07.07.2010 · IWW-Abrufnummer 101695
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 19.02.2009 – 11 K 384/07
1. Bei der Abgabe von Mahlzeiten (Frühstück und Mittagessen) an ArbN handelt es sich grundsätzlich auch um Vorteile, die für eine Beschäftigung gewährt werden.
2. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegt vor, wenn die Mahlzeiten während der Arbeit überwiegend betriebsfunktionalen Zielsetzungen dienen.
3. Erhält ein in einem Kindergarten tätiger ArbN, der in der Gruppenbetreuung eingesetzt ist, unentgeltliche Mahlzeiten und wird die Mahlzeit gemeinsam mit den Kindern eingenommen zwecks Überwachung der Kinder und aus pädagogischen Gründen, ist der Ausnahmefall der „betriebsfunktionalen Zwecke” zu bejahen.
Niedersächsisches Finanzgericht v. 19.02.2009
11 K 384/07
Tatbestand
Streitig ist, ob Mahlzeiten in dem Kindergarten des Klägers als Sachbezüge der Arbeitnehmer anzusetzen sind.
Der Kläger unterhält einen Kindergarten. Im Kindergarten sind 13 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber gewährte seinen Arbeitnehmern, die in der Gruppenbetreuung eingesetzt sind, unentgeltliche Mahlzeiten (Frühstück und Mittagessen), welche im Hause zubereitet wurde. Die Mahlzeiten nehmen die Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Betreuung gemeinschaftlich mit den Kindern ein.
Der Beklagte führte für den Prüfungszeitraum 1. Februar 2004 bis zum 31. Mai 2006 eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Der Außenprüfer sah in der unentgeltlichen Gewährung von arbeitstäglichen Mahlzeiten einen Sachbezug, der mit dem anteiligen Sachbezugswert nach der Sachbezugsverordnung (BStBl. I 1999, 1629) zu bewerten sei (R 31 Abs. 7 LStR 2005; jetzt R 8.1 Abs. 7 LStR 2009 ). Nach § 1 Abs. 3 SachBezV gelten für die Streitjahre folgende Werte der freien Verpflegung:
2004 2005 2006
je Frühstück 1,44 € 1,46 € 1, 47 €
je Mittagessen 2,58 € 2,61 € 2,64 €
Bei Anwendung dieser Werte und bezogen auf 6 Arbeitnehmer und 20 Arbeitstagen pro Monat errechnete der Außenprüfer folgende steuerpflichtige Sachbezüge:
2004 2005 2006
Frühstück 11 Monate X 20 Tage X 1,44 € X 6 Personen = 1.900,80 € 11 Monate X 20 Tage X 1,46 € X 6 Personen = 1.927,20 € 5 Monate X 20 Tage X 1,47 € X 6 Personen = 882,00 €
Mittagessen 11 Monate X 20 Tage X 2,58 € X 6 Personen = 3.405,60 € 11 Monate X 20 Tage X 2,61 € X 6 Personen = 3.445,20 € 5 Monate X 20 Tage X 2,64 € X 6 Personen = 1.584,00 €
Summe 5.306,40 € 5.372,40 € 2.466,00 €
Nach dem Prüfungsbericht vom 23. Juni 2006 hat der Kläger einen nicht dokumentierten Antrag auf Nachversteuerung nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.m. R 126 LStR 2001 mit einem Pauschalsteuersatz von 25 % der Bemessungsgrundlage gestellt. Die daraus sich ergebende Nachversteuerung in Höhe von 3.286,20 EUR Lohnsteuer, 143,92 € Kirchensteuer ev., 53,22 € Kirchensteuer rk. und 180,73 € Solidaritätszuschlag wurde mit Nachforderungsbescheid vom 20. November 2006 geltend gemacht.
Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, der mit Einspruchsbescheid vom 31. Juli 2007 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Daraufhin erhob der Kläger Klage.
Der Kläger trägt vor, die Teilnahme der pädagogischen Mitarbeiter an den Mahlzeiten der Kinder sei ausschließlich im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers geschehen. Damit liege kein steuerpflichtiger Sachbezug vor. Nach § 5 des Arbeitsvertrages i.V.m. § 6 Nr. 3 der Satzung und den inhaltlichen Aussagen zur Pädagogik des Kindergartens, die sich aus verschiedenen Unterlagen ergeben, stehe fest, dass ein eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Teilnahme der pädagogischen Mitarbeiter an den Mahlzeiten bestehe. Da die pädagogischen Mitarbeiter in Gruppen mit zehn bis fünfzehn Kindern das Mittagessen einnehmen würden und dabei auf die Kinder in mehrerlei Hinsicht achten müssten, sei dies kein leichtes Unterfangen.
