). Zunächst berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) diese Kosten in einem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 30. November 1998. Der Sachgebietsleiter verfügte aufgrund eines Prüfhinweises am 24. November 1998 die Stornierung des Bescheides, der aber trotzdem abgesandt wurde. Am 10. Dezember 1998 erließ das FA einen Einkommensteuerbescheid, in dem es den Abzug der Umzugskosten versagte.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, der Bescheid vom 30. November 1998 sei nach Aufgabe des Bekanntgabewillens durch die Stornierung nicht wirksam geworden. Die Klägerin könne die Umzugsaufwendungen nicht als Werbungskosten geltend machen. Zwar habe sich ihre Fahrzeit pro Tag um mindestens eine Stunde verkürzt. Diesen Vorteilen seien aber die Verschlechterungen gegenüberzustellen, die sich bei dem Kläger durch die Verlängerung seiner Wegstrecke zur Arbeit um 29 km ergeben hätten. In die Gesamtwürdigung, ob der Umzug privat oder beruflich veranlasst worden sei, müssten die Vor- und Nachteile der anderen Familienmitglieder einbezogen werden, da nicht der einzelne Arbeitnehmer-Ehegatte, sondern die gesamte Familie umziehe. Überdies sei auch zu berücksichtigen, dass ein Einfamilienhaus bezogen worden sei, das sich seit dem Jahr 1992 im Eigentum der Klägerin befunden habe. Da die Aufwendungen schon dem Grunde nach nicht anzuerkennen seien, könne es das FG offen lassen, ob der Kostenansatz der Höhe nach zutreffe.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger. Es bestünden Zweifel, ob sich aus der Einkommensteuerakte eine vor der Absendung des Bescheides vom 30. November 1998 erfolgte Stornierung ergebe. Die Umzugskosten seien schon wegen der Fahrzeitverkürzung von mehr als einer Stunde als Werbungskosten abziehbar. Private Motive träten dahinter zurück.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat unzutreffend die von der Klägerin geltend gemachten Umzugsaufwendungen nicht als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen, abziehbar bei der Einkunftsart, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 EStG).
a) Umzugskosten sind als Werbungskosten abziehbar, wenn der Umzug nahezu ausschließlich beruflich veranlasst ist, private Gründe (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG), also eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Oktober 1992 VI R 132/88, BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610; vom 28. April 1988 IV R 42/86, BFHE 153, 357, BStBl II 1988, 777). So verhält es sich z.B., wenn der Umzug den erforderlichen Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich, d.h. um mindestens eine Stunde täglich vermindert (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 23. März 2001 VI R 175/99, BFHE 195, 225, BStBl II 2001, 585).
b) Entgegen der Auffassung des FG sind bei beiderseits berufstätigen zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten die sich jeweils ergebenden Fahrzeitveränderungen nicht zusammenzurechnen. Sie sind also weder zu addieren (BFH-Urteil vom 27. Juli 1995 VI R 17/95, BFHE 178, 345, BStBl II 1995, 728; a.A. von Bornhaupt, Betriebs-Berater --BB-- 1995, 2042) noch --wie hier-- zu saldieren (gleicher Ansicht Schmidt/Drenseck, EStG, 24. Aufl., § 19 Rz. 60, Stichwort Umzugskosten; MIT, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2001, 1023; a.A. Fröschl, Anmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2001, 966, 967; Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz. 600, Stichwort Umzugskosten; kritisch auch Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Anm. 312).
aa) Nach § 26 Abs. 1, § 26b EStG folgt das Gesetz im Bereich des Erzielens steuerbarer Einkünfte dem Prinzip der Individualbesteuerung. Jeder Ehegatte für sich erzielt Einkünfte, wenn er in seiner Person den Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht. Erst im Anschluss an die für jeden Ehegatten gesondert vorzunehmende Ermittlung der Einkünfte werden die von den Ehegatten erzielten Einkünfte bei der Zusammenveranlagung gemäß § 26b EStG zunächst zusammengerechnet und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet. "Sodann", und das heißt: nach Zusammenrechnen und gemeinsamem Zurechnen werden die Ehegatten gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt (vgl. BFH-Beschluss vom 23. August 1999 GrS 2/97, BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782, zu C. IV. 1. b; BFH-Urteil vom 16. April 2002 IX R 40/00, BFHE 198, 66, BStBl II 2002, 501). Zuvor sind nach dem Grundsatz der persönlichen Leistungsfähigkeit nur solche Aufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen, welche die persönliche Leistungsfähigkeit des einzelnen Ehegatten mindern (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1999 IX R 45/95, BFHE 191, 24, BStBl II 2000, 310, unter 1. b, m.w.N.).
