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  • 17.09.2024 · IWW-Abrufnummer 243836

    Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 24.07.2024 – 21 W 146/23

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

    Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Stadt1 - Nachlassgericht - vom 09.08.2023 abgeändert:

    Die für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1) am 21.03.2022 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet. Das Amtsgericht wird angewiesen, einen entsprechenden Erbschein zu erteilen.

    Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2) wird zurückgewiesen.

    Von der Erhebung von Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
    Gründe

    I.

    Die am XX.XX.2021 verstorbene Erblasserin war geschieden. Die Beteiligte zu 1) ist ihre Tochter. Der Beteiligte zu 2) ist ein Großneffe der Erblasserin. Eine letztwillige Verfügung hinterließ die Erblasserin nicht.

    Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 07.07.2021 (Bl. 5 d.A.) schlug die Beteiligte zu 1) die Erbschaft nach ihrer Mutter aus allen Berufungsgründen aus. Mit gerichtlich protokollierter Erklärung vom 17.08.2021 (Bl. 57 d.A.) schlug Herr Vorname1 A, Bruder der Erblasserin, die Erbschaft aus. Dessen Töchter B und Vorname2 A erklärten die Ausschlagung der Erbschaft am 24.09.2021 und 29.09.2023 (Bl. 64 und 66 d.A.).

    Mit Beschluss vom 23.11.2021 (Bl. 73 d.A.) ordnete das Nachlassgericht gemäß § 1960 BGB für die unbekannten Erben Nachlasspflegschaft an und bestellte Herrn D zum Nachlasspfleger.

    Mit notariell beglaubigter Urkunde vom 21.03.2022 (Bl. 84 d.A.) hat die Beteiligte zu 1) die Ausschlagung der Erbschaft angefochten. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie bei der Ausschlagung davon ausgegangen sei, dass im Nachlass kein Aktivvermögen sei. Aufgrund der Alkoholkrankheit der Erblasserin sei sie nicht bei dieser aufgewachsen und habe zu ihr seit etwa ihrem elften Lebensjahr keinen Kontakt mehr. Am 17.06.2021 sei sie vom Tod der Erblasserin und den Todesumständen informiert worden. Die zuständige Kriminalbeamtin habe ihr berichtet, dass die Wohnung der Erblasserin in einem chaotischen und unaufgeräumten Zustand gewesen sei und habe ihr auf Nachfrage mitgeteilt, dass sich die Wohnung nicht in der besten Wohngegend befinde. Nach Internetrecherchen habe die Beteiligte zu 1) festgestellt, dass die Adresse hinter dem Bahnhof liege. Aufgrund der schlimmen Kindheitserfahrungen sei sie davon ausgegangen, dass ihre Mutter abgerutscht sei und im sozialen Brennpunkt gelebt haben müsse. Daraufhin habe sie die Erbschaft ausgeschlagen. Erst durch das Schreiben des Nachlasspflegers vom 07.02.2022, das bei ihr am 25.02.2022 eingegangen sei, habe sie davon Kenntnis erhalten, dass es neben Mietschulden und Bestattungskosten ein Girokonto und Sparbuch mit Guthaben in Höhe von insgesamt 72.077,87 Euro gebe. Weil ihr insbesondere das Girokonto und das Sparbuch nicht bekannt gewesen seien, habe sie sich über die Zusammensetzung des Nachlasses im Irrtum befunden. Aufgrund der Alkoholerkrankung der Mutter, des chaotischen und unaufgeräumten Zustands ihrer Wohnung und des von ihr als problematisch eingestuften Wohnviertels habe sie sich nicht vorstellen können, dass ihre Mutter überhaupt über Geldvermögen verfüge.

    Mit notarieller Urkunde vom 21.03.2022 (Bl. 87 d.A.) hat die Beteiligte zu 1) einen Alleinerbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt und sich hierfür auf die Anfechtung ihrer Erbschaftsausschlagung gestützt.

    Diesem Erbscheinsantrag ist der Beteiligte zu 2) entgegengetreten (Bl. 102 d.A.). Er ist der Auffassung gewesen, dass die Anfechtung der Erbausschlagung unwirksam sei, weil die Beteiligte zu 1) die Erbschaft bewusst ausgeschlagen habe und daher kein Irrtum vorliege. Auch habe die Beteiligte zu 1) niemand bedrängt oder getäuscht. Außerdem sei deutlich geworden, dass die Beteiligte zu 1) nichts habe von der Erblasserin wissen wollen und keine Bindung zu dieser habe, so dass die Anfechtung auch aus moralischen Gründen bedeutungslos sei. Der Aufwand der Beteiligten zu 1) sei minimal gewesen. Stattdessen habe sie andere die Räumung der Wohnung und Beerdigung erledigen lassen.

