02.08.2013
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 24.04.2013 – 4 K 422/12
- Die Vorlagepflicht von mit einem
Datenverarbeitungssystem erstellten Aufzeichnungen nach § 147 Abs. 6 AO bezieht
sich nur auf Aufzeichnungen, für die eine gesetzliche Aufbewahrungspflicht
besteht.
- Die Grundsätze ordnungsgemäßer
Buchführung verlangen auch bei computergesteuerten Kassensystemen keine
Einzelaufzeichnung der Bargeschäfte, wenn der Unternehmer gegen Barzahlung
Waren von geringem Wert an eine unbestimmte Vielzahl von Kunden im offenen
Ladengeschäft verkauft.
- Eine Pflicht zur Vorlage von
überobligatorisch mit einem Datenverarbeitungssystem freiwillig geführter
Kasseneinzelaufzeichnungen der Barverkäufe besteht nicht, wenn ordnungsgemäße
Tagesendsummenbons vorgelegt werden.
- Ein Apotheker, der freiwillig
eine von seiner PC-Kasse erstellte Datei mit Einzelaufzeichnungen über
Barverkäufe führt, ist nicht verpflichtet dem Finanzamt diese Datei im Rahmen
einer Betriebsprüfung vorzulegen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den
Umfang der Verpflichtung der Klägerin zur Gewährung des Datenzugriffs im Rahmen
einer laufenden Betriebsprüfung. Die Klägerin betreibt eine Apotheke. Mit
dieser erzielt sie nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 lit. b AO vom Beklagten (dem
Finanzamt, im Folgenden: ,FA') gesondert festzustellende Einkünfte aus
Gewerbebetrieb, die sie durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Aus den von
der Klägerin mit den Feststellungserklärungen der Jahre 2007 bis 2009 beim FA
eingereichten Jahresabschlüssen ergab sich nach Erträgen und Aufwendungen im
jeweils sechsstelligen Bereich zum 31.12.2007 ein Bilanzgewinn von 87.479,47
Euro, zum 31.12.2008 von 80.696,99 Euro und zum 31.12.2009 von 87.048,52 Euro.
Aufgrund eines Prüfungsvorschlags
der Veranlagungsstelle des FA mit der Erwägung „noch nicht geprüfter
M-Betrieb” ordnete das FA gegenüber der Klägerin am 29.08.2011 für die
Zeiträume 2007 bis 2009 eine steuerliche Außenprüfung betreffend
Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer an, zu deren Vorbereitung es
mit Schreiben vom 12.09.2011 unter anderem die „Einzeldaten der
Registrierkasse (Journal der EDV-Kasse sowie Daten der Z-Bons)” und die
„Einzeldaten des Warenverkaufs” anforderte. Dieses Schreiben
enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Die bei Prüfungsbeginn am 26.10.2011 in
einem Fragebogen vom Prüfer erbetenen Auskünfte zur Beschaffenheit der
Kassenführung beantwortete die Klägerin am 31.10.2011 wie folgt: Die
Tageseinnahmen würden im Betrieb der Klägerin über eine modulare PC-Kasse der
Firma A mit zwei Kassen erfasst, sodann durch Tagesendsummenbons (Z-Bons) mit
anschließender Nullstellung ausgewertet und als Summe in ein manuell geführtes
Kassenbuch eingetragen. Ein Testat über die Unveränderlichkeit der
Kassensoftware liege nicht vor. Ferner erläuterte die Klägerin mündlich, dass
eine gesonderte Fakturakasse wegen des geringen Umfangs der Lieferungen auf
Rechnung nicht existiere und die diesbezüglichen Aufzeichnungen manuell geführt
würden. Hochpreisige Medikamente an Privatpatienten würden nicht verkauft. Die
Auslage an frei verkäuflicher Ware sei deshalb sehr gering, weil sich in der
Nähe ein Drogeriemarkt befinde. Neben den zwei Bedienkassen werde ein PC mit
Scanner zur Erfassung des Wareneingangs genutzt. Der Warenbestand werde nicht
automatisch überprüft. Warenbestellungen würden manuell vorgenommen. Auf das
Schreiben vom 12.09.2011 erhielt der Prüfer vom steuerlichen Berater der
Klägerin eine CD mit von der Firma A bereitgestellten Daten aus dem
Kassensystem der Klägerin, unter denen der steuerliche Berater jedoch die Datei
mit der Einzeldokumentation der Verkäufe entfernt hatte, da er die Auffassung
vertrat, dass das FA ein entsprechende Zugriffsrecht nicht habe.
Mit Schreiben vom 28.10.2011
forderte das FA die Klägerin auf, „die von der Firma A gelieferten Daten
über die Warenverkäufe (vk _ rechnungen …csv und vk _ verkaeufe
…csv) bis zum 11.11.2011 bereitzustellen” und drohte für den Fall
der verspäteten Erfüllung die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes an. Entgegen
der Ansicht des steuerlichen Beraters seien die genannten Dateien als
Bestandteil der Grundaufzeichnungen nach § 147 Abs. 6 AO vorzulegen. Auch
dieses Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Am 03.11.2011 teilte
der steuerliche Berater mit, dass eine Datei „VK-Rechnungen” nicht
existiere, da die Klägerin das entsprechende Kassenmodul nicht erworben habe.
