14.06.2018 · IWW-Abrufnummer 201777
Verwaltungsgericht Köln: Urteil vom 10.11.2017 – 19 K 533/16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Verwaltungsgericht Köln
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
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T a t b e s t a n d
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Der am 00.00.1951 geborene Kläger ist als Beamter des beklagten Landes zu einem Bemessungssatz von 50 % beihilfeberechtigt.
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Er unterzog sich in der Praxis der Zahnärztin Frau Dr. F. zur Behandlung einer chronischen Parodontitis einer sog. antimikrobiellen photodynamischen Therapie (PDT) am 15.04.2015 sowie am 02.07.2015. Für die Leistungen im Rahmen der aPDT legte die Zahnärztin ausweislich ihrer Rechnungen die GOZ-Nummern 4138a, 4025p und 4150p fest. Wegen der Einzelheiten wird auf die Rechnungen der Praxis Dr. F. vom 29.04.2015 sowie vom 07.07.2015 Bezug genommen.
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Bei dem beklagten Land beantragte der Kläger unter dem 10.08.2015 die Zahlung einer Beihilfe, u. a. zu den Aufwendungen für die PDT in Höhe von 173,46 EUR.
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Die Beihilfestelle des beklagten Landes lehnte die Zahlung einer Beihilfe für die geltend gemachten Aufwendungen zu der PDT mit Bescheid vom 14.09.2015 ab, da die in der eingereichten Rechnung vom 07.07.2015 ausgewiesenen Analogbewertungen beihilferechtlich nicht anerkannt werden könnten.
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Gegen den Bescheid erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 19.10.2015 Widerspruch. Er trägt zur Begründung insbesondere vor: Zahlreiche Forschungen und Studien hätten die Wirksamkeit der PDT bestätigt. Es handle sich hierbei um eine selbständige zahnärztliche Leistung, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen worden sei und entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses dieser Verordnung berechnet werden könne.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 06.01.2016 wies das beklagte Land den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass zu der PDT keinerlei – über vereinzelt klinische Studien hinausgehende – fundierte Forschungsergebnisse vorlägen; ein wissenschaftlicher Nachweis stehe noch aus. Die Therapie gehöre auch nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen.
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Der Kläger hat am 01.02.2016 Klage erhoben.
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Er macht im Wesentlichen geltend, dass die PDT in der zahnärztlichen Praxis eine breite Anwendung finde. Es handle sich um ein hinreichend entwickeltes und auch in der zahnärztlichen Medizin anerkanntes Verfahren. Die medizinische Notwendigkeit sei gegeben. Der Kläger bezieht sich dazu insbesondere auf eine wissenschaftliche Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie aus November 2014. Hiernach sei die PDT für sich genommen wirksam zur kurzfristigen Reduktion der Bakterienlast. Es gebe auch u. a. eine Verbesserung der parodontalen Parameter und es werde eine Zugänglichkeit sonst unerreichbarer Keimreservoirs erreicht. Das beklagte Land dürfe keine unangemessen hohen Maßstäbe in der Frage der wissenschaftlichen Anerkennung anlegen. Nach der Rechtsprechung des BGH müsse eine medizinische Heilbehandlung immer dann als medizinisch notwendig angesehen werden, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar gewesen sei, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Ferner müsse anhand der im Einzelfall maßgeblichen notwendigen Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung geurteilt werden.
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Der Kläger beantragt,
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das beklagte Land unter Abänderung des Bescheides vom 14.09.2015 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2016 zu verpflichten, ihm zu seinem Beihilfeantrag vom 10.08.2015 eine weitere Beihilfe in Höhe von 86,73 EUR zu bewilligen.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 06.01.2016. Ergänzend trägt das beklagte Land vor, dass eine evidenzbasierte Bewertung der PDT zur Behandlung der Parodontitis derzeit nicht möglich sei. Wenn überhaupt, würden vorrangig kurzzeitig Effekte erzielt. Fast jede Zusammenfassung der bislang ca. 40 erschienenen klinischen Studien bzw. Übersichtsarbeiten ende mit der Forderung nach besseren Langzeitstudien. Es gebe zudem noch keine wirklich spezielle, auf die Belange der Parodontologie zugeschnittene PDT-Technik. Vor diesem Hintergrund bestehe offenkundig nach wie vor kein breiter wissenschaftlicher Konsens über die hier streitbefangene Behandlungsmethode; ein solcher stehe auch nicht unmittelbar bevor.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des beklagten Landes.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
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Der angefochtene Beihilfebescheid vom 14.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2016 ist hinsichtlich der klageweise geltend gemachten Aufwendungen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen einer sog. PDT, da diese aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Anerkennung dieser Methode von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sind.