    Mit notarieller Urkunde vom 03.07.2023 (Bl. 184 d.A.) hat der Beteiligte zu 2) einen Alleinerbschein zu seinen Gunsten aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt. Hierfür hat er sich auf die Ausschlagungserklärung der Beteiligten zu 1) gestützt, die er für wirksam hält. Für die Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 184 f. d. A. verwiesen.

    Mit dem angefochtenen Beschluss vom 09.08.2023 (Bl. 187 d. A.) hat das Nachlassgericht die für die Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) zu dessen Gunsten beantragten Alleinerbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, dass der Beteiligte zu 2) wegen der wirksamen Erbausschlagung der Beteiligten zu 1) gesetzlicher Erbe geworden sei. Die Anfechtung der Erbausschlagung sei unwirksam, weil sich die Beteiligte zu 1) nicht über eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Irrtum befunden habe. Zum Zeitpunkt der Erbausschlagung habe die Beteiligte zu 1) keinen konkreten Fehlvorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses unterlegen. Weder Aktiva noch Passiva seien der Beteiligten zu 1) bekannt gewesen. Auch habe sie keine tatsächlichen Informationen zu den finanziellen Verhältnissen der Erblasserin gehabt. Für die Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 188 f. d. A. verwiesen.

    Gegen diesen ihr am 21.08.2023 zugestellten (Bl. 205 d.A.) Beschluss hat die Beteiligte zu 1) mit einem am 21.09.2023 (Bl. 201 d.A.) bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie an, dass sie die Ausschlagung erklärt habe, nachdem ihr von Seiten der Polizei ausdrücklich abgeraten worden sei, die Wohnung zu betreten. Außerdem sei ihr mitgeteilt worden, dass die Wohnung offensichtlich keine werthaltigen Gegenstände enthalte, sondern ungeachtet des verwahrlosten Zustandes sehr einfach bis primitiv ausgestattet gewesen sei. Nach Kontaktaufnahme bei der Polizei in Stadt1 habe ihr die dort zuständige Kriminalbeamtin mitgeteilt, dass die Erblasserin etwa eine Woche tot in ihrer Wohnung gelegen habe. Soziale Kontakte habe es offenbar nicht gegeben, weil man die Erblasserin sonst früher gefunden hätte. Mit der Kriminalbeamtin habe sie im Folgenden mehrfach telefoniert. Diese habe ihr geschildert, dass die Wohnung in einem chaotischen und unübersichtlichen Zustand gewesen sei. Die Kriminalbeamtin habe ihr die Bilder der Wohnung beschrieben und ihr geraten, sich gut zu überlegen, ob sie die Wohnung betreten wolle. Nach den Telefonaten mit der Kriminalbeamtin, nach Recherchen über die Lage der Wohnung und vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Kindheit, die von der Alkoholkrankheit und den ständigen Geldnöten der Erblasserin geprägt gewesen sei, habe sie die Ausschlagung der Erbschaft erklärt.

    Mit Beschluss vom 16.10.2023 (Bl. 207 d.A.) hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

    Die Beteiligte zu 1) wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat persönlich angehört. Es wird insoweit auf das Protokoll der Sitzung vom 12.04.2024 (Bl. 237 d.A.) verwiesen.

    II.

    1. Die Beschwerde ist zulässig und insbesondere fristgerecht gemäß § 63 FamFG innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses beim Nachlassgericht eingegangen. Als Antragstellerin ist die Beteiligte zu 1) zudem beschwerdeberechtigt (Sternal/Jokisch, FamFG, 21. Auflage 2023, § 59 Rn. 81).

