· Fachbeitrag · Medizinische Versorgung
Flüchtlinge: Ärzte dürfen Heilmittel verordnen
von Dipl.-Kffr. Anke Thomas, Wiesbaden
| Der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern stellt das deutsche Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Die teils traumatisierten Menschen haben aber nicht nur Anspruch auf die medizinische Versorgung beim Arzt. Im Bedarfsfall können auch Physio- und Ergotherapie sowie logopädische und podologische Behandlungen verordnet werden. Bei der Abrechnung gelten allerdings Besonderheiten. |
Eingeschränktes Recht auf medizinische Versorgung
Der Anspruch von Flüchtlingen und Asylbewerbern auf medizinische Versorgung ist im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Im Vergleich zu gesetzlich Krankenversicherten ist das Anrecht auf ärztliche Versorgung eingeschränkt. Im § 4 AsylbLG heißt es u.a.:
|
(1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen ist die erforderliche ärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren.
(2) Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren.
(3) Die zuständige Behörde stellt die ärztliche Versorgung einschließlich der amtlich empfohlenen Schutzimpfungen und medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen sicher. Soweit die Leistungen durch niedergelassene Ärzte erfolgen, richtet sich die Vergütung nach den am Ort der Niederlassung des Arztes geltenden Verträgen nach § 72 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Die zuständige Behörde bestimmt, welcher Vertrag Anwendung findet. |
Um eine ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen zu können, müssen Flüchtlinge dem Arzt einen Krankenschein vorlegen, der in der Regel vom örtlichen Sozialamt ausgestellt wird. Ob Leistungen bewilligt werden, entscheidet jeweils der Sachbearbeiter der Behörde.
Organisation und Abrechnung völlig uneinheitlich
Das System ist für Flüchtlinge und Ärzte kompliziert, selbst innerhalb eines Bundeslandes gelten Abweichungen in der Organisation und Abrechnung. In der Stadt Mainz zum Beispiel rechnen Ärzte über die KV ab, in Mainz-Bingen müssen Praxen direkt mit dem Sozialamt abrechnen. Leichter haben es Ärzte in Hamburg, Bremen und Bremerhaven: Hier gibt es eine Vereinbarung zwischen den Stadtstaaten und der AOK, die die Flüchtlinge und Asylbewerber mit einer elektronischen Gesundheitskarte ausstattet. Abgerechnet wird über die AOK, die Behörden übernehmen die Kosten für die Behandlung. Als erstes Flächenland führt Nordrhein-Westfalen (frühestens) zum 1. Januar 2016 ebenfalls eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge ein. Eine entsprechende Rahmenvereinbarung mit sieben Krankenkassen wurde kürzlich unterzeichnet. Einige Politiker fordern bereits, dieses Modell auch in anderen Bundesländern einzuführen, da sich durch die Gesundheitskarte die medizinische Versorgung der Betroffenen deutlich verbessert hätte.
Arzt darf auch Physiotherapie verordnen
Der Arzt darf unter anderem auch physiotherapeutische Behandlungen verordnen. Der Patient sucht dann mit der Verordnung und dem Krankenschein des Sozialamts (bzw. der Karte) die Heilmittelpraxis auf. Der Physiotherapeut behandelt Flüchtlinge und Asylanten wie andere Patienten auch und rechnet entweder über die Gesundheitskarte oder über den Krankenschein mit dem zuständigen Sozialamt ab - hierfür gelten die örtlichen AOK-Preislisten.
Menschen ohne Papiere
Kommt ein Flüchtling ohne Papiere bzw. ohne Krankenschein mit einer Verordnung eines Arztes in die Heilmittel-Praxis, kann der Therapeut die Abrechnung mit dem zuweisenden Arzt absprechen. Folgende Möglichkeiten gibt es:
- Rechnet der Arzt die Behandlung als Notfall mit dem Sozialamt ab? In Notfällen muss nämlich kein Krankenschein vorliegen.
- Haben sich Arzt und Flüchtling auf eine Privatabrechnung geeinigt?
- Besteht ein Ausnahmefall, in dem über eine andere Stelle abgerechnet werden kann (zum Beispiel Erkrankungen im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes mit dem Gesundheitsamt, Leistungen für Opfer einer Gewalttat nach dem Opferentschädigungsgesetz).
MERKE | Auch für Menschen ohne Papiere gilt die Schweigepflicht! Sie dürfen diese Patienten folglich nicht den Behörden melden. Sagen Sie dies beunruhigten Patienten ruhig auch. |
Besonderheiten gibt es noch bei sogenannten Kontingentflüchtlingen, die im Rahmen internationaler humanitärer Hilfsaktionen aufgenommen werden. Sie verfügen über keinen Krankenversicherungsschutz. Manche Bundesländer haben hierzu Regelungen getroffen. Diese sind jedoch entweder zeitlich begrenzt oder es wird eine Eigenbeteiligung gefordert.
PRAXISHINWEIS | Weisen Sie Ihre Zuweiser auf die Heilmittel-Ansprüche der Flüchtlinge hin! Aufgrund der unterschiedlichen, teils komplizierten Regelungen der Organisation und Abrechnung bei der medizinischen Behandlung von Flüchtlingen und Asylbewerbern sind Ärzte oft sehr verunsichert, ob sie physiotherapeutische Leistungen überhaupt verordnen dürfen. |