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  • 07.11.2017 · IWW-Abrufnummer 197488

    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 11.10.2017 – L 9 KR 299/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

    Az.: L 9 KR 299/16
    Az.: S 111 KR 2103/13 Sozialgericht Berlin

    Im Namen des Volkes

    Urteil

    In dem Rechtsstreit

    J H,  
    Am W,  B
    - Klägerin und Berufungsbeklagte -

    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte K, C, Partner,
    Kstraße,  B
    Az.:
     
    gegen

    BKK Verkehrsbau Union,  
    Lindenstraße 67, 10969 Berlin
    Az.:
    - Beklagte und Berufungsklägerin -

    Kassenärztliche Vereinigung Berlin,
    Masurenallee 6 A, 14057 Berlin
    Az.:
    - Beigeladene -

    hat der 9. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg ohne mündliche Verhandlung nach Beratung am 11. Oktober 2017 durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Laurisch, den Richter am Landessozialgericht Hutschenreuther und den Richter am Landessozialgericht Seifert sowie die ehrenamtliche Richterin Walter und den ehrenamtlichen Richter Lorentschk für Recht erkannt:

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

    Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu drei Vierteln zu erstatten.
    Im Übrigen sind Kosten für das  Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten noch um die Erstattung von Kosten in Höhe von 152,-- Euro für durch eine podologische Praxis erbrachte Leistungen in Gestalt der achtmaligen Regulierung einer Nagelkorrekturspange.

    Die  1951 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet im Bereich der linken Großzehe unter einem chronifiziert eingewachsenen Zehnagel (unguis incarnatus). Spätestens seit dem Jahre 2010 unterzieht sie sich einer podologischen Orthonyxiebehandlung (Orthonyxie = Geraderichten des Nagels) durch Anlegen einer Nagelkorrekturspange; diese ist ein individuell aus Draht oder Kunststoff konstruierter Bügel mit Haken und Ösen, der unter dem freien Nagelrand angebracht wird und in längerer Prozedur den Nagel in seine ursprüngliche Form heben soll. Die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung der linken Großzehe ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

    Im Wege einer „Einzelfallentscheidung ohne Rechtsanspruch“ übernahm die Beklagte durch Bescheid vom 11. Mai 2010 die Sachkosten für eine Nagelkorrekturspange in Höhe von 99,-- Euro sowie die Kosten für sechs von einer Podologin vorgenommene Regulierungen der Spange in Höhe von jeweils 15,-- Euro. Auch mit Bescheid vom 27. Januar 2012 erklärte die Beklagte, sich an den Kosten für die Nagelkorrekturspange mit 99,-- Euro zu beteiligen sowie die Kosten für sechs Regulierungen der Spange durch eine Podologin in Höhe von jeweils 15,-- Euro zu übernehmen.

    Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr.  W verordnete der Klägerin am 3. Juni 2013 eine „Nagelspange für Orthonyxiebehandlung“ aufgrund der Diagnose unguis incarnatus links. Mit Schreiben vom 14. Juni 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Behandlung mit der Nagelkorrekturspange, indem sie einen Kostenvoranschlag der „Podologischen Praxis T vom 11. Juni 2013 einreichte; der Kostenvoranschlag bezeichnete für die Orthonyxiespange Kosten in Höhe von 147,-- Euro und für zehn Regulierungen der Spange einen Preis von jeweils 19,-- Euro (zusammen 190,-- Euro), insgesamt 337,-- Euro.

    Durch Bescheid vom 25. Juni 2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, leider habe der Gesetzgeber keinen Spielraum für eine Einzelfallentscheidung bei der Kostenübernahme für das Aufsetzen, Anpassen und Regulieren einer Nagelkorrekturspange vorgesehen. Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung habe aber der Vertragsarzt Anspruch auf die Vergütung für die Nagelspangenbehandlung. Beauftrage dieser die Behandlung durch einen Podologen, unterliege die Vergütung der internen Regelung zwischen dem Arzt und dem Podologen. Eine gesonderte Kostenübernahme für das Anbringen, Aufsetzen und Regulieren der Spange durch den Podologen könne durch die Beklagte nicht erfolgen; sie beteilige sich aber an den Sachkosten in Höhe von 100,-- Euro für die Spange.

    Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, in B gebe es keinen Arzt, der die Versorgung mit einer Nagelspange übernehme. Ihr bleibe nur der direkte Weg zu einem Podologen. Ohne podologische Behandlung drohe ihr der Weg ins Krankenhaus, um den eingewachsenen Nagel operativ richten bzw. korrigieren zu lassen.

    Mit Bescheid vom 9. September 2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Übernahme der Kosten für eine Nagelkorrekturbehandlung durch einen Podologen sei rechtlich ausgeschlossen. Die Heilmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses sehe die Möglichkeit der Kostenübernahme für podologische Leistungen nur im Falle eines Diabetischen Fußsyndroms vor. Ein solches sei bei der Klägerin nicht gegeben. Bei ihr gehe es nur darum, den verformten Nagel am linken Großzeh zu behandeln. Die Nagelkorrekturbehandlung mittels einer Ortho­nyxiespange stelle eine ärztliche Leistung dar. Ein Arzt müsse die Spange medizinisch korrekt anbringen. Je nach Therapiefortschritt müsse die Spange neu justiert werden. Ein Podologe dürfe diese Behandlung nur vornehmen, wenn sie unter Aufsicht und in Verantwortung eines Arztes erfolge. Die ärztliche Nagelkorrekturbehandlung mit dem Setzen, Nachstellen und Abnehmen der Spange könne nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgerechnet werden; ein Vergütungsanspruch nach dem EBM für nichtärztliche Leistungserbringer bestehe nicht. Weil die Nagelkorrekturbehandlung geeignet sei, eine operative Entfernung des Großzehennagels zu verhindern, beteilige man sich im Wege der Einzelfallentscheidung an den Sachkosten für die Anfertigung der Nagelkorrekturspange in Höhe eines Pauschalbetrages von 100,-- Euro. Im Falle des Nachweises höherer Sachkosten werde man auch den Differenzbetrag zwischen 100,-- Euro und den tatsächlichen Kosten übernehmen.

    Mit der am 11. Oktober 2013 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst nur die Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit einer Nagelkorrekturspange auf der Grundlage des Kostenvoranschlages vom 11. Juni 2013 verfolgt. Dass die Beklagte nun die Kosten der podologischen Behandlung – abgesehen von den Sachkosten – nicht mehr übernehmen wolle, sei überraschend, denn in den vergangenen Jahren seien die Kosten stets getragen worden. Trotz eingehender Bemühungen sei es ihr nicht gelungen, einen Arzt zu finden, der die Behandlung mit einer Nagelkorrekturspange übernehmen wolle. Die Beigeladene habe ihr zwar drei Fachärzte benannt; diese hätten auf Anfrage aber durchweg mitgeteilt, keine podologischen Leistungen zu erbringen und sie auf die Behandlung durch einen Podologen verwiesen.

    Im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens hat die Klägerin sich der Behandlung in der „Podologischen Praxis T“ (Praxis für medizinische Fußpflege) unterzogen. Mit Rechnung vom 30. Januar 2014 forderte diese Praxis sie auf, 147,-- Euro als Sachkosten für die Orthonyxiespange zu zahlen; mit Rechnungen vom 26. August 2014, 6. Februar 2015 und 28. September 2015 machte die Praxis insgesamt 152,-- Euro für acht vorgenommene Regulierungen der Orthonyxiespange zum Preis von jeweils 19,-- Euro geltend.

    Die Beklagte ist im Klageverfahren bei ihrem Standpunkt geblieben, dass es sich bei der Behandlung mit einer Nagelkorrekturspange um eine vertragsärztliche Leistung handele. Zwar existiere im EBM keine gesonderte Abrechnungsnummer für diese Leistung, allerdings sei das Anlegen einer Nagelkorrekturspange im hausärztlichen Versorgungsbereich in der Versichertenpauschale enthalten. Es sei Sache der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung, im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrages Ärzte zu benennen, die diese Leistung durchführen. Tatsächlich seien solche Ärzte nicht ermittelbar, was eine von der Beklagten durchgeführte telefonische Umfrage bei mehreren Vertragsärzten belege, die – was unstreitig ist – sämtlich erklärt hätten, eine Nagelspangenbehandlung nicht zu erbringen, weil sie hierfür keine Zeit hätten, weil dies in den Aufgabenbereich von Podologen falle, weil Aufwand und Vergütung außer Verhältnis stünden oder weil die Abrechenbarkeit nach dem EBM unklar sei.

    Die Beigeladene hat darauf hingewiesen, dass die vertragsärztliche Verordnung vom 3. Juni 2013 lediglich die Nagelspange selbst umfasse, nicht jedoch deren Anlegen. Im Übrigen seien die in der Heilmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) enthaltenen Regelungen maßgeblich. Podologische Therapie sei nur dann ein verordnungsfähiges Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Schädigungen am Fuß infolge des Diabetischen Fußsyndroms diene. Das Anlegen einer Finger- oder Zehennagelspange sei nach dem im EBM enthaltenen Verzeichnis der nicht gesondert berechnungsfähigen Leistungen nur über die Versichertenpauschale vergütungsfähig. Für den fachärztlichen Bereich sei die Leistung Bestandteil der Grundpauschale. Anhand von Abrechnungsdaten sei daher nicht ermittelbar, welche konkreten Leistungserbringer die betreffende Behandlung durchführten.

    In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Berlin hat die Beklagte erklärt, den Betrag von 147,-- Euro als Sachkosten für die Nagelkorrekturspange anzuerkennen. Die Klägerin hat dieses Anerkenntnis angenommen und erklärt, nun noch eine Erstattung der Kosten für die Regulierung der Spange in Höhe von insgesamt 152,-- Euro zu begehren sowie eine Übernahme derjenigen Kosten, die in Zukunft durch das Anlegen und die Regulierung einer Nagelkorrekturspange an der linken Großzehe entstünden.

    Mit Urteil vom 11. Mai 2016 hat das Sozialgericht Berlin die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 152,-- Euro zu erstatten; außerdem hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, „weitere Kosten, die in Zukunft durch Nagelkorrekturspange, deren Anlegung und Regulierung an der linken Großzehe entstehen und aufgrund ärztlicher Verordnung durch eine qualifizierte Podologin erbracht werden, zu erstatten“. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Kostenerstattung bzw. -übernahme ergebe sich daraus, dass im Falle der Klägerin das Sachleistungssystem nicht funktioniere. Vielmehr sei von einem Systemversagen auszugehen, weil die Behandlung eingewachsener Zehnägel einerseits eine ärztliche Leistung sei (§ 27 Abs. 3 Satz 2 der Heilmittelrichtlinie), sich andererseits jedoch kein Arzt in Berlin finden lasse, der einen eingewachsenen Zehnagel behandele. Die Klägerin habe daher Anspruch auf eine Nagelkorrekturspange, deren Anlegung und Regulierung nach ärztlicher Verordnung durch eine qualifizierte Podologin. Dass es sich grundsätzlich um eine ärztliche Leistung handele, stehe dem nicht entgegen, denn weder die Klägerin, noch die Beklagte oder die Beigeladene hätten Ärzte finden können, die bereit gewesen seien, die streitige Leistung zu erbringen. Der Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB V stehe dem nicht entgegen. Denn im Falle des Systemversagens greife diese Regelung nicht. Zudem handele es sich um eine Leistung, die von ihrer medizinischen Komplexität nur dem Randbereich der ärztlichen Tätigkeit zuzuordnen sei und ganz überwiegend von qualifizierten Podologen angeboten werde. Die Qualifikation von Podologen zur Behandlung eingewachsener Zehnägel sei nicht in Frage zu stellen. Wegen der Chronifizierung des eingewachsenen Zehnagels bei der Klägerin und der voraussichtlich weiter erforderlichen Behandlungen sei die Beklagte in entsprechender Weise auch für die Zukunft zu verurteilen gewesen. In Rede stünden für die nächsten drei Jahre mindestens jeweils 300 Euro pro Jahr für eine Spange, deren Anlegung und Regulierung.

