02.11.2010
Finanzgericht Sachsen: Beschluss vom 21.04.2010 – 3 Ko 531/10
1. Die aufschiebende Wirkung einer Erinnerung ist nach § 66 Abs. 7 GKG anzuordnen, wenn bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel i. S. v. § 69 Abs. 2, 3 FGO an der Richtigkeit des Kostenansatzes bestehen; ernstliche Zweifel können nicht nur bei überwiegend wahrscheinlicher Rechtswidrigkeit des Kostenansatzes, sondern auch bei offener Rechtslage bestehen (gegen Sächsisches OVG v. 30.3.2009, 5 B 281/09).
2. Hat der anwaltlich vertretene Kläger nach Erhalt der Kostenrechnung über die nach dem Mindeststreitwert bemessene Verfahrensgebühr Prozesskostenhilfe beantragt und wurde nach dem Tod des Klägers vor Ergehen eines Urteils dem Rechtsnachfolger auf Basis des vollen Streitwerts eine Schlusskostenrechnung übersandt, so ist ein Schriftsatz des Rechtsnachfolgers, mit dem er u. a. „die Unterlassung der Forderungsverfolgung bzw. der Androhung der Zwangsvollstreckung” beantragt und auf die ausstehende Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie seine eigene finanziell angespannte Situation verweist, als Erinnerung gegen die Kostenrechnungen, Antrag auf aufschiebende Wirkung der Erinnerung nach § 66 Abs. 7 GKG und möglicherweise auch als eigener Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu behandeln.
3. Bei diesem Sachverhalt bestehen die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Erinnerung erforderlichen ernstlichen Zweifel wegen des nicht offensichlich aussichtslosen Prozesskostenhilfeantrags im Hinblick auf die Fälligkeit der nach dem Mindeststreitwert bemessenen Verfahrensgebühr und wegen des Umstandes, dass das Klageverfahren wegen des Todes des anwaltlich vertretenen Klägers nicht unterbrochen worden ist, auch im Hinblick auf die Fälligkeit des Nachforderungsbetrags in der Schlusskostenrechnung.
BESCHLUSS
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 3. Senat durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin gemäß § 66 Abs. 6 und Abs. 7 GKG i.V.m. § 6 FGO am 21.04.2010 beschlossen:
1. Die aufschiebende Wirkung der Erinnerung vom 30.03.2010 gegen die Kostenrechnung der Landesjustizkasse Chemnitz vom 24.02.2010 zum Kassenzeichen KSB wird angeordnet.
2. Die Entscheidung ist gerichtsgebührenfrei.
3. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache wegen der Höhe der Gerichtsgebühren im Verfahren 6 K 1616/06 (Kg).
Der Antragsteller ist Rechtsnachfolger der am 16.04.2009 verstorbenen Klägerin. Mit Klage vom 29.08.2006 wandte sich diese, vertreten durch einen prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse vom 22.05.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.07.2006.
Unter dem 21.09.2006 erging an die Klägerin die Gerichtskostenrechnung KSB über vier Gebühren nach Nr. 6110 des Kostenverzeichnisses zum GKG aus dem Mindeststreitwert i.H.v. 1.000 Euro, insgesamt also 220 Euro. Daraufhin stellte die Klägerin am 30.10.2006 einen Antrag auf Prozesskostenhilfe, über den bisher noch nicht entschieden worden ist. Mit Schreiben vom 18.02.2008 teilte das Gericht der Klägerin mit, dass aufgrund der beantragten Prozesskostenhilfe der bereits zum Soll gestellte Kostenvorschuss i.H.v. 220 Euro vorerst gelöscht wird, bis eine endgültige Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag vorliegt.
Am 26.10.2009 wurde das Verfahren aus dem Prozessregister ausgetragen, da das Verfahren seit dem 16.04.2009 unterbrochen sei. Unter dem 24.02.2010 erging an den Antragsteller die Gerichtskostenrechnung KSB über vier Gebühren nach Nr. 6110 des Kostenverzeichnisses zum GKG aus einem Streitwert i.H.v. 4.620 Euro, insgesamt also 484 Euro.
Hiergegen hat sich der Antragsteller unter Angabe des Kassenzeichens mit an das Finanzgericht weitergeleitetem Schreiben vom 30.03.2010 an die Landesjustizkasse Chemnitz gewandt. Er bittet darum, die Forderungsverfolgung bzw. Androhung der Zwangsvollstreckung zu unterlassen und macht geltend, dass bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag von der Vollstreckung des Kostenvorschusses abgesehen werden soll. Weiter führt der Prozessbevollmächtigte aus:
„Der Tod meiner Mandantin N und der Eintritt ihres Mannes in die Rolle des Klägers verändert die prozessuale Konstellation nicht, abgesehen hiervon ist mein Mandant als alleinerziehender Vater von 3 Kindern auf öffentliche Mittel angewiesen, notfalls kann ich Ihnen hierzu einen entsprechenden Bescheid der zuständigen Sozialbehörde nachreichen.”
