04.06.2009 | Streitfrage
Kfz- oder Privathaftpflicht: Wer zahlt?
Immer wieder gibt es Fälle, bei denen unklar ist, welche Versicherung zahlen muss. Das sind Fälle, in denen das Fahrzeug nicht körperlich in die Verursachung des Schadens einbezogen ist. Bei der Frage, ob die Privathaftpflicht oder die Kfz-Haftpflicht des Schädigers zuständig ist, kommen unterschiedliche Interessenlagen ins Spiel:
- Dem Schadenverursacher ist es bei weitem lieber, dass seine Privathaftpflichtversicherung zahlt. Denn das kostet ihn keinen Verlust an Schadenfreiheitsrabatt.
- Sind Privat- und Kfz-Haftpflicht bei der gleichen Gesellschaft abgedeckt, möchte die Versicherung lieber aus der Kfz-Haftpflichtpolice vorgehen, weil sie dann einen Teil der Zahlung aus der Herabstufung des Rabatts refinanzieren kann.
- Sind die beiden Policen bei unterschiedlichen Gesellschaften platziert, möchte keine von beiden zahlen.
Dem Geschädigten kann die Frage, wer zahlt, so lange gleichgültig sein, wie der Schädiger neben der Kfz- eine Privathaftpflichtversicherung unterhält. Denn eine von beiden muss dann eintreten. Wenn der Schädiger allerdings keine Privatpolice und selbst kein Geld hat, wird die Sache ernst. Dann wäre es schön, wenn der Schaden der Kfz-Haftpflicht zuzuordnen ist, denn die ist eine Pflichtversicherung und daher greifbar.
Fallgruppen
In der Regel handelt es sich bei den Zweifelsfällen um Schadenabläufe aus der Kuriositätenecke.
Klassiker: Der Einkaufswagenfall
Der bepackte Einkaufswagen wird auf dem Parkplatz zum Auto geschoben. Der Kofferraum wird geöffnet, der Einkauf Stück für Stück ins Auto verfrachtet. Während ein Teil umgeladen wird, rollt der Einkaufswagen auf leicht abschüssiger Fläche los und stößt gegen ein anderes Auto.
Die Antwort auf die Frage nach der eintrittspflichtigen Versicherung hängt vom Stichwort „Gebrauch“ eines Fahrzeugs ab. Schäden beim Gebrauch eines Kraftfahrzeugs sind nach § 10a AKB alt bzw. nach A.1.1 AKB neu der Kraftfahrtversicherung zugeordnet.
Umgekehrt ist alles, was in den Umfang der Kraftfahrtversicherung gehört, in der Privathaftpflichtversicherung nicht abgedeckt („Benzinklausel“).
Überwiegend sagt die Rechtsprechung, es handele sich um Fälle des Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs, weil das Beladen der Beginn des Transportvorgangs sei (zum Beispiel LG Aachen, r+s 1990, 188; AG Bamberg, VersR 1992, 1480; LG Köln, VersR 1996, 50). Es gibt jedoch auch gegenläufige Rechtsprechung.
Beladungsfall
Steht das Fahrzeug still, weil es beladen wird, kann es durch den Beladungsvorgang zu Drittschäden kommen. Ein Ladungsteil kippt und fällt vom Lkw auf ein anderes Fahrzeug. Ein Spanngurt reißt unter zunehmender Spannung, schnellt gegen das Nachbarauto und richtet dort Schaden an.
Ein aktuelles Urteil des OLG Frankfurt (Urteil vom 7.5.2009, Az: 1 U 264/08; Abruf-Nr. 091707) ordnet das dem Versicherer des Fahrzeugs zu. Ein Mofa-Fahrer hatte einen kleinen Anhänger hinter dem Zweirad. Den belud er mit größeren Gegenständen, die er dann mit einem offenbar elastischen Spanngurt sichern wollte. Entweder durch ein Abrutschen des Gurts oder durch eine ausladende Handbewegung wurde ein danebenstehender Dritter erheblich am Auge verletzt. Das LG Frankfurt hatte die Klage gegen den Kraftfahrtversicherer abgewiesen, woran man sieht, wie schwierig die Fälle zu handhaben sind. Unterstützt von der Privathaftpflichtversicherung des Mofafahrers, der der Streit verkündet worden war, ging der Geschädigte in die Berufung.
