· Fachbeitrag · Erfahrungsbericht
Unterwegs „unten ohne“ ‒ sieben „Feetbacks“ aus dem Selbstversuch
| Über die gesundheitlichen Wirkungen des Barfußgehens wissen Sie aufgrund Ihrer physiotherapeutischen Ausbildung sicher mehr als ich. Die folgenden Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Betrachten Sie sie einfach als Rückmeldung eines (potenziellen) Patienten: männlich, Anfang 50, normalgewichtig, Schreibtischarbeiter, regelmäßig Sport treibend (Fitnessstudio, Radfahren), Nichtraucher und ‒ bis auf leichte Zivilisationskrankheiten (Kurzsichtigkeit, hochnormaler Blutdruck) bzw. Fehlbildungen (X-Beine, Knick-Senk-Fuß) ‒ kerngesund. Wenn Sie die folgenden Ich-Botschaften nützlich finden, nutzen Sie sie gern als Motivationshilfen für Ihre Patienten bzw. als Affirmation in einem Barfuß-Training. |
1. „Ich nehme meine Umwelt viel intensiver wahr.“
Sobald ich Schuhe und Socken ausgezogen habe, erfahre ich eine Explosion von Sinneseindrücken, alle einzuordnen zwischen Extremen wie hart‒weich, rau‒glatt, trocken‒nass, kalt‒warm … Manche davon angenehm, wie z. B. taufrisches Gras, feuchter Lehmboden, die Borke eines umgestürzten Baumes oder ein plätschernder Bach voller Kieselsteine. Andere unangenehm wie heißer Asphalt, Schotter, Dornenranken oder Bucheckern. Es ist, als hätte ich am unteren Körperende plötzlich ein zusätzliches Paar Augen: Mit jedem Schritt nehme ich den Boden unter meinen Füßen intensiv wahr, interagiere mit ihm und erhalte direkte Rückmeldung oder intensives „Feetback“.
2. „Ich fühle mich frei.“
Freiheit erlebe ich barfuß gleich auf dreierlei Weise. Zunächst bin ich ein Mensch, der seine Körpertemperatur über die eigenen Füße regelt: Sobald das Thermometer über 20 Grad klettert, bringen mich Schuhe und Socken langsam um. Also weg damit! So können die Füße wieder frei atmen und ich bleibe vor dem sicheren Hitzetod bewahrt. Außerdem habe ich unbeschuht eine größere Wahlfreiheit, welchen Weg ich einschlagen will. Eine staubige Sandfläche, eine schlammige Pfütze oder ein sprudelnder Bach sind für mich kein Hindernis: Ich gehe einfach mittendurch, ohne dass ich befürchten muss, mir meine frisch geputzten Schuhe oder meine neuen Sneaker einzusauen. Darüber hinaus merke ich nach einer Weile, dass ich Schuhe und Socken überhaupt nicht brauche (wenigstens nicht im Moment). Und so frage ich mich in diesem Augenblick, welche Dinge mir wirklich wichtig sind. Ich komme auf erstaunlich wenige. Und in mir erwacht ein stilles Gefühl von Glück und Zufriedenheit.
3. „Ich trete achtsam auf.“
„Unten ohne“ bin ich verletzlich. Also kann ich nicht mehr mit der Ferse voraus draufloslatschen, als hätte ich Schuhe an. Links, zwo, drei, vier losmarschieren schon gar nicht! Ich muss den Fuß behutsam aufsetzen und dabei vor allem den Vorfuß mitbenutzen. Sachte, behutsam, wie die Mohikaner auf dem Kriegspfad. ‒ Die Mokassins, die die Native Americans trugen, zähle ich allenfalls als Barfußschuhe! ‒ So gehe ich nicht nur achtsam mit mir selbst um, um Verletzungen zu vermeiden, sondern lerne auch ein Stück Respekt vor der Erde, über die ich gerade gehe.
4. „Ich komme runter.“
Da ich barfuß bewusster auftreten muss, gehe ich automatisch langsamer. Die Atmung passt sich an das Schritttempo an und wird angenehm ruhig. Ich achte nur noch auf das Gehen selbst und nicht darauf, wo ich hinwill: Der Weg ist das Ziel. Da ich zugleich die Flut an Sinneseindrücken verarbeite und ihnen nachspüre, bleibt auch keine Zeit mehr zum Grübeln. Keine Chance für Stress ‒ Entspannung pur. Steine, Zweige oder Tannenzapfen, die ich mit der Schuhspitze ansonsten vielleicht aus dem Weg kicken würde, greife ich zum Spaß ab und zu mit den Zehen und lege sie einfach zur Seite.
5. „Ich werde von Mal zu Mal (tritt-)sicherer.“
Von Mal zu Mal weiß ich besser, wie sich der Boden unter meinen Füßen verhält. Ich weiß, wo und wie ich die Füße aufsetzen muss. Und habe oft sogar besseren Halt als in Schuhen ‒ etwa beim Balancieren über einen umgestürzten Baum, sei es mit oder ohne Borke: Der Schuh rutscht ab, die nackte Fußsohle nicht. Sicherer werde ich auch im übertragenen Sinne: Habe ich zuerst darauf geachtet, dass mich bloß niemand ohne Schuhe rumlaufen sieht, ist mir das inzwischen egal ‒ und ich grinse nur noch über Kommentare wie diese:
- „Da bleiben wenigstens die Schuhe sauber.“
- „Ach, das ist aber gesund für die Füße!“
- „Piekst das nicht an den Füßen?“
- „Mutig, mutig … oder sehr geübt? ‒ Auf jeden Fall sehr gesund!“
6. „Ich kann meinen Füßen jedes Mal mehr zumuten.“
Zu Beginn meines Selbstversuchs habe ich mir Dornen eingetreten oder Blasen gelaufen. Doch der Fuß gewöhnt sich an vieles. Und so spüre ich, dass ich jedes Mal ohne Schuhe eine weitere Strecke gehen kann. Steinchen, die an der Fußsohle kleben bleiben, wische ich am Schienbein weg, Dornen ziehe ich mit zwei Fingern heraus und meistens tut auch das Gehen über Schotter kaum noch weh ‒ es sei denn, wenn ich doch einmal aus Unachtsamkeit mit der Ferse auftrete. Anfängerfehler eben …
7. Fazit: „Barfuß habe ich mehr vom Gehen.“
Barfuß habe ich mehr vom Gehen. Und länger habe ich auch etwas davon: Noch eine halbe Stunde nach dem Gehen spüre ich ein angenehmes Kribbeln, das bis hoch in die Knie reicht. Nicht umsonst nennen Fachleute das Barfußgehen auch eine kostenlose Fußreflexzonenmassage. Zugleich ist es für mich Festival der Sinne, Freiheit, Achtsamkeit, Ruhe und Gelassenheit, (Selbst-)Sicherheit und Abhärtung. Und das alles gratis! (sl)