II.
Gemäß § 66 Abs. 7 GKG ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
1. Das Schreiben des Antragstellers vom 30.03.2010 ist als Erinnerung und zugleich als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Erinnerung zu werten.
Prozesserklärungen sind in entsprechender Anwendung des § 133 BGB auszulegen. Eine unklare Prozesserklärung ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG im Zweifel so auszulegen, dass das Ergebnis dem Willen eines verständigen Beteiligten entspricht (vgl. z.B. BFH-Urteile v. 08.01.1991 – VII R 61/88, BFH/NV 1991, 795; v. 27.05.2004 – IV R 48/02, BStBl II 2004, 964; v. 15.12.1998 – VIII R 74/97, BStBl II 1999, 300; v. 19.07.2005 – XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68).
Bei verständiger Würdigung unter Einbeziehung der Begründung des Antrags wendet sich der Antragsteller gegen den Ansatz von Gerichtskosten in der Kostenrechnung KSB. Zwar richtet sich sein Schreiben gegen die „Vollstreckung eines Gerichtskostenvorschusses”. Ein Gerichtskostenvorschuss ist jedoch nicht Gegenstand der Gerichtskostenrechnung KSB. Der Antragsteller will erreichen, dass die mit Gerichtskostenrechnung KSB geltend gemachten Gerichtskosten – unabhängig von deren Bezeichnung – nicht erhoben werden. Es handelt sich daher um eine Erinnerung i.S.v. § 66 Abs. 1 GKG.
Dies gilt auch dann, wenn der Erinnerungsführer eine Nichterhebung der Gerichtskosten i.S.v. § 21 Abs. 1 GKG erreichen wollte. Ist bereits eine Kostenrechnung dem Erinnerungsführer zugegangen, so ist der Antrag auf Nichterhebung von Kosten nach § 21 Abs. 1 GKG nach ständiger Rechtsprechung des BFH als Erinnerung i.S.v. § 66 Abs. 1 GKG auszulegen (vgl. BFH-Beschluss v. 25.03.2008 – VIII E 1/08, BFH /NV 2008, 1185; v. 25.04.2006 – VIII E 2/06 BFH/NV 2006, 1335, m.w.N.).
Da sich der Antragssteller auch gegen die Androhung der Zwangsvollstreckung wendet, ist in dem Schreiben zugleich ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Erinnerung zu sehen.
2. Grundsätzlich haben Erinnerungen gegen den Kostenansatz keine aufschiebende Wirkung, § 66 Abs. 7 Satz 1 GKG. Der Einzelrichter, der nach § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG über die Erinnerung zu entscheiden hat, kann aber auf Antrag oder von Amts wegen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 66 Abs. 7 Satz 2 GKG).
Die Anordnung ist in das Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. OLG München, Beschluss v. 24.09.1984 – 11 W 2509/84, MDR 1985, S. 333). Das Gericht übt sein Ermessen dahingehend aus, dass die aufschiebende Wirkung angeordnet wird, soweit – entsprechend § 69 Abs. 2 und Abs. 3 FGO – bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Kostenansatzes bestehen (so auch Sächsisches OVG, Beschluss v. 30.03.2009 – 5 B 281/09, zitiert nach Juris).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu § 69 Abs. 2 und Abs. 3 FGO sind ernstliche Zweifel zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten von Tatfragen bewirken. Die für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe brauchen nicht zu überwiegen (vgl. m.w.N. Koch in Gräber, FGO, 6. Auflage 2006, § 69 FGO, Rz. 86).
Das Gericht folgt damit im Ergebnis nicht der Rechtsprechung des Sächsischen OVG (a.a.O.), das – entsprechend seiner Auslegung des § 80 VwGO – ernstliche Zweifel nur bei überwiegend wahrscheinlicher Rechtswidrigkeit des Kostenansatzes annimmt und diese verneint, wenn die Rechtslage offen ist.
3. Im Streitfall ist ernstlich zweifelhaft, ob die Gerichtskostenrechnung ergehen durfte.
Gerichtskosten dürfen angesetzt werden, sobald der ihnen zugrunde liegende Entstehungstatbestand verwirklicht ist und die Kosten fällig geworden sind (vgl. BFH-Beschluss v. 04.07.1986 – VII E 3/85, BFH/NV 1987, 53). Die Verfahrensgebühr im finanzgerichtlichen Klageverfahren (vgl. § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 6110 des Kostenverzeichnisses in der Anlage 1 zum GKG) ist mit Einreichung der Klage am 29.08.2006 verwirklicht worden. Es bestehen jedoch ernstliche Zweifel, ob die Verfahrensgebühr auch fällig ist.
a) Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 GKG wird die Verfahrensgebühr regelmäßig mit Klageerhebung fällig. Nach § 63 Abs. 1 Satz 4 GKG sind die Gebühren dabei zunächst vorläufig nach dem Mindeststreitwert gemäß § 52 Abs. 4 GKG, also von 1.000 Euro zu bemessen. Folglich ist grundsätzlich ab Klageerhebung von einer fälligen Verfahrensgebühr i.H.v. 220 Euro auszugehen.
Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob dies auch gilt, wenn ein – nicht offensichtlich aussichtsloser – Prozesskostenhilfeantrag anhängig ist.
(1) Zwar kann hierbei nicht auf den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin abgestellt werden. Bei summarischer Prüfung sprechen jedoch gewichtige Gründe dafür, dass in dem Schreiben vom 30.03.2010 ein eigener Antrag des Antragstellers auf Prozesskostenhilfe im Verfahren 6 K 1616/06 (Kg) zu sehen ist. Darin macht der Antragsteller unter Berufung auf den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin geltend, dass auch der Rechtsnachfolger „auf öffentliche Mittel angewiesen” sei. Unklare Prozesserklärungen sind im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG im Zweifel so auszulegen, dass das Ergebnis dem Willen eines verständigen Beteiligten entspricht (vgl. z.B. BFH-Urteile v. 08.01.1991 – VII R 61/88, BFH/NV 1991, 795; v. 27.05.2004 – IV R 48/02, BStBl II 2004, 964; v. 15.12.1998 – VIII R 74/97, BStBl II 1999, 300; v. 19.07.2005 – XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68). Bei verständiger Würdigung des Vorbringens ist nicht ausgeschossen, dass auch der Antragsteller Prozesskostenhilfe begehrt. Eine abschließende Klärung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Von Bedeutung wird hierbei auch sein, ob der Antragsteller zeitnah eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO einreicht.
(2) Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dem als Landesverfassungsrecht im Freistaat Sachsen Art. 38 Satz 1 der Sächsischen Verfassung entspricht, hat der Rechtsschutzsuchende Anspruch auf tatsächlich und rechtlich wirkungsvollen Rechtsschutz gegen Akte aller öffentlichen Gewalt, hier also gegen die auf dem Finanzrechtsweg anzugreifenden Entscheidungen der Finanzverwaltung (vgl. Beschluss d. Sächsischen FG v. 29.09.2008 – 3 Ko 1632/08, Haufe-Index 2064887). Von einem wirkungsvollen Rechtsschutz kann aber keine Rede sein, wenn der wirtschaftlich (im Sinne des § 114 ZPO) bedürftige Rechtsschutzsuchende bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe dazu verpflichtet wird – wenn auch nur vorläufig – Gerichtskosten i.H.v. 220 Euro zu entrichten.
Hierbei kann der Betroffene nicht darauf verwiesen werden, zunächst ausschließlich Prozesskostenhilfe zu beantragen und bei Gewährung derselben innerhalb von 2 Wochen nach Erhalt des entsprechenden Gerichtsbeschlusses die Klage nachzuholen und hierbei zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist zu beantragen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Zum einen handelt es sich bei dem Prozesskostenhilfeverfahren lediglich um ein Nebenverfahren. Zwar werden in diesem Rahmen die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens geprüft. Dies dient jedoch nicht dazu, die Rechtsverfolgung selbst in das Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern und dieses Verfahren an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BFH-Beschluss v. 17.01.2006 – VIII S 6/05 (PKH), BFH/NV 2006, 801). Zum anderen ist diese Rechtslage für den rechtlich nicht vorgebildeten Bürger kaum erkennbar. Eine gesetzliche Regelung hierzu existiert nicht (vgl. auch Beschluss d. Sächsischen FG v. 29.09.2008 – 3 Ko 1632/08, Haufe-Index 2064887).
b) Die – nach dem vollen Streitwert bemessene – Verfahrensgebühr ist auch nicht nach § 9 Abs. 2 Nr. 4 GKG fällig geworden, da das Verfahren weder sechs Monate unterbrochen noch ausgesetzt war.
Gemäß § 155 FGO i.V.m. § 239 Abs. 1 ZPO tritt im Falle des Todes des Klägers zwar grundsätzlich eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein. Nach § 155 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO gilt dies jedoch nicht in Fällen, in denen – wie hier – eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfand. In diesen Fällen kommt nur eine Aussetzung des Verfahrens auf Antrag des Bevollmächtigten oder des Beklagten in Betracht. Die Aussetzung hat dabei durch Beschluss zu erfolgen (vgl. Koch in Gräber, FGO, § 74 Rn. 47). Ein solcher Beschluss ist bisher nicht ergangen.
c) Darüber hinaus ist im vorliegenden Verfahren weder eine unbedingte Entscheidung über die Kosten ergangen, noch hat sich das Verfahren anderweitig erledigt. Die Verfahrensgebühr ist daher auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 5 GKG fällig geworden. Die Austragung aus dem Prozessregister ist hierbei ohne Belang, da diese nur eine interne technische Handlung darstellt und weder die Entstehung von Kosten noch die Anhängigkeit des Rechtsstreits berührt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.