    2. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Denn die Antragstellerin ist als Erbin erster Ordnung gemäß §§ 1924, 1930 alleinige gesetzliche Erbin der Erblasserin. Eine entgegenstehende testamentarische Verfügung liegt nicht vor.

    a) Zwar hat die Antragstellerin das Erbe zunächst nach §§ 1942 ff. BGB wirksam ausgeschlagen mit der Folge, dass der Anfall der Erbschaft gemäß § 1953 Abs. 1 BGB als nicht erfolgt galt. Zur Vermeidung von Wiederholung wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Nachlassgerichts im angefochtenen Beschluss verwiesen.

    b) Sodann hat die Beteiligte zu 1) ihre Ausschlagungserklärung jedoch fristgemäß und auch im Übrigen wirksam angefochten, so dass ihre Anfechtung gemäß § 1957 Abs.1 BGB als Annahme gilt.

    aa) Die Ausschlagung der Erbschaft kann wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses gemäß §§ 1954, 119 Abs. 2 BGB angefochten werden. Erforderlich ist ein kausaler Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses.

    aaa) Ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist anzunehmen, wenn der Annehmende falsche Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, hinsichtlich des Bestandes an Aktiva oder Passiva hat (BayObLG, v. 05.07.2002 - 1Z BR 45/01 -, NJW 2003, 216 zitiert nach juris Rn. 56 m.w.N.). Soweit die Rechtsprechung teilweise die Überschuldung des Nachlasses als verkehrswesentliche Eigenschaft ansieht (vgl. z.B. BGH NJW 1952, 778; BayObLG v. 05.07.2002 - 1Z BR 45/01, NJW 2003, 216; OLG Düsseldorf v. 05.09.2008 - 3 Wx 123/08, ZEV 2009, 137, BeckRS 2016, 19189; OLG Brandenburg v. 23.07.2019 - 3 W 55/19, BeckRS 2019, 16864 Rn. 9; KG, Beschl. v. 19.10.2023 - 6 W 31/23, ErbR 2024, 140; BeckOGK/Heinemann, BGB, 1.5.2024, § 1954 Rn. 63; offenlassend BGH NJW 1989, 2885), folgt der Senat dem nicht. Denn der Wert ist anders als die wertbildenden Faktoren keine Eigenschaft einer Sache im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB (vgl. BGHZ 16, 54, 57; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., § 119 Rn. 27). Die Überschuldung des Nachlasses ist ihrerseits Ergebnis der Bewertung der einzelnen Aktiv- und Passivpositionen des Nachlasses. Sie ist damit ebenfalls eine Aussage über den Wert und daher keine Eigenschaft des Nachlasses. Die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung ist vielmehr im Rahmen der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen.

    bbb) Bei einem Irrtum weicht die Vorstellung des Erklärenden über eine verkehrswesentliche Eigenschaft von der Realität ab. Es handelt sich mithin um eine innere Tatsache. Kein die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB begründender Irrtum liegt vor, wenn die Ausschlagung unabhängig von Grund und Höhe der Erbschaft bewusst auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen erfolgte (KG v. 19.10.2023 - 6 W 31/23, ErbR 2024, 140 m.w.N.). Denn hierbei weicht die Vorstellung des Erklärenden nicht von der Realität ab, sondern der Erklärende hält auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen nur das Vorliegen einer bestimmten verkehrswesentlichen Eigenschaft für wahrscheinlicher als deren Nichtvorliegen. Nicht zur Anfechtung berechtigt ist daher, wer ohne und unter bewusstem Verzicht auf eine nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen vermutliche Größe unterliegt, er also nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter Fakten zu dem Ergebnis gelangt ist, die Erbschaft anzunehmen oder auszuschlagen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer - also bewusst ungesicherter - Grundlage getroffen hat (OLG Düsseldorf v. 19.12.2018 - I-3 Wx 140/18; ders. vom 17.10.2016, I-3 Wx 155/15; OLG Brandenburg v. 23.07.2019 - 3 W 55/19, BeckRS 2019, 16864 Rn. 9).

    Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Erklärende hinreichende Anstrengungen unternommen hat, um Erkenntnisse über Fakten zu erlangen, die ihm als gesicherte Entscheidungsgrundlage dienen könnten. Dabei geht es im Rahmen der Irrtumsfeststellung nicht um ein mögliches Verschulden des Erklärenden, denn - wie sich aus § 122 Abs. 2 BGB ergibt - schließt ein selbst grob fahrlässig verschuldeter Irrtum die Anfechtung nicht aus (vgl. RG 62, 205, 88, 411; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., § 119 Rn. 1 sowie § 122 Rn. 5).

