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  • 01.04.2004 · IWW-Abrufnummer 040883

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 10.10.2002 – 8 U 19/02

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL

    8 U 19/02

    Verkündet am 10. Oktober 2002

    In dem Rechtsstreit

    pp.

    hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht S. und den Richter am Oberlandesgericht T.

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das am 20.12.2001 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Tatbestand:

    Der Beklagte zu 3) ist Zahnarzt und war am 18.6.1999 als Ausbildungsassistent allein in der zahnärztliche Praxis der Beklagten zu 1) und 2) anwesend. An diesem Tag begab sich die Klägerin in die Praxis, weil ihr ein Inlay von Zahn 35 herausgefallen war. Der Beklagte zu 3) verabreichte ihr eine Leitungsanästhesie am Nerv des betroffenen Zahns und setzte das herausgefallene Inlay wieder ein. Am nächsten Tag verspürte die Klägerin heftige Schmerzen, ging jedoch davon aus, dass diese sich legen würden.

    Am 5.7.1999 begab sie sich erneut in die Praxis der Beklagten zu 1) und 2) und wurde vom Beklagten zu 3) umgehend in eine Kieferklinik überwiesen. Dort wurde eine Vereiterung (Abszess) am Kiefer, ausgehend von Zahn 35, festgestellt und behandelt.

    Die Klägerin hat von den Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes begehrt, welches sie selbst in Höhe von DM 15.000 DM für angemessen hält. Sie hat behauptet, bei der vom Beklagten zu 3) vorgenommenen Behandlung sei der Zahn 35 bereits abgestorben gewesen. Dies habe der Beklagte zu 3) nicht erkannt, da er vor der Behandlung keine Vitalitätsprüfung vorgenommen habe. Das Wiedereinsetzen des Inlays auf den abgestorbenen Zahn habe ursächlich zu der nachfolgend eingetretenen stark schmerzhaften Vereiterung geführt.

    Die Klägerin hat beantragt,

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Die Beklagten haben beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie haben behauptet, vor allen anderen Maßnahmen habe der Beklagte zu 3) den Zahn der in diesen Fällen üblicherweise anzusetzenden Sensibilitätsprüfung mit Kaltluft aus einem sogenannten Multifunktionsspray unterzogen, worauf dieser sensibel reagiert habe. Weitere Sensibilitätsprüfungen hätten angesichts dessen nicht durchgeführt werden müssen.

    Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen, da ein Behandlungsfehler nicht festzustellen sei. Die Frage, ob der Beklagte zu 3) vor der Behandlung eine Vitalitätsprüfung des Zahns 35 vorgenommen habe, lasse sich nicht klären. Beweispflichtig für das Unterlassen dieser Prüfung sei die Klägerin, da es sich bei dem von den Beklagten behaupteten Vorgehen um eine Routinemaßnahme handele, die nicht habe dokumentiert werden müssen.

    Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Sie rügt im wesentlichen, das Landgericht habe die Beweislast verkannt; wegen der weitreichenden Folgen, die das Einsetzen eines Inlays auf einen abgestorbenen Zahn haben könne, müssten alle diagnostischen Maßnahmen zu Feststellung der Vitalität des Zahnes ausreichend dokumentiert werden. Die unterbliebene Dokumentation führe im Ergebnis zu einer Beweislastumkehr zu ihren Gunsten. Darüber hinaus spreche bereits ein Anscheinsbeweis für den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlung und kurz danach aufgetretener Vereiterung des Zahns. Die von den Beklagten behauptete Prüfung der Vitalität mittels Kaltluft habe schon deshalb nicht greifen können, weil ihr, der Klägerin, auf ihr dringendes Verlangen hin sofort nach Beginn der Behandlung und vor allen anderen Maßnahmen die Betäubungsspritze gesetzt worden sei. Danach habe sie nichts mehr verspürt.

    Die Klägerin beantragt,

    unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Die Beklagten beantragen,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe:

    I.

    Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein Schmerzensgeldanspruch weder gegen den Beklagten zu 3) gemäß den §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB (a.F.), noch gegen die Beklagten zu 1) und 2) aus §§ 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB (a.F.) zu. Denn das Landgericht hat zu Recht ausgeführt, dass ein Behandlungsfehler des Beklagten zu 3) nicht festgestellt werden kann.

    1.

    Dass der Beklagte zu 3) das Inlay in einen abgestorbenen Zahn eingesetzt hat, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme entgegen der Auffassung der Klägerin nicht fest. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Dr. H. konnte zu diesem Punkt nachträglich keine Feststellungen treffen. Insofern ist er zwar in seinem schriftlichen Gutachten vom 20.9.2000 von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, da er die Schilderung der Beklagten, der Zahn habe auf Kaltluft sensibel reagiert, als unstreitig zugrunde gelegt hat. Dies hat er jedoch bei seiner mündlichen Anhörung am 9.8.2001 korrigiert; danach ist unter Berücksichtigung des Sachvortrages der Beklagten davon auszugehen, dass der Zahn bei der Behandlung vital war, während auf der Grundlage der Schilderung der Klägerin keine Aussage darüber möglich ist, ob der Zahn vital oder devital war (Bl. 129 GA). Aus den Behandlungsunterlagen der nachbehandelnden Kieferklinik, die dem Sachverständigen vorlagen, ergibt sich nichts anderes.

    2.