bb) Allerdings können auch bei getrennter Einkünfteermittlung die die Person eines Ehegatten betreffenden Ereignisse für das Dienstverhältnis des anderen Ehegatten als privat veranlasst anzusehen sein (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1987 VI R 149/84, BFHE 151, 78, BStBl II 1987, 852). Das führt aber nicht zu einer Saldierung der Fahrzeitveränderungen durch Verrechnen der Fahrzeitverkürzung des einen mit der Fahrzeitverlängerung des anderen Ehegatten, wie sie die Vorinstanz hier vorgenommen hat. Denn die Verlängerung der Wegstrecke zur Arbeit in der Person des anderen Ehegatten --hier des Klägers-- ist allein bedingt durch dessen Mitumzug als Folge der gemeinsamen Lebensführung der Ehegatten. Zwar ist der Wille zur gemeinsamen Lebensführung in der Ehe ein privater Veranlassungsgrund. Diesen Willen kann das Einkommensteuerrecht indes nicht ohne Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) bei der Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von "Doppelverdienern" unberücksichtigt lassen (so Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschluss vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98 und 1735/00, BStBl II 2003, 534, unter C. II. 3. b aa zu Aufwendungen im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung). Das aus Art. 6 Abs. 1 GG herzuleitende Verbot, die Vereinbarkeit von Ehe und Berufsausübung beider Ehegatten zu erschweren, führt vielmehr dazu, Aufwendungen zur Gewährleistung der Berufstätigkeit nicht allein deshalb als beliebig disponibel zu betrachten, weil sie privat (mit-)veranlasst sind (ähnlich bereits BFH-Urteil in BFHE 151, 78, BStBl II 1987, 852, unter 2.).
cc) Im Übrigen hat der BFH bereits im Urteil vom 6. November 1986 VI R 106/85 (BFHE 148, 164, BStBl II 1987, 81) entschieden, dass Umzugskosten auch dann als Werbungskosten anerkannt werden können, wenn der Umzug in ein zuvor erworbenes Eigenheim erfolgt. Nach Ansicht des Senats liegen keine zusätzlichen hinreichenden Gründe dafür vor, den Streitfall anders zu entscheiden.
2. Nach diesen Maßstäben ist das Urteil der Vorinstanz aufzuheben. Denn das FG hat entgegen den unter 1. dargestellten Grundsätzen zur Prüfung der Fahrzeitverkürzung umzugsbedingte Fahrzeitveränderungen beider Kläger zusammengerechnet und ferner den Umstand des Umzugs in ein zuvor erworbenes Einfamilienhaus als privates Motiv herangezogen.
a) Die Sache ist spruchreif. Die Aufwendungen für den Umzug sind als Werbungskosten der Klägerin abzusetzen. Gegen die Höhe dieser Aufwendungen bestehen keine Bedenken. Das FA hatte sie bereits im Veranlagungsverfahren geprüft und insoweit nicht beanstandet. Sie entsprechen --worauf die Revision zutreffend hinweist-- den Verwaltungsanweisungen in Abschn. 41 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1996. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz entfällt der Ansatz der Pauschale nach § 10 des Bundesumzugskostengesetzes (BUKG) vom 11. Dezember 1990 (BGBl I, 2682) nicht, weil die Klägerin daneben Kosten nachgewiesen hat. Denn die Pauschvergütung betrifft lediglich die sonstigen Umzugsauslagen, nicht aber die von der Klägerin nach Aktenlage ferner geltend gemachten Speditions- und Fahrtkosten (vgl. § 5 Abs. 1 BUKG). Es besteht für den Senat kein Anlass, daran zu zweifeln, dass entgegen den Angaben in der Einkommensteuererklärung nicht die Klägerin die Aufwendungen getragen hat. Aber selbst dann, wenn sie --auch zum Teil-- vom Kläger aufgebracht worden wären, wäre das kein Grund, ihre Abziehbarkeit in der Person der Klägerin in Frage zu stellen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15. November 2005 IX R 25/03, BFH/NV 2006, 418, m.w.N.).
b) Der Senat kann sich nicht darauf beschränken, den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr aufzuheben. Denn der zuvor erlassene Einkommensteuerbescheid vom 30. November 1998 ist nach den Feststellungen des FG den Klägern lediglich irrtümlich ohne Bekanntgabewillen zugeleitet worden. Insofern folgt der Senat der Vorinstanz, die zutreffend davon ausgegangen ist, dieser Bescheid sei nicht wirksam bekannt gegeben worden. Wie in diesem Bescheid verfügt, ist die Einkommensteuer des Streitjahres unter Berücksichtigung der Umzugskosten als weitere Werbungskosten in Höhe von 4 191 DM auf 24 432,59 ¤ (47 786 DM) festzusetzen.