28.02.2006 · IWW-Abrufnummer 060628
Bundesgerichtshof: Urteil vom 18.01.2006 – IV ZR 244/04
Die Erstattungsfähigkeit zahnärztlicher Sachkosten kann durch Einführung von Höchstgrenzen unter Anknüpfung an bestimmte Leistungen in einer dem gewählten Tarif angehängten so genannten Sachkostenliste beschränkt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 244/04
Verkündet am:
18. Januar 2006
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno und die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2006
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 29. September 2004 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 30. März 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtsmittelzüge.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Erstattung von Sachkosten einer zahnärztlichen Behandlung des Klägers.
Der Kläger hält bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen seit dem 1. Juli 1998 u.a. die Tarifbedingungen (TB) des Tarifes "ECO 2500" zugrunde. Dieser sieht eine grundsätzliche Erstattung von Zahnbehandlungskosten in Höhe von 90% vor. Zur Erstattung von Sachkosten bei zahnärztlicher Behandlung heißt es in Nr. 10b (1) TB:
"Die Erstattung von Sachkosten bei zahnärztlicher und kieferorthopädischer Behandlung richtet sich nach den in der Sachkostenliste des versicherten Tarifes genannten Leistungsinhalten und Höchstpreisen, soweit nichts anderes vereinbart ist."
Der zweiseitigen - ausdrücklich auch für den Tarif "ECO 2500" gültigen - Sachkostenliste, die fortlaufend nummeriert einzelne Leistungsinhalte mit Preisobergrenzen benennt, sind u.a. folgende "Informationen zur Sachkostenliste" vorangestellt:
"1. Die Liste bezeichnet abschließend die Leistungen, die von einem Zahnarzt/einer Zahnärztin oder einem zahntechnischen Labor als Sachkosten gemäß § 9 GOZ erbracht werden und im Rahmen des Versicherungsschutzes erstattungsfähig sind.
2. ... Leistungen, die nicht in dieser Liste enthalten sind oder Preise, soweit sie über den genannten liegen, sind nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes. ..."
2002 unterzog sich der Kläger einer zahnärztlichen Behandlung, für die ihm insgesamt 12.235,46 ¤ in Rechnung gestellt wurden, davon 6.572,22 ¤ Laborkosten. Unter Hinweis auf die Geltung der Sachkostenliste verweigerte die Beklagte die Regulierung des Laboranteils in Höhe von 2.726,85 ¤.
Das Amtsgericht hat die auf diesen Betrag gerichtete Zahlungsklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in RuS 2005, 208 veröffentlicht ist, den Versicherer antragsgemäß verurteilt. Mit seiner Revision erstrebt dieser die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage.
I. Das Berufungsgericht hält die Sachkostenliste gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB für intransparent. Sie beruhe auf der sog. BEL-Liste (Bundeseinheitliches Verzeichnis zahntechnischer Leistungen nach § 88 SGB V), auf deren Grundlage nach seiner ständigen Rechtsprechung nicht abgerechnet werden dürfe. Die Üblichkeit erstattungsfähiger Preise an den Maßstäben der BEL-Liste auszurichten, verkenne die Unterschiede zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Die mit der Sachkostenliste verbundenen erheblichen Erstattungskürzungen würden dem Versicherungsnehmer nicht deutlich. Vielmehr suggeriere ihm Nr. 1 der "Informationen zur Sachkostenliste", dass es sich bei den Beträgen der Sachkostenliste um die tatsächlichen Ansätze der Labore handele. Dass diese in Wirklichkeit höher sein könnten und insoweit nicht erstattungsfähig seien, bleibe unklar.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung bereits im Ansatz nicht stand.
