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  • · Fachbeitrag · Reparaturkosten

    BGH zur Indizwirkung der Rechnung und zum Werkstattrisiko bei Klage aus abgetretenem Recht

    | Ein Urteil des BGH, das bereits vom 26.04. datiert und erst Mitte Juli 2022 veröffentlicht wurde, enthält aus Sicht der Geschädigten Licht und Schatten. Versicherer werden es genauso sehen, nur eben als Schatten und Licht. Was den einen freut, macht dem anderen Sorgen. Und umgekehrt. |

    Um diese Fragen geht es

    Weil es Klärungsbedarf rund um die vom Geschädigten gewählte Konstruktion gibt, die an die Werkstatt abgetretene Forderung selbst in der Weise einzuklagen, dass er Zahlung an die Werkstatt verlangt, hat der BGH den Vorgang an das LG Köln zurückverwiesen. Dabei hat er in der Frage der Indizwirkung der Werkstattrechnung für die weitere Entscheidung Hinweise an das Berufungsgericht erteilt. In der Frage des sog. Werkstattrisikos hat er eine Denksportaufgabe nach Köln geschickt (BGH, Urteil vom 26.04.2022, Az. VI ZR 147/21, Abruf-Nr. 230188).

    Die Ausgangslage im Schadenersatzrecht

    Bei schadenrechtlicher Betrachtung kommt es nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht darauf an, ob dieser oder jener Reparaturschritt wirklich notwendig war. Es kommt nur darauf an, dass der Geschädigten den Reparaturschritt für notwendig halten durfte. Dabei kommt es im Grundsatz darauf an, ob der Reparaturschritt im vom Geschädigten eingeholten Schadengutachten, auf das er sich inhaltlich verlassen darf, vorgesehen war. War er das, war er vom berechtigten Reparaturauftrag „gemäß den gutachterlichen Vorgaben“ umfasst. Im Schadenersatzprozess hat der Versicherer mit seinen „war nicht nötig“-Einwendungen keine Chance. Denn der Geschädigte hat keinen Fehler gemacht. Salopp gesagt kann er sich auf den Standpunkt zurückziehen: „Ich war’s nicht, der Gutachter war’s…“

     

    Allerdings kann der Versicherer die Abtretung von Rückforderungsansprüchen des Geschädigten gegen die Werkstatt an ihn verlangen, was allerdings selten zum Ziel führt. Denn wenn das so beauftragt war, ist die Werkstatt nicht überzahlt, sondern bezahlt.

    Zusatzthematik bei Klage der Werkstatt aus Kunden-Abtretung

    Wenn die Werkstatt im Wege der Abtretung selbst in die Rolle des Geschädigten schlüpft und den Versicherer auf Zahlung verklagt, gilt im Grundsatz: Eine Forderung ändert sich durch deren Abtretung inhaltlich nicht. Der Abtretungsempfänger (Zessionar, hier also die Werkstatt) kann die Forderung genau so durchsetzen, wie sie beim Abtretenden (Zedent, hier also der Geschädigte in der Rolle als Kunde der Werkstatt) hätte durchgesetzt werden können. Also kann auch die Werkstatt sagen: „Ich war’s nicht, der Gutachter war’s…“.

     

    Aber da gibt es ein vom BGH nun erstmals klar herausgearbeitetes Problem: Das Korrektiv für den Versicherer ist ja, dass er im Gegenzug für die schadenrechtliche Zahlung auf die von ihm für überflüssig gehaltenen Schadenpositionen die Abtretung der sich darauf beziehenden Rückforderungsansprüche des Geschädigten verlangen kann.

     

    Die Werkstatt als Klägerin ist aber nicht Inhaberin dieses Rückforderungsanspruchs (gegen sich selbst…), sondern das ist noch immer der Zedent. Und nun?

    Zur Frage der Indizwirkung

    Das Berufungsgericht hatte der noch nicht bezahlten Rechnung jegliche indizielle Wirkung für die Erforderlichkeit der Kosten nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB abgesprochen. Dass die Reparatur und damit die Rechnung letztlich auf dem Gutachten beruhte, auf das sich der Geschädigte verlassen durfte, hat es nicht beachtet.