Die Datei „VK-Verkäufe” sei vom Datenzugriffsrecht des FA nach §
147 Abs. 6 AO nicht umfasst, da die Klägerin keine entsprechende
Einzelaufzeichnungspflicht habe. Gegen die „Anforderungen von
Daten” legte die Klägerin am 24.11.2011 Einspruch ein, den das FA nach
Einholung einer Weisung der Mittelbehörde und Gewährung der beantragten
Vollziehungsaussetzung durch Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 als
unbegründet zurückwies.
Mit ihrer am 23.02.2012 erhobenen
Klage verfolgt die Klägerin ihr Rechtsbegehren weiter. Die Anforderung der
Datei „VK Rechnungen” sei bereits deshalb rechtswidrig, weil eine
solche Datei mangels Erfassung der Rechnungsumsätze über die PC-Kasse nicht
existiere. Hinsichtlich der Datei „VK Verkäufe” habe das FA kein
Zugriffsrecht, da die Klägerin gesetzlich nicht verpflichtet sei, die Verkäufe
einzeln aufzuzeichnen, es damit an einer Aufbewahrungspflicht i.S.d. § 147 Abs.
1 AO und folglich auch an einem Zugriffsrecht des FA auf die aufbewahrten
Unterlagen bzw. Dateien nach § 147 Abs. 6 AO fehle (Verweis auf BFH vom
24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 sowie Bellinger StBp 2011,
272 ff. u. 305 ff. und Mack Stbg. 2012, 116 ff.). Die Aufzeichnungspflicht nach
§ 144 AO greife nicht, da die Klägerin Einzelhändlerin sei. Eine
Einzelaufzeichnungspflicht für den Warenverkauf ergebe sich auch nicht aus den
in § 145 AO getroffenen allgemeinen Regeln für die Führung von Büchern. Das
belege bereits der Ausnahmecharakter des § 144 AO. Soweit die ältere
Rechtsprechung zur Situation vor der Einführung von PC-Kassen die Auffassung
vertreten habe, dass der Einzelhandel nur aus Zumutbarkeitsgründen von der
Einzelaufzeichnungspflicht befreit sei (BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60,
BStBl. III 1966, 372), sei diese Aussage durch die klaren Aussagen des BFH im
Urteil vom 24.06.2009 überholt. Im Ergebnis unterlägen damit die freiwillig
geführten und aufbewahrten Unterlagen bzw. Dateien nicht dem Zugriffsrecht nach
§ 147 Abs. 6 AO. Mangels Aufbewahrungspflicht dürften solche Medien vom
Steuerpflichtigen auch jederzeit vernichtet bzw. gelöscht werden. Bei der vom
FA verlangten Verkaufsdatei handele es sich auch nicht i.S.v. § 147 Abs. 1 Nr.
5 AO um „sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von
Bedeutung sind”. Denn diese Vorschrift komme nur zum Tragen, soweit der
Gesetzgeber nicht auf eine Aufzeichnungspflicht verzichtet habe. Dies sei
bezüglich des Warenausgangs bei Einzelhandelsunternehmen jedoch im
Unkehrschluss zu § 144 AO gerade der Fall. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO könne nicht
den Zweck haben, als Auffangvorschrift („Blanko-Scheck”) für durch
den Gesetzgeber nicht geregelte Aufzeichnungspflichten herzuhalten.
Insoweit wäre auch der Vorbehalt
des Gesetzes verletzt. Theoretisch könne alles irgendwie einmal „von
Bedeutung” sein. Dem Bürger sei es nicht möglich, anhand dieser
Vorschrift im Vorhinein zu erkennen, welche Unterlagen er für Steuerzwecke
aufbewahren müsse. Anders als in Österreich sei eine (zweifelsfrei
wünschenswerte) klarstellende gesetzliche Regelung in der AO bisher
unterblieben. Eine solche könne nicht im Verwaltungswege hergestellt werden.
Dass nach der neuen Kassenrichtlinie (BMF vom 26.11.2010 –BStBl. I 2010,
1342) sämtliche steuerlich relevanten Daten einzeln aufzubewahren seien, sei
für den Streitfall ohnehin nicht von Belang, da diese Verwaltungsanweisung erst
ab dem 01.01.2011 anwendbar sei. Selbst insoweit könnten jedoch aus den darin
lediglich enthaltenen Aufbewahrungsvorschriften keine Aufzeichnungspflicht
abgeleitet werden.
