19.11.2018 · IWW-Abrufnummer 205558
Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 11.04.2018 – 18 U 159/16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 24.11.2016 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.000,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 19.03.2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 79 % und die Beklagte zu 21 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des ersten Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Die Kosten des erneuten Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 77 % und die Beklagte zu 23 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
2I.
3Die Klägerin nimmt die beklagte Zahnärztin auf Rückzahlung des geleisteten Zahnarzthonorars und Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch.
4Das Landgericht hatte der Klage nach Anhörung der Parteien und des Sachverständigen A… zunächst durch Teilurteil vom 07.04.2014 in Höhe von 6.578,38 € nebst Zinsen stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat der Senat das Teilurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
5Nach Zurückverweisung der Sache hat das Landgericht erneut die Parteien und den Sachverständigen angehört und der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 6.573,38 € und 2.000,- € Schmerzensgeld, jeweils nebst Zinsen, sowie vorgerichtliche Anwaltskosten von 429,47 € zu zahlen.
6Zur Begründung hat das Erstgericht im angefochtenen Urteil, auf das gemäß § 540 ZPO Bezug genommen wird, ausgeführt, dass der Vergütungsanspruch der Beklagten nach §§ 627, 628 BGB entfallen sei, weshalb die Klägerin aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB Rückzahlung der an die Beklagte geleisteten Vergütung von 6.578,38 € verlangen könne. Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten konkludent die außerordentliche Kündigung des Behandlungsvertrages erklärt, indem sie zu einem anderen Zahnarzt gewechselt und mit Anwaltsschreiben vom 26.11.2012 die Rückzahlung des geleisteten Zahnarzthonorars verlangt habe. Die Beklagte habe die Kündigung durch ihre fehlerhafte Behandlung der Klägerin veranlasst. Nach den Feststellungen des Sachverständigen A… seien die prothetischen Aufbauten des Zahnersatzes, die die Beklagte im Gebiss der Klägerin eingebracht habe, nicht nach dem erforderlichen zahnmedizinischen Standard gefertigt worden. Die aus Zirkonoxid gefertigten Aufbauten seien wulstig und sehr voluminös, so dass aus ästhetischer und funktionaler Sicht keine regelrechte Versorgung vorliege. Der mangelhafte Zustand sei durch Beschleifen oder anderweitiges Nacharbeiten nicht zu beseitigen; es sei eine Neuanfertigung erforderlich. Die Kronen- und Brückenversorgungen seien im cervikalen Bereich zu dick; die Kronenränder lägen teilweise frei; im rechten Unterkiefer befände sich keine Abstütze der Unterkieferprothese. Nach den Feststellungen des Sachverständigen liege eine Unbrauchbarkeit der zahnmedizinischen Versorgung vor. Der Zahn 27 hätte nicht in die Prothetik mit einbezogen werden dürfen.
7Die Klägerin könne darüber hinaus ein Schmerzensgeld von 2.000,- € verlangen. Es liege ein grober Behandlungsfehler der Beklagten vor. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass zu kurze Kronen Schmerzen und Karies an den freiliegenden Knochenrändern verursachen würden. Im Übrigen seien die Angaben der informatorisch angehörten Klägerin zu den von ihr erlittenen Schmerzen nachvollziehbar. Schließlich müsse sie sich einer erneuten Behandlung unterziehen.
8Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin eine vollständige Abweisung der Klage erstrebt.
9Entgegen der vom Landgericht getroffenen Feststellung seien die von ihr erbrachten prothetischen Zahnarztleistungen durchaus brauchbar, was sich bereits daraus ergebe, dass die Klägerin die prothetische Versorgung unstreitig seit der Eingliederung am 02.01.2012 nutze. Die Planung der Zahnbehandlung sei ordnungsgemäß gewesen; immerhin sei sie durch den von der B… eingesetzten Zahnarzt C… in vollem Umfang genehmigt worden. Schließlich habe auch der von der Krankenkasse eingeschaltete Gutachter D… zu keiner Zeit festgestellt, dass die Behandlung nicht de lege artis durchgeführt worden sei. Er habe lediglich eine Druckdolenz an dem Zahn 27 festgestellt, die aber bei der Planung und Eingliederung der zahnprothetischen Versorgung durch die Beklagte noch nicht vorgelegen habe. Der Zahn 27 sei durch den Chirurgen E… in Ordnung gebracht worden. Bei der Operation habe sich herausgestellt, dass an diesem Zahn kein Entzündungsherd vorhanden gewesen sei. Das Landgericht hätte die von der Klägerin als sachverständige Zeugen benannten Zahnärzte C… und D… hören müssen. Die Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters A… seien oberflächlich und setzten sich nicht konkret mit den Ursachen der Zahnschmerzen der Klägerin auseinander. Der angebliche Lockerungsgrad der Zähne, das Zahnfleischblutungen und die teilweise angeblich freiliegenden Kronenränder könnten auch auf eine schlechte Mundhygiene der Klägerin zurückzuführen sein. Der Sachverständige A… habe in Bezug auf den Zahn 27 bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 21.07.2014 ausgeführt, dass es grundsätzlich kein Fehler sei, einen Zahn in die prothetische Versorgung mit einzubeziehen, der nur in einem von 3 Wurzelkanälen gefüllt sei. Hierzu stehe die von ihm bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 07.11.2016 vertretene Auffassung, dass der Zahn 27 aufgrund der Wurzelbehandlung nicht hätte in die Prothetik miteinbezogen werden dürfen, in Widerspruch.