    Vielmehr geht es bei der Frage, ob der Anfechtende naheliegende Erkenntnismöglichkeiten genutzt hat, allein um die Plausibilität des behaupteten Irrtums. Denn bei der von der Realität abweichenden Fehlvorstellung handelt es sich um eine innere und damit nur anhand von Indizien aufklärbare innere Tatsache. Derjenige, der keinerlei Anstrengungen unternimmt, um sich über die Zusammensetzung und den Bestand des Nachlasses zu informieren, der sich nicht für die Tatsachen interessiert, nimmt häufig eine unsichere Grundlage für seine Entscheidung in Kauf, stützt seine Entscheidung mithin bewusst auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Bei einem Verzicht auf naheliegende Erkundigungsmöglichkeiten ist eine zur Anfechtung berechtigende Fehlvorstellung über die Zusammensetzung und den Bestand des Nachlasses unwahrscheinlich und unplausibel. Die vom Erklärenden unternommenen Erkundigungen zum Nachlass können daher als äußeres Anzeichen für einen Irrtum dienen. Abzustellen ist aber letztlich auf die Vorstellungen über die Zusammensetzung und den Bestand des Nachlasses, die sich der Erklärende im Zeitpunkt der Annahmeerklärung gemacht hat (OLG Hamm v. 29.01.2009 - I-15 Wx 213/08, 15 Wx 213/08 -, juris Rn. 15). Da es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, ist in der Regel eine Anhörung des Annehmenden veranlasst.

    ccc) Schließlich muss der Irrtum über die verkehrswesentliche Eigenschaft kausal für die Erklärung sein. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn der Irrtum über den Bestand zu der irrigen Annahme geführt hat, der Nachlass sei überschuldet. Zwingend ist jedoch auch dies nicht. So kann ein Irrtum, der bei vorgestellter marginaler Solvenz eine tatsächlich vorhandene geringfügige Überschuldung zur Folge hat, nicht kausal sein, wie auch der Irrtum über das Vorhandensein eines bedeutenden Nachlassgegenstandes bei unabhängig davon bestehender Solvenz des Nachlasses seinerseits kausal für die Erklärung sein mag. Jeweils kommt es auf die tatsächlichen Beweggründe des Erklärenden an, wobei auch insoweit in Zweifelsfällen eine Anhörung unerlässlich sein dürfte. Dabei genügt eine Mitursächlichkeit des Irrtums.

    bb) Nach diesen Grundsätzen hat die Beteiligte zu 1) zur Überzeugung des Senats dargetan, dass sie zum Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung irrtümlich falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses unterlag. Insbesondere irrte sie sich über das Vorhandensein der Guthaben auf Spar- und Girokonto. Dieser Irrtum war jedenfalls mitursächlich für ihre Erklärung, das Erbe auszuschlagen.

    Dabei hat sich die Beteiligte zu 1) für die Annahme, dass der Nachlass aus keinerlei werthaltigen Vermögensgegenständen bestehe, nicht nur auf ihre zeitfernen Erinnerungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit verlassen. Vielmehr hatte sich die Beteiligte zu 1) in mehreren Telefonaten mit der nach dem Tod der Erblasserin zuständigen Kriminalbeamtin besprochen und sich von dieser die Todes-, Lebens- und Wohnumstände der Erblasserin schildern lassen. Des Weiteren hatte sie im Internet über die Wohnlage der Erblasserin recherchiert und sich diese ergänzend von der Polizei erklären lassen. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat hat die Beteiligte zu 1) anschaulich berichtet, welche Anstrengungen sie unternommen hat, um sich über die Lebensumstände und Vermögensverhältnisse der Erblasserin zu informieren. Dass die Beteiligte zu 1) aufgrund der hierdurch gewonnenen Informationen und vor dem Hintergrund der aus der Vergangenheit bekannten jahrelangen Geldnot der Erblasserin zu der Überzeugung gelangte, dass die Erblasserin über keinerlei Vermögen verfügte und der Nachlass daher überschuldet sei, ist objektiv nachvollziehbar und wurde von der Beteiligten glaubhaft geschildert. Zu dieser Überzeugung gelangte die Beteiligte zu 1) nicht aufgrund spekulativer und bewusst unsicherer Grundlage, sondern aufgrund der von ihr zusammengetragenen Tatsachen. Dabei kann der Beteiligten zu 1) nicht entgegengehalten werden, dass sie nicht aus Stadt2 anreiste, um in der Wohnung der Erblasserin nach Finanzunterlagen zu suchen, denn auf ein Verschulden kommt es nicht an. Gleichzeitig ist der ihre Behauptung, einem Irrtum unterlegen zu sein, aber gleichwohl glaubhaft. Denn zuständige Kriminalbeamtin hatte ihr den Zustand der Wohnung geschildert und entsprechend davon abgeraten, die Wohnung zu betreten. Von den Kontoguthaben erfuhr die Beteiligte zu 1) erst später durch den Nachlasspfleger.