Auch die berufsrechtlichen
Vorschriften (hier: §§ 17, 22 ApoBetrO) begründeten keine steuerrechtlichen
Aufzeichnungspflichten, zumal nach diesen Vorschriften die Preise nicht zu
dokumentieren seien. § 22 UStG zwinge nur zur Dokumentation der Entgelte, nicht
aber zur kombinierten Aufzeichnung von Waren und Preisen. Die vom BMF
zusammengefassten Grundsätze ordnungsgemäßer DV-gestützter Buchführungssysteme
(GoBS) (BMF vom 07.11.1995,BStBl. I 1995, 738, Anhang 64 zum AO-Handbuch 2012)
begründeten selbst keine Aufzeichnungspflicht und seien damit für
Datenverarbeitungsanwendungen, die nicht Teil des betrieblichen Rechnungswesens
seien, nicht verbindlich. Gleiches gelte für die Empfehlungen des IDW. Die
These des FA, aus der Funktionalität eines vorhandenen PC-Systems (z.B. eines
Warenwirtschaftssystems) auf eine bestimmte Aufzeichnungs- und
Aufbewahrungspflicht des Steuerpflichtigen zu schließen, sei rechtsdogmatisch
nicht haltbar, da dann der Umfang der Aufzeichnung- und Aufbewahrungspflicht
vom jeweils eingesetzten PC-System und von der individuell eingesetzten
Software abhinge. Die Klägerin schulde nur den Nachweis, dass die
Tagesendsummenbons zutreffend ermittelt wurden. Dieser Nachweis sei nicht
einzeln, sondern auf der Systemebene zu führen. Die Anforderung des FA gehe
über die stichprobenartige Überprüfung des entsprechenden Verfahrens weit
hinaus. Der BFH habe es im Urteil vom 24.06.2009 gerade für unzulässig
erachtet, seitens der Betriebsprüfung ohne gesetzliche Aufbewahrungspflicht zur
Verprobung überzugehen. Die Firma A habe auch nie in Verdacht gestanden, ihre
Software mit Manipulationsmöglichkeiten auszustatten.
Im Übrigen verfüge die Kasse nicht
über die vom FA gemutmaßte Funktionalität. Es handele sich um das Modell der
Firma A. Betriebswirtschaftliche Auswertungen habe es damit nicht gegeben. Ein
Trainingsspeicher existiere nicht. Gleiches gelte für bedienerbezogene
Tagesendsummenbons. Eine Bedienungsanleitung (Benutzerhandbuch) habe vorgelegen
und hätte auf Anfrage jederzeit vorgelegt werden können. Umprogrammierungen der
Software seien nicht möglich gewesen und hätten daher auch nicht stattgefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Datenanforderungsbescheid des
Beklagten vom 28.10.2011 in Form der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012
aufzuheben sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für
notwendig zu erklären.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA vertritt die Auffassung,
dass die Klägerin bereits nach § 144 AO zur gesonderten Aufzeichnung des
Warenausgangs verpflichtet sei. Ferner ergebe sich die Verpflichtung zur
Führung entsprechender Einzelaufzeichnungen für jedes Handelsunternehmen
grundsätzlich auch aus § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 145 Abs. 1 Satz 2 AO
(Verweis auf BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 372). Auf
die Unzumutbarkeit der Führung von Einzelaufzeichnungen könne sich die Klägerin
nicht berufen, da sie die fraglichen Aufzeichnungen (d.h. die Einzelverkäufe)
tatsächlich geführt habe. Bei der von der Klägerin verwendeten PC-Kasse handele
es sich um ein Erlöserfassungssystem mit integrierter
Warenwirtschaftsverwaltung. Die mit einem solchen System bewältigte
Dokumentation des Warenausgangs sei gerade bei Apotheken zur Aktualisierung des
Warenbestandes („permanente Inventur”) und zur Einhaltung der
strengen und vielfältigen berufsrechtlichen Vorschriften (z.B. zur
Kennzeichnung der Rezeptpflichtigkeit und der Rezeptart, zur Zuzahlungspflicht
bei gesetzlicher Krankenversicherung und zur abgegebenen Menge) erforderlich
(Verweis auf §§ 17, 22 ApoBetrVO und § 13 Abs. 3 BtMG). Ferner zwängen § 22
UStG und § 4 Abs. 5 EStG zur gesonderten Aufzeichnung. Die im Bescheid vom
28.10.2011 angeforderten Dateien seien im Ergebnis Teil der nach § 147 Abs. 1
Nr. 1 AO aufzubewahrenden „Grundaufzeichnungen”. Somit habe die
Klägerin die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme nach
§ 146 Abs. 5 AO zu beachten, gegen die eine Beschränkung der Archivierung der
Tagesaufzeichnungen auf die Tagesendsummenbons widerspreche. Selbst
Kostenstellenrechungen unterlägen dem Datenzugriff (Verweis auf FG
Rheinland-Pfalz vom 13.06.2006 – 1 K 1743/06, EFG 2006, 1634). Das FG
Sachsen-Anhalt habe die Rechtsauffassung des FA bestätigt, wonach die
Verkaufsdaten nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO aufzubewahren seien (Beschluss vom
15.01.2013 – 1 V 580/12, n. v., Kopie Bl. 110 ff. der Klageakte).