10Die Klägerin könne auch kein Schmerzensgeld verlangen, da weder ein Behandlungsfehler vorliege noch die Ursache für die Zahnschmerzen feststehe. Auch hier sei der Klägerin entgegenzuhalten, dass sie die prothetische Versorgung der Beklagten – trotz Schmerzen – seit 5 Jahren nutze.
11Die Beklagte beantragt,
12das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 24.11.2016 „aufzuheben“ und die Klage abzuweisen.
13Die Klägerin beantragt,
14die Berufung zurückzuweisen.
15Die Klägerin verteidigt das zu ihren Gunsten ergangene Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Das Berufungsgericht sei nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO an die vom Landgericht getroffenen Feststellungen gebunden. Verfahrensfehler in der Beweiswürdigung des Landgerichts lägen nicht vor.
16Die Klägerin sei gezwungen, die von der Beklagten eingesetzte Prothetik zu nutzen, da ihr die finanziellen Mittel für eine neue prothetische Versorgung fehlten. Die Beklagte habe durch Prozessverschleppung für die lange Prozessdauer gesorgt. Die Klägerin habe sich nicht dem Vorwurf der Beweisvereitelung aussetzen wollen. Weitere Zahnärzte hätten auf die Bitte um eine Anschlussbehandlung mit äußerster Zurückhaltung im Hinblick auf das vorliegende Verfahren reagiert. Das „Kurzgutachten“ des Zahnarztes C…, der lediglich den Heil- und Kostenplan geprüft habe, belege nicht, dass die anschließende Behandlung durch die Beklagte de lege artis gewesen sei. Das Landgericht habe die von der Beklagten als Zeugen benannten Zahnärzte C… und D… zu Recht nicht vernommen. Das Landgericht sei zutreffenderweise den Feststellungen des Gutachters – auch zur Kausalität der Falschbehandlungen – gefolgt. Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung eine vermeintlich schlechte Mundhygiene der Klägerin als Alternativursache anspreche, beruhe dies auf reiner Spekulation. Die Arbeiten im oberen Unterkiefer seien nach Ausführung und Planung unbrauchbar, wie der Sachverständige A… mehrfach schriftlich und mündlich erläutert habe. Die von der Klägerin angeführten Widersprüche in seinen Ausführungen zum Zahn 27 lägen nicht vor.
17Schließlich sei auch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes zu Recht erfolgt.
18Die Klägerin habe sich immer wieder mit Beschwerden und Schmerzen an die Beklagte gewandt. Diese habe jedoch nicht alle Termine in ihren Behandlungsunterlagen dokumentiert. Im März seien 3 weitere Termine am 2., 14. und 29.03.12 gewesen; im Juni seien weitere Termine am 25., 27., 30. und 31.07.12 gewesen; im August seien weitere Termine am 4., 6., 7., 27., 30. und 31.08.2012 und im September seien weitere Termine am 7., 10. und 21.09.2012 gewesen. Im Oktober habe dann noch ein weiterer Termin am 4.10.2012 stattgefunden. Sie – die Klägerin- sei sogar bei der Beklagten in Behandlung geblieben, nachdem sie bereits ihre Prozessbevollmächtigten beauftragt gehabt habe. Damit habe die Beklagte mehr als genug Gelegenheit erhalten, die prothetischen Arbeiten in Ordnung zu bringen. Reparabel sei der vorhandene Zahnersatz ohnehin nicht. Die Arbeit der Beklagten sei vielmehr im Ergebnis fehlgeschlagen. Insoweit sei der vorliegende Fall auch anders zu beurteilen als der vom OLG Köln mit Beschluss vom 27.08.2012 – I-5 U 52/12 – entschiedene Fall. Die Klägerin habe die prothetischen Arbeiten der Beklagten auch nicht über viele Jahre benutzt, weil sie sich seit Anfang 2012 nur von flüssiger bzw. ganz weicher Nahrung ernähren könne. Die Klägerin habe sich am 13.03.2017 in die notärztliche Behandlung begeben müssen; dabei sei die Unterkieferprothese entfernt worden. Der Zahn 27 sei gezogen worden. Dadurch habe die entsprechende Prothetik ihre Funktion verloren.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akte 34 H 5/12 AG Langenfeld Bezug genommen.
20II.
21Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
221.
23Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Zahmarzthonorars von 6.578,38 €.