     

    Dazu sagt der BGH in seinem Hinweis für den weiteren Verlauf des Verfahrens: „Aus der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Senatsrechtsprechung zur Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten ergibt sich nichts anderes. Zuvor hat der erkennende Senat hier in Bezug auf die ersatzfähige Höhe von Sachverständigenkosten ausgesprochen, dass sich nur der vom Geschädigten beglichenen Rechnung, nicht aber einer unbeglichenen Rechnung allein ein Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB entnehmen lasse. Hieraus lässt sich aber nicht ableiten, dass im Falle einer (noch) nicht bezahlten Rechnung vom Geschädigten ohne Verschulden veranlasste und tatsächlich durchgeführte Schadenbeseitigungsmaßnahmen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes ‒ den Grundsätzen der subjektbezogenen Schadenbetrachtung zuwider ‒ nur deshalb außer Betracht bleiben müssen, weil sie sich nach fachkundiger Prüfung bei rein objektiver Betrachtung als unangemessen erweisen.“

    Wer den BGH verstehen wollte, konnte das schon wissen

    Das ist wenig überraschend, denn der BGH hatte im Leitsatz des Urteils zur Erstattung der Sachverständigenkosten den entscheidenden Hinweis ja bereits gegeben (BGH, Urteil vom 05.06.2018, Az. VI ZR 171/16, Abruf-Nr. 204536):

     

    „Legt der Geschädigte oder der an seine Stelle getretene Zessionar lediglich die unbeglichene Rechnung über die Sachverständigenkosten vor, genügt ein einfaches Bestreiten der Schadenshöhe durch den beklagten Schädiger oder Haftpflichtversicherer, wenn nicht der Geschädigte oder der Zessionar andere konkrete Anhaltspunkte für den erforderlichen Herstellungsaufwand unter Berücksichtigung der speziellen Situation des Geschädigten beibringt.“

     

    Also können im Zusammenspiel mit der unbezahlten Rechnung „…andere konkrete Anhaltspunkte für den erforderlichen Herstellungsaufwand unter Berücksichtigung der speziellen Situation des Geschädigten…“ beigebracht werden.

     

    Dieser Anhaltspunkt ist die weitgehende Übereinstimmung der Rechnung mit dem vorhergehenden Schadengutachten.

     

    Viele Instanzgerichte haben das längst verstanden, exemplarisch seien das AG Marbach (Urteil vom 07.02.2022, Az. 1 C 300/21, Abruf-Nr. 227551) sowie das AG Lübeck(Urteil 07.02.2022, Az. 26 C 1562/21, Abruf-Nr. 227485) genannt.

    BGH sieht Probleme bei Klagen aus abgetretenem Recht

    Für die Klage der Werkstatt aus abgetretenem Recht des Geschädigten sagt der BGH jedoch zum Korrektiv der Abtretung der Rückforderungsansprüche gegen die Werkstatt:

     

    „Allerdings besteht im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass der Kläger seine Ansprüche an die Werkstatt abgetreten hat, so dass es die nunmehr der Werkstatt zustehenden Rechte sind, die der Klägerin gewillkürter Prozessstandschaft geltend macht. In dieser Fallkonstellation erscheint die dargestellte Art und Weise des Vorteilsausgleichs nicht unproblematisch, wären es doch etwaige Rechte des Klägers als Prozessstandschafter und nicht Rechte der Werkstatt als Rechtsinhaberin, die Zug-um-Zug an die Beklagte abgetreten werden müssten. Eine uneingeschränkte Übertragung der unter a) genannten Grundsätze auf die hier gegebene Fallkonstellation könnte zu dem unbilligen Ergebnis führen, dass die Werkstatt vom Schädiger über den Weg des Schadensersatzes für Reparaturleistungen eine ‚Vergütung‘ erhält, die sie vom Geschädigten als ihrem Auftraggeber nach werkvertraglichen Grundsätzen nicht hätte verlangen können. Ob und inwieweit die genannten Grundsätze vor diesem Hintergrund in der vorliegend gegebenen Fallkonstellation der Modifikation bedürfen, wird daher für den Fall, dass die Klage zulässig sein sollte, zu prüfen sein.“