Die Lebensmittel für das Frühstück und Mittagessen würden aus dem Essensgeld, das neben dem Kindergartenbeitrag zu leisten sei, eingekauft. Das Frühstück würden die Arbeitnehmer selbst zubereiten. Hierfür stünde eine Köchin zur Verfügung.
Die pädagogischen Mitarbeiter würden während der Mahlzeiten kaum dazu kommen, selbst zu essen, weil sie mehr mit der Aufsicht und Anleitung der Kinder beschäftigt seien. Die Mahlzeiten der Mitarbeiter hätten mehr einen pädagogischen Sinn als das sie der Nahrungsaufnahme dienen würden. Es sähe auch etwas komisch aus, wenn sie vor leeren Tellern säßen und die Kinder dann ihr Essen einnehmen würden. Das wäre nicht im Sinne der Pädagogik. Deshalb würden die Mitarbeiter auch etwas auf den Teller bekommen.
In den Stellenbeschreibungen der pädagogischen Mitarbeiter ist es ausdrücklich beschrieben, dass die Mitarbeiterinnen mit den Kindern gemeinsam diese beiden Mahlzeiten einzunehmen haben. Die Reste würden die Kinder mitbekommen. Die Arbeitnehmer bringen überdies eigene Pausenbrote mit. Die Mengen der gestellten Mahlzeiten würden nicht ausreichen, um Erwachsene entsprechend zu ernähren.
Der Kläger beantragt,
den Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid vom 20. November 2006 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 31. Juli 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vor, dass bereits 2001 aufgrund einer Erörterung auf Bund-Länder-Ebene festgestellt worden sei, dass die kostenlose Abgabe von Mahlzeiten an die pädagogischen Mitarbeiter keine Abgabe im ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers sei. Das tägliche Essen sei den menschlichen Grundbedürfnissen zuzurechnen. Der Arbeitnehmer könne die gestellten Mahlzeiten ablehnen, außerdem bestehe durch die kostenlosen Mahlzeiten eine Haushaltsersparnis für die Arbeitnehmer.
Der Prozessbevollmächtigte beantragte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eine pauschalierte Besteuerung nach § 40 Abs. 2 EStG durchzuführen.
Gründe
I. Die Klage ist begründet.
Der Nachforderungsbescheid vom 20. November 2006 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 31. Juli 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Gewährung von Mahlzeiten an die Arbeitnehmer des Kindergartens stellt keinen geldwerten Vorteil dar, der lohnsteuerpflichtig ist.
1. Der Nachforderungsbescheid ist allerdings nicht deshalb aufzuheben, weil entgegen dem Inhalt des Prüfungsberichtes der Kläger keinen Antrag auf pauschalierte Besteuerung nach § 40 Abs. 2 Satz 1 EStG gestellt hatte. Zwar hat er einen solchen Antrag nach eigener Aussage weder gestellt, noch ergibt er sich aus den Streitfall betreffenden Akten; jedoch hat der Kläger das Begehren, eine pauschalierte Besteuerung nach § 40 Abs. 2 EStG durchzuführen, in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht. Er hat damit rechtzeitig die Grundlage für eine pauschalierte Besteuerung nach § 40 Abs. 2 EStG geschaffen. Bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht kann der Arbeitgeber erklären, Schuldner einer Besteuerung nach § 40 Abs. 2 EStG zu sein (BFH-Urt. v. 16. März 1990 VI R 88/86, BFH/NV 1990, 639 u. Urt. v. 25. Mai 1984 VI R 223/80, BStBl. II 1984, 569 zum Haftungsbescheid bei Lohnsteuerpauschalierung).
2. Die Voraussetzungen für eine Lohnsversteuerung der kostenlosen Abgabe von Mahlzeiten an die Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber liegen nicht vor.
a) Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 EStG Gehälter, Löhne und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Vorteile werden für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind. Dies ist nicht anzunehmen, wenn die den Vorteil bewirkenden Aufwendungen ganz überwiegend im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers getätigt werden. Maßgebend für die Abgrenzung ist der mit der Zuwendung verfolgte Zweck.
Bei der Abgabe von Mahlzeiten (Frühstück und Mittagessen) an die Arbeitnehmer handelt es sich grundsätzlich auch um Vorteile, die für eine Beschäftigung gewährt werden. So hat der BFH z.B. entschieden, dass die Gewährung von Verpflegungsleistungen an Haus-, Hotel- oder Krankenhausangestellte steuerpflichtiger Arbeitslohn sei (BFH- Urt. v. 28. Februar 1975 VI R 28/73, BStBl. II 1976, 134).