1. Das Berufungsgericht verstellt sich durch seinen sogleich vorgenommenen vergleichenden Rückgriff auf die BEL-Liste den Blick auf die im konkreten Fall maßgeblichen Rechtsgrundlagen des zu gewährenden Versicherungsschutzes. Dieser ergibt sich allein aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag, den Allgemeinen Versicherungsbedingungen und den diese ergänzenden Tarifen und Tarifbedingungen (vgl. BGHZ 154, 154, 166; Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - IV ZR 29/03 - VersR 2004, 1035 unter II 1). Zwar ist das für die Krankenversicherung des Klägers geltende Bedingungswerk nur rudimentär zu den Akten gereicht worden. Gleichwohl ist dem Senat eine abschließende Entscheidung über die Berechtigung des vom Kläger erhobenen Erstattungsanspruchs auf der insoweit unstreitigen Vertragsgrundlage möglich. Diese enthält keinen Anhalt dafür, dass die BEL-Liste auf den vereinbarten Leistungsumfang in irgendeiner Weise Einfluss nehmen könnte. Auch wenn diese Liste möglicherweise als Vorbild für die Sachkostenliste der Beklagten gedient haben oder deren Einführung durch die Abschaffung der BEL-Liste zum 1. Januar 1998 motiviert gewesen sein sollte, ist die über den gewählten Tarif geltende Sachkostenliste allein für die Erstattungsfähigkeit zahnärztlicher Sachkosten maßgeblich.
2. Zutreffend geht das BG allerdings davon aus, dass Nr. 10b (1) TB zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zählt, da sie - unabhängig von ihrer Bezeichnung im Einzelfall - eine Bestimmung mit Regelungscharakter ist, die einer Vielzahl von Versicherungsverträgen ohne Rücksicht auf individuelle Verschiedenheiten der einzelnen Wagnisse zugrunde gelegt wird (vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. Vorbem. I Rdn. 13, 13b). Das gilt gleichermaßen für die Sachkostenliste. Auch sie hat insofern Regelungsgehalt, als sie unmittelbar die Erstattungsfähigkeit einzelner Rechnungsposten festlegt. Ob dies in gleicher Weise für die vorangestellten "Informationen zur Sachkostenliste" gilt, die den Regelungsgehalt des Nr. 10b (1) TB nur erläutern, kann dagegen dahinstehen. Die "Informationen" bestimmen jedenfalls nachhaltig das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers vom Inhalt der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, auf dessen Sicht es bei der Auslegung allein ankommt (BGHZ 84, 268, 272; 123, 83, 85 und ständig).
3. Vor diesem Hintergrund begegnet die von der Beklagten gewählte Vertragskonstruktion, wonach die erstattungsfähigen zahnärztlichen Sachkosten ihrer Art nach abschließend und ihrer Höhe nach begrenzt in einer Art Anhang zu dem jeweils gewählten Tarif aufgelistet werden, keinen rechtlichen Bedenken (vgl. zur Zulässigkeit von Verweisungen in AGB auf Anlagen BGH, Urteil vom 1. Februar 1996 - I ZR 44/94 - NJW 1996, 2374 unter II 2 a). Der Senat kann die Allgemeinen Versicherungsbedingungen selbständig auslegen, da deren unterschiedliche Auslegung durch verschiedene Berufungsgerichte denkbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 60/04 - zur Veröffentlichung in BGHZ 163, 321 bestimmt).
a) Insbesondere liegt der vom Berufungsgericht angenommene Versto ß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht vor. § 10b (1) TB lässt den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer den ihm mit der Sachkostenliste versprochenen Sachkostenersatz einschließlich der damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen klar und durchschaubar erkennen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - IV ZR 25/04 - VersR 2005, 976 unter 1 c aa und bb; BGHZ 141, 137, 143). Sowohl die Geltung der Sachkostenliste an sich als auch die mit ihr verbundenen Beschränkungen bei Art und Höhe erstattungsfähiger Sachkosten werden mit wenigen und leicht verständlichen Worten vermittelt. Danach weiß der Versicherungsnehmer, dass ihm von den Zahnbehandlungskosten ohnehin uneingeschränkt 90% erstattet werden. Die TB 10 betrifft lediglich den Teilbereich der Sachkosten. Sie will - für den Versicherungsnehmer wiederum deutlich auszumachen - eine Begrenzung durch Einführung von Höchstpreisen herbeiführen. Das setzt die Anknüpfung an bestimmte Sachkosten voraus, die in der Liste dann im Einzelnen abschließend aufgeführt werden. Dieses Verständnis wird durch Nr. 2 der "Informationen zur Sachkostenliste" zusätzlich verstärkt, wonach "... Leistungen, die nicht in dieser Liste enthalten sind oder Preise, soweit sie über den genannten liegen, ... nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes" sind. Eine weitergehende Unterrichtung kann und braucht aus Transparenzgesichtspunkten nicht geleistet zu werden. Will der Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss ermessen, wie sich diese Begrenzung bei möglichen prothetischen Versorgungsmaßnahmen im Einzelnen auswirken können, liegt es zwar bei ihm, sich vorher sachkundig zu machen. Von dem generellen Umfang des angebotenen Versicherungsschutzes einschließlich seiner Grenzen kann er sich aber - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - ein realistisches Bild machen.