     

    Das Wort „Vergütung“ in dieser Passage hat der BGH in Anführungsstriche gesetzt, weil ihm klar ist, dass die Werkstatt nicht den Werklohn einklagt, sondern auch dieser Rechtsstreit ein Schadenersatzprozess ‒ aber eben aus abgetretenem Recht ‒ ist und bleibt. Die Werkstatt klagt also nicht „ihr Geld“ (Werklohn), sondern „sein Geld“ (Schadenersatzanspruch des Geschädigten) ein. Den Geldeingang bucht sie dann auf die Werklohnforderung gegen den Geschädigten als ihren Kunden.

     

    Dennoch: Wirtschaftlich geht es der Werkstatt trotz der feinen juristischen Differenzierung um „ihr“ Geld. Anderenfalls würde sie den Aufwand nicht betreiben. Diese Variante der (Achtung, das Folgende ist eine plakative Darstellung, die rechtliche Konstellation ist uns bewusst) „als Schadenersatzprozess verkleideten Werklohndurchsetzung“ ist dem BGH, siehe letzte Passage dieses Beitrags, schon mehrfach als Störenfried im System vorgekommen. Hier deutet er das mit dem in Anführungsstriche gesetzten Wort „Vergütung“ an.

    Der BGH sieht die Waage nicht im Gleichgewicht

    Das Ergebnis: Die gnadenlose Verurteilung des Versicherers in den abgetretenen Schadenersatz nach der Regel „Die Auffassung der Revision, dass sich der Inhalt der Schadensersatzforderung durch die Abtretung ändere, weil nicht mehr der Geschädigte die Schadenersatzforderung geltend mache, ist unzutreffend. Der Zessionar erwirbt die Forderung in der Form, wie sie zuvor in der Person des Zedenten bestand.“ (BGH, Urteil vom 19.07.2016, Az. VI ZR 491/15, Abruf-Nr. 188868) schmeckt dem BGH nicht, weil das Gegengewicht auf der Waage, nämlich die Abtretung der Rückforderungsansprüche, nicht funktioniert.

     

    Deshalb hat er dem LG Köln die Denksportaufgabe gestellt, wie denn das zu lösen sei. UE wird beobachten, wie das LG Köln das löst.

    „Und was nun?“ wird die kampfeslustige Werkstatt fragen

    Interessant ist aber auch, wie die Werkstätten, die sich bisher nicht scheuten, die Anspruchsdurchsetzung selbst in die Hand zu nehmen, in Zukunft ihre Schäfchen ins Trockene holen.

     

    Der beste Weg war schon immer und wird bleiben, den Geschädigten zu motivieren, die Klage selbst zu erheben. Lässt der sich nicht motivieren, muss nun ein Weg gesucht werden, der der BGH-Ansage gerecht wird.

     

    Zauberpulver haben wir aktuell auch nicht, aber eine Idee.

    Die Lösung in den kommenden Fällen könnte so aussehen:

    In aller Regel werden die Schadenersatzansprüche des Geschädigten zunächst mit anwaltlicher Hilfe für den Geschädigten geltend gemacht. Wendet der Versicherer im Hinblick auf die Reparaturschritte und damit auf deren Kosten das beliebte „War nicht notwendig“ ein, kann der Geschädigte ja aktiv auf den Versicherer zugehen und ihm ein Formular übersenden, mit dem er dem Versicherer seinen Rückforderungsanpruch gegen die Werkstatt abtritt.

     

    Ist der Geschädigte dann nicht zu überzeugen, dass er wegen der gekürzten Schadenersatzforderung Klage erhebt, zieht die Werkstatt aus abgetretenem Recht in den Kampf. Oft geschieht das mit demselben Anwalt, mit dem der Geschädigte vorgerichtlich unterwegs war. Der muss sich vom ersten Mandanten, also dem Geschädigten, erlauben lassen, die Information, der Geschädigte habe dem Versicherer die Abtretung der Rückforderung so angeboten, dass der nur noch annehmen müsse, zu verwenden. Verspätung der Annahme werde er nicht rügen.

