· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
BFH definiert neue Grundsätze bei der Geschäftsveräußerung im Ganzen
von Dipl. Finw. (FH) Thomas Meurer, Stolberg
| Bei der Übertragung von Unternehmensvermögen steht oftmals die Frage im Raum, ob die Voraussetzungen für eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a UStG) erfüllt sind. In zwei Entscheidungen hat der BFH nun für mehr Rechtssicherheit gesorgt. Strittig war dabei insbesondere, aus wessen Sicht das Vorliegen einer Teilbetriebsveräußerung zu beurteilen ist ( BFH 29.8.12, XI R 10/12, Abruf-Nr. 130441) und ob ein im Kaufvertrag vereinbartes Wettbewerbsverbot mit zu dem nicht steuerbaren Veräußerungsvorgang zählen kann ( BFH 29.8.12, XI R 1/11, Abruf-Nr. 130552 ). |
1. Veräußerung eines Teilvermögens (XI R 10/12)
In dem Verfahren XI R 10/12 führte die Klägerin eine Klinik zur Behandlung von Gefäßerkrankungen und zur Durchführung von Laseroperationen in der Rechtsform einer GmbH, an der die Ärzte Y und Z zu gleichen Teilen beteiligt waren. Durch notariellen Vertrag erwarb Z von der GmbH sämtliche technischen Anlagen des Bereichs Venenmedizin, übernahm das Mietverhältnis für die Praxisräume, die Konzession für den Betrieb der Klinik und die bestehenden Arbeitsverhältnisse. Mit diesen Mitteln führte Z den Bereich Venenmedizin fort. Die GmbH behielt hingegen die Gerätschaften, die für Laseroperationen notwendig waren und betrieb diesen Bereich an anderem Standort weiter. Darüber hinaus veräußerte Z seinen Anteil an der GmbH an Y.
Das FA lehnte eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen ab, da die GmbH ihr Unternehmen nicht eingestellt habe. Nach erfolglosem Einspruch gab das FG Baden-Württemberg der Klage jedoch statt, weil Z eine Sachgesamtheit erhalten habe, die ausreiche, um die bisher durch die GmbH ausgeübte Tätigkeit fortzuführen. Eine Auffassung, die der BFH bestätigte.
Bei der einheitlichen Übertragung der Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sowie der Übernahme des Mietverhältnisses, der Konzession und der Arbeitsverhältnisse handelt es sich um eine Sachgesamtheit, die für eine Teilvermögensveräu.ßerung ausreicht. Nach Ansicht des BFH muss der im UStG verwendete Begriff des „gesondert geführten Betriebs“ unionsrechtlich als „Teilvermögen“ ausgelegt werden. Dieses liegt nach der EuGH-Rechtsprechung bei der Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile eines Unternehmens/-teils vor, mit dem eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit als „hinreichendes Ganzes“ fortgeführt werden kann.
Beachten Sie | Es kommt auf die Sicht des Erwerbers an, ob eine Unternehmensfortführung möglich ist, sodass die Einstellung der bisherigen Tätigkeit keine zwingende Voraussetzung ist. Da es sich bei dem Teilvermögen um einen unionsrechtlichen Begriff handelt, ist es unerheblich, dass ertragsteuerrechtlich eine Teilbetriebsveräußerung nur angenommen wird, wenn der bisherige Betrieb eingestellt wird.
2. Wettbewerbsverbot (XI R 1/11)
Im Streitfall XI R 1/11 veräußerte eine Unternehmerin ihren ambulanten Pflegedienst, wobei im Kaufvertrag ein Wettbewerbsverbot gegen gesondertes Entgelt aufgenommen wurde, welches ca. 40 % des Gesamtkaufpreises ausmachte. Danach durfte die Verkäuferin im Umkreis von 100 km keine vergleichbare Tätigkeit aufnehmen und keinen Kontakt zu den bisherigen Patienten pflegen. Der Käufer führte seinen Pflegedienst nach Ergänzung um die Kunden der Veräußerin unter seinem bisherigen Namen fort. Für den Anteil, der auf die Wettbewerbsabrede entfiel, setzte das FA Umsatzsteuer fest. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage u.a. mit der Begründung statt, dass dem Verbot keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukomme.
Der BFH wies die eingelegte Revision zurück. Zur Geschäftsveräußerung im Ganzen zählen alle im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Veräußerungsvorgang bewirkten Einzelleistungen, welche für den jeweiligen Einzelfall gesondert zu bestimmen sind. Dabei kommt der geplanten, fortgeführten Tätigkeit eine besondere Bedeutung zu. Im Streitfall war für den Erwerber insbesondere von Bedeutung, dass der Veräußerer seine bisherige Tätigkeit einstellt, da es bei einem Pflegedienst vorrangig auf immaterielle Wirtschaftsgüter und nur nachrangig auf die Betriebsmittel ankommt. Bei der hier zu beurteilenden Geschäftsveräußerung ist es nach Meinung des BFH entscheidend, dass der Veräußerer seine Tätigkeit beendet.
Hinweis | Die gesonderte Abrechnung ist nur nachrangig von Bedeutung, weil die Parteien die umsatzsteuerrechtliche Behandlung ansonsten nach eigenem Belieben gestalten könnten. Ebenso ist es unerheblich, dass der Käufer den Namen des Betriebs nicht fortgeführt hat. Entscheidend ist vielmehr, dass die Tätigkeit der Verkäuferin im Rahmen der eigenen Geschäftstätigkeit fortgeführt wurde.
