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  • · Fachbeitrag · Restwert

    Restwert örtlich ermittelt, dann schlägt die Haftungsquote zu

    | Für Verkehrsunfallgeschädigte, die sich nicht gewerblich mit der Verwertung von Gebrauchtfahrzeugen befassen, soll der Schadengutachter nach der BGH-Rechtsprechung den Restwert (RW) am örtlichen Markt ermitteln. Doch wenn eine Haftungsquote verbleibt, wäre es für den Geschädigten günstiger, den höchsten erzielbaren RW zu ermitteln. Denn je besser er das Unfallfahrzeug verkauft hat, desto kleiner ist die verbleibende Lücke zwischen Wiederbeschaffungswert und RW. Je kleiner die Lücke, desto kleiner der selbst zu tragende Betrag. Ein Schadengutachter fragt: |

     

    Frage: Wir haben ein Haftpflicht-Gutachten für einen Auffahrunfall erstellt. Der Anspruchsteller hat daraufhin sein Fahrzeug aufgrund des starken Schadens zeitnah zum regionalen Restwert des Gutachtens verkauft. Jetzt, mehrere Monate später, hat sich herausgestellt, dass den Anspruchsteller eine Teilschuld von einem Drittel trifft. Die gegnerische Versicherung hat einen höheren überregionalen Restwert ermittelt und rechnet nach diesem den Schaden anteilig ab. Nun hält uns der Anspruchsteller vor, dass er durch den Verkauf an das regionale (niedrigere) Restwertangebot weniger bekommen hat, als wenn er das Fahrzeug zum überregionalen Restwert der Versicherung verkauft hätte. Hätte der Kunde das Fahrzeug bis zum jetzigen Zeitpunkt behalten müssen? Wäre die Versicherung dann für die Standgebühren etc. aufgekommen? Wie geht man in der Praxis bestmöglich mit diesen Fällen um, vor allem, wenn es vorab nicht erkennbar ist, ob und inwiefern eine Teilschuld vorliegt?

     

    Antwort: Das von Ihnen geschilderte Problem ist in der Fachliteratur, welche die Restwertrechtsprechung des BGH kritisiert, ein Riesenthema, in der Praxis schlägt das Problem eher selten zu. Doch wie Sie sehen: Es gibt diese Konstellation.

     

    Was in Ihrem Fall sicher nicht geht, ist die Anrechnung des höheren RW durch den Versicherer. Denn wenn Ihr Kunde das Fahrzeug zum lokalen Wert verkauft hat, bevor ihm ein Überangebot vorlag, muss der Versicherer das akzeptieren.

     

    Dann geht es für Ihren Kunden „nur noch“ um die gedachte Differenz zwischen dem RW des Versicherers und Ihrem, und um das vom Kunden selbst zu tragende Drittel. Wenn wir den Aspekt der Kundenzufriedenheit außen vor lassen und nur die Rechtsfragen stellen, ist unser Ergebnis eindeutig: Der Kunde hat keinen Regressanspruch gegen Sie, wenn sich die quotale Haftung nicht aufgedrängt hat.

    BGH: örtlicher Markt

    Der BGH begründet die Festlegung auf den örtlichen Markt ja gerade mit dem Schutz des Kunden:

     

    „Vorrangiger Grund für die Entscheidung, bei der Ermittlung des Restwerts grundsätzlich maßgeblich auf den regionalen Markt abzustellen, ist dabei weiterhin die Überlegung, dass es einem Geschädigten möglich sein muss, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb des Ersatzwagens in Zahlung zu geben. Das für den Kauf eines Ersatzfahrzeugs unter Inzahlunggabe des Unfallwagens notwendige persönliche Vertrauen wird der Geschädigte ohne Nachforschungen, zu denen er nicht verpflichtet ist, aber typischerweise nur ortsansässigen Vertragswerkstätten und Gebrauchtwagenhändlern, die er kennt oder über die er gegebenenfalls unschwer Erkundigungen einholen kann, entgegenbringen, nicht aber erst über das Internet gefundenen, jedenfalls ohne weitere Nachforschungen häufig nicht ausschließbar unseriösen Händlern und Aufkäufern.“ (BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, Abruf-Nr. 210470, Rz. 12).

     

    Genau das haben Sie dem Kunden mit Ihrer Restwertermittlung ermöglicht.

    Die Regressmaxime des BGH

    Und die maßgebliche Entscheidung des BGH zum Regress gegen den Schadengutachter im Hinblick auf den Restwert sagt:

     

    „Beauftragt der Geschädigte ‒ wie im Streitfall ‒ den Gutachter mit der Schadensschätzung zum Zwecke der Schadensregulierung, hat der Sachverständige das Gutachten unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsprechung zum Schadensersatz bei KFZ-Unfällen zu erstellen.“ (BGH, Urteil vom 13.01.2009, Az. VI ZR 205/08, Abruf-Nr. 090691, Rz. 8).

     

    Das war zwar ein Regress des gegnerischen Versicherers gegen den Schadengutachter. Jedoch ist die Rechtslage beim Regress des Kunden identisch. Denn der Versicherer kann nur die Rechte geltend machen, die der Kunde auch geltend machen könnte. Dazu der BGH:

     

    „Auch wenn der Sachverständige weiß, dass im Regelfall das Gutachten als Grundlage der Schadensregulierung dient und Auswirkungen für den Haftpflichtversicherer haben kann, reichen die Rechte des in die Schutzwirkung des Vertrages einbezogenen Dritten nicht weiter als die des Vertragspