24.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239290
Finanzgericht Münster: Urteil vom 02.11.2023 – 3 K 2755/22 Erb
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
3 K 2755/22 Erb
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
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Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag als Nachlassverbindlichkeiten in Abzug zu bringen sind.
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Der am 29.05.2020 verstorbene Vaters des Klägers, Herr F., war zu 12,50 v. H. an der S. GmbH ([…], im Folgenden auch: „GmbH“) beteiligt. Auf Grundlage des notariellen Testaments vom 00.00.2015 erwarb der Kläger diese Anteile von Todes wegen als Vermächtnis (vgl. Urkundenrolle Nummer […] des Notars V. in G.).
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Die Gesellschafterversammlung der GmbH hatte am 00.00.2020 eine Ausschüttung beschlossen, auszuzahlen am 00.00.2020. Diese entfiel im Umfang von 187.500 EUR auf den Vater. Sie wurde am Fälligkeitstag, nach dem Tod des Vaters, unter Einbehalt von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag, d. h. abzüglich von 48.346,92 EUR, ausgezahlt.
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Im Erbschaftsteuerbescheid vom 09.11.2021, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, berücksichtigte der Beklagte den Ausschüttungsanspruch gegenüber der GmbH, abweichend von dem in der Erbschaftsteuererklärung auf 139.135 EUR bezifferten Wert, mit dem Nennwert von 187.500 EUR. Die einbehaltene Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag brachte er auch nicht als Nachlassverbindlichkeiten in Abzug.
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Den gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 28.10.2022 zurück. Der Bescheid erging weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Beklagte legte in den Gründen dar, dass die Ausschüttungsforderung mit ihrem Nennwert zu berücksichtigen sei. Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag minderten nach der BFH-Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 17.02.2010 II R 23/09) und H E 10.7. ErbStH 2020 („latente Einkommensteuerlast“) nicht den Wert der Forderung. Es handele sich dabei wirtschaftlich nur um eine bei Zufluss des Geldbetrags in einem besonderen Verfahren erhobene Einkommensteuervorauszahlung des Steuerpflichtigen. Ein Abzug als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sei ebenso wenig vorzunehmen. Steuerschulden seien nur dann als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig, wenn es sich um vom Erblasser herrührende persönliche Steuerschulden handele, die auf den Erben übergegangen seien. Der Erblasser müsse in eigener Person einen steuerrelevanten Tatbestand verwirklicht haben. Im Streitfall habe der Zufluss der Einnahmen erst nach dem erbschaftsteuerrechtlich maßgebenden Stichtag stattgefunden. Der Steuertatbestand sei erst mit dem Zufluss der ausgeschütteten Gelder durch den Kläger als Steuerpflichtigen verwirklicht worden.
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Mit seiner am 30.11.2022 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
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Der Kläger macht geltend, die Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag minderten den Wert der Ausschüttungsforderung. Zumindest seien sie als Nachlassverbindlichkeiten in Abzug zu bringen. Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten gehörten auch solche Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet habe. Sie müssten rechtlich noch nicht entstanden sein. Erblasserschulden im Sinne des § 1967 Abs. 2 BGB seien auch erst in der Person des Erben entstehenden Verbindlichkeiten, die als solche schon dem Erblasser entstanden wären, wenn er nicht vor Eintritt der zu ihrer Entstehung notwendigen weiteren Voraussetzung verstorben wäre (vgl. BGH-Urteil vom 07.06.1991 V ZR 214/89, NJW 1991, 2558). Anders als beim Zufluss nachträglicher Einnahmen aus einer ehemaligen Tätigkeit des Erblassers, für die Einkommensteuerzahlungen des Erben nicht in Abzug zu bringen seien, sei die Kapitalertragsteuer im Zeitpunkt des Todes zwar noch nicht formalrechtlich entstanden gewesen, aber ihre Entstehung sei quasi sicher und zudem hinreichend konkretisiert gewesen (Riedel, FR 2016, 310).
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Gegenstand der Besteuerung mit Erbschaftsteuer sei die beim Erwerber anfallende Bereicherung. Hierbei handele es sich um den nach Abzug der Steuern verbleibenden Erwerb. Dies gelte umso mehr, als sich der Erbe der Steuerschuld nicht entziehen könne, wie vorliegend der Kläger in Bezug auf die Belastung mit Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag. Im Ergebnis könne nicht derselbe Sachverhalt der Ertragsteuer und der Erbschaftsteuer unterworfen sein.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid über Erbschaftsteuer vom 09.11.2021 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.10.2022 dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftsteuer auf 0 EUR herabgesetzt wird.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung.
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Der Senat hat am 02.11.2023 mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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1. Der Bescheid über Erbschaftsteuer vom 09.11.2021 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.10.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Beklagte hat den Ausschüttungsanspruch zutreffend mit dem Nennwert der Besteuerung zugrunde gelegt und die vom ausgeschütteten Betrag einbehaltene Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag zu Recht nicht als Nachlassverbindlichkeiten im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Abzug gebracht.
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Der Erbschaftsteuer unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb von Todes wegen. Dazu gehört gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb durch Vermächtnis. Als Bereicherung gilt der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten Vermögensanfalls, soweit er der Besteuerung nach dem ErbStG unterliegt, die nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Die Ermittlung der Bereicherung und die Bewertung erfolgen nach Maßgabe von §§ 10, 12 Abs. 1 ErbStG auf den Stichtag (§§ 11 und 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).
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a. Der im Vermächtniswege erworbene Ausschüttungsanspruch gegenüber der GmbH ist mit dem Nennwert anzusetzen.