3. Anmerkungen und Praxishinweise
Auf den ersten Blick scheinen sich die beiden Urteile des XI. Senats zu widersprechen. Im Verfahren XI R 10/12 sieht der BFH die Einstellung der bisherigen Tätigkeit auf Seiten des Veräußerers als nicht entscheidungserhebliches Tatbestandsmerkmal an. Demgegenüber hat die Tätigkeitsaufgabe im Verfahren XI R 1/11 entscheidende Bedeutung. Der große Unterschied liegt hier jedoch darin, dass einerseits eine Übertragung eines Teilvermögens und andererseits eine Übertragung des gesamten Unternehmens vorlag.
Ausschlaggebendes Kriterium war für den BFH in beiden Verfahren, dass die Erwerber die bisher durch die Veräußerer ausgeübten Tätigkeiten fortführen konnten. Sofern hierfür nicht die Einstellung der Tätigkeit durch den Veräußerer notwendig ist, soll dies auch nicht entscheidend sein. Im Pflegedienstfall hielt der BFH dies jedoch für erforderlich, was die Frage aufwirft, ob auch ohne die Wettbewerbsabrede eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorgelegen hätte. Dies müsste zu bejahen sein, da der BFH in Rz. 22 ausführt, dass die Übernahme des Pflegedienstes eine Geschäftsveräußerung darstellt.
PRAXISHINWEIS | Da nun höchstrichterlich geklärt ist, dass die Tätigkeitseinstellung nicht zwingend erforderlich ist, dürften auch aus einem Unternehmensvermögen heraus mehrere begünstigte Geschäftsveräußerungsvorgänge möglich sein, sofern der Erwerber eine zumindest annähernd identische Tätigkeit fortführen kann. Ob dies erfüllt ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Deshalb sollten im Kaufvertrag Vorkehrungen für den Fall getroffen werden, dass die Finanzverwaltung eine Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a UStG nachträglich nicht anerkennt. Insbesondere sollte ein Passus enthalten sein, wonach die Umsatzsteuer vom Käufer nachgefordert werden kann. |
Der BFH hat eindeutig darauf hingewiesen, dass der im UStG verwendete Begriff des „gesondert geführten Betriebs“ nicht mit dem im Unionsrecht angeführten Begriff „Teilvermögen“ übereinstimmt und deshalb im Lichte der EuGH-Rechtsprechung auszulegen ist. Insoweit könnte der Gesetzgeber über eine klarstellende Gesetzesänderung nachdenken. In jedem Fall anzupassen ist A 1.5 Abs. 6 S. 2 UStAE, in dem das BMF nur dann einen in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betrieb annimmt, wenn dieser „... einen für sich lebensfähigen Organismus gebildet hat ... und nach außen hin ein selbstständiges, in sich abgeschlossenes Wirtschaftsgebilde gewesen ist“. Die im UStAE verwendete Vergangenheitsform zeigt, dass der Teilbetrieb bereits vor der Veräußerung bestanden haben muss. Im Verfahren XI R 10/12 wurde der eigenständige Bereich der Venenklinik - nach außen erkennbar - aber erst nach der Veräußerung selbstständig betrieben (zur Kritik an A 1.5 Abs. 6 S. 2 UStAE vgl. auch BFH 19.12.12, XI R 38/10).
PRAXISHINWEIS | Demzufolge kann die Veräußerung eines einzelnen Vermietungsobjekts selbst dann eine begünstigte Geschäftsveräußerung darstellen, wenn auf Seiten des Veräußerers noch weitere vermietete Grundstücke vorhanden sind und nur eine gemeinsame Organisation sämtlicher Vermietungsobjekte vorliegt. |
Nach A 1.5 Abs. 6 S. 4 UStAE ist bei einer einkommensteuerrechtlichen Teilbetriebsveräußerung - mit Ausnahme von Beteiligungsverkäufen - ohne Weiteres von einer Geschäftsveräußerung im Ganzen auszugehen. Dieser Sichtweise hat der BFH nun zumindest insoweit eine Absage erteilt, als eine begünstigte Geschäftsveräußerung auch dann vorliegen kann, wenn ertragsteuerlich - mangels Betriebseinstellung durch den Veräußerer - keine Teilbetriebsveräußerung anzunehmen ist.
Hinweis | Zuletzt hatte das BMF (24.10.12, IV D 2 - S 7100 b/11/10002, Abruf-Nr. 123296) seine Sichtweise aufgegeben, wonach eine begünstigte Geschäftsveräußerung bei Zurückbehaltung von wesentlichen Betriebsgrundlagen nur dann vorlag, wenn eine langfristige und unkündbare Überlassung an den Erwerber erfolgte. Diese Anpassung war notwendig geworden, da der EuGH - und ihm folgend der BFH - auch einen unbefristeten, aber jederzeit kündbaren Mietvertrag anerkannt hatte (EuGH 10.11.11, C-444/10; BFH 18.1.12, XI R 27/08).
Weiterführender Hinweis
- Geschäftsveräußerung im Ganzen auch ohne Übertragung des Betriebsgrundstücks (Nieskoven in MBP 12, 118)