· Fachbeitrag · Internationales Erbrecht
Fehlen von Pflichtteilsansprüchen als Verstoß gegen den ordre public (Art. 35 EuErbVO)
von Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher, Universität Konstanz
| Der BGH (29.6.22, IV ZR 110/21 ) hat in einem vorhersehbaren Urteil zum Internationalen Erbrecht entschieden, dass die Wahl eines Erbrechts nach den Regeln des Art. 22 Abs. 1 EuErbVO Beschränkungen unterliegen kann, auch wenn das Recht der Staatsangehörigkeit des Erblassers formal ordnungsgemäß gewählt wird. Die Wahl verstößt nämlich gegen den ordre public (Art. 35 EuErbVO), wenn das aufgrund der Rechtswahl anwendbare Erbrecht kein Pflichtteilsrecht von Abkömmlingen kennt und gleichzeitig ein hinreichend starker Inlandsbezug des Sachverhalts vorliegt. |
Sachverhalt
Im konkreten Fall hatte ein britischer Staatsangehöriger, der seinen Wohnsitz seit 50 Jahren in Deutschland hatte, in seinem Testament für die Nachfolge von Todes wegen das englische Recht gewählt, um seinen adoptierten Sohn insgesamt von der Beteiligung am Nachlass auszuschließen. Der Sohn hat gegen den Erben auf Auskunft nach § 2314 Abs. 1 BGB geklagt.
Entscheidungsgründe
Die rechtlichen Überlegungen des Erblassers schienen zunächst zielführend: Das englische Recht kennt keinen Pflichtteil. Es beschränkt die Dispositionsbefugnis des Erblassers weder durch ein Pflichtteils- noch ein Noterbrecht. Kinder des Verstorbenen können lediglich für den Fall, dass sie nicht ausreichend bedacht wurden, bei Gericht einzig eine „angemessene finanzielle Regelung“ nach dem Inheritance (Provision for Family und Dependants) Act 1975 beantragen. Erwachsenen Kindern steht danach regelmäßig kein Anspruch auf Teilhabe am Nachlass zu. Mit der für die Rechtsnachfolge von Todes wegen möglichen Rechtswahl des englischen Rechts für britische Staatsangehörige nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO sollte die Anwendung der vorstehenden Regelung auf den Erbfall sichergestellt werden.
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