Das OLG führte aus: Der Begriff „Gebrauch eines Kraftfahrzeugs“ sei weit zu fassen. Und Be- sowie Entladevorgänge gehörten dazu. So hat es die Kraftfahrtversicherung in die Pflicht genommen. Ein angehängter Anhänger gehört, das ist eine weitere Grunderwägung, zum Risiko des Zugfahrzeugs.
Zu Fuß neben Auto
Einen weiteren Fall hat das OLG Hamm entschieden (Urteil vom 24.11.2008, Az: 6 U 105/08; Abruf-Nr. 091708): Ein Lkw-Fahrer legt die Mappe mit den Ladepapieren auf dem Tank des Fahrzeugs ab. Dann vergisst er sie dort und fährt los. Kurz hinter der Autobahnauffahrt sieht er die Papiere im Rückspiegel fliegen. Auf dem Standstreifen der Autobahn hält er mit eingeschalteter Warnblinkanlage an. Er steigt aus und geht zur Mittelleitplanke, wo er auf dem Grünstreifen die Papiere einzusammeln beginnt. Ein Pkw-Fahrer wechselte angesichts des Lkw von der rechten auf die mittlere Spur. Ein schnellerer von hinten ankommender Pkw-Fahrer zog sein Fahrzeug auf die linke Spur, um zu überholen. Als er den Lkw-Fahrer auf dem linken Grünstreifen bemerkte, machte er eine Ausweichbewegung nach rechts, wodurch es zur Kollision der beiden Pkw kam.
Dem Lkw-Fahrer wurde ein Mitverschulden angelastet, und so stellte sich die Frage: Privathaftpflicht als Fußgänger oder Kraftfahrtversicherer als „ausgestiegener Fahrer“?
Dazu das Gericht: Die Kfz-Haftpflichtversicherung ist nur zur Zahlung verpflichtet, wenn es einen adäquaten Ursachenzusammenhang zwischen Eintritt des Schadens und Gebrauch des Fahrzeugs gibt. Das Fahrzeug muss also im Zusammenhang mit der schadenstiftenden Handlung aktuell, unmittelbar, zeit- und ortsnah eingesetzt gewesen sein. Darüber hinaus ist in Fällen, in denen der Schaden allein von einer versicherten Person verursacht wird, die das Fahrzeug benutzt, auf die typische Tätigkeit und die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten des Fahrers eines Kfz abzustellen. Denn es ist grundsätzlich nicht Zweck der Kfz-Haftpflichtversicherung, andere Haftungsrisiken abzudecken. In Anwendung dieser Grundsätze hat das OLG Hamm das Fehlverhalten des Fahrers, welches Ursache für den Unfall war, dem Kfz-Haftpflichtrisiko zugerechnet.
Das Landgericht hatte das in der Vorinstanz anders gesehen.
Heizlüfterfall
Ein Arbeitnehmer stellte morgens vor Abfahrt einen Heizlüfter in seinen Dienstwagen, um die Scheibe zu enteisen. Dadurch kam es zu einem Brandschaden am Fahrzeug. Der BGH hat die so genannte Benzinklausel auslegt und entschieden: Der Schaden ist Sache des Privathaftpflichtversicherers (Urteil vom 13.12.2006, Az. IV ZR 120/05; Abruf-Nr. 070455).
Der Versicherer hatte argumentiert, das Enteisen der Scheiben sei der Beginn des Fahrzeuggebrauchs. Damit sei die Privathaftpflichtversicherung außen vor. Der BGH hat aber genauer hingeschaut: Es hat sich kein Fahrzeugrisiko realisiert, sondern ein Risiko des Heizlüfters. Und der Heizlüfter war kein Teil des Fahrzeugs.
Wichtig: Ein wesentlicher Punkt des Urteils ist der Umstand, dass es sich bei einem Dienstwagen nicht um ein geliehenes Fahrzeug handelt. Für Schäden an geliehenen Sachen enthält die Privathaftpflichtversicherung nämlich einen Ausschluss. Wenn also Ihr Kunde einen nicht aus dem unmittelbaren Fahrzeuggebrauch resultierenden Schaden an einem von Ihnen geliehenen Auto anrichtet, hilft ihm seine Haftpflichtversicherung nicht.
Radiofall
Das Auto war abgestellt, der Beifahrer langweilte sich beim Warten auf den Fahrer. Ein Griff zum Zündschlüssel, um den Zündschlüssel in die Position zu drehen, die das Radiohören ermöglicht. Aber zu weit gedreht bei eingelegtem Gang: Das Fahrzeug stößt gegen ein anderes.
Das OLG Celle dazu: Die bloße Nutzung der Batterie als Energiequelle für einen Zweck, der mit dem Betrieb des Fahrzeugs in keinem inneren Zusammenhang steht, stellt keinen Gebrauch des Fahrzeugs durch den Führer eines Pkw im Sinne der Ausschlussklausel dar (Beschluss vom 3.3.2005, Az: 8 W 9/05).
Mit fernbedientem Garagentor Schaden angerichtet
Der Autofahrer öffnet aus dem Auto heraus das Garagentor per Fernbedienung, als er sich der Einfahrt nähert. Das sich öffnende Tor wirft einen vor der Garage quer geparkten Motorroller eines Besuchers um. Die Privathaftpflichtversicherung will nicht zahlen. Begründung: Das sei bei der Benutzung eines Kraftfahrzeugs passiert, also sei das ein Fall für die Kfz-Versicherung.
Das AG München hat die Privathaftpflichtversicherung zur Zahlung verurteilt. Denn es hat sich nicht die vom Auto ausgehende Gefahr verwirklicht. Es reicht nicht aus, dass es einen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs gibt. Wäre die Fernbedienung ebenfalls ohne Sichtkontakt zur Garage, beispielsweise aus dem Haus heraus bedient worden, wäre der Schaden ebenso entstanden (Urteil vom 17.8.2006, Az: 244 C 19970/06, ähnlich das AG Wetter, Urteil vom 12.12.2006, Az: 3 C 20/06; Abruf-Nr. 070659, eingesandt von Rechtsanwalt Lodde, Dortmund).
Fazit
Die Urteile zeigen: Die Gerichte entscheiden sehr unterschiedlich. Im Einzelfall ist kaum vorhersehbar, ob man sich gegen die eine oder die andere Versicherung durchsetzen kann. Rein rechtlich betrachtet könnte dem Geschädigten der Streit gleichgültig sein: Er verklagt den Schädiger, und von welcher seiner Versicherungen der dann freigehalten wird, kann ihm gleichgültig sein.
Jedoch kann der Streit des Schädigers mit seinen beiden Versicherungen durchaus eine geraume Zeit in Anspruch nehmen. Und wenn bei ihm selbst keine Aussicht auf Zahlung aus eigener Tasche besteht - wozu er verpflichtet wäre - , ist das lästig.
Der Privathaftpflichtversicherer kann ohnehin nicht direkt verklagt werden. Da fehlt es an der so genannten „Durchgriffshaftung“. Also muss man den Schädiger persönlich und, wenn man gute Argumente dafür findet, seinen Kraftfahrtversicherer (bei Pflichtversicherungen gibt es die Durchgriffshaftung) verklagen.
Der Schädiger verkündet dann seinem eigenen Privathaftpflichtversicherer den Streit. Sollte der Prozess gegen den Kraftfahrtversicherer verloren gehen, weil das Gericht den Privathaftpflichtversicherer für verantwortlich hält, beschleunigen die Ergebnisse dieses Prozesses den dann notwendigen Folgeprozess des Schädigers gegen seine eigene Privathaftpflichtversicherung.
Beachten Sie: Dass solche Vorgänge in kundige anwaltliche Hände gehören, dürfte sich von selbst verstehen.