    Für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers spricht auch nicht der Beweis des ersten Anscheins. Es mag sein, dass das Einsetzen eines Inlays in einen abgestorbenen Zahn typischerweise zu einer Vereiterung führt; eine Vereiterung kann aber auch aus ganz anderen Gründen entstehen, die, selbst wenn sie im Zusammenhang mit der Behandlung stehen, keinen Behandlungsfehler darstellen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. ist nicht einmal ausgeschlossen, dass die Entzündung - für den Beklagten zu 3) nicht erkennbar - bereits im Zeitpunkt der Behandlung im Entstehen begriffen war. Von daher verbietet sich der Rückschluss vom Auftreten einer Vereiterung auf einen Behandlungsfehler durch Einsetzen des Inlays in einen abgestorbenen Zahn.

    3.

    Die Beweislast dafür, dass der Zahn 35 bei Behandlung durch den Beklagten zu 3) bereits abgestorben war, liegt bei der Klägerin. Zwar können dem Patienten Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes zugute kommen, wenn der Arzt es schuldhaft unterlassen hat, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunde zu erheben und zu sichern und wenn dadurch die Aufklärung eines immerhin wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Behandlungsfehler (Unterlassung) und Gesundheitsschaden erschwert oder vereitelt wird und die Befundsicherung gerade wegen des erhöhten Risikos des in Frage stehenden Verlaufs geschuldet war. Davon ist hier jedoch nicht auszugehen:

    Wie der Sachverständige Dr. H. bei seiner Anhörung bekundet hat, ist vor einer Wiedereinsetzung eines herausgefallenen Inlays eine Zahnuntersuchung regelmäßig veranlasst, wozu auch eine Vitalitätsprüfung gehört (Bl. 124 GA). Dabei reicht allerdings das von den Beklagten behauptete Vorgehen des Beklagten zu 3) aus, wenn der Zahn bereits bei der Säuberung mit Kaltluft aus der Multifunktionsdüse sensibel reagiert. Dies ist nach den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten ein hinreichend sicheres Zeichen, dass der Zahn noch vital ist (Zusatzheft Seite 7 sowie Bl. 124 GA).

    Ob der Beklagte zu 3) in dieser Weise vorgegangen ist, ist nach dem wechselseitigen Vorbringen der Parteien und dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme offen geblieben. Zwar haben die Beklagten hierzu in zweiter Instanz weiteren Zeugenbeweis angeboten, darauf kommt es jedoch nicht an. Denn das Landgericht hat der Klägerin zu Recht die Beweislast dafür auferlegt, dass sich der Beklagte zu 3) vor dem Wiedereinsetzen des Inlays nicht von der Vitalität des Zahns überzeugt hat. Entgegen der von ihr vertretenen Auffassung liegen Dokumentationsversäumnisse, an die Beweiserleichterungen anknüpfen könnten, nicht vor.

    Die ärztliche Dokumentation, das Festhalten von Daten, Maßnahmen, Befunden, Gesprächen etc. in Krankenunterlagen, dient vor allem therapeutischen Belangen, nicht aber einer eventuellen späteren Rechtsverfolgung. Der Arzt schuldet in therapeutischer Hinsicht eine dem medizinischen Standard entsprechende Führung von Aufzeichnungen (und deren Aufbewahrung), soweit die betreffenden Daten für eine weitere Behandlung des Patienten entweder durch denselben Arzt, medizinisches Personal oder aber durch einen anderen Arzt von Bedeutung sein können. Voraussetzung ist also, dass die Aufzeichnungen etwa einer bestimmten Maßnahme geboten war, um Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf der Krankheit und die bisherige Behandlung für ihre künftigen Entscheidungen ausreichend zu informieren. Eine Dokumentation, die medizinisch nicht in dieser Weise erforderlich ist, ist auch nicht aus Rechtsgründen geboten (vgl. BGH, VersR 1993, 836). Insbesondere müssen selbstverständliche Routineschritte nicht festgehalten werden. Wie der Sachverständige Dr. H. bei seiner Anhörung ausgeführt hat, gehört es zur Routine, dass bei einer klinischen Inspektion ein Spiegel und die Multifunktionsspritze eingesetzt werden; er hat eine Dokumentation dieser Maßnahme nicht für erforderlich gehalten, wenn keine zusätzlichen Anzeichen einer weitergehenden Erkrankung des Zahnes bestehen.

    Dem ist hier zu folgen. Die Multifunktionsspitze kommt erfahrungsgemäß bei Zahnbehandlungen häufig zum Einsatz, da sie ein probates Mittel darstellt, den zu behandelnden Zahn von Speiseresten, Speichel etc. zu säubern. Der Einsatz dieser Multifunktionsspritze ist sicherlich nicht in jedem Fall dokumentationspflichtig; etwas anderes gilt hier auch nicht deshalb, weil die dabei routinemäßig gewonnenen Erkenntnisse über die Sensibilität des Zahnes die nach den Ausführungen des Sachverständigen notwendige Vitalitätsprüfung darstellen.

    4.

    Da der Klägerin weitergehende Beweismittel für ihre Behauptung, der Beklagte zu 3) habe die Vitalitätsprüfung unterlassen, nicht zur Verfügung stehen, kommt eine Haftung der Beklagten für den Gesundheitsschaden der Klägerin nicht in Betracht. Wie der Sachverständige bei seiner Anhörung ausgeführt hat, liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte zu 3) eine etwaige bereits beginnende Entzündung am Zahn 35 der Klägerin erkennen musste.

    II.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

    Die Beschwer der Klägerin liegt unter 20.000 ?.

    Die Revisionszulassung ist nicht veranlasst.

    RechtsgebieteBGB, ZPOVorschriftenBGB § 823 Abs. 1 (a.F.) BGB § 847 Abs. 1 (a.F.) ZPO § 97 Abs. 1 ZPO § 708 Nr. 10 ZPO § 713