· Fachbeitrag · Restwert
Ermittlung des Restwerts beim Haftpflichtschaden mit Angeboten aus Osteuropa?
| In UE 9/2019 haben wir zum Restwertthema zweierlei berichtet: Der Geschädigte muss sich beim Haftpflichtschaden nach der neuen BGH-Rechtsprechung dann ‒ aber auch nur dann! ‒ schon in der ersten Stufe Restwertangebote aus den Restwertbörsen entgegenhalten lassen, wenn er gewerblich mit der Verwertung von Gebrauchtwagen befasst ist. Und: Nach einem Urteil des LG Stuttgart bei Kaskoschäden sind Restwertangebote eines litauischen Aufkäufers unzumutbar. Aus der Kombination ergab sich für mehrere Leser eine Frage, die wir nachfolgend beantworten. |
Leser fragen nun nach Haftpflicht und Auslandsrestwert
Die Anfragen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wenn sich der Geschädigte beim Haftpflichtschaden Restwertgebote aus den Restwertbörsen entgegenhalten lassen muss, muss er dann auch Angebote aus dem Ausland hinnehmen?
Die Frage stellt sich ja genauso, wenn der Versicherer ein Überangebot schickt, bevor der „normale“ Geschädigte das Fahrzeug zum regional ermittelten Restwert verkauft hat.
Kasko- und Schadenrecht nicht unmittelbar vergleichbar
Kaskoschaden- und Haftpflichtschadenrecht sind zwei Paar Schuhe. Im Kaskoschadenrecht kommt es auf die Auslegung des im Vertrag verwendeten Begriffs des Restwerts an, der als Veräußerungswert des beschädigten Fahrzeugs definiert ist.
Im Haftpflichtschadenrecht kommt es auf die Erforderlichkeit der entstehenden Kosten, ergänzt durch die Schadenminderungspflicht an.
Beim Haftpflichtschaden zwei Fallgruppen getrennt betrachten
Der Regelfall des nicht gewerblich mit der Verwertung von Gebrauchtwagen befassten Geschädigten einerseits und der Ausnahmefall des eben doch gewerblich mit der Verwertung von Gebrauchtwagen befassten Geschädigten anderseits müssen unterschieden werden.
Der nicht gewerblich mit der Verwertung von GW befasste Geschädigte
Der „Amateur-Geschädigte“, der mit der Verwertung von Gebrauchtfahrzeugen nichts am Hut hat, muss sich laut BGH ein Überangebot des Versicherers nur entgegenhalten lassen, wenn es vor dem Verkauf des Unfallfahrzeugs zum gutachterlich festgestellten Restwert bei ihm eingeht. Ein konkreter Aufkäufer, der das Fahrzeug abholt und, wenn gewünscht, bar bezahlt, muss dafür konkret benannt sein.
Bisher waren das in allen BGH-Haftpflichtschadenurteilen Aufkäufer mit deutscher Geschäftsadresse. Damit ist das dann ein innerdeutscher Verkauf, bei dem sich weder zollrechtliche noch ggf. länderübergreifende umsatzsteuerrechtliche Fragen stellen. Auch die Frage, welches Recht im Streitfall anzuwenden ist, stellt sich dabei nicht.
Bei der Benennung eines Aufkäufers aus dem Ausland wird der Verkauf aber zu einem Exportvorgang. Gibt es zollrechtliche Bestimmungen zu beachten? Welches Recht gilt, wenn es Streit gibt? Das kann der Geschädigte ohne eine Beratung dazu nicht wissen. Was ist, wenn sich der eine oder andere Hunderter als gefälscht erweist? Um Missverständnisse zu vermeiden: Das kann auch bei einem deutschen Aufkäufer beabsichtigt oder versehentlich passieren. Doch da bewegt sich der Geschädigte im deutschen Rechtssystem mit deutschen Vollstreckungsmöglichkeiten.
Wer nun meint, hier würde der Teufel an die Wand gemalt, sei an die Überlegung des Schadenrechtssenats des BGH einerseits und an die des LG Stuttgart in der Kaskosache andererseits erinnert, die beide die Seriositätsfrage aufwerfen:
Der BGH: „Das für den Kauf eines Ersatzfahrzeugs unter Inzahlunggabe des Unfallwagens notwendige persönliche Vertrauen wird der Geschädigte ohne Nachforschungen, zu denen er nicht verpflichtet ist, aber typischerweise nur ortsansässigen Vertragswerkstätten und Gebrauchtwagenhändlern, die er kennt oder über die er gegebenenfalls unschwer Erkundigungen einholen kann, entgegenbringen, nicht aber erst über das Internet gefundenen, jedenfalls ohne weitere Nachforschungen häufig nicht ausschließbar unseriösen Händlern und Aufkäufern.“ (BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, Abruf-Nr. 210470).