    Gegen das ihr am 26. Mai 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22. Juni 2016 Berufung eingelegt. Sie bringt im Wesentlichen vor: Es fehle schon an einer tragfähigen vertragsärztlichen Verordnung für das Anlegen und Nachstellen der Nagelspange, denn die Verordnung vom 3. Juni 2013 umfasse nur die Nagelspange selbst. Obwohl es sich unabhängig davon bei der Behandlung mittels einer Nagelkorrekturspange um eine ärztliche Leistung handele, die als Bestandteil einer Komplexziffer des EBM abrechenbar sei, werde die Leistung von vielen Medizinern nicht erbracht, wohl weil sie sich über die Abrechnungsmöglichkeit im Unklaren seien. Nagelspangen könne ein Vertragsarzt als Praxisbedarf erhalten. Aufgrund der medizinischen Notwendigkeit der fraglichen Behandlung übernehme die Beklagte mittlerweile in den meisten Fällen die Kosten für die Spange und auch die Kosten für die Behandlung beim Podologen, obwohl diese Lösung rechtswidrig und systemfremd sei. Ärztliche Leistungen seien nämlich nicht von Fußpflegern erbringbar. Sobald ein Vertragsarzt sich außerstande sehe, die fragliche Leistung zu erbringen, sei er verpflichtet, sie unter seiner Aufsicht von geeigneten Fachkräften erledigen zu lassen. Die Kosten würden dann über den EBM abgerechnet, der Vertragsarzt gebe einen vereinbarten Betrag an den Podologen weiter. Für die zu beobachtende Leistungsverweigerung seitens der Vertragsärzte habe die Beigeladene einzustehen. Es gebe hier kein Systemversagen, sondern nur ein von allen Seiten unterstütztes Systemverweigern. Für die gesetzlichen Krankenkassen folge daraus, dass sie enorme Summen extrabudgetär und zusätzlich zur bereits gezahlten Gesamtvergütung an die Versicherten zu zahlen hätten, obwohl sie die Leistungen der Ärzte mit Zahlung der Gesamtvergütung schon beglichen hätten. Podologen seien keine nach dem SGB V zugelassenen Leistungserbringer und unterlägen keiner Qualitätskontrolle. Insoweit sei nicht nachvollziehbar, warum das Sozialgericht davon ausgehe, dass sie allesamt geeignet seien, eine ärztliche Leistung durchzuführen. Vorliegend hätte der Leistungserbringer mit dem verordnenden Arzt abrechnen müssen und nicht gegenüber der Klägerin. Über die Idee des Systemversagens dürfe kein Einfallstor dafür geschaffen werden, die medizinische Versorgung zukünftig mehr und mehr nicht zugelassenen Leistungserbringern ohne vertragliche Bindungen zu überlassen. Gegebenenfalls müsse die Versorgung mit einer individuell angefertigten Nagelkorrekturspange auch als neue Behandlungsmethode angesehen werden, auf welche die Klägerin von vornherein keinen Anspruch habe.

    Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2016 aufzuheben
    und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.      

    Soweit ihr Begehren auf eine Kostenübernahme für die Zukunft gerichtet war, hat die Klägerin die Klage am 17. Mai 2017 zurückgenommen.

    Die erstinstanzliche Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Kosten für erbrachte podologische Leistungen in Höhe von 152,-- Euro hält die Klägerin für rechtmäßig. Sie leide nach wie vor unter dem chronisch eingewachsenen Zehnagel. Auch nach den hier streitigen Jahren 2014 und 2015 habe sie sich weiteren podologischen Behandlungen unterzogen. Sie habe aber bislang darauf verzichtet, die dafür erhaltenen Rechnungen bei der Beklagten einzureichen. Zwar handele es sich bei der begehrten Leistung unstreitig um eine ärztliche Behandlung; ebenso unstreitig sei aber, dass sie keinen Arzt für die Vornahme dieser Behandlung habe finden können. Daher sei es nur schlüssig, ihre Behandlung einem Podologen anzuvertrauen, der, weil er sogar podologische Leistungen im Falle des diabetischen Fußsyndroms erbringen dürfe, unstreitig ausreichend qualifiziert sei, um die Nagelspangenbehandlung durchzuführen. Sofern die Beklagte etwa meine, die streitigen Kosten fielen der Beigeladenen zur Last, die ihren Sicherstellungsauftrag nicht erfülle, könne dies nicht zu ihren Lasten gehen. Die Beklagte unterliege ihrer Verpflichtung zur Kostenübernahme, müsse sich aber gegebenenfalls bei der Beigeladenen schadlos halten.

    Die Beigeladene hat ihre zunächst eingelegte Berufung am 7. September 2016 zurückgenommen. Sie stellt keinen Antrag und trägt ergänzend vor: Soweit die Beklagte sie für die entstandene Situation verantwortlich mache, werde dies entschieden zurückgewiesen. Die Beklagte versuche offensichtlich, ihre eigene Verantwortung zur Versorgung der Versicherten der Beigeladenen aufzubürden. Zu Recht habe das Sozialgericht Berlin den Sicherstellungsauftrag der Krankenkasse für die ihren Patienten zu erbringenden Leistungen in den Vordergrund gestellt.

    Der Berichterstatter hat den Rechtsstreit am 17. Mai 2017 mit den Beteiligten erörtert.

    Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt des Verwaltungsvorganges der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

    Entscheidungsgründe

    Im Einverständnis der Beteiligten durfte der Senat nach Beratung mit den ehrenamtlichen Richtern über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

    1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Erstattung von Kosten in Höhe von 152,-- Euro für podologische Leistungen in Gestalt der achtmaligen Regulierung einer Nagelkorrekturspange (Rechnungen vom 26. August 2014, 6. Februar 2015 und 28. September 2015). Denn zur Übernahme der Sachkosten für die Nagelkorrekturspange selbst hat die Beklagte sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren verpflichtet (Rechnung vom 30. Januar 2014). Zugleich hat die Klägerin ihr in die Zukunft gerichtetes Begehren im Berufungsverfahren fallen gelassen.

    2. Die so verstandene Berufung der Beklagten ist zulässig, obgleich nur noch die Zahlung von 152,-- Euro (und damit weniger als 750,-- Euro, vgl. § 144 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) im Streit steht. Denn das Sozialgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 152,-- Euro sowie zur Übernahme der Kosten, die in Zukunft durch die Nagelkorrekturspange, deren Anlegung und Regulierung an der linken Großzehe entstehen. Diese zugleich unbestimmt und unbegrenzt in die Zukunft weisende Verurteilung verhalf der Streitsache zu einem Beschwerdewert von über 750,-- Euro, was auch das Sozialgericht sah und deshalb die Berufung nicht für zulassungsbedürftig hielt. Maßgebender Zeitpunkt für das Erreichen des Beschwerdewerts aus § 144 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist aber allein derjenige der Einlegung der Berufung; die nachträgliche Verminderung des Beschwerdewerts – hier durch teilweise Klagerücknahme – führt nicht dazu, dass die Berufung nachträglich unzulässig wird (Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, Rdnr. 19 zu § 144).

    3. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht sie verurteilt, Kosten in Höhe von 152,-- Euro für die durch eine podologische Fachkraft vorgenommene wiederholte Regulierung der von der Klägerin benötigten Nagelkorrekturspange zu erstatten; die Klägerin hat insoweit einen Anspruch aus      § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit Erwägungen zu einem Systemversagen.

    § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V ermöglicht eine Kostenerstattung, wenn eine unaufschiebbare Leistung von der Krankenkasse nicht rechtzeitig erbracht werden kann oder wenn eine Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde. Das schließt nach der Rechtsprechung Kostenerstattungen für außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung beschaffte Leistungen mit ein, soweit ein zugelassener Leistungserbringer nicht rechtzeitig oder gar nicht zur Verfügung steht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Januar 1996, 1 RK 22/95, zitiert nach juris, dort Rdnr. 22; Urteil vom 9. Juni 1998, B 1 KR 18/96 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14; Urteil vom 2. September 2014, B 1 KR 11/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16; s.a. Noftz in Hauck/Noftz, SGB, Rdnr. 42 zu § 13 SGB V). § 13 Abs. 3 SGB V lässt nach dieser Auslegung die Inanspruchnahme von nichtvertragsärztlichen Leistungserbringern in Sachverhalten zu, in denen dem Versicherten der Zugang zu einem zugelassenen Leistungserbringer versperrt ist bzw. eine Lücke im Naturalleistungssystem besteht (Systemversagen). Diese Situation war für die Klägerin zur Überzeugung des Senats gegeben.

    a) Die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung der linken Großzehe der Klägerin, die dort unter einem chronisch eingewachsenen Zehnagel leidet, wird auch von der Beklagten nicht bestritten und kann daher als unzweifelhaft vorausgesetzt werden. Die Klägerin hatte daher einen Anspruch auf Gewährung ärztlicher Behandlung, § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V.

    b) Zugleich steht fest, dass es sich bei der Behandlung von eingewachsenen Zehnägeln um eine ärztliche Leistung handelt (vgl. Erster Teil Abschnitt E. § 27 Abs. 3 Satz 3 der Heilmittelrichtlinie des GBA in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Dies spiegelt sich in Anhang 1 des EBM (Verzeichnis der nicht gesondert berechnungsfähigen Leistungen), wo das Anlegen einer Finger- oder Zehennagelspange als ärztliche Leistung beschrieben ist, die in der Versichertenpauschale enthalten bzw. möglicher Bestandteil der Grundpauschale ist; im privatärztlichen Bereich bezieht sich Nr. 2036 der Gebührenordnung für Ärzte auf das Anlegen einer Finger- oder Zehennagelspange.

    c) Weiter kann der Senat als sicher zugrunde legen, dass die Nagelspangenbehandlung für die Klägerin nicht als ärztliche Leistung zu erhalten ist. Hierzu erübrigen sich weitere Ausführungen oder Ermittlungen. Denn der Klägerin war es trotz intensiver und im Einzelnen beschriebener Bemühungen nicht möglich, einen ärztlichen Leistungserbringer zu finden. Die Beklagte behauptet nichts Gegenteiliges und legt ihren Ausführungen im Verfahren auch die Annahme zugrunde, dass die Nagelspangenbehandlung für die Klägerin nicht als ärztliche Leistung zu erlangen sei. Auch die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung hat nichts Gegenteiliges vorgebracht, sondern nur erklärt, für sie sei nicht ermittelbar, ob es in ihrem Zuständigkeitsbereich ärztliche Leistungserbringer gebe, die die Leistung erbringen.

    d) Bei dieser Sachlage liegt ein Systemversagen vor. Denn die Klägerin darf sich die begehrte Leistung auch nicht regelhaft auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung durch Maßnahmen der podologischen Therapie beschaffen.

    Aus dem Heilmittelrecht (§ 32 Abs. 1 SGB V i.V.m. den Heilmittelrichtlinien des GBA) ergibt sich nämlich für die Klägerin kein Anspruch auf Versorgung mit podologischen Leistungen. Der GBA hat die Verordnungsfähigkeit von „Maßnahmen der Podologischen Therapie“ in der Heilmittelrichtlinie (Erster Teil, Abschnitt E) auf die „Behandlung krankhafter Schädigungen am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom)“ beschränkt, an denen die Klägerin nicht leidet.  