Dessen ungeachtet stehe dem FA der
Zugriff auf die angeforderten Dateien auch zum Zwecke der allgemeinen
Verprobung zu. So sei eine Verprobung des Aufschlagssatzes einzelner
Warengruppen, des erklärten Gesamtumsatzes mittels Kassenabrechnungen, der
Falscherfassung von Privatrezepten, eine Mengenverprobung des Warenbestandes
sowie die Prüfung der Verwendung von Manipulationssoftware ohne Zugriff auf die
Verkaufsdatei nicht möglich. Da ein Programmierprotokoll nicht vorgelegt worden
sei, könne die Angabe der Klägerin, dass nach der Aufstellung keine Änderungen
vorgenommen worden seien, nicht verifiziert werden. Auch die
Organisationsunterlagen und die betriebswirtschaftlichen Auswertungen der Kasse
habe die Klägerin nicht vorgelegt. Die Intensität und die Ausgestaltung der
Prüfung lägen nach § 194 AO im Ermessen des FA. Der Prüfer habe bei der
Klägerin erhebliche Mängel in der Kassenbuchführung festgestellt (Verweis auf
einen checklistenartig ausgefüllten und weder datierten noch unterschriebenen
Aktenvermerk des Prüfers, sowie auf einen Aktenvermerk vom 26.10.2011). Die
Klägerin habe den Nachweis der Vollständigkeit der Einnahmen daher durch
Vorlage der „Kassenstreifen” (Papierjournalrolle) zu führen. Da
dieser nicht existiere, sei die Verkaufsdatei vorzulegen.
Auf die dem Gericht vorgelegten
Verwaltungsakten wird ergänzend Bezug genommen. Sie waren Gegenstand des
Verfahrens. Darüber hinaus wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten
Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen
Verhandlung vom 24.04.2013 ergänzend Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Der wegen
des vorherigen Streits der Beteiligten um den Umfang der Datenzugriffsrechte
des FA als Verwaltungsakt i.S.d. § 118 Satz 1 AO zu wertende Bescheid des FA
vom 28.10.2011 (BFH vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579)
ist in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 in Ermangelung
einer die Datenanforderung stützenden gesetzlichen Grundlage i.S.d. Art. 2 Abs.
1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren
Rechten. Auf den Umstand, dass die ebenfalls angeforderte Datei „vk _
rechnungen …csv” nach den Angaben der Klägerin gar nicht
existiert, kam es nicht an.
1. Die Anforderung des FA vom
28.10.2011 kann nicht auf § 147 Abs. 6 AO gestützt werden, da die
Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall nicht erfüllt sind.
a) Sind Unterlagen nach § 147 Abs.
1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden, so hat die
Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die
gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung
dieser Unterlagen zu nutzen (§ 147 Abs. 6 Satz 1 AO). Sie kann im Rahmen einer
Außenprüfung auch verlangen, dass Daten nach ihren Vorgaben maschinell
ausgewertet oder ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem
maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden (§ 147 Abs. 6
Satz 2). Diese Befugnisse stehen der Finanzbehörde nach dem insoweit
eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur in Bezug auf Daten zu, die der
Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat (BFH vom 24.06.2009
– VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. a. b. aa.). Die in § 147
Abs. 1 AO geregelten Aufbewahrungspflichten setzen wiederum eine gesetzliche
Aufzeichnungspflicht des Steuerpflichtigen voraus und bestehen grundsätzlich
nur im Umfang dieser Aufzeichnungspflicht (BFH vom 24.06.2009 – VIII R
80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. a. b. cc.).
b) Im Streitfall hatte die
Klägerin, der aufgrund der Größe und der Einzelumsatzhäufigkeit ihres Geschäfts
zweifelsfrei die Kaufmannseigenschaft nach § 1 Abs. 1 HGB i.V.m. § 238 Abs. 1
HGB zukommt, keine gesetzliche Verpflichtung, die von ihr getätigten
Einzelverkäufe (d.h. die im Einzelnen verkauften Waren und die hierfür im
Einzelnen vereinnahmten Kaufpreise) im Einzelnen manuell oder auf einem
Datenträger (§ 146 Abs. 5 AO) aufzuzeichnen und diese manuellen oder
elektronischen Aufzeichnungen nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren.
