16.07.2013 · IWW-Abrufnummer 132220
Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 27.06.2013 – 12 U 127/12
1. In der Krankheitskostenversicherung ist der Versicherungsfall nicht vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten, wenn vor Beginn ein körperlicher Befund zwar Gegenstand einer ärztlichen Untersuchung war, der vom Arzt angeratene Verzicht auf eine ärztliche Heilbehandlung aus medizinscher Sicht aber eine gut vertretbare Alternative darstellte, weil die mit der Untersuchung begonnene Heilbehandlung auch wieder abgeschlossen wurde.
2. Das Vorliegen einer Behandlungsbedürftigkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 MB/KK bemisst sich nach objektiven Kriterien, wobei ein ebenfalls nach objektiven Kriterien zu bestimmender Entscheidungsspielraum eröffnet ist.
Tenor:
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 06. Juli 2012 - 3 O 14/12 - im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.534,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.02.2012 zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 361,17 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.02.2012 zu zahlen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger, der gesetzlich krankenversichert ist, schloss bei der Beklagen mit Wirkung vom 01.11.2008 eine Zahnzusatzversicherung mit den Tarifen " flexiZahnbehandlung" und "flexiZahnersatz top" ab. Sein Antrag datiert vom 20.10.2008.
Unter § 2 Nr. 1 der in den Vertrag einbezogenen Versicherungsbedingungen heißt es:
"Für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, wird nicht geleistet."
§ 1 Nr. 2 lautet:
"Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund eine Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht."
Am 14.08.2008 wurde durch den behandelnden Zahnarzt H eine Röntgenaufnahme des klägerischen Gebisses angefertigt, und der Kläger über Zahnersatz und eine PA-Behandlung beraten. Am 16.03.2011 wurden beim Kläger Implantate an den Zähnen 15 - 17 gesetzt. Die Behandlung wurde am 01.04.2011 mit 3.253,21 € und am 07.09.2011 mit 4.045,90 € in Rechnung gestellt. Nach Abzug eines Zuschusses der Krankenkasse von 380,77 € macht der Kläger 80 % der Summe geltend.
Der Kläger ist der Ansicht, dass der Versicherungsfall erst nach Antragstellung eingetreten sei. Der Versicherungsfall beginne nämlich erst mit der medizinisch notwendigen Heilbehandlung. Dabei könne nicht jede medizinische Untersuchung bereits den Eintritt eines Versicherungsfalles darstellen. In diesem Zusammenhang behauptet der Kläger unter Bezugnahme auf ein Schreiben seines behandelnden Zahnarztes H vom 12.08.2011 , dass bei Antragstellung kein akuter Handlungsbedarf vorgelegen habe; er sei klinisch beschwerdefrei gewesen. Erst 2010 habe er Schmerzen an den Zähnen 15 - 17 bekommen.
Der Kläger hat beantragt:
1.
Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.534,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,
2.
Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 361,17 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Versicherungsfall bereits vor Antragstellung eingetreten sei. Hierzu behauptet sie unter Bezugnahme auf ein Gutachten des Zahnarztes G vom 05.04.2011 , dass die Brücke der Zähne 15 - 17 bereits bei Antragstellung insuffizient gewesen sei. Der röntgenologische Befund habe insofern nicht übersehen werden können.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 06.07.2012, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Der Versicherungsschutz umfasse nicht Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten seien. Die Heilbehandlung beginne mit der ersten Inanspruchnahme einer ärztlichen Tätigkeit. Zur Behandlung einer Krankheit gehöre nicht nur die unmittelbare Heiltätigkeit, sondern auch schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf die Erkennung des Leidens abziele. Die Feststellungen in der Röntgenaufnahme und die Beratungen über den Zahnersatz reichten aus, um von einer begonnenen Heilbehandlung und somit von einem Versicherungsfall im Sinne der Versicherungsbedingungen auszugehen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Das Landgericht habe die Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes H nicht hinreichend gewürdigt. Danach habe zum damaligen Zeitpunkt kein akuter Handlungsbedarf bei klinisch beschwerdefreiem Patienten bestanden. Das Landgericht hätte angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse der Privatgutachter ein gerichtliches Sachverständigengutachten, dass kein Zahnschaden und damit keine Notwendigkeit für eine Heilbehandlung bei Erstellung der Röntgenaufnahme am 14.08.2008 vorgelegen haben, einholen müssen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Der Senat hat ein schriftliches Sachverständigengutachten durch den Sachverständigen Dr. B eingeholt (Gutachten vom 24.03.2013). In der mündlichen Verhandlung vom 07.05.2013 hat der Senat den Zeugen H vernommen und der Sachverständige Dr. B hat sein Gutachten mündlich erläutert (siehe Sitzungsniederschrift vom 07.05.2013, II 145 ff.).
