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  • · Fachbeitrag · Reparaturkosten

    Nachhilfestunde des BGH für das bei Vor- und Altschäden bisher äußerst eigenwillige KG

    | Des Kampfes Lohn ist ein Beschluss des BGH in einem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu einem die Berufung zurückweisenden Beschluss des KG Berlin. Das hatte mal wieder seine eigenwillige ‒ den Auftrag des BGH zur Ermittlung eines Mindestschadens aus dessen Urteil vom 15.10.2019 (Az. VI ZR 377/18, Abruf-Nr. 222575 ) kaltschnäuzig ignorierende ‒ Linie durchgezogen. Da hat es aber die Beharrlichkeit des IWW-Autors und Klägeranwalts Leif Kroll aus Berlin unterschätzt. |

    Ein Gerüstbauer-Lkw mit typischen „Kampfspuren“

    Das beschädigte Fahrzeug war ein dem Einsatzzweck entsprechend robust genutzter Gerüstbauer-Lkw. Der trug jede Menge Blessuren, die man bei diesem Einsatzzweck als Gebrauchsspuren einordnen könnte. Ein anderer Lkw hatte ihn im Vorbeifahren gestreift, woraufhin der Aufbau irreparabel verzogen war. Der Verursacher hatte eine Berührung der Fahrzeuge bestritten. Deshalb hat das LG einen unfallanalytischen Gutachter beauftragt. Der bestätigte den Unfallhergang, wies aber ungefragt darauf hin, der beschädigte Lkw habe Altschäden gehabt. Eine Abgrenzung von Altschäden zu Gebrauchsspuren ist ihm nicht in den Sinn gekommen.

     

    Altschaden war wegen der Rückendeckung durch das KG Berlin-typisch das Stichwort für das LG: Nun solle der Kläger die Altschäden vom neu entstandenen Schaden abgrenzen. Der aber meinte, die jetzige Unbrauchbarkeit des Aufbaus sei allein unfallbedingt, die Gebrauchsspuren spielten keine Rolle. Die vom Gerichtsgutachter ignorierte Gebrauchsspureigenschaft verschiedener Blessuren sei allenfalls im Rahmen eines „Neu-für-alt-Abzugs“ im Zuge der Erneuerung des Aufbaus zu berücksichtigen. Der Gerichtsgutachter sei ergänzend zu befragen, welchen Schadenhöhenanteil er für berechtigt halte.

    Das Totschlagargument des Ausforschungsbeweises

    Den Gerichtsgutachter ergänzend zu befragen, ohne dass der Kläger zuvor in allen Details zur Abgrenzung vorgetragen habe, sei ein unzulässiger Ausforschungsbeweis, meinte das Landgericht. Klageabweisung war seine Reaktion. Die Berufung hat das KG im Beschlussweg abgebügelt, obwohl der Kläger dezidiert zur Notwendigkeit höchstrichterlicher Klärung ausgeführt und darauf hingewiesen hat, dass der BGH in seinem oben zitierten Urteil das Ausforschungsargument bereits nicht mitgetragen habe.

    NZB wurde zum Volltreffer mit Segelanweisung

    Der Beschluss des BGH ist nach Einschätzung von UE eine schallende Ohrfeige für das Landgericht und ‒ dessen Entscheidung wurde ja überprüft ‒ für das KG. Der Umgang des KG mit den Beweisanträgen des Klägers verletze den Kläger grundrechtswidrig in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.

     

    Der BGH stellt folgende in der Alt- und Vorschadensthematik verallgemeinerungsfähige Grundsätze auf (BGH, Beschluss vom 06.06.2023, Az. VI ZR 197/21, Abruf-Nr. 236277, eingesandt von Rechtsanwalt Leif Kroll, Berlin):

     

    • Einwände einer Partei gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten, die unter Vorlage eines Privatgutachtens geltend gemacht werden, muss das Gericht ernst nehmen. Es muss ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären.

     

    • Dem Gericht bieten sich hierzu mehrere Möglichkeiten an: Es kann den gerichtlichen Sachverständigen entweder zur schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder ihn zur Anhörung laden, § 411 Abs. 3 ZPO. Ein Antrag der beweispflichtigen Partei ist dazu nicht erforderlich.

     

    • Wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige weder durch schriftliche Ergänzung seines Gutachtens noch im Rahmen seiner Anhörung die sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen ausräumen kann, muss der Tatrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gemäß § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einholen.

     

    • Der Kläger hat keinen weiteren Vortrag zu den nicht unfallbedingten, nach seiner Auffassung auf üblichen Gebrauch zurückzuführenden Schäden halten müssen. Denn der gerichtlich bestellte Sachverständige konnte ‒ wie sich aus dessen Gutachten ergibt ‒ die nicht unfallbedingten Schäden selbst erkennen.

     

    • Da der Gerichtssachverständige sich nicht zu den bei einer Reparatur von Teilen des Aufbaus anfallenden Reparaturkosten geäußert hat, hätte das Berufungsgericht ihn auch hierzu ergänzend befragen bzw. ihn mit der Ergänzung seines Gutachtens beauftragen müssen.

     

    • Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt kein unzulässiger Ausforschungsbeweis vor. Dem Kläger kann nicht verwehrt werden, durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen im Prozess aufklären zu lassen, in welcher geringeren als von ihm ursprünglich geltend gemachten Höhe Reparaturkosten anfallen. Er ist nicht gehalten, zunächst weiteren Vortrag zur Schadenshöhe zu halten.

     

    • Das Berufungsgericht hat verkannt, dass § 287 ZPO dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegung erleichtert.

    UE wird Fortgang des Verfahrens beobachten

    Nun muss das KG die Berufung noch einmal bearbeiten. Ob es ab jetzt ‒ wie nahezu alle anderen OLG ‒ den Auftrag des BGH zur Ermittlung eines Mindestschadens ernst nimmt und damit Leitlinien für die Berliner Instanzgerichte setzt, bleibt abzuwarten. Wir haben ja das Ohr ganz nah am Puls.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2023 | Seite 7 | ID 49613931