24Der Honoraranspruch des Zahnarztes für die von ihm erbrachten zahnärztlichen und zahnprothetischen Leistungen entfällt auch bei Vorliegen von Behandlungsfehlern nur dann, wenn seine Leistungen für den betroffenen Patienten völlig unbrauchbar sind. Der Annahme der völligen Unbrauchbarkeit steht der Umstand entgegen, dass ein Patient die durchgeführte prothetische Versorgung seit mehreren Jahren in unveränderter Form trägt. Denn einen der Annahme der völligen Unbrauchbarkeit entgegenstehenden wirtschaftlichen Wert für den betroffenen Patienten stellt eine Versorgung der hier in Rede stehenden Art nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW 2011, 1674) auch dann dar, wenn sie zwar objektiv wertlos ist, der Patient sie aber gleichwohl nutzt. Allein durch die jahrelange tatsächliche Nutzung hat die umstrittene Versorgung für den Patienten einen wirtschaftlichen Wert. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Patient die angeblich mangelhafte Versorgung aus Gründen der Beweissicherung, aus finanziellen oder aus gesundheitlichen Gründen weiterhin getragen hat. Unerheblich ist auch, ob das Tragen der umstrittenen Prothetik mit erheblichen Beeinträchtigungen für den Patienten verbunden gewesen ist (OLG Köln, Beschluss vom 30.03.2015 – I-5 U 139/14 –, juris).
25Gemessen hieran kann eine völlige Unbrauchbarkeit der von der Beklagten erbrachten zahnärztlichen Leistungen nicht angenommen werden, mit der Folge, dass die Klägerin keine Rückzahlung des an die Beklagte geleisteten Honorars verlangen kann. Die Klägerin, die durch Vorsitzendenverfügung vom 16.03.2017 auf die oben zitierte Rechtsprechung des OLG Köln hingewiesen worden ist, hat die prothetischen Arbeiten unstreitig mehr als 5 Jahre genutzt und sich so lange nicht zum Zwecke einer Neuversorgung in zahnärztliche Behandlung begeben. Dass die Nutzung der gefertigten Prothesen mit erheblichen Einschränkungen, insbesondere bei der Nahrungsaufnahme für sie verbunden gewesen sei, spielt – wie oben ausgeführt – ebenso wenig eine Rolle, wie die Frage, was sie letztlich dazu bewogen hat.
262.
27Dahingegen hat das Landgericht der Klägerin zu Recht ein Schmerzensgeld von 2.000,- € zuerkannt.
28Das Landgericht hat folgende Behandlungsfehler festgestellt:
29• Einbeziehung des Zahns 27 (OK li) in die Prothetik; grober Behandlungsfehler
30• Prothetik (OK und UK, jeweils li und re) insgesamt zu wulstig und voluminös
31• teilweise freiliegende Kronenränder
32• keine Abstützung der UK- Prothese rechts.
33An diese Feststellungen ist der Senat nach § 529 Abs. 1 ZPO gebunden, denn es liegen keine konkrete Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen und eine erneute Feststellung gebieten würden.
34Der maßgebliche Einwand der Beklagten gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts geht dahin, dass die für die Bewilligung und Begutachtung der zahnärztlichen Leistungen von der Krankenkasse eingesetzten Zahnärzte C… und D… als Zeugen hätten gehört werden müssen. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zum einen hat die Beklagte keine konkreten (streitigen) Tatsachen, die in das Wissen der Zeugen gestellt werden, genannt. Zum anderen kommt es auf die fachkundige Meinung der Zeugen zur Qualität der zahnärztlichen Leistungen der Beklagten nicht an. Hierfür ist der gerichtliche Gutachter A… bestellt worden. Schon gar nicht kann aus der Tatsache, dass der Zahnarzt C… den von der Beklagten erstellten Heil- und Kostenplan genehmigt hat, auf die Ordnungsgemäßheit der von ihr dann schließlich durchgeführten Arbeiten geschlossen werden.
35Auch das Nachbesserungsrecht der beklagten Zahnärztin ist hier beachtet worden. Wie sich aus der Behandlungsdokumentation ergibt, haben nach Einsetzen der Prothese am 02.01.2012 zahlreiche weitere Termine bis Juli 2012 stattgefunden. Die Beklagte hat auch nicht etwa, nachdem ihr das im selbstständigen Beweisverfahren eingeholte Sachverständigengutachten vom 03.11.2012 zugegangen ist, eine Neuherstellung, wie sie der Sachverständige für erforderlich gehalten hat, angeboten. Sie bestreitet vielmehr bis heute die Mangelhaftigkeit ihrer Arbeiten.
36Die vom Landgericht vorgenommene Bemessung des Schmerzensgeldes mit 2.000,- € ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Immerhin liegt ein grober Behandlungsfehler der Beklagten, soweit sie den Zahn 27 in die Prothetik miteinbezogen hat, vor. Des Weiteren handelt es sich um sehr umfangreiche Arbeiten, die die Klägerin ein weiteres Mal über sich ergehen lassen muss.
37III.
38Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, mit Ausnahme der Kostenentscheidung für das erste Berufungsverfahren, das nur den Rückzahlungsanspruch von 6.578,38 € zum Gegenstand hatte. Insoweit beruht die Kostenentscheidung auf § 91 ZPO.
39Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 in Verbindung mit § 713 ZPO.
40Ein Grund, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht.
41Streitwert für das erneute Berufungsverfahren: 8.578,38 €