· Fachbeitrag · 130-Prozent-Grenze/Stundenverrechnungssätze
Der Einfluss der Stundenverrechnungssätze auf die 130-Prozent-Grenze
| Auslastung ist der beste Weg, die Erträge zu stabilisieren, und so ist manche Werkstatt erkennbar bereit, auch mal unter dem Normalpreis zu arbeiten, wenn das Arbeit bringt. Einen Schaden im 130-Prozent-Bereich reparieren zu können oder nicht, ist eine Auslastungsthematik, die immer wieder „Anpassungsüberlegungen“ ins Spiel bringt: Heute mal billiger, dann unter 130 Prozent. Dazu erreichte UE die Frage eines Schadengutachters. |
Frage: Wie ist das eigentlich, wenn ein Fahrzeugschaden im Haftpflichtschadenfall mit durchschnittlichen Löhnen zwischen 100 und 130 Prozent des Wiederbeschaffungswerts liegt und der gegnerische Haftpflichtversicherer dann markengebundene Löhne dagegenhält bzw. die durchschnittlichen anhebt, um gezielt über die 130-Prozent-Grenze zu kommen?
Antwort: Es kommt darauf an. Nämlich darauf, wie hoch der ausgehängte Stundenverrechnungssatz der Werkstatt ist.
Eine 130-Prozent-Abrechnung funktioniert ja nur, wenn das beschädigte Fahrzeug wieder vollständig und fachgerecht instandgesetzt wird. Also steht am Ende in aller Regel eine Werkstattrechnung.
Es gibt nur zwei Gründe, als Gutachter nicht mit den ausgehängten Stundenverrechnungssätzen der reparaturausführenden Werkstatt zu kalkulieren:
Werkstatt zunächst noch nicht bestimmt
Es mag sein, dass die reparaturausführende Werkstatt bei Gutachtenerstellung noch nicht bekannt ist. Aber auch dann ist es nicht richtig, mit Durchschnittswerten zu kalkulieren, denn der Geschädigte hat ja solange ‒ und auch beim bisher nicht markentreu reparierten älteren Fahrzeug ‒ Anspruch auf die Stundenverrechnungssätze der Marke am Ort, bis der Versicherer einen Verweiseinwand bringt. Das ergibt sich aus dem Verhältnis der Leitsätze a und b des BGH-Urteils vom 20.10.2009 (Az. VI ZR 53/09, Abruf-Nr. 133712).
Wenn die Kosten dann oberhalb der 130-Prozent-Grenze liegen, ist das nur auf den ersten Blick negativ. Denn am Ende kommt es auf die Kosten der Werkstatt an, die tatsächlich repariert. Dabei sind ‒ so hat der BGH entschieden ‒ die offiziellen Stundenverrechnungssätze der Werkstatt maßgeblich.
Sinken die Reparaturkosten durch die Wahl einer entsprechend ‒ offiziell! ‒ preisgünstigen Werkstatt unter die Grenze, kann der Versicherer nicht einwenden, der Geschädigte müsse aber immer die Markenwerkstatt wählen.
Wichtig | Dieser Weg setzt natürlich voraus, dass der Geschädigte vorher nochmal nachrechnet oder nachrechnen lässt.
Da stellt sich die Frage, ob es pragmatisch sinnvoll wäre, gleich mit den durchschnittlichen Sätzen zu rechnen. Das Risiko: Der Geschädigte wiegt sich in trügerischer unter 130-Prozent-Sicherheit und beauftragt eine Werkstatt mit höheren als den durchschnittlichen Sätzen. Nun wird der Rahmen gesprengt. Das fällt ihm, weil für ihn vorab erkennbar, auf die Füße.
So oder so: Am Ende kommt es auf die tatsächlich angesetzten ‒ aber offiziellen (s. u.) ‒ Stundenverrechnungssätze an.
Werkstatt ist bekannt und hat „eigentlich“ zu hohe Preise
Der naheliegendere Fall ist der, dass die ausgewählte Werkstatt „eigentlich“ mit Stundenverrechnungssätzen arbeitet, die den Schaden über die Grenze heben. Im Kundenpflege- oder im Auslastungsinteresse oder einer Kombination aus beidem wäre man aber bereit zu anderen Preisen, z. B. den durchschnittlichen Stundenverrechnungssätzen zu arbeiten. Oder einen Sonderrabatt zu gewähren. Oder zu einem zuvor vereinbarten Festpreis zu reparieren. Am Ende ist das alles dasselbe, nur jeweils anders verpackt: Ein der Situation angepasster 130-Prozent-Unterschreitungspreis.
Dem hat der BGH bereits einmal einen Riegel vorgeschoben. In jenem Fall hatte die Werkstatt die Rechnung mit ihren Normalpreisen geschrieben und dann unter dem Strich einen Rabatt abgezogen, der zu einem Endbetrag knapp unter der Schwelle führte. Dazu der BGH: „Die vom Kläger vorgelegte Reparaturkostenrechnung bestätigt die Höhe der vom Sachverständigen objektiv für erforderlich gehaltenen Reparaturkosten. Da diese die 130 Prozent-Grenze weit überschreiten, war die Instandsetzung des Fahrzeugs wirtschaftlich unvernünftig. Eine andere Beurteilung ist nicht schon deshalb geboten, weil die Firma ... dem Kläger einen erheblichen Rabatt gewährt hat, demzufolge der Rechnungsendbetrag knapp unter der 130 Prozent-Grenze liegt.“ (BGH, Urteil vom 08.02.2011, Az. VI ZR 79/10, Abruf-Nr. 111096).
Zwar macht der BGH dann die Tür doch wieder einen Spalt weit auf: „Das Berufungsgericht hat mit Recht näheren Vortrag des Klägers dazu vermisst, worauf die Gewährung dieses Nachlasses zurückzuführen ist.“
Damit kommt es also auf das „Warum“ des Nachlasses an. Unterstellt, das wäre ein dem Geschädigten immer eingeräumter (was ja leicht nachweisbar wäre) Großkundenrabatt, ginge das in Ordnung. Denn weil sich der Geschädigte einen solchen Rabatt anrechnen lassen muss, wäre sein Schaden objektiv nicht höher.
Ein Rabatt, dem der Zweck der Grenzunterschreitung auf der Stirn geschrieben steht, geht aber nicht. Der Griff zu passenden Preisen, denen der Zweck der Grenzunterschreitung genauso auf der Stirn geschrieben steht, ist im Ergebnis nichts anderes. Das würde der BGH auch abschlägig bescheiden.
Also hat der Versicherer recht, wenn er schon im Vorfeld darauf hinweist, dass es so nicht geht, oder aber nach der Reparatur nur den Wiederbeschaffungsaufwand erstattet.