aa) Da die Klägerin ihre Waren nach
der Art ihres Geschäftsbetriebes nicht regelmäßig an anderer gewerbliche
Unternehmer, sondern an Endverbraucher liefert, ist sie zweifelsfrei nicht nach
§ 144 Abs. 1 bis 4 AO zur gesonderten Aufzeichnung des Warenausgangs
einschließlich des Warenpreises (§ 144 Abs. 3 Nr. 4 AO) verpflichtet. Entgegen
der Ansicht des FA ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung auch nicht aus
den allgemeinen Vorschriften nach § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 145 Abs. 1 Satz
2 AO. Zur Erfüllung des in diesen Vorschriften geregelten Gebotes der
Gewährleistung der eindeutigen Identifizierbarkeit und Nachprüfbarkeit der
einzelnen Handelsgeschäfte ist der Kaufmann ungeachtet der Eigenart seines
Unternehmens zwar grundsätzlich verpflichtet, seine Kassenvorgänge (seien es
Barausgaben oder Bareinnahmen) einzeln aufzuzeichnen (vgl. BFH vom 12.05.1966
– IV 472/60, BStBl. III 1966, 372 zur Herleitung dieses Gebotes aus den
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung). Es entspricht jedoch der gefestigten
und auch im „Computerzeitalter” aufrecht erhaltenen
höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die in § 238 Abs. 1 HGB und § 145 AO
zum Ausdruck kommenden Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung derartige
Einzelaufzeichnungen aus Zumutbarkeits- und Praktikabilitätsgründen regelmäßig
nicht verlangen, wenn der Unternehmer gegen Barzahlung Waren von geringerem
Wert an eine unbestimmte Vielzahl von Kunden im offenen Ladengeschäft verkauft
(BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 37; BFH vom 01.10.1969
– I R 73/66, BStBl. II 1970, 45; BFH vom 26.02.2004 – XI R 25/02,
BStBl. II 2004, 599; BFH vom 07.02.2008 – X B 189/07, n. v. Juris; BFH
vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 unter II. 1 a.). Soweit
hiernach auf Einzelaufzeichnungen verzichtet werden darf, sind die Tagessummen
der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben in Form von Kassenberichten oder mit
Hilfe eines Kassenbuchs täglich festzuhalten (BFH vom 01.10.1969 – I R
73/66, BStBl. II 1970, 45; BFH vom 20.06.1985 – IV R 41/82, BFH/NV 1985,
12). Die aus der Tageskasse ausgezählte Summe der Tagesein- und Ausgaben ist in
das in Form aneinandergereihter Kassenberichte geführte Kassenbuch zu
übertragen (BFH vom 07.07.1977 – IV R 205/72, BStBl. II 1978, 307; BFH
vom 21.02.1990 – X R 54/87, BFH/NV 1990, 683). Die zugehörigen
Tagesendsummensbons (Z-Bons) sind als sonstige Unterlagen i.S.d. § 147 Abs. 1
Nr. 4 und Nr. 5 AO aufzubewahren (FG Bremen vom 24.09.1996 – 2 94 085 K
2, EFG 1997, 449; FG Hamburg vom 04.12.1990 – II 104/88, EFG 1991, 507).
Nach diesen Grundsätzen war auch
die Klägerin i.S.v. § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 147 Abs. 1 Satz 2 AO als
Einzelhändlerin von der Verpflichtung befreit, die einzelnen
„Verkäufe” über die Ladentheke (d.h. den jeweiligen Warenausgang
in Verbindung mit dem vereinnahmten Kaufpreis) einzeln aufzuzeichnen. Dem steht
nicht entgegen, dass die Klägerin (wie der Bevollmächtigte in der mündlichen
Verhandlung klargestellt hat) sämtliche mit den Trägern der gesetzlichen
Krankenversicherung anfallenden Geschäftsvorfälle mit diesen unbar abwickelt,
da dies am grundsätzlichen und zusätzlichen Anfall von anonymen (da
rezeptfreien) Bargeschäften „über die Ladentheke” in erheblichem
Umfang nichts ändert. Die Klägerin konnte ihre Pflicht zur Gewährleistung der
eindeutigen Identifizierbarkeit und Nachprüfbarkeit der einzelnen Geschäfte
mithin grundsätzlich dadurch erfüllen, dass sie – wie sie dies zu Beginn
der Betriebsprüfung dargestellt und erläutert hatte – die festgestellten
Tagesendsummen fortlaufend in ein Kassenbuch übertrug. Dass sie die einzelnen
Barverkäufe gleichwohl freiwillig und programmgesteuert in einer gesonderten
Datei („VK Verkäufe”) mitschrieb und speicherte, ändert hieran
nichts. Zwar stellt dies die von der Rechtsprechung zur Begründung der
Erleichterung angeführten Kriterien der Praktikabilität und Zumutbarkeit in
Frage. Für die Tragfähigkeit dieser Kriterien kann es jedoch nicht auf den
einzelnen (sich z.B. durch den Einsatz einer besonders ausgestalteten Kasse
möglicherweise überobliagtionsmäßig verhaltenden) Steuerpflichtigen, sondern
allein auf den Typus eines in größerem Umfang Barumsätze erzielenden
Einzelhandelsbetriebes ankommen. Eine Apotheke gleich welcher Größe kann
insoweit nicht anders behandelt werden als z.B. ein Betrieb der
Kleingastronomie. Andenfalls würde der Umfang der Aufzeichnungspflicht vom
Umfang der vom Steuerpflichtigen tatsächlich getätigten Aufzeichnungen
abhängen, was mit der abstrakt-generellen Intention der Grundsätze
ordnungsmäßiger Buchführung und dem Regelungszweck des § 238 Abs. 1 Satz 2 HGB
und des § 145 Abs. 1 Satz 2 AO und überdies auch mit den Grundsätzen der
Verhältnismäßigkeit und des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes (Art. 2 Abs. 1
i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu vereinbaren wäre (vgl. BFH vom 24.06.2009
– VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. cc. unter Verweis auf
das Volkszählungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG vom 15.12.1983
– 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1 unter C. II. 2. a.). Für Steuerzwecke
(d.h. ungeachtet des dargestellten handelsrechtlichen Auslegungsergebnisses)
führt darüber hinaus eine am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung des § 144
AO zu dem Ergebnis, dass die von dieser Vorschrift nicht betroffenen
Unternehmer (wie im Streitfall die Klägerin) im Umkehrschluss ihren
Warenausgang nicht einzeln aufzeichnen müssen.