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Nach beihilferechtlichen Grundsätzen sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, § 3 Abs. 1 BVO NRW in der damals gültigen Fassung vom 10.12.2014 (a. F.). Maßgebliches Recht ist das im Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendung geltende Beihilferecht. Notwendige Behandlungsmaßnahmen sind solche, die auf die Beseitigung, Besserung oder Linderung von Leiden oder Körperschäden gerichtet sind. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO NRW a. F. sind Aufwendungen für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlung von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen.
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Im konkreten Fall hat die Zahnärztin Dr. F. die PDT im Hinblick auf die Beihilfefähigkeit zu Unrecht analog der GOZ-Nummern 4138a, 4025p und 4150p abgerechnet. Denn die PDT-Behandlung konnte nicht nach Maßgabe der GOZ in entsprechender Anwendung mit Wirkung der Anerkennung als beihilfefähig abgerechnet werden, da die PDT eine nicht anerkannte Heilbehandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO NRW a. F. ist.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 29.06.1995 – 2 C 15/94) sind folgende Anforderungen an den Begriff der wissenschaftlichen Anerkennung zu stellen:
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„Um "anerkannt" zu sein, muss einer Behandlungsmethode von dritter Seite - also von anderen als dem/den Urheber(n) - attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet zu sein und wirksam eingesetzt werden zu können. Um "wissenschaftlich" anerkannt zu sein, müssen Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Um "allgemein" anerkannt zu sein, muss die Therapieform zwar nicht ausnahmslos, aber doch überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt werden. Somit ist eine Behandlungsmethode dann "wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt", wenn eine Einschätzung ihrer Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt.“
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Grundlage für eine positive Einschätzung der Wirksamkeit und Geeignetheit der neuen Methode können zudem nur kontrollierte, wissenschaftlichen Standards genügende Studien sein; bloße Erfahrungsbericht von Ärzten, die die neue Methode angewendet haben, reichen nicht aus,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.02.2007 – 1 A 1048/05 –, juris Rn. 40.
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Die PDT ist nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt zur Behandlung der chronischen Parodontitis. Dies ergibt sich aus der von der DGZMK sowie der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie veröffentlichten Stellungnahme (Gemeinsame Mitteilung) des Herrn Prof. Dr. Meisel und des Herrn Prof. Dr. Kocher („Photodynamische Therapie in der Parodontologie – viele Studien, wenig Evidenz“).
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Diese Stellungnahme beruht auf der Auswertung von ca. 40 bis zum November 2014 erschienenen klinischen Studien. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass „eine evidenzbasierte Bewertung der PDT zur Behandlung der Parodontitis derzeit nicht möglich ist“. Mit diesem Ergebnis bringt die Stellungnahme zum Ausdruck, dass die Wirksamkeit der PDT nicht verlässlich durch empirische Belege/Studien belegt werden könne. Die ausgewerteten Studien böten ein heterogenes Bild; sie seien teils widersprüchliche und oft mit geringer Probanden Zahl durchgeführt worden.
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Den Studien sei zu entnehmen, dass die PDT zwar geeignet sei, die Bakterienlast kurzfristig zu reduzieren; damit könnten vorrangig kurzfristige Effekte mit der PDT erzielt werden. Es bestünden Anwendungsempfehlungen, die PDT als „adjuvante“ (ergänzende) Therapie zusätzlich zu den konventionellen nicht chirurgischen Methoden zu nutzen. Es gäbe aber zu wenig Evidenz dafür, dass die PDT als unabhängige Behandlung oder als Ergänzung zu den klassischen Behandlungsmethoden von Vorteil gegenüber der alleinigen Behandlung durch klassische Behandlungsmethoden ist. Abschließend stellt die Stellungnahme fest, dass es noch keine speziell auf die Belange der Parodontologie zugeschnittene PDT-Technik gibt.
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Vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Mitteilung kann von einem weitgehenden wissenschaftlichen Konsens über die Geeignetheit und Wirksamkeit der PDT nicht ausgegangen werden; ein solcher steht auch nicht unmittelbar bevor, so dass eine Beihilfebewilligung auch aus Fürsorgegesichtspunkten nicht geboten ist. Die bloße Möglichkeit einer wissenschaftlichen Anerkennung genügt nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.06.1998 – 2 C 24/97, juris).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.
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Eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit war nicht geboten, da das beklagte Land in der mündlichen Verhandlung auf die Geltendmachung außergerichtlicher Kosten im Falle eines Unterliegens des Klägers wirksam verzichtet hat.