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  • · Fachbeitrag · 130-Prozent-Grenze

    Erst 130-Prozent-Reparatur, dann kam der Gerichtsvollzieher zum Kunden

    | Wenn bei einem Haftpflichtschaden ein verunfalltes Fahrzeug über den Wiederbeschaffungswert hinaus innerhalb der 130-Prozent-Grenze repariert wurde, darf der Geschädigte das Fahrzeug bekanntlich nicht gleich danach abschaffen. Sechs Monate, so die Faustregel, muss er es behalten. Das gelingt nicht immer, insbesondere wenn der Gerichtsvollzieher das Fahrzeug kurz nach der Reparatur pfändet. Ein solcher Vorgang ist Anlass für die Frage eines Lesers. |

     

    Frage: Kaum hatten wir dem Kunden nach der 130-Prozent-Reparatur sein Fahrzeug ausgehändigt, hat es der Gerichtsvollzieher wegen einer Forderung in Höhe von 1.400 Euro gepfändet. Nun machen wir uns Sorgen, dass der Versicherer die Zahlung verweigert, soweit die Differenz aus Wiederbeschaffungswert und Restwert überschritten wird. Das wäre bitter, denn beim Kunden ist ja offensichtlich „nichts zu holen“. Wie ist die Rechtslage?

     

    Antwort: Es wird immer wieder gesagt, der Kunde müsse das Fahrzeug nach der 130-Prozent-Reparatur für sechs Monate behalten und weiter nutzen. Auf den ersten Blick ist das auch richtig so, auf den zweiten Blick allerdings muss man das differenzierter sehen.

    Die „sechs Monate“ rechtlich richtig einordnen

    Der Sechs-Monats-Zeitraum ist kein fixer Zeitraum, dessen Unterschreitung rückwirkend zum Anspruchsverlust führt. Es kommt, so der BGH, auf den Behaltewillen des Geschädigten an. Weil man den nicht am Maßstab des § 286 ZPO beweisen kann, genügt der Rechtsprechung das sechsmonatige Behalten als Indiz im Sinne der richterlichen Überzeugungsbildung am Maßstab des § 287 ZPO für den vorhandenen Behaltewillen (BGH, Beschluss vom 18.09.2008, Az. VI ZB 22/08, Abruf-Nr. 084011; BGH, Beschluss vom 26.05.2009, Az. VI ZB 71/08, Abruf-Nr. 092110).

     

    In den genannten Beschlüssen hat der BGH überdeutlich gesagt, dass es Störungen geben kann, die dazu führen, dass der Behaltewille nicht wegen Unterschreitung der sechs Monate verneint werden kann. So heißt es im Beschluss vom 18.09.2008, Az. VI ZR 22/08:

     

    „Die Sechsmonatsfrist stellt indes keine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung dar. Sie hat lediglich beweismäßige Bedeutung. Wird das beschädigte Fahrzeug sechs Monate nach dem Unfall weiter benutzt, so ist dies im Regelfall ein ausreichendes Indiz, um das Integritätsinteresse des Geschädigten zu bejahen; eine weiter gehende Bedeutung hinsichtlich der Fälligkeit des Anspruchs kommt der Frist nicht zu.“ ... „Es sind indes zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, bei denen die Nutzung des Fahrzeugs aus besonderen Gründen bereits lange vor Ablauf der Sechsmonatsfrist eingestellt wird, etwa infolge eines weiteren Unfalls oder deshalb, weil eine Fahrzeugnutzung aus finanziellen Gründen (z. B. Arbeitslosigkeit) nicht mehr möglich ist. In solchen Fällen könnte für die Fälligkeit allenfalls auf den Zeitpunkt der jeweils erzwungenen oder jedenfalls schadensrechtlich unschädlichen Nutzungsaufgabe abgestellt werden. Dafür ist indes in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen kein Grund ersichtlich.“

    Ausnahmen von den sechs Monaten sind also möglich

    Der BGH hat beispielhaft - und keinesfalls abschließend - einen Grund genannt, der im Fahrzeug (weiterer Unfall) und einen, der in der Person des Geschädigten (finanzielle Gründe wegen Arbeitslosigkeit) genannt. Und er spricht von einer dadurch erzwungenen Nutzungsaufgabe.

     

    Vergleichbar liegt der Vorgang aus Ihrer Frage: Der Geschädigte ist in finanzieller Not, die Beendigung der Benutzung ist erzwungen. Allerdings ist im Fall Ihres Kunden die finanzielle Situation - im Gegensatz zum BGH-Beispiel - nicht erst nach der Reparatur entstanden.

     

    Doch offenbar ist Ihr Kunde davon ausgegangen, dass er seine Schwierigkeiten anders gelöst bekommt als mit der ihn vermutlich auch überraschenden Pfändung seines Fahrzeugs. So gesehen ist das eine aus finanzieller Not erzwungene Nutzungsaufgabe.

     

    Alles entscheidend ist der Wille zur Weiternutzung zum Reparaturzeitpunkt. Im Beschluss vom 26.05.2009, Az. VI ZB 71/08, heißt es wörtlich: „Dass zu diesem Zeitpunkt Anhaltspunkte für einen fehlenden Willen des Klägers zur Weiternutzung des Fahrzeugs bestanden hätten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.“

    Keine Pflicht, den Versicherer zu informieren

    Weil der Geschädigte zum Zeitpunkt der Reparatur den Willen zur Weiternutzung hatte, ist er nun auch nicht verpflichtet, den Versicherer von der Pfändung zu informieren. Denn die Weiternutzung ist ja nur ein Indiz für den Behaltewillen, wenngleich auch das wichtigste und stärkste. Seinen Behaltewillen im Zweifel nicht beweisen zu können, führt nicht dazu, die Beweisnot auch gleich offenbaren zu müssen.

     

    Wenn der Versicherer also noch nichts davon weiß, darf das ruhig noch so bleiben. Augen zu und durch.

    Wenn der Gerichtsvollzieher zwangsversteigert

    Wenn das Fahrzeug tatsächlich versteigert wird, können Sie überlegen, ob Sie mitsteigern. Der Gerichtsvollzieher ist ja schon zufrieden, wenn die 1.400 Euro plus die Vollstreckungskosten zusammenkommen. Wenn außer Ihnen niemand mitsteigert, könnte das ein günstiger Weg sein, an das Fahrzeug zu kommen.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2016 | Seite 6 | ID 44300899