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Parteien streiten darüber, ob nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (im Folgenden: AVB - Stand 01.2011) bereits mit der Beratung und Anfertigung eines Orthopantomogramms (OPG) am 14.08.2008 durch den Zahnarzt H der Versicherungsfall gemäß § 2 Nr. 1 AVB eingetreten ist. Nach dieser Klausel haftet die Beklagte nämlich nicht für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes - und damit vor dem 01.11.2008 - eingetreten sind. Die Beweislast dafür, dass der Versicherungsfall schon vor Eintritt des Versicherungsschutzes begonnen hat, obliegt dem Versicherer (Bach/ Moser, Private Krankenversicherung, 4. Aufl., § 2 MB/KK Rn. 39; a. A. Prölss/Martin, a.a.O., § 2 MB/KK Rn. 4). Diesen Beweis hat die Beklagte nicht erbracht.
2. Versicherungsfall ist nach § 1 Abs. 2 AVB die medizinisch notwendige Heilbehandlung. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 AVB beginnt der Versicherungsfall dabei mit der Heilbehandlung, d. h. der ärztlichen Tätigkeit, die durch die betroffene Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf die Heilung oder Linderung der Krankheit abzielt, mag dieses Endziel auch erst nach Unterbrechungen oder mit Hilfe weiterer Ärzte erreicht werden. Der Versicherungsfall beginnt gem. § 1 Abs. 2 AVB nicht bereits mit der Erkrankung selbst, sondern erst mit der Heilbehandlung und endet danach nicht schon mit dem Abbruch oder Beendigung der Behandlung, sondern erst mit dem Wegfall der nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilenden Behandlungsbedürftigkeit (OLG Stuttgart VersR 2011, 1506 [OLG Stuttgart 07.07.2011 - 7 U 27/11]). Für die Frage, ob eine ärztliche Leistung als "Beginn der Heilbehandlung" anzusehen ist, ist der richtige Bezugspunkt nicht der konkrete Auftrag des Patienten an den Arzt, sondern die behandlungsbedürftige Krankheit selbst. Das zeigt auch die Bestimmung über das Ende des Versicherungsfalls, der nämlich nicht schon damit endet, dass das Vertragsverhältnis mit dem jeweils behandelnden Arzt seinen Abschluss gefunden hat, sondern erst dann, wenn nach medizinischem Befund keine "Behandlungsbedürftigkeit" mehr besteht, gleichgültig, wie viele Ärzte nebeneinander oder nacheinander zur Behandlung dieser Krankheit tätig geworden sind. Nach gefestigter Rechtsprechung beginnt die Heilbehandlung mit der ersten Inanspruchnahme einer solchen ärztlichen Tätigkeit, wobei zur Behandlung nicht nur die unmittelbare Heiltätigkeit, sondern auch schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf ein Erkennen des Leidens abzielt, gehört, ohne Rücksicht darauf, ob sofort oder erst nach weiteren Untersuchungen eine endgültige und richtige Diagnose gestellt und mit den eigentlichen Heilmaßnahmen begonnen worden ist. (BGH VersR 1978, 271; VersR 1996, 1224 [BGH 10.07.1996 - IV ZR 133/95]; OLG Stuttgart VersR 2011, 1506).
