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  • · Fachbeitrag · Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens

    Die Bedeutung der Familienverfassung für erfolgreiche Familienunternehmen

    von Prof. Dr. Birgit Felden und Christopher Peyerl, Gesellschafter der TMS Unternehmensberatung GmbH, Köln

    | Die Familienverfassung soll die Familienmitglieder durch das gemeinsame Unterzeichnen zum Erhalt des familiären Friedens, der Kontinuität sowie der Stabilität motivieren. Somit ist das Dokument ein wichtiges Instrument sowohl zur Etablierung fester Ordnungen und Strukturen in Familienunternehmen als auch zur Orientierung. Es ist aber kein juristisches Vertragswerk und somit nicht rechtlich bindend, sondern lediglich emotional verpflichtend. PU beleuchtet, wie sich die Familienverfassung auf den Unternehmenserfolg auszahlt. |

    1. Familienunternehmen „ticken“ anders

    Familienunternehmen sind die dominierende Unternehmensform in Deutschland. Sie prägen das Wirtschaftsbild der Regionen und sind, auch wenn sie global agieren, meist fest in der Region verwurzelt. In Deutschland sind 95 % aller Unternehmen mit 2/3 der Beschäftigten und mehr als 50 % des Umsatzes inhabergeführte Betriebe. Auch wenn ein breites Spektrum von sehr verschiedenen Betrieben und Strukturen unter diesem Begriff zusammengefasst wird, liegt die Besonderheit bei Familienunternehmen immer darin, dass eine Unternehmerfamilie als zentrales Merkmal neben dem Management und den Eigentümern das Unternehmen prägt. Und während es möglich ist, aus dem Management- oder Gesellschafterkreis auszuscheiden, ist die Verbindung zur Familie nicht kündbar.

     

    1.1 Erfolgsbegriff in Familienunternehmen

    Erfolg ist für Familienunternehmen ein sehr weiter Begriff und umfasst ‒ anders als in Publikumsgesellschaften ‒ nicht nur monetäre Aspekte: Für das eine Familienunternehmen mag Erfolg eine hohe Umsatzsteigerung sein, für ein anderes eine internationale Expansion und für ein drittes der Erhalt des Status quo und die Sicherung des Familienfriedens.

     

    1.2 Unternehmerfamilie und Unternehmen: eine besondere Beziehung

    Familienunternehmen können ‒ wie jedes Wirtschaftsunternehmen ‒ nur dann erfolgreich sein und ihre unterschiedlichen Ziele erreichen, wenn sie auch professionell gemanagt werden. Anders als in anderen Unternehmensformen gilt dies jedoch nicht nur für das Unternehmen selbst, sondern auch für die Unternehmerfamilie. In professionell geführten Unternehmerfamilien führen Vertrauen, Verantwortung, Gewohnheit und Zuneigung zu einem Zusammenhalt, der auch schwierige Situationen überwindet, rechtlichen und persönlichen Verpflichtungen gerecht wird und dem Wandel der Generationen standhält. Auch das Unternehmen zieht seinen Nutzen daraus, denn es kann mit Wettbewerbsvorteilen wie stabilen Eigentümerstrukturen, langfristigen Entwicklungsperspektiven, schnellen Entscheidungswegen oder Mobilisierung von außergewöhnlichen familiären Ressourcen in Krisenzeiten rechnen. Das wiederum führt in der Unternehmerfamilie nicht nur zu materiellem Wohlstand, sondern auch zu gesellschaftlichem Ansehen und der Chance auf potenziell attraktive Karrieren. Es ist aber auch nicht ungewöhnlich, dass sowohl Unternehmen als auch Unternehmerfamilien komplett zerfallen und untergehen. Dies ist dann der Fall, wenn der Balanceakt zwischen Familie und Unternehmen nicht (mehr) glückt, weil familiäre Probleme, Emotionen und Streitigkeiten das Unternehmen am Erfolg hindern.

     

    MERKE | Die Komponenten einer professionellen, zukunftsorientierten und verantwortungsvollen Unternehmensführung in Familienunternehmen werden als Family Business Governance bezeichnet. Sie fasst die wichtigsten Gremien, Regeln und Instrumente eines Familienunternehmens zusammen. Sie organisiert die Führung und Kontrolle eines Familienunternehmens und damit auch den Zusammenhalt der Unternehmerfamilie. Durch Berücksichtigung der zwei Bereiche Family Governance und Business Governance wird eine nachhaltige Steigerung des ökonomischen und emotionalen Wertes erzielt. Die Familienverfassung ist dabei ein zentrales Instrument, mit dem die Unternehmerfamilie schriftlich die Einhaltung gemeinsamer Werte, Wünsche, Vorstellungen und Ziele vereinbart.