    Bei Berücksichtigung der Gesamtumstände ist der Senat davon überzeugt, dass die Beteiligte zu 1) bei Abgabe ihrer Ausschlagungserklärung über die Zusammensetzung und damit eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses irrte und nicht lediglich das Fehlen von Vermögenswerten der Erblasserin für wahrscheinlich hielt.

    Soweit der Beteiligte zu 2) der Auffassung ist, dass die Anfechtung aus moralischen Gründen bedeutungslos sei, und anführt, dass die Beteiligte zu 1) keine Bindung zu der Erblasserin gehabt habe, keinen Kontakt zu dieser haben wollte und sich nicht um diese oder den Nachlass gekümmert habe, liegt der Vortrag neben der Sache.

    Zudem bestehen aus Sicht des Senats keine Zweifel, dass dieser Irrtum ursächlich für die Ausschlagung der Erbschaft war und dass die Beteiligte zu 1) die Erbschaft nicht ausgeschlagen hätte, wenn sie von der konkreten Zusammensetzung der Erbschaft gewusst hätte. Insoweit spricht - wie dargelegt - für die Ursächlichkeit bereits die fehlerhafte Annahme der Überschuldung des Nachlasses (vgl. auch BayObLG v. 24.06.1983 - BReg. 1 Z 124/82, BayObLGZ 1983, 153). So hat die Beteiligte zu 1) in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, entscheidend für die Ausschlagung sei gewesen, dass sie davon ausging, bei einer Erbschaftsannahme mit Schulden ihrer Mutter konfrontiert zu sein, für die sie nicht verantwortlich gewesen sei und die sie selbst nicht hätte begleichen können. Dass die Beteiligte zu 1) ihren glaubhaften Angaben zufolge darüber hinaus auch Angst vor den Bildern hatte, die sie in der Wohnung erwarten würden, und insoweit sich bei Annahme der Erbschaft mit dem Zustand der Wohnung hätte befassen müssen, steht der Annahme der Kausalität des Irrtums für die Ausschlagungserklärung nicht entgegen. Denn eine Mitursächlichkeit ist ausreichend. Dafür, dass selbst bei Kenntnis des Nachlasswertes in Höhe von ca. 70.000 € die Beteiligte zu 1) gleichwohl aus Angst vor der Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit die Erbschaft ausgeschlagen hätte, besteht kein Anlass, auch wenn nachvollziehbar ist, dass die mit der Ausschlagung verbundene Vermeidung der seelischen Belastung die Entscheidung für Beteiligten zu 1), die Erbschaft auszuschlagen, sicherlich einfacher gemacht hat.

    3. Im Hinblick auf das erstinstanzliche Verfahren war eine Kostenentscheidung nicht veranlasst. Es bleibt insoweit bei der Antragstellerhaftung der Beteiligten gemäß § 22 GNotKG.

    Soweit es die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens anbelangt, entspricht es im Hinblick auf den Erfolg des Rechtsmittels der Billigkeit, von einer Kostenerhebung abzusehen, § 81 FamFG. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten ist weder in erster noch in zweiter Instanz geboten.

    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Der Umstand, dass der Senat die Überschuldung des Senats nicht als verkehrswesentliche Eigenschaft ansieht, sondern im Rahmen der Kausalität des Irrtums für die Ausschlagungserklärung berücksichtigt, stellt keinen Zulassungsgrund dar, da insoweit lediglich eine Divergenz zu anderen Gerichten bei der Beurteilung einer Vorfrage besteht, auf die es vorliegend im Ergebnis nicht ankommt. Denn auch bei Einordnung der Überschuldung als verkehrswesentliche Eigenschaft wird ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum nur dann angenommen, wenn dieser auf falschen Vorstellungen über die Zusammensetzung und den Bestand des Nachlasses beruht.

    Eine Festsetzung des Beschwerdewertes ist nicht veranlasst.