Die hier streitig Frage, ob mit der Untersuchung und Erstellung der Panoramaaufnahme am 14.08.2008 die Behandlung beim Kläger beendet gewesen ist, bemisst sich nicht nach subjektiven, sondern alleine nach objektiven Kriterien. Der Versicherungsfall endet erst dann, wenn nach objektiv medizinischem Befund keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht. Hierbei ist ein nach objektiven Kriterien zu bestimmender Entscheidungsspielraum eröffnet (BGH Vers 1978, 271; Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 1 MB/KK Rn. 16). Dabei ist das Zeugnis des behandelnden Arztes alleine kein geeignetes Beweismittel für die Ermittlung der Grenzen der vertretbaren Entscheidungen; vielmehr bedarf es hierfür der Einholung eines Sachverständigengutachtens (BGH VersR 1979, 221 - [...] Tz. 20; OLG Stuttgart VersR 2011, 1506 - [...] Tz. 24; OLG Koblenz VersR 2008, 339 - [...] Tz. 33; OLG Köln VersR 2004, 631).
3. Gemessen hieran war die Untersuchung mit Erstellung einer Röntgenaufnahme und PA-Behandlung am 14.08.2008 durch den behandelnden Zahnarzt H noch kein Versicherungsfall im Sinne von § 1 Abs. 2 AVB in Bezug auf die jetzt angefallene Implantatbehandlung. Ausweislich der Patientenkartei suchte der Kläger den Zeugen H zwar am 14.08. 2008 auf. Hierbei wurde neben einer klinischen Untersuchung der PSI-Index erhoben und eine Panoramaschichtaufnahme (PSA) gefertigt. Außerdem ist in der Karteikarte eine Zahnersatz-(ZE)- und Parodontal-(PA)beratung dokumentiert. Vom 16.09.2008 bis 20.10.2008 wurde eine Planung zur systematischen Parodontalbehandlung erstellt und diese anschließend durchgeführt. Weiter steht nach der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger seinen Angaben zufolge, die auch vom Zeugen H bestätigt worden sind, im August 2008 wegen aktuellen Probleme an seinen Schneidezähne den Zeugen H aufgesucht hat und deswegen behandelt worden ist. Dieser Behandlungsteil ist allerdings nicht streitig, weil die Behandlung der Schneidezähne noch in 2008 beendet worden ist.
Den glaubhaften Bekundungen des Zeugen H zufolge war mit der Aufnahme des Zahnstatuts beim Kläger als neuem Patienten und der anschließenden Behandlung der Parodontitis, die insbesondere eine Mundhygiene beinhaltete, die zahnärztliche Versorgung des klägerischen Gebisses im Jahr 2008 beendet. Der Zeuge H hat schlüssig dargelegt, dass beim Kläger kein idealer Gebisszustand vorlag, und auch an den Zähnen 15 und 17 eine teilinsuffiziente Brücken- bzw. Kronensituation gegeben war. Der Kläger habe sich aber beschwerdefrei gefühlt. Es sei in dieser konkreten Situation seine Aufgabe als behandelnder Zahnarzt gewesen, die Überlegung anzustellen, ob schon sofortige Maßnahmen notwendig seien oder ob sich für die nahe Zukunft irgendwelche notwendigen Behandlungsschritte ergeben würden. Zwar sei der Kronenrand der Zähne 15 und 17 insuffizient gewesen, das heißt, es sei ein Kronenrand vorhanden gewesen, der nicht mehr richtig abgeschlossen habe. Er habe aber damals noch keine Maßnahmen wie Implantate für notwendig erachtet. Wegen der Beschwerdefreiheit sei er davon ausgegangen, dass man noch eine ganze Weile, möglicherweise sogar noch mehrere Jahre mit der Neuversorgung dieses Teils des Gebisses habe zuwarten können. Seines Erachtens sei mehr als der Rat einer guten Pflege im August 2008 nicht angezeigt gewesen. Anders hätte er sich dann entschieden, wenn der Kläger entweder Schmerzen verspürt oder sich ein entzündlicher Zustand gezeigt hätte. Beides sei nicht der Fall gewesen.
