· Fachbeitrag · Berufspolitik
Aussagen im BARMER-Heilmittelreport 2024 zu Therapeutengehältern sorgen erneut für Unmut
| Mit ihren Aussagen zur Gehaltsentwicklung angestellter Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in ihrem Heilmittelreport 2024 (online unter iww.de/s11445 ) hat die BARMER aufseiten der Physiotherapieverbände erneut für Unmut gesorgt: Die BARMER wiederholt sinngemäß ihre Aussage aus ihrem Heilmittelreport 2021, wonach die Vergütungssteigerungen der letzten Jahre nicht bei den angestellten Fachkräften in der Physiotherapiepraxen ankommen (vgl. PP 02/2022, Seite 10 f.). Die Physiotherapieverbände dagegen weisen diese Aussage entschieden zurück. |
BARMER: Praxisinhaber geben Vergütungssteigerungen nicht an die Angestellten weiter
Wie auch schon im Heilmittelreport 2021 führen die Autoren des BARMER Heilmittelreports 2024 die durch das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) geregelte Vergütungserhöhung an. Die vorgegebene Steigerung der Vergütung zwischen den Jahren 2017 und 2022 habe zu Preissteigerungen in der Physiotherapie von 50 bis 70 Prozent und zu einem Anstieg des Umsatzes über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) von knapp 58 Prozent geführt. Selbst in der Pandemie seien aufseiten der Physiopraxen keine finanziellen Einbußen aufgetreten, da diese durch den Rettungsschirm sogar überkompensiert worden seien. Auch die Vergütungsabschlüsse zwischen den Physiotherapieverbänden und dem GKV-Spitzenverband für die Jahre 2023 und 2024 deuteten auf eine weiterhin positive Vergütungsentwicklung hin.
Demgegenüber sei die Menge der abgegebenen physiotherapeutischen Leistungen weitgehend gleich geblieben. Der Umsatz je Verordnung sei im Zeitraum von 2017 bis 2022 um 53 bis 59 Prozent gestiegen. Es seien daher die Voraussetzungen geschaffen worden, die Vorgaben des HHVG zu erfüllen und für eine höhere Entlohnung angestellter Physiotherapeuten zu sorgen, um den Beruf attraktiver zu machen. Dafür, dass das nicht geschehen ist, machen die Autoren allein die Praxisinhaber verantwortlich, die sich weigerten, ihre Angestellten fair zu bezahlen.
Dem Mehrumsatz pro Therapeut von 57 Prozent stehe nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nur eine Gehaltssteigerung von 29 Prozent gegenüber. Zwar sei der Abstand zu den Therapeutengehältern in stationären Einrichtungen im Vergleichszeitraum reduziert worden. Gleichwohl bezögen angestellte Therapeuten in ambulanten Praxen immer noch 18 bis 23 Prozent (645 bis 823 Euro) weniger Gehalt im Monat als ihre Kollegen in stationären Einrichtungen. Eine Anstellung als Physiotherapeut im ambulanten Sektor sei deutlich weniger attraktiv. Laut einer simulierten Gehaltsentwicklung hätten die Gehaltsunterschiede zwischen Beschäftigten in ambulanten und in stationären Einrichtungen durch eine Gehaltssteigerung, die an die Umsatzentwicklung gekoppelt sei auf 2 bis 6,7 Prozentpunkte reduziert werden können.
Abschließend folgern die Autoren, die niedergelassenen Physiotherapeuten seien für den vorherrschenden Fachkräftemangel selbst verantwortlich, weil sie sich weigerten, ihre Angestellten proportional an der Umsatzentwicklung zu beteiligen.
Physiotherapeutenverbände kritisieren die Aussagen des Reports als „politisch motivierte Falschbehauptungen“
Unter den wichtigsten Physiotherapeutenverbänden weisen insbesondere der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten e. V. (IFK) und PHYSIO-DEUTSCHLAND die Aussagen des BARMER Heilmittelreports als politisch motivierte Falschbehauptungen entschieden zurück. In der Sache argumentieren sie wie folgt:
- Nur rund 70 Prozent der Umsätze in der Physiotherapie würden über die GKV erwirtschaftet. Die Umsatzsteigerung habe daher 40,5 Prozent und nicht 57,8 Prozent betragen.
- Die BARMER ignoriere wissentlich, dass für den Nachweis der gezahlten Gehälter in den Heilberufen laut Gesetz die Zahlen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) heranzuziehen seien. Nach Angaben der BGW seien die Gehälter im Vergleichszeitraum um 43 Prozent (und nicht im 24,9 Prozent) gestiegen.
- Demnach falle die Gehaltssteigerung sogar höher aus als das Umsatzplus.
Die IFK-Vorstandsvorsitzende Ute Repschläger bezeichnete insbesondere die Aussage, der Fachkräftemangel sei durch fehlende Weitergabe der Umsatzsteigerungen selbst verschuldet, als einen „Schlag ins Gesicht“ für alle Physiotherapeuten. Auch Markus Norys, stellvertretender Vorsitzender von PHYSIO-DEUTSCHLAND, widerspricht den Aussagen des BARMER Heilmittelreports. Die BARMER setze einen unseriösen Weg fort, der Tausende von Praxisinhabern in Verruf bringen solle.
Experten kritisieren den Heilmittelreport als „Quatsch“
Kritik am Heilmittelreport kommt auch von Expertenseite: Gesundheitsökonom Volker Brünger, der den BARMER Heilmittelreport in früheren Jahren oft zitiert hatte, bezeichnet die aktuelle Ausgabe in einem Kommentar auf der Website des Bundesverbands für Ergotherapeut:innen Deutschland e. V. (iww.de/s11446) schlichtweg als „Quatsch“. Der Heilmittelreport sei keine wissenschaftliche Forschungsarbeit, sondern lediglich eine politische Stellungnahme, die bestenfalls gar nicht oder nur mit der Einordnung in ihren Kontext zitiert werden sollte.
Weiterführende Hinweise
- BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg; Hrsg.): Heilmittelreport 2024. Berlin, Juni 2024 (Download unter iww.de/s11445)
- Zwei Themenschwerpunkte, ein Aufreger: BARMER Heilmittelreport 2021 (PP 02/2022, Seite 10 ff.)