Entgegen der Ansicht des FA handelt
es sich bei der angeforderten Datei „VK Verkäufe” daher nicht um
einen Bestandteil der nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufzubewahrenden
„Grundaufzeichnungen”. Das gilt auch für die Datei „VK
Rechnungen”, bei der es sich nach den Mutmaßungen des FA ebenfalls um
einen Datensatz mit Einzelverkäufen handeln soll. Insoweit kann dahinstehen,
dass diese Datei nach den (vom FA nicht widerlegten) Angaben der Klägerin
überhaupt nicht existiert, weil gegenüber den Kunden nur geringe
Rechnungsumsätze angefallen und diese manuell dokumentiert worden seien.
bb) In Bezug auf die im Bescheid
vom 28.10.2011 angeforderten Dateien ergibt sich eine Aufbewahrungspflicht auch
nicht aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Nach dieser Vorschrift sind auch
„sonstige Unterlagen” gesondert aufzubewahren, soweit sie
„für die Besteuerung von Bedeutung sind”. Zwar lässt der weite
Wortlaut der Norm die Deutung zu, dass nach ihr ohne Rücksicht auf eine
Aufzeichnungspflicht sämtliche für die Besteuerung bedeutsamen Unterlagen
aufzubewahren sind. Eine solche Auslegung hat die höchstrichterliche
Rechtsprechung jedoch zu Recht verworfen. Vielmehr ist § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO
unter Berücksichtigung der generellen Akzessorietät der Aufbewahrungspflicht zu
einer bestehenden gesetzlichen Aufzeichnungspflicht dahingehend einschränkend
auszulegen, dass nur solche sonstigen (d.h. nicht unter § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis
4a AO fallenden) Unterlagen oder Daten (etc.) aufbewahrt werden müssen, die zum
Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich
vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind (BFH vom
24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. cc.; BFH
vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 unter II. 2. a. bb.).
Nach dieser Maßgabe ist der von der
Klägerin aufbewahrte Datensatz „VK Verkäufe” zum Verständnis und
zur Überprüfung des von ihr aufzubewahrenden Kassenbuchs und der
aufzubewahrenden Tagesendsummensbons (Z-Bons) nicht „von
Bedeutung”. Für die Beantwortung der Frage, ob bestimmte Unterlagen oder
Daten nach den vom BFH entwickelten Grundsätzen „im Einzelfall”
zum Verständnis oder zur Überprüfung vorgeschriebener Aufzeichnungen
„bedeutsam” sind, kann es – mit Blick auf die gleichzeitig
geforderte einschränkende Auslegung der gesetzlichen Aufbewahrungs- und
Zugriffstatbestände unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes –
ebenfalls nicht auf die Verhältnisse des einzelnen Steuerpflichtigen ankommen.
Vielmehr ist entscheidend, ob die fraglichen Unterlagen oder Daten zum
Verständnis und zur Überprüfung der jeweils aufzuzeichnenden Geschäftsvorfälle
bei abstrakt-genereller Betrachtung typischerweise von Bedeutung sind. Denn nur
so ist sichergestellt, dass der Steuerpflichtige im Vorhinein erkennen kann,
welche Unterlagen und Daten er zur Gewährleistung der Ordnungsmäßigkeit seiner
Buchführung innerhalb der gesetzlichen Fristen zwingend aufbewahren muss. Es
wäre mit dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren,
wenn sich eine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO allein aus dem
Umstand ergäbe, dass der Steuerpflichtige freiwillig (z.B. zu internen
Kontrollzwecken) bestimmte Aufzeichnungen fertigt, die sich im Rahmen einer
Betriebsprüfung für eine Verprobung der verpflichtend erstellten Aufzeichnungen
später als hilfreich erweisen könnten.
Der Streitfall ist unter
Berücksichtigung dieser Vorgabe zu entscheiden. Die von der Klägerin freiwillig
und programmgesteuert gespeicherten Einzeldaten der Verkäufe sind aus der
Perspektive des FA für eine rückschauende Verprobung des Kassenbuchs und der
Z-Bons zwar zweifellos von großem Interesse. Die Bejahung einer hierauf
gestützten generellen Aufzeichnungspflicht würde jedoch den Grundsatz ad
absurdum führen, dass für den Betrieb der Klägerin nach § 145 Abs. 1 Satz 2 AO
eine gesonderte Aufzeichnung des Warenausgangs und der Einnahmen gerade nicht
erforderlich ist. Bei abstrakt-genereller Betrachtung sind die Einzeldaten auch
für das „Verständnis” der Z-Bons und des Kassenbuchs nicht
erforderlich, da letztere die fraglichen Einzelaufzeichnungen gerade ersetzen
sollen. Diese Erwägungen gelten vorliegend sowohl für die Datei „VK
Verkäufe” als auch für die Datei „VK Rechnungen” (soweit
überhaupt vorhanden).