Das LG Stuttgart: „Der litauische Restwertmarkt ist einem durchschnittlichen Kaskoversicherungsnehmer gar nicht zugänglich, und dieser hat deshalb weder die Möglichkeit, ein ihm unter Bezug auf einen Anbieter aus Litauen vorgelegtes Restwertangebot auf seine Seriosität zu überprüfen noch diejenige, zu einem Zeitpunkt, an welchem er sein Fahrzeug nicht mehr nutzen will, es selbst nach Litauen zu verkaufen.“ (LG Stuttgart, Urteil vom 14.08.2019, Az. 4 S 76/19, Abruf-Nr. 210729).
Daran ändert auch nichts, dass diese Angebote häufig mit dem Hinweis verbunden sind, der Verkauf werde über eine Abteilung der jeweiligen Restwertbörse (z. B. wie im BGH-Fall „i.h.s“ = International Handling Service) abgewickelt. Denn woher soll der Geschädigte wissen, wer oder was das ist und worin deren Service besteht? Und es soll ja nur mit deren Hilfe „abgewickelt“ werden. Der Verkauf bleibt ein Verkauf an den Ausländer.
In den Fällen, in denen der Geschädigte selbst Unternehmer ist, stellen sich beim Verkauf ins Ausland Umsatzsteuerfragen. Dass die beim Export von Fahrzeugen durchaus heikel sein können, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Das gilt erst recht, wenn der Käufer eine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Nettowarenlieferung anstrebt. Das ist die hohe Schule des Exports.
Solange der Versicherer nicht selbst Garantien abgibt, für alle sich aus dem Export das Fahrzeugs ergebenden Risiken einzustehen oder das für den Geschädigten in den Details nachvollziehbar auf den „Handling Service“ abwälzt, der Geschädigte also sozusagen einen Bürgen hat, solange halten wir für unzumutbar, dass sich der Geschädigte auf diesen Weg begeben sollen muss.
Der doch gewerblich mit der Verwertung von GW befasste Geschädigte
In der Fallgruppe der Profis sind alle Überlegungen genauso anzustellen. Jedoch muss auf den Einzelfall abgestellt werden. Das kleine Autohaus oder die gelegentlich auch mit Fahrzeugen handelnde Werkstatt, dessen bzw. deren eigenes Fahrzeug den Totalschaden erlitt, wird sich mangels Exporterfahrung auch auf die Unzumutbarkeit berufen können.
Das Autohaus oder der Leasinggeber hingegen, bei dem der Fahrzeugexport zum Standardgeschäft gehört, exportiert eben ein Fahrzeug mehr. Da ist dann auch der Export des verunfallten Fahrzeugs zumutbar.
Wichtig | Alle Ausführungen dieses Beitrags basieren auf Überlegungen zum Schadenersatzrecht auf der Grundlage kleiner Hinweise aus der Rechtsprechung. Urteile zu genau dieser Fragestellung haben wir bisher nicht. Denn diese Thematik der Restwertangebote aus dem ‒ zumeist osteuropäischen ‒ Ausland ist für die Nische des Haftpflichtschadens, in der es ausnahmsweise auf die Restwertbörsenangebote ankommt, Neuland. Insoweit birgt es gewisse wirtschaftliche Risiken für den Geschädigten, die Auslandsangebote abzulehnen.
Lehnt schon der Gutachter oder erst der Geschädigte ab?
Für den Geschädigten, der schon in der ersten Stufe die Angebote aus Restwertbörsen berücksichtigen muss (also einer aus der Gruppe der Profis), wäre es am besten, wenn der Schadengutachter die Auslandsangebote sogleich aussortiert. In dem Fall kann dem Geschädigten nichts passieren, denn er hat dann nur die nationalen Angebote.
Dann trägt der Schadengutachter das Risiko, dass der Versicherer ihn in Regress zu nehmen versucht. Doch muss der Versicherer dazu erst einmal wissen, dass der Schadengutachter die Auslandsofferten aussortiert hat. Und anschließend muss er einem Gericht klarmachen, dass es außerhalb des Beurteilungsspielraums des Schadengutachters liegt, mit den in diesem Beitrag erwogenen Gründen diese Angebote auszusortieren. Wir meinen, dass der Versicherer da nur geringe Chancen hat. Sicherheit für den Gutachter können wir aber nicht versprechen.
Weiterführende Hinweise
- Textbaustein 486: Kein Restwertangebot aus dem Ausland (H) → Abruf-Nr. 46200008 zur Verwendung durch den Geschädigten (Variante 1) bzw. durch den Sachverständigen, den der Versicherer in Regress nehmen möchte (Variante 2)
- Textbaustein RA020 für Anwälte: Restwertverkauf: Beim Haftpflichtschaden muss der Geschädigte kein Restwertangebot aus dem Ausland akzeptieren ‒ Schriftsatzmodul → Abruf-Nr. 46187846