Nach den Angaben des behandelnden Zahnarztes H lag in 2008 für die Neuanfertigung von Zahnersatz damit kein akuter Behandlungsbedarf vor. Vielmehr stellte sich das Hinausschieben der Komplettsanierung im Bereich der Zähne 15 und 17 für den behandelnden Zahnarzt als eine medizinisch gut vertretbar Alternative dar.
Der von der Beklagten beauftragte Zahnarzt G hat demgegenüber festgestellt, dass bei Antragstellung die Brücke 17 -15 bereits insuffizient war und dies aus dem röntgenologischen Befund hervorgehe. Hiervon gehen auch der behandelnden Zahnarzt H und der Sachverständige aus. Der Sachverständige Dr. B hat nach der Auswertung der am 14.08.2008 angefertigten digitalen PS-Aufnahme einen parodontologischen, chirurgischen und prothetischen Handlungsbedarf konstatiert. Zumindest die vorhandenen Kronen auf den Zähnen 11, 12, 13, 14 sowie die vorhandene Brücke 15 - 17 waren auf Grund erheblicher cariöser Einbrüche unterhalb der Kronenränder zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als funktionstüchtig zu betrachten und bedurften der Substitution. Diese Befunde sind - so weiter der Sachverständige - deutlich auf der Röntgenaufnahme zu sehen. Dass der Kläger keine Schmerzen verspürte, ist darauf zurückzuführen, dass die Brückenpfeiler endodontisch behandelt waren und deshalb auch die cariösen Einbrüche an den Brückenpfeilern nicht zu spüren waren.
Der Sachverständige Dr. B ist anlässlich seiner Anhörung den Ausführungen des behandelnden Zahnarztes H vollumfänglich darin gefolgt, dass es bei dem Befund des klägerischen Gebisses auf Grund der Panoramaschicht-Aufnahme aus dem Jahr 2008 möglich und medizinisch durchaus vertretbar gewesen sei, sofort mit der Behandlung zu beginnen. Es sei aber genauso gut vertretbar gewesen, mit der Behandlung - so wie der Kollege H es letztlich getan habe - noch zu zuwarten. Dies sei auch dadurch bestimmt gewesen, dass der Kläger in 2008 beschwerdefrei gewesen sei. Die Notwendigkeit und Dringlichkeit der hier streitigen Maßnahme ist - so der Sachverständige - damit im August 2008 nicht gegeben gewesen. Es habe auch die weitere Möglichkeit bestanden, die Brücke herauszunehmen, die Wurzelstümpfe zu reinigen, einen entsprechenden Aufbau vorzunehmen und wieder eine Brücke einzusetzen. So hätte vielleicht die teurere Implantat-Lösung aus 2011 vermieden oder zumindest zeitlich nach hinten verschoben werden können. Wie er sich im August 2008 tatsächlich verhalten hätte, vermochte der Sachverständige nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten, weil er nicht den Patienten selbst, sondern nur die Lichtbilder gesehen hat. Der Sachverständige hat aber nochmals ausdrücklich betont, dass er selbst mit der Vorgehensweise des Zeugen H durchaus sympathisiere. Der Sachverständige hat somit die Vorgehensweise des behandelnden Arztes für medizinisch gut vertretbar angesehen und bewertet.
4. Danach steht im vorliegenden Fall fest, dass die hier im Streit stehende Implantatbehandlung im August 2008 medizinisch noch nicht zwingend notwendig gewesen ist. Im Jahr 2008 wurde auch nicht mit der Implantatbehandlung begonnen, sondern nur eine Versorgung der beiden Schneidezähne vorgenommen und eine Mundhygiene- und Parodontitisbehandlung durchgeführt. Es fehlt mithin hier an einer notwendigen Heilbehandlung der Brücke im Bereich der Zähne 15 und 17 bereits im August 2008. Eine solche Heilbehandlung hat auch im August 2008 nicht begonnen und ist damit auch nicht nach Versicherungsbeginn fortgesetzt und beendet worden.