Der Streitfall ist insoweit auch
mit der vom BFH entschiedenen Konstellation vergleichbar, in der ein in
größerem Umfang bar abrechnender Betreiber einer Kraftfahrzeugwerkstatt über
die Führung des Kassenbuchs hinaus seine Kundenaufträge dadurch einzeln
festhält, dass er jeweils eine Kopie des Fahrzeugscheins des zu reparierenden
Fahrzeugs anfertigt und hierauf handschriftlich den Arbeitsumfang, die zu
beschaffenden Ersatzteile und die geleisteten Arbeitsstunden notiert. Trotz der
unbestreitbaren Tatsache, dass diese zusätzlichen Aufzeichnungen bei der
Überprüfung der Richtigkeit des Kassenbuches durch die Finanzbehörde äußert
hilfreich wären, besteht hierfür nach der Rechtsprechung (BFH vom 07.12.2010
– III B 199/09, BFH/NV 2011, 411) ersichtlich keine Aufbewahrungspflicht
nach § 147 Abs. 1 AO. Soweit das FA der angeführten Entscheidung des FG
Rheinland-Pfalz etwas anderes entnimmt (FG Rheinland-Pfalz vom 13.03.2006
– 1 K 1743/05, EFG 2006, 1550), sind die dort zu Grunde gelegten
Erwägungen jedenfalls durch die Entscheidung des BFH vom 24.06.2009 (VIII R
80/06, BStBl. II 2010, 452) überholt. Den neuerlichen Erwägungen des FG
Sachsen-Anhalt im summarischen Aussetzungsverfahren (FG Sachsen-Anhalt vom
15.01.2013 – 1 V 580/112, n. v. ist mit den hier vertretenen Argumenten
nicht zu folgen.
cc) Entgegen der Auffassung des FA
ergibt sich eine gesetzliche Pflicht zur gesonderten Aufzeichnung des
Warenausgangs nebst den im Einzelnen vereinnahmten Warenpreisen auch nicht aus
den für die Klägerin geltenden sonstigen (berufs-) rechtlichen Bestimmungen.
Die aufgrund § 21 des Apothekengesetzes erlassene Apothekenbetriebsordnung
(ApoBetrO) und das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) enthalten zwar einzelne
Aufzeichnungs- und Bestandsdokumentationspflichten. Eine Verpflichtung zur
Dokumentation der für den Verkauf einzelner Warenstücke vereinnahmten Preise
(d.h. der „Verkäufe”, wie sie sich aus der Datei „VK
Verkäufe” ergeben sollen) findet sich hier jedoch nicht. § 17 Abs. 6 Satz
1 Nr. 4 ApoBetrO betrifft nur die Angabe des Preises auf der vom Bezieher
vorgelegten und wieder an sich genommenen Verschreibung. Die besonderen
Aufzeichnungspflichten nach § 17 Abs. 6a u. Abs. 6b ApoBetrO und die
Aufbewahrungspflichten nach § 22 ApoBetrO sehen eine Berücksichtigung des
Preises nicht vor. Gleiches gilt für die Anzeigepflicht nach § 12 Abs. 2 BtMG
und die Aufzeichnungspflicht nach § 17 BtMG. Auch die Regelungen nach § 22 UStG
i.V.m. §§ 63 ff. UStDV beinhalten lediglich die Pflicht zur Aufzeichnung der
Entgelte i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG. Eine Verpflichtung zur kombinierten
Einzelaufzeichnung von Waren und Preisen ergibt sich hieraus nicht.
Sofern das FA die Auffassung
vertritt, dass es nach § 147 Abs. 6 AO zumindest die Herausgabe der nach der
ApoBetrO und dem BtMG geführten Aufzeichnungen bzw. die Gewährung des Zugriffs
auf die entsprechenden Daten verlangen könne, ist der Bescheid vom 28.10.2011
jedenfalls deshalb rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da
das FA sein dort formuliertes Vorlageersuchen nicht auf die entsprechenden
Aufzeichnungen beschränkt, sondern vielmehr Zugriff auf die Daten zu sämtlichen
„Verkäufen” und „Rechnungen” (d.h. Rechungsverkäufen)
verlangt hat (vgl. BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452
unter II. 1. c.). Gleiches gilt hinsichtlich der Entgeltaufzeichnungspflichten
nach § 22 UStG. Eine diesbezügliche Umdeutung des Anforderungsbescheides ist
nicht möglich, da damit i.S.v. § 128 Abs. 1 AO ein anderes Ziel verfolgt werden
würde, welches vom FA wegen des weitergehenden Vorlagebegehrens i.S.v. § 128
Abs. 2 AO nicht gewollt war. Aus den gleichen Gründen ist es auch nicht
möglich, im Anforderungsbescheid des FA insoweit ein „wesensgleiches
Minus” zu erblicken.