     

    2. Wert der Familienverfassung

    Die Praxis zeigt, dass Familienunternehmen mit Familienverfassungen im Allgemeinen häufiger Familienaktivitäten organisieren, mehr in Family Education investieren und philanthropisch aktiver sind. Sie sind im Schnitt auch zufriedener in Bezug auf den Familienzusammenhalt, die Identifikation mit dem Unternehmen, Führung, Kontrolle sowie die Stabilität im Gesellschafterkreis (emotionaler Mehrwert) und haben den Fortbestand über Generationen besser abgesichert. Untersuchungen belegen außerdem, dass Familienunternehmen mit einer Familienverfassung ökonomisch erfolgreicher sind. Das gilt besonders für solche Familienunternehmen, die einen familienfremden Geschäftsführer haben und über eine diverse sowie verstreute Eigentümerschaft verfügen.

    3. Erstellung der Familienverfassung

    Die Erstellung der Familienverfassung wird üblicherweise von den Gesellschaftern initiiert und im Normalfall von diesen federführend übernommen. Um die Neutralität dieses Prozesses zu wahren und Interessenkonflikten vorzubeugen, ist es jedoch empfehlenswert, einen fachkundigen externen Berater hinzuzuziehen. Die Erstellung dauert im Allgemeinen sechs bis zwölf Monate und benötigt mehrere ‒ i. d. R. extern moderierte ‒ Workshops. Noch während der Initiierungsphase müssen der grundsätzliche Zweck und die Idee der Familienverfassung vermittelt sowie die Durchführungsrichtlinien und Abstimmungsregeln mit den beteiligten Parteien festgelegt werden. Abgeschlossen ist der Erstellungsprozess der Familienverfassung erst mit dem Zeitpunkt der Umsetzung der enthaltenen Vorgaben. Dieser ist mit der Etablierung beschlossener Gremien und Institutionen bzw. der Umsetzung in rechtssicheren Verträgen erreicht, da eine Familienverfassung zwar moralisch, aber nicht rechtlich bindend sein sollte.

    4. Inhalte der Familienverfassung

    In der Familienverfassung werden die familiären Vorstellungen von Unternehmertum als verbindliche Formulierung für die heutigen und die nächsten Generationen zusammengefasst. Das ist spätestens beim ersten Generationenwechsel sinnvoll, weil es dann nicht mehr nur die Alleinentscheider gibt, sondern Familienmitglieder mitunter mehrerer Familienstämme ins Spiel kommen. Und nicht jeder arbeitet noch operativ im Unternehmen mit.

     

    Die Zielsetzung ist es, mit einer Familienverfassung ein moralisch bindendes Regelwerk zu erstellen, an dem sich das Handeln der Unternehmerfamilie orientieren soll und das gleichermaßen Leitplanken für das Management setzt. Zufällige oder durch Gewohnheit entstandene, aber nie kodifizierte Vorgehensweisen sollen durch konkrete, verbindliche und von allen Beteiligten getragene Regeln ersetzt werden. In der Familienverfassung klären und dokumentieren die Familienmitglieder ihr Verhältnis zum Unternehmen sowie untereinander und stellen Regeln auf, wie sie sich im Streitfall verhalten. Im Einzelnen muss sich die Familie mit folgenden Themenkreisen auseinandersetzen.

     

    4.1 Die Mitgliedschaft

    Wenn die Familienverfassung sagt, wer Mitglied im Kreis der Gesellschafter sein darf und wer nicht, muss niemand mehr darüber diskutieren. Das wird gerade in einer Zeit von Patchworkfamilien immer wichtiger. Dabei ist klar zu unterscheiden zwischen der Kernfamilie, der Unternehmerfamilie und der Frage, wer Gesellschafter ist bzw. werden kann. Als Kern- oder Ursprungsfamilie bezeichnet man die jeweiligen Lebenspartner und ihre Kinder. Als Unternehmerfamilie werden all diejenigen Familienmitglieder bezeichnet, die sich zu dem Familienunternehmen und den dieses prägenden Werten bekennen. In der Regel sind das diejenigen Familienmitglieder, die auch die Familienverfassung mitunterzeichnen. Unternehmerfamilien mit mehreren Familienstämmen haben also auch mehrere Kernfamilien.