Die Rechtsprechung lässt jedoch dann Ausnahmen zu, wenn die Mahlzeiten während der Arbeit überwiegend betriebsfunktionalen Zielsetzungen dienen. Dies nimmt der BFH z.B. an, wenn der Betreuer in einem Ferienlager die jugendlichen Teilnehmer während des gemeinsamen Essens überwachen (BFH-Urt. v. 28. Februar 1975 VI R 28/73, BStBl. II 1976, 134). Gleiches gilt, wenn Mahlzeiten im Rahmen herkömmlicher Betriebsveranstaltungen für ein sog. Arbeitsessen kostenlos gewährt werden (BFH-Urt. v. 4. August 1994 VI R 61/92, BStBl. II 1995, 60; R 8.1 Abs. 8 LStR 2009 ). Ebenso ist von einem überwiegend eigenbetrieblichen Interesse auszugehen, wenn Arbeitnehmer an einer geschäftlich veranlassten Bewirtung teilnehmen (zu Dienstbesprechungen oder Fortbildungen s. BFH-Urt. v. 5. Mai 1994 VI R 55-56/92, BStBl. II 1994, 771; vgl. auch R 8.1 Abs. 8 LStR 2009 ; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG (Loseblatt), § 19 Rz. 186 Spiegelstrich Bewirtungsaufwendungen).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im Streitfall von einem überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Klägers auszugehen. Wie im vom BFH entschiedenen Fall zu den Betreuern in einem Ferienlager (BFH a.a.O.) erfolgt auch im Streitfall aus Gründen der Überwachung der Kinder und aus anderen pädagogischen Gründen eine gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten durch die Kinder und den Mitarbeitern. Dies ergibt sich auch aus den Arbeitsverträgen mit den Mitarbeitern. Nach der Stellenbeschreibung für die Gruppenleitung und für die sog. Zweitkraft im Kindergarten des Klägers gehört zu den pädagogischen Aufgaben dieser Arbeitnehmer auch die gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten mit den Kindern. Ebenso ergibt sich aus den Werbeprospekten des Klägers die pädagogische Bedeutung des gemeinsamen Essens. So heißt es dort u.a. : „Auch die Tischsitten müssen über Vorbild und Nachahmung, über die Art, wie mit Speisen, den Gedecken umgegangen wird, über die innere und äußere Geste des Erziehers langsam in die Gewohnheiten der Kinder übergehen…”. In einem anderen Prospekt wird dieser pädagogische Aspekt des Nachahmens ebenso betont: „Nachahmen. Kinder lernen in diesem Lebensabschnitt vor allem, indem sie nachahmen. Wen? Am besten Mutter und Vater. Für den Kindergarten hat dies Folgen: Bei uns geht es häuslich zu. Da wird Frühstück bereitet, der Tisch gedeckt und gemeinsam gegessen…”.
Demgegenüber tritt das private Interesse der Arbeitnehmer an der Einnahme von Mahlzeiten in den Hintergrund. Sie können nicht frei wählen, ob sie an dem gemeinsamen Mittagessen teilnehmen. Damit kann sich der betroffene Arbeitnehmer des Klägers nicht den gemeinsamen Mahlzeiten entziehen. Es liegt daher – wenn überhaupt – eine aufgedrängte Bereicherung vor, die nicht zu einem geldwerten Vorteil beim Arbeitnehmer und in der Folge davon zu lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn führt (vgl. Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer (Loseblatt), Stichwort Mahlzeiten Rz. 6). Hierfür spricht auch, dass nach dem Vortrag der Geschäftsführerin des Klägers in der mündlichen Verhandlung, die betroffenen Arbeitnehmer in der Regel zusätzlich für die Mittagsmahlzeit ein „Pausenbrot” mitbringen. Das Mittagessen, das sie mit den Kindern einnehmen, sei keine vollwertige Mahlzeit für Erwachsene. Es handele sich – wie die Geschäftsführerin in der mündlichen Verhandlung ausführt – um ein sog. „pädagogisches Häppchen”, das von der Menge her für die Ernährung eines Erwachsenen nicht ausreiche. Es würden auch keine Reste verbleiben. Die Mengen seien genau auf die Anzahl der Kinder (ohne Mitarbeiter) abgestimmt. Für den Fall, dass Essensreste verblieben, weil die Kinder die Mahlzeit nicht eingenommen haben, würden diese den Kindern mitgegeben werden. An dieser Schilderung der Essensausgaben durch die Geschäftsführerin hat der Senat keine Zweifel. Auch der Beklagte hat insoweit diese Aussagen nicht in Frage gestellt.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.