2. Der streitgegenständliche
Bescheid kann auch nicht hilfsweise auf die allgemeine Verpflichtung der
Klägerin nach § 200 Abs. 1 AO zur Mitwirkung bei der Betriebsprüfung in Gestalt
der Unterstützung des Prüfers beim Datenzugriff gestützt werden. Denn § 200
Abs. 1 Satz 2 AO verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf § 147 Abs. 6
AO, weshalb die Pflichten der Klägerin nach § 200 Abs. 1 AO nicht weiter
reichen können als ihre Pflichten nach § 147 Abs. 6 AO (BFH vom 24.06.2009
– VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. aa.). Weitere in
Betracht kommende Rechtsgrundlagen für den Bescheid 28.10.2011 sind nicht
erkennbar. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Umfang
des Datenzugriffs durch § 147 Abs. 6 AO und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO unter
Verzicht auf die Einführung weitergehender Befugnisse der Finanzbehörden einer
eindeutigen und in sich abgeschlossenen Regelung zugeführt hat. Diese
Gesetzeslage mag – wie die Klägerin selbst einräumt – aus
prüfungspraktischer Sicht zwar ausgesprochen misslich sein. Dem Gesetzgeber
stünde es jedoch jederzeit frei, nach dem (von der Klägerin beschriebenen)
österreichischen Vorbild Abhilfe zu schaffen und ein gesetzliches Zugriffsrecht
auch für die außerhalb einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht vom
Steuerpflichtigen geschaffenen Daten zu schaffen.
3. Bei diesem Ergebnis würde es
auch dann bleiben, wenn die (allerdings nicht weiter belegte) Behauptung des FA
zuträfe, nach der die bei der Klägerin gesichteten Z-Bons formelle Fehler
aufwiesen oder sich hieraus Differenzen ergäben und aus diesen Gründen Zweifel
an der Richtigkeit des manuell geführten Kassenbuches bestünden. Die Frage des
Bestehens einer Vorlageverpflichtung i.S.v. § 147 Abs. 6 AO ist von der Frage
der im Übrigen erkennbaren Ordnungsmäßigkeit der klägerischen Buchführung und
der dadurch eröffneten Schätzungsbefugnis des FA nach § 162 AO strikt zu
trennen. Nicht ordnungsmäßige Kassenaufzeichnungen (z.B. Differenzen zwischen
den Tagessummen laut Z-Bons und den Eintragungen im Kassenbuch, nicht
zeitgerechte Führung des Kassenbuchs oder mangelnde Sturzfähigkeit der Kasse)
lassen den Schluss zu, dass nicht alle Bareinnahmen verbucht worden sind (BFH
vom 02.02.1982 – VIII R 65/80, BStBl. II 1982, 409) und berechtigen die
Betriebsprüfung gegebenenfalls zu Zuschätzungen (vgl. bei mangelhaftem
Kassenbuch z.B. FG Hamburg vom 04.12.1990 – II 104/88, EFG 1991, 507).
Soweit betont wird, dass das Zustandekommen der Tagessummen durch die einzelnen
Kassenzettel und Bons (etc.) „nachgewiesen” werden muss, wenn die
Eintragungen im Kassenbuch oder die Tagesendsummenbons keine Gewähr für die
Vollständigkeit bieten (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand 09/2009, § 147 AO
Rn. 24 m.w.N.), handelt es sich hierbei nicht um eine Verpflichtung im Sinne
einer (wiederauflebenden) Aufzeichnungspflicht, sondern um eine Obliegenheit
des Steuerpflichtigen zur Widerlegung der Schätzungsbefugnis des FA durch
anderweitige Glaubhaftmachung der Richtigkeit der Buchführung. Ob dies bei der
Klägerin der Fall ist (d.h. ob die Tagesendsummenbons und das Kassenbuch
ordnungsgemäß geführt wurden), kann im Streitfall dahinstehen, da dies an der
fehlenden Rechtsgrundlage für die Anforderung des FA im Bescheid vom 28.10.2011
nichts ändert. Dass die Klägerin im Falle der Feststellung der fehlenden
Ordnungsmäßigkeit ihrer (Kassen-)Buchführung die vom FA angeforderten
Einzelverkaufsdaten zur Entkräftung einer entsprechenden Schätzung des FA
möglicherweise freiwillig vorlegen wird, belegt allenfalls die fehlende
Praxisnähe der in § 147 Abs. 6 AO und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO vom Gesetzgeber
getroffenen Regelungen.
4. Die Kostenentscheidung beruht
auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung
eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3
FGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht
vor. Der Umfang der gesetzlichen Aufzeichnungspflichten und die gesetzliche
Reichweite der Datenzugriffsrechte der Betriebsprüfung sind durch die
höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt (BFH vom 24.06.2009
– VIII R 80/06, BStBl. II 2010).