· Fachbeitrag · Mehrwertsteuer
Unrepariert in Zahlung gegeben, Ersatz-Kfz mit aus- gewiesener MwSt gekauft ‒ „Mischen impossible“?
| Der Geschädigte erleidet bei einem Haftpflichtschaden einen Reparaturschaden. Er gibt unrepariert in Zahlung und kauft ein Ersatzfahrzeug mit ausgewiesener Mehrwertsteuer. Das führt regelmäßig in Regulierungsprobleme, wie folgende UE-Leser-Frage zeigt: |
Frage: Wir haben seit einiger Zeit das Problem, dass einige Versicherer die MwSt nicht mehr erstatten, wenn der Kunde bei einem Reparaturschaden nicht reparieren lässt, sondern ein Ersatzfahrzeug mit ausgewiesener MwSt anschafft. Früher konnten wir problemlos die Reparaturkosten gemäß Gutachten geltend machen inklusive der MwSt, wenn die Rechnung vorgelegt wurde. Nunmehr verweigern aber immer mehr Versicherer die Erstattung der MwSt und beschränken sich auf die Nettoreparaturkosten gemäß Gutachten. Hat sich die Rechtsprechung geändert? Ein Versicherer behauptet, seit der BGH-Entscheidung mit dem Az. VI ZR 513/19 sei alles anders.
Antwort: Im Ergebnis muss der Versicherer in Fällen wie den von Ihnen beschriebenen die MwSt ‒ begrenzt auf den auf eine gedachte Reparatur anfallenden Betrag ‒ erstatten. Doch da gibt es eine dogmatische Feinheit.
Die auf Ihren Fall passende BGH-Entscheidung aus 2013
Der BGH hat im Urteil vom 05.02 2013 (Az. VI ZR 363/11, Abruf-Nr. 130595) im Leitsatz zusammengefasst (Unterstreichungen durch UE): „Wählt der Geschädigte den Weg der Ersatzbeschaffung, obwohl nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten besteht, und rechnet er den Schaden konkret auf der Grundlage der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs ab, steht ihm ein Anspruch auf Ersatz von Umsatzsteuer zu, wenn bei der Ersatzbeschaffung tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Der Anspruch ist auf den Umsatzsteuerbetrag begrenzt, der bei Durchführung der notwendigen Reparatur angefallen wäre.“
Möglicherweise versucht der Versicherer zu irritieren, weil der BGH im Urteil vom 22.09.2009 (Az. VI ZR 312/08, Abruf-Nr. 093607) sagte: „Wählt der Geschädigte den Weg der Ersatzbeschaffung, obwohl nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten besteht, steht ihm jedenfalls dann kein Anspruch auf Ersatz von Umsatzsteuer zu, wenn bei der Ersatzbeschaffung keine Umsatzsteuer angefallen ist.“
Wichtig | Die beiden Fallgruppen muss man streng auseinanderhalten.
Dringend zu beachten ist die dogmatische Feinheit
Allerdings muss noch mal ein Blick in das Urteil des BGH (Az. VI ZR 363/11) geworfen werden: „Wählt der Geschädigte den Weg der Ersatzbeschaffung, obwohl nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten besteht, und rechnet er den Schaden konkret auf der Grundlage der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs ab, steht ihm ein Anspruch auf Ersatz von Umsatzsteuer zu, wenn bei der Ersatzbeschaffung tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Der Anspruch ist auf den Umsatzsteuerbetrag begrenzt, der bei Durchführung der notwendigen Reparatur angefallen wäre.“
PRAXISTIPP | In dem Fall muss die Rechnung vorgelegt werden. Verlangt werden muss nun der Kaufpreis bis zur Höhe der Brutto-Reparaturkosten. Es dürfen nicht die Reparaturkosten laut Gutachten plus MwSt wegen des Kaufs beansprucht werden. Das ist zwar rechnerisch dasselbe, und ob ein Versicherungs-Sachbearbeiter den Unterschied versteht, mag dahingestellt bleiben. Doch nur so ist es dogmatisch richtig und kein „mischen impossible“. |
So hat der BGH in der Entscheidung unter Rz. 17 präzise gesagt: „Hier handelt es sich um eine konkrete Schadensabrechnung auf der Grundlage der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs. Zuzüglich zum Kaufpreis in Höhe von 25.592,44 Euro hat der Kläger darauf entfallende Umsatzsteuer in Höhe von 4.862,56 Euro bezahlt. Zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ist also tatsächlich Umsatzsteuer angefallen.“
Und in Rz. 18 wird geklärt: „Entgegen der Ansicht der Revision findet keine Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung statt.“
BGH-Urteil aus 2021 bestätigt dieses Ergebnis
Die Entscheidung des BGH (Urteil vom 12.10.2021, Az. VI ZR 513/19, Abruf-Nr. 226583) bestätigt dieses Ergebnis.
- Leitsatz a stellt auf die konkrete Abrechnung auf Kaufpreisbasis ab: „Der Geschädigte, der statt der wirtschaftlich gebotenen Reparatur ein Ersatzfahrzeug erwirbt, kann die tatsächlich angefallenen Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe der ‒ hypothetisch erforderlichen ‒ Reparaturkosten beanspruchen.“
- Leitsatz b differenziert: „Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur oder Ersatzbeschaffung tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.“
Der Spötter würde sagen: „Wenn der Depp jedoch fiktiv abrechnet…“
Weiterführende Hinweise
- Textbaustein 594: Konkrete Abrechnung nach Inzahlunggabe ohne Reparatur → Abruf-Nr. 49834682
- RA067: Konkrete Abrechnung nach Inzahlunggabe ohne Reparatur → Abruf-Nr. 49841623