    Das Grundrecht auf Gleichbehandlung, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, führt insoweit nicht weiter. Zwar stellt ein chronisch eingewachsener Zehnagel ebenso wie das diabetische Fußsyndrom eine „Erkrankung am Fuß“ dar. Allerdings sind beide Erkrankungen wertungsmäßig nicht ansatzweise mit einander vergleichbar. Während das Leiden der Klägerin zwar lästig sein mag und auch zu gravierenden Schmerzzuständen führen kann, besteht beim diabetischen Fußsyndrom eine ungleich höhere Gefahrenlage. Diabetes Mellitus kann mit Durchblutungsstörungen verbunden sein, wodurch bei Verletzungen wegen unsachgemäßer Fußpflege gravierende Komplikationen wie Wundheilungsstörungen mit u.a. erhöhter Infektionsgefahr auftreten können. Diese besondere Gefahrenlage rechtfertigt es aus Sicht des Senats, podologische Leistungen beim diabetischen Fußsyndrom einerseits und beim chronisch eingewachsenen Zehnagel andererseits ungleich zu behandeln (vgl. Urteil des Senats vom 23. Juli 2014, L 9 KR 54/11, zitiert nach juris, dort Rdnr. 42ff. [podologische Leistungen bei multipler Sklerose];     Sozialgericht Nürnberg, Urteil vom 10. Dezember 2015, S 11 KR 299/14, zitiert nach juris, dort Rdnr. 49 [Polyneuropathie]; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. Februar 2015, L 5 KR 10/15 B ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12 [periphere arterielle Verschlusskrankheit]).  

    e) Zur Überwindung dieses Systemmangels kommt zur Überzeugung des Senats ausnahmsweise auch die Inanspruchnahme nichtärztlicher Leistungserbringer in Betracht (ebenso zur Barthaarepilation: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. Mai 2014, L 16 KR 453/12, zitiert nach juris, dort Rdnr. 49). Dies muss jedenfalls für eine Leistung wie die hier in Frage stehende podologische Nagelspangenbehandlung gelten, die von staatlich geprüften und fachlich qualifizierten Podologen angeboten wird: 

    Die grundsätzliche fachliche Qualifikation von Podologen ist durch §§ 27, 28 der Heilmittelrichtlinie vorausgesetzt; denn dort sind Regelungen zur podologischen Therapie beim gravierenden Befund „diabetischer Fuß“ enthalten. Die podologische Therapie umfasst danach auch die „Behandlung von Zehennägeln mit der Tendenz zum Einwachsen“ (§ 28 Abs. 1); die Therapie umfasst auch die „Nagelbearbeitung“, die „der verletzungsfreien Beseitigung abnormer Nagelbildungen zur Vermeidung von drohenden Schäden an Nagelbett und Nagelwall durch spezifische Techniken wie Schneiden, Schleifen und/oder Fräsen“ dient (§ 28 Abs. 4 Nr. 2).

    Das Berufsbild des Podologen ist ausführlich gesetzlich geregelt, womit gewährleistet werden soll, dass den Beruf ausübende Personen über hinreichende fachliche Qualifikation verfügen. Wer die Berufsbezeichnung „Podologin“ oder „Podologe“ führen will, bedarf der Erlaubnis (§ 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Beruf der Podologin oder des Podologen, Podologengesetz [PodG]). Die Bezeichnung „Medizinische Fußpflegerin(in)“ darf nur von Personen mit einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PodG oder einer Berechtigung oder staatlichen Anerkennung nach § 10    Abs. 1 PodG geführt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 PodG). Die Erlaubnis ist auf Antrag zu erteilen, wenn die vorgeschriebene Ausbildung abgeleistet und die staatliche Prüfung bestanden ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 PodG). Die Ausbildung soll entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs insbesondere dazu befähigen, durch Anwendung geeigneter Verfahren nach den anerkannten Regeln der Hygiene allgemeine und spezielle fußpflegerische Maßnahmen selbständig auszuführen, pathologische Veränderungen oder Symptome von Erkrankungen am Fuß, die eine ärztliche Abklärung erfordern, zu erkennen, unter ärztlicher Anleitung oder auf ärztliche Veranlassung medizinisch indizierte podologische Behandlungen durchzuführen und damit bei der Prävention, Therapie und Rehabilitation von Fußerkrankungen mitzuwirken (§ 3 PodG). Die Ausbildung dauert in Vollzeitform zwei Jahre, in Teilzeitform höchstens vier Jahre. Sie wird durch staatlich anerkannte Schulen vermittelt und schließt mit der staatlichen Prüfung ab. Die Ausbildung besteht aus theoretischem und praktischem Unterricht und einer praktischen Ausbildung (§ 4 PodG).

    Auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 PodG sind die Mindestanforderungen an Ausbildung und Prüfung in der „Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Podologinnen und Podologen (PodAPrV) vom 18. Dezember 2001 geregelt. Nach § 1 PodAPrV umfasst die Ausbildung für Podologinnen und Podologen mindestens den in der Anlage 1 aufgeführten theoretischen und praktischen Unterricht von 2000 Stunden und die aufgeführte praktische Ausbildung von 1000 Stunden (Abs. 1). Im Unterricht muss den Schülerinnen und Schülern ausreichende Möglichkeit gegeben werden, die erforderlichen praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln und einzuüben. Die praktische Ausbildung findet an Patientinnen und Patienten statt (Abs. 2). Nach Anlage 1 Nr. 15.3.1 und Nr. 17.1.2 sind Nagelveränderungen und Nagelkorrekturspangen Gegenstand der Ausbildung, was sich nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 PodAPrV auf den Inhalt der Prüfung auswirkt: „Der praktische Teil der Prüfung erstreckt sich auch auf: Podologische Materialien und Hilfsmittel: Der Prüfling hat im Rahmen einer podologischen Behandlung am Patienten jeweils mindestens eine Nagelkorrekturmaßnahme sowie mindestens eine orthotische Korrekturmaßnahme durchzuführen. Dabei hat er sein Handeln zu erläutern und zu begründen.“

    Vor dem Hintergrund all dessen hat der Senat keinen Zweifel an der fachlichen Qualifikation eines staatlich geprüften Podologen; ein solcher ist in besonderem Maße fachlich qualifiziert, die von Gesetzes wegen als ärztliche Leistung beschriebene Orthonyxiebehandlung sachkundig auszuüben. Bei gegebenem Systemversagen stand es der Klägerin daher frei, sich auf Kosten der Beklagten in podologische Behandlung zu begeben.
     
    f) Rechtlich unerheblich ist der Inhalt der vertragsärztlichen Verordnung, die die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr.  W am 3. Juni 2013 ausgestellt hat („Nagelspange für Orthonyxiebehandlung“). Denn die Klägerin begehrt die Nagelspangenbehandlung – wie im Anhang 1 des EBM vorgesehen – als ärztliche Leistung. Für diese bedarf es keiner vertragsärztlichen Verordnung. Vielmehr war die Klägerin befugt, sich die Leistung angesichts des beschriebenen Systemversagens unmittelbar bei einem sachkundigen nichtärztlichen Leistungserbringer zu besorgen.  
     
    4. Der Senat muss im Rahmen dieses Rechtsstreits nicht entscheiden, ob und ggf. wie sich die Beklagte bei anderen Akteuren des GKV-Systems schadlos halten kann. Es könnte indes einiges dafür sprechen, dass letzten Endes entweder die Beigeladene (gemäß § 75 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB V i.V.m. § 54 Abs. 3 Bundesmantelvertrags-Ärzte – BMV-Ä – oder gemäß § 280 Bürgerliches Gesetzbuch) oder einer der die Leistung verweigernden Vertragsärzte (gemäß § 48 BMV-Ä analog) die Kosten zu tragen haben.

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin im Berufungsverfahren von einem Teil ihres Begehrens Abstand genommen, zugleich aber in wesentlichen Teilen obsiegt hat. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache lässt der Senat die Revision zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).