Die Frage der Behandlungsbedürftigkeit bemisst sich - wie ausgeführt - nach objektiven Kriterien, wobei ein ebenfalls nach objektiven Kriterien zu bestimmender Entscheidungsspielraum eröffnet ist. Ist der Verzicht auf eine ärztliche Heilbehandlung aus medizinscher Sicht eine gut vertretbare Alternative, so ist die mit der Untersuchung begonnene Heilbehandlung auch wieder abgeschlossen. Ein solcher Entscheidungsspielraum ist hier aus der Sicht des Sachverständigen Dr. B für den behandelnden Zahnarzt eröffnet gewesen. Unter medizinisch vertretbaren Alternativen kann der behandelnde Arzt aber im Benehmen mit dem Patienten grundsätzlich frei wählen.
Die Entscheidung, die Implantatbehandlung im August 2008 nicht durchzuführen, stellt eine medizinisch vertretbare Vorgehensweise dar. Der behandelnde Zahnarzt hat sich damit in dem ihm eröffneten Beurteilungsspielraum bewegt. Es bestand bei der vorliegenden Fallkonstellation im August 2008 aus medizinischer Sicht die Möglichkeit mit einer Behandlung zu beginnen, wobei der Sachverständige auch noch die Reinigung der Brückenpfeiler als Alternative aufgezeigt hat. Daneben war es aber in gleichem Maße vertretbar, auf den Befund zeitnah keine weiteren ärztlichen Maßnahmen zu ergreifen. Im vorliegenden Fall war es im August 2008 nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen gut vertretbar, eine zeitnahe aufwendigen Implantatbehandlung nicht anzuraten, sondern damit bis zur Änderung des Zustands zuzuwarten, weil der Kläger beschwerdefrei war und sich sein Zahnzustand so dargestellte, dass er trotz der kariösen Ansätze am Kronenrand zunächst auf Mundhygiene verwiesen werden konnte. Die Implantatbehandlung ist damit erst nach Abschluss des Versicherungsvertrags und nach Ablauf der Wartezeit im Sinne einer Heilbehandlung notwendig gewesen. Ein so begründeter Abschluss ärztlicher Maßnahmen stellt ein Behandlungsende auch dann dar, wenn eine andere Entscheidung ebenfalls vertretbar gewesen wäre.
Der Kläger hat wegen der Situation an den Zähnen 15 -17 seinen Zahnarzt erst wieder aufgesucht, als im Jahr 2010 eine schmerzhafte Zyste zu Tage getreten war. Diese gab dann den Anlass für die Implantatbehandlung, deren Kosten der Kläger erstattet haben möchte.
Der Kläger kann somit die mit der Klage geltend gemachten, der Höhe nach unstreitigen Zahnbehandlungskosten von insgesamt 5.534,67 € (6.918,34 € hiervon 80%) beanspruchen.
5. Zinsen in der geltend gemachten Höhe sind - wie beantragt - ab Rechtshängigkeit zuzusprechen (§§ 288, 291 BGB).
6. Weiter kann der Kläger (§ 286 BGB) Erstattung der mit der Klage geltend gemachten Rechtsanwaltskosten von 361,17 € (1,5 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, 20,00 € Pauschale zuzüglich 19% MwSt) aus vorgerichtlich von seinem Prozessbevollmächtigten angemahnten 2.602,57 € beanspruchen. Die Beklagte hat hiergegen nichts, auch nicht gegen die i. H. v. 1,5 in Ansatz gebrachte Rahmengebühr weiter vorgebracht.
III.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Zöller Vors. Richter am Oberlandesgericht
Lampel-Meyer Richterin am Oberlandesgericht
Schölch Richter am Landgericht
Verkündet am 27. Juni 2013