     

    Die Entscheidung über die Mitglieder der Unternehmerfamilie ist nicht trivial: Ist meine Freundin/mein Lebensgefährte Teil der Unternehmerfamilie ‒ oder gilt dies nur für verheiratete Paare? Wichtig ist auch, unter welchen Voraussetzungen neue Familienmitglieder in die Unternehmerfamilie aufgenommen werden und wann die Zugehörigkeit zur Unternehmerfamilie wieder verloren gehen kann. Dabei geht es nicht um Sympathie oder Antipathie, sondern darum, welche Inhalte und Informationen in welchen Runden besprochen und welche Entscheidungen von der Unternehmerfamilie getragen werden. Als Ergebnis der Diskussionen sollten die Kriterien sowohl für die Mitgliedschaft in der Unternehmerfamilie als auch für den Gesellschafterstatus festgehalten werden.

     

    4.2 Das Selbstverständnis

    Das Selbstverständnis als Fundament für den Zusammenhalt im Familienunternehmen sind gemeinsame Werte und Ziele, die das Handeln aller am Familienunternehmen beteiligten Personen leiten. Ein gemeinsames Ziel- und Wertegerüst hilft, Streit zu vermeiden und langfristigen Erfolg zu sichern. Die Kernfrage lautet: Wofür steht die Familie, welche Umgangsregeln pflegt sie und welche ungeschriebenen Gesetze gibt es?

     

    Bei Unternehmen mit einer langen Historie über mehrere Generationen lohnt es sich, auch einen Blick in die Vergangenheit des Unternehmens zu werfen. Woher kommen bestimmte Vorstellungen und Werte? Und welche Werte sind das? Oft geht es um Ehrgeiz und Respekt, um Fairness zwischen Familienmitgliedern, aber auch gegenüber Mitarbeitern und um gesellschaftlich relevante Themen wie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, den Umgang mit politischen Meinungen und mitunter auch um extremistische Gesinnungen.

     

    MERKE | Gerade bei heterogenen Gesellschafterstrukturen ist es wichtig, eine gemeinsame Wertebasis zu erkennen und an alle zu kommunizieren. Die verschiedenen Kernfamilien und Familienstämme sollten dabei keine Rolle spielen.

     

    Neben dem Selbstverständnis sollte in dieser Phase auch geklärt werden, welche Familieninteressen in Bezug auf das Unternehmen bestehen. Themen wie finanzielle Unabhängigkeit sowie soziale und gesellschaftliche Verantwortung müssen klar und transparent für alle sein. Dabei stellt sich auch die Frage, wie mit dem Vermögen der Familie umgegangen werden soll: Was geht vor ‒ Familie oder Unternehmen? Außerdem muss jedem Familienmitglied bewusst sein, dass unternehmerische Risiken abgewogen und eingegangen werden müssen, um bestehende Chancen im Markt zu nutzen.

     

    4.3 Die unternehmerische Mission

    Die Werte und Ziele der Familie in Bezug auf das Unternehmen konkretisieren sich in einer unternehmerischen Mission, die dem Management eine klare strategische Leitlinie vorgibt. Diese umfasst Erwartungen, gleichzeitig aber auch Zusagen an das Unternehmen durch die Gesellschafter.

     

    Typischerweise wird dabei zwischen dem strategischen und dem operativen Bereich unterschieden. Während der operative Bereich in der Verantwortung des Managements liegt, haben die Gesellschafter bei den strategischen Fragestellungen die Entscheidungsgewalt. Dazu gehören die Wachstums- und Renditestrategie, eine ausgewogene, am Selbstverständnis der Unternehmerfamilie ausgerichtete Risikostrategie und eine in sich geschlossene Strategie für die nicht monetären Ziele der Unternehmerfamilie ‒ wie CSR-Aktivitäten (CSR = Corporate Social Responsibility) oder Nachhaltigkeitsthemen. Es gilt u. a., Vorgaben zu Ausschüttungen und der Eigenkapitalquote zu machen. Diese helfen, ein mögliches Dilemma zwischen einer wachsenden Zahl von Gesellschaftern und deren monetären Interessen auf der einen sowie dem Unternehmenswachstum und dem dafür erforderlichen Thesaurierungsbedarf auf der anderen Seite einvernehmlich zu regeln.