     

    Dann ist das Problem gelöst, das der BGH sieht, nämlich dass die Werkstatt den Anspruch nicht an den Versicherer abtreten kann, weil der nicht ihrer ist. Die Ansprüche sind dann bereits abgetreten. Der Versicherer hat, wenn noch nicht geschehen, noch immer die Möglichkeit, die Abtretung anzunehmen. Tut er es nicht, ist er nicht schutzwürdig.

     

    Der Versicherer wird versuchen, mit dem abgetretenem Anspruch gegen die Klageforderung aufzurechnen. Das wird aber voraussichtlich nicht möglich sein, weil sich die Forderungen nicht gegenüberstehen. Denn

     

    • die geltend gemachte Forderung ist die des Geschädigten gegen den Schädiger,
    • die vom Versicherer dagegengestellte Forderung ist die des Geschädigten gegen die Werkstatt.

     

    Das Ergebnis sollte sein: Der Versicherer wird zur Zahlung der an die Werkstatt abgetretenen Schadenersatzforderung verurteilt. Die behauptete an den Versicherer abgetretene Forderung hingegen muss der Versicherer in einem eigenen Prozess gegen die Werkstatt geltend machen. Damit steht er nicht schlechter und nicht besser, sondern genauso da, wie er stünde, wenn der Geschädigte die Schadenersatzforderung selbst eingeklagt hätte. Ob er dann tatsächlich zu der Regressklage gegen die Werkstatt greift, ist eine offene Frage. Denn die mageren Erfolgsaussichten kennt er ja.

    Was gilt für die anderen Schadenpositionen?

    Für die anderen Schadenpositionen, die sich nicht auf ein vorhergehendes Schadengutachten stützen, hat der BGH bereits vor Jahren ein Bonbon für die Versicherer gehabt. Im BGH-Urteil vom 28.12.2017, Az. VI ZR 76/16, Abruf-Nr. 193340, Leitsatz 2, heißt es:

     

    „Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter im Rahmen der Schätzung der Höhe dieses Schadensersatzanspruchs bei subjektbezogener Schadensbetrachtung gem. § 287 ZPO bei Fehlen einer Preisvereinbarung zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen und Abtretung des Schadensersatzanspruchs an den Sachverständigen bei Erteilung des Gutachtenauftrages an die übliche Vergütung gem. § 632 Abs. 2 BGB anknüpft, denn der verständige Geschädigte wird unter diesen Umständen im Regelfall davon ausgehen, dass dem Sachverständigen die übliche Vergütung zusteht.“

     

    So hat der BGH die Prüfung der Höhe der Rechnung in den subjektbezogenen Schadenbegriff hineingemogelt:

     

    Der Geschädigte darf davon ausgehen, dass ihm nur das vom Schadengutachter oder beispielsweise auch vom Abschleppunternehmer berechnet wird, was im Rahmen der werkvertraglichen Üblichkeit liegt. Mehr gilt werkvertraglich gar nicht als vereinbart, und deshalb ist das „Mehr“ vom Vorstellungbild des Geschädigten („subjektbezogen“) gar nicht erfasst. Um also zu wissen, was zum geschützten subjektbezogenen Schadenbegriff gehört, muss erst die objektive werkvertragliche Berechtigung geprüft werden.

     

    Ob sich ein Geschädigter solche Gedanken macht, ist wohl zweifelhaft. Deshalb ist dieser Ansatz des BGH trickreich, aber hinzunehmen. Denn zu schimpfen, dass Versicherer manche BGH-Urteile für falsch halten und sie in der Schadenregulierung nicht anwenden, macht es wohl nötig, selbst die BGH-Urteile zu akzeptieren. Denn sonst sitzt man Steine werfend im Glashaus.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2022 | Seite 5 | ID 48481626