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Kapitalforderungen, die wie im Streitfall nicht unter § 11 BewG fallen, sind gemäß §§ 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. § 12 Abs. 1 BewG mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Ein solcher "besonderer Umstand" setzt voraus, dass es sich um eine besondere Eigenschaft der Forderung selbst handelt, die der Forderung innewohnt, das heißt ihr immanent ist (BFH-Urteil vom 17.02.2010 II R 23/09, BStBl. II 2010, 641, Rz. 11). Derartige besondere Umstände liegen im Streitfall nicht vor. Die Ausschüttungsforderung war im Besteuerungszeitpunkt voll werthaltig. Die Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag sind keine der Forderung immanente wertmindernde Eigenschaft. Es handelt sich vielmehr um eine besondere Form der Erhebung von Einkommensteuer (vgl. § 43 Abs. 1 EStG).
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b. Die bei der Auszahlung der Gewinnausschüttung einbehaltene Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag ist erbschaftsteuerlich beim Kläger nicht als Nachlassverbindlichkeit in Abzug zu bringen. Insbesondere liegt kein Fall des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vor.
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Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, LuF-Betrieb oder Anteil an einem LuF-Betrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt worden sind. Der Abzug setzt nicht zwingend voraus, dass beim Tod des Erblassers, also zum maßgeblichen Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), eine rechtliche Verpflichtung bestanden haben muss (BFH-Urteil vom 04.07.2012 II R 15/11, BStBl. II 2012, 790, Rz 15, m.w.N.). Vom Erblasser herrührende Schulden können auch bei Erwerbern, die keine Erben sind, Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sein (BFH-Urteil vom 15.06.2016 II R 51/14, BStBl. II 2018, 194). Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist jedoch, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa erst der Rechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb für den Erblasser als Steuerpflichtigen eine Steuer entsteht (BFH-Urteil vom 04.07.2012 II R 15/11, BFHE 238, 233, BStBl II. 2012, 790).
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Bei Anwendung dieses Maßstabs auf den Streitfall erfüllen die Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag nicht die Merkmale von Nachlassverbindlichkeiten i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Zwar wurde die wirtschaftliche Ursache für die Belastung der Ausschüttung mit Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag bereits vor dem Todeszeitpunkt gesetzt. Denn sobald die Ausschüttung durch die Gesellschafterversammlung beschlossen war, stand fest, dass für die nicht beherrschenden Gesellschafter im Zeitpunkt der Fälligkeit des Zahlungsanspruchs zugleich Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag einzubehalten und abzuführen war, § 43 Abs. 1 EStG. Der für die Abzugsfähigkeit bei der Erbschaftsteuer maßgebliche Umstand, die Verwirklichung des einkommensteuerlich relevanten Tatbestandes, war indes vor dem Tod des Vermächtnisgebers durch die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung noch nicht verwirklicht. Denn es fehlte insoweit noch am den Tatbestand begründenden Zufluss der Ausschüttung. Die Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag entstand gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG erst in dem Zeitpunkt, in dem der Kapitalertrag dem Kläger als Gläubiger zufloss. Gewinnanteile und andere Kapitalerträge im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, fließen dem Gläubiger der Kapitalerträge, wenn er - wie die Kläger und zuvor sein Vater - nicht beherrschender Gesellschafter der Gesellschaft ist, erst an dem Tag der Auszahlung zu, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG (vgl. BFH-Urteile vom 12.07.2021 VI R 3/19, BFH/NV 2022, 9; vom 02.12.2014 VIII R 2/12, BStBl. II 2015, 333). Der steuerrelevante Tatbestand wurde deshalb erst nach dem Tod des Vaters in der Person des Klägers vollendet. Bei dieser Sachlage wurde die Kapitalertragsteuer nicht für den Vater, sondern für den Kläger selbst einbehalten.
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c. Schließlich gebietet der Umstand, dass die Ausschüttung beim Kläger einen Kapitalertragsteuertatbestand verwirklicht und damit eine besondere Form der Erhebung der Einkommensteuer auslöst, nicht, dass deshalb die Erbschaftsteuerbelastung des Klägers sinken müsste.
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Dass ein Sachverhalt kumulativ der Erbschaftsteuer und der Einkommensteuer unterliegt, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Auch in den Fällen, in denen sich die Einkommensteuer nicht nach § 35b EStG ermäßigt, ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehalten, einen Ausgleich zwischen beiden Steuerarten zu schaffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), der sich der erkennende Senat anschließt, ergibt sich aus der Doppelbelastung durch Erbschaft- und Einkommensteuer nicht zwingend eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung (BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2015 1 BvR 1432/10, BFH/NV 2015, 1069). Auch nach der Rechtsprechung des BFH und der herrschenden Literatur ist eine Doppelbelastung mit Schenkung-/Erbschaftsteuer und Einkommensteuer grundsätzlich unbedenklich, da es um unterschiedliche steuerauslösende Tatbestände geht (vgl. BFH-Urteile vom 25.06.2021 II R 31/19, BStBl. II 2022, 497; vom 17.02.2010 II R 23/09, BStBl. II 2010, 641; vom 07.12.1990 X R 72/89, BStBl. II. 1991, 350; Seer, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl 2020, § 35b Rn. 1 m. w. N.; Schulz, in Herrmann/Heuer/Raupach, 301. Lieferung Dezember 2020, § 35b Anm. 3 m. w. N.). Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Wahl des Steuergegenstandes, also der Steuerquelle, einen weiten Gestaltungsspielraum. Mithin besteht auch kein Verfassungssatz des Inhalts, dass alle Steuern aufeinander abgestimmt sein müssten, also etwa keine Lücken entstehen dürften bzw. mehrfache Belastungen vermieden werden müssten (BFH-Urteil vom 18.01.2011 X R 63/08, BStBl. II 2011, 680).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.