Dem steht die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang herangezogene Nr. 1 der "Informationen" mit ihrem erläuternden Hinweis auf die gemäß § 9 GOZ zu erbringenden Leistungen nicht entgegen. Hieraus wird ein verständiger Versicherungsnehmer auch ohne rechtliche Vorbildung nicht schließen können, dass die in der Sachkostenliste enthaltenen Ansätze mit den tatsächlichen Ansätzen der Labors identisch sind. Nr. 1 der "Informationen" spricht nicht von einer Erstattungsfähigkeit im Rahmen des § 9 GOZ, sondern unmissverständlich von Erstattungsfähigkeit "im Rahmen des Versicherungsschutzes". Diese Erstattungsfähigkeit muss mit erbrachten Leistungen nach § 9 GOZ zusammentreffen.
b) Auch im Übrigen begegnet die Vereinbarung der Sachkostenliste keinen rechtlichen Bedenken.
(1) Ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot des § 305c Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Ein Versicherungsnehmer wird in Anbetracht des durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen grundsätzlich weit gesteckten Leistungsrahmens der Krankheitskostenversicherung davon ausgehen, dass das allgemeine Leistungsversprechen näherer Ausgestaltung bedarf, die auch Einschränkungen nicht ausschließt (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2004 - IV ZR 29/03 - VersR 2004, 1035 unter II 3 a). Darauf wird der Versicherungsnehmer mit Nr. 10b (1) TB, der die Bedeutung der Sachkostenliste des jeweiligen Tarifs für die konkrete Erstattungsfähigkeit ausdrücklich hervorhebt, deutlich hingewiesen.
(2) Ebenso wenig weicht die Geltung der Sachkostenliste von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung ab (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). In diesem Zusammenhang können Regelungen aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, wie etwa insbesondere die BEL-Liste, nicht herangezogen werden. Private Versicherungen sind nach ihren eigenen privatrechtlichen Regelungen und ihrem eigenen Vertragszweck zu beurteilen. Die Gesetze zur Sozialversicherung geben wegen ihrer Andersartigkeit und ihrer anderen Leistungsvoraussetzungen insoweit keinen tauglichen Maßstab für die Beurteilung, ob der Versicherungsnehmer einer privaten Krankenversicherung unangemessen benachteiligt wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - IV ZR 11/00 - VersR 2001, 576 unter 3 b aa m.w.N.). Abgesehen davon geht die Beklagte nach ihrem unbestritten gebliebenen Vortrag mit der Sachkostenliste im Mittel sogar 20% über das Leistungsniveau der entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Regelungen hinaus.
(3) Schließlich ist mit der Sachkostenliste keine Vertragszweckgefährdung verbunden (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Eine solche wäre erst dann anzunehmen, wenn mit der Leistungseinschränkung der Vertrag ausgehöhlt werden könnte und er so in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos würde (Senatsurteile vom 29. September 2004 - IV ZR 233/03 - VersR 2004, 1449 unter 2 a (2); vom 19. Mai 2004 aaO unter II 3 b aa). Das ist bei der vorgesehenen bloßen Beteiligung des Versicherungsnehmers an den Sachkosten zahnärztlicher Behandlung nicht der Fall. Im Hinblick auf den auch im Interesse des einzelnen Versicherungsnehmers liegenden Zweck der Sachkostenliste, dem Versicherer eine sichere, vertretbare Prämiengestaltung zu ermöglichen (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2004 aaO unter II 3 b bb für die eingeschränkte Erstattung von Hilfsmitteln) und so die Prämie niedrig zu halten, werden die Belange des Versicherungsnehmers hinreichend berücksichtigt.
III. Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, ist der Senat zu einer eigenen, klageabweisenden Sachentscheidung berufen (§ 563 Abs. 3 ZPO).