     

    MERKE | Wichtig ist, dass nicht nur die Gesellschafter, sondern auch alle Mitglieder der Unternehmerfamilie die wesentlichen strategischen Elemente des Unternehmens und deren Zusammenwirken begreifen und mittragen.

     

    4.4 Die Corporate Governance

    Macht und Geld sind die zentralen Konfliktherde in größeren Familienunternehmen. Dabei geht es auch um Lebensstandards oder um falsch verstandene Fürsorgepflichten für Familienmitglieder. Diskussionen über ein schlüssiges Nachfolgemodell im Unternehmen werden oft emotional geführt. Dabei müssen Regeln zum freiwilligen und unfreiwilligen Ausscheiden existieren, die am besten in „guten Zeiten“ im Konsens erarbeitet werden. Darüber hinaus gibt es in vielen Familien Uneinigkeit bei dem Thema: „Welche Rollen können Familienmitglieder im Unternehmen einnehmen?“ Die Meinungen gehen von „jeder darf hier alles werden“ bis zu „wer nicht absehbar Geschäftsführer werden will oder kann, darf erst gar nicht im Unternehmen anfangen“.

     

    Es ist unabdingbar, dass sich die Beteiligten der Herausforderungen der verschiedenen Rollen als Gesellschafter und operativer Teil des Managements bewusst sind, vor allem wenn mehrere Rollen ausgefüllt werden. Das heißt auch, dass alle die jeweiligen Rollen respektieren und strikt voneinander trennen, um unnötige Konflikte zu vermeiden. Üblicherweise werden klare Kriterien für eine Übernahme von Gesellschaftsanteilen (Mindest- oder Höchstalter, Berufserfahrung) in der Unternehmerfamilie vereinbart. Ebenso sollte geklärt werden, wann und wie ein Gesellschafter ausgeschlossen werden kann, um das Familienunternehmen zu schützen, und was das für die Rolle in der Unternehmerfamilie bedeutet.

     

    Jeder Gesellschafter muss darüber hinaus verantwortungsvoll mit seiner Rolle umgehen. Dafür sind z. B. Risiken aus ungeregelten Nachfolgethemen oder privaten Rechtsstreitigkeiten vom Unternehmen fernzuhalten. Die rechtliche Umsetzung dieser in der Familienverfassung eher qualitativ formulierten Themen bedeutet die Erstellung oder Überarbeitung von Eheverträgen, Pflichtanteilsverzichten sowie testamentarischen Verfügungen.

     

    4.5 Die Family Governance

    Family Governance beinhaltet die Regeln zum Management der Unternehmerfamilie. Sie stärken den Zusammenhalt und die Identifikation mit dem Unternehmen. Dazu gehören z. B. Bausteine wie Familientreffen, Family-Education-Veranstaltungen oder der Aufbau eines Family Office. Zahlreiche Unternehmerfamilien verfolgen das Ziel, einen Teil ihres Vermögens der Allgemeinheit zu übergeben (Family Philanthropy) ‒ auch das kann im Rahmen der Familienverfassung einvernehmlich gestaltet werden. Zur Family Governance gehören zudem Vereinbarungen, wie die Unternehmerfamilie mit Konflikten umgehen will. Im Idealfall sollten diese direkt mit den Beteiligten und nicht vor Mitarbeitern geklärt werden. Schließlich wird in vielen Unternehmerfamilien ein Next-Generation-Programm etabliert, ein Themenkalender für fachliche Workshops erarbeitet oder ein Angebot zur Potenzialanalyse für nachfolgende Generationen geschaffen.

     

    FAZIT | Vielfach unterschätzen Unternehmerfamilien den Effekt einer Familienverfassung für das eigene Unternehmen und die positive Strahlkraft auf Stakeholder wie Mitarbeiter, Großkunden oder Lieferanten und auf Finanzierungspartner. Zeigt sich doch, dass die Unternehmerfamilie hinter dem Unternehmen steht und für seine Zukunft eine geordnete und klare Struktur sowohl auf Management- als auch auf Eigentumsebene im Blick hat. Dabei ist eine Familienverfassung ein dynamisch anzupassendes und lebendiges Leitwerk. Es ist zu empfehlen, die wesentlichen Inhalte in regelmäßigen Abständen (z. B. alle drei bis fünf Jahre) und anlassbezogen (z. B. Veränderungen im Geschäftsmodell) zu überprüfen.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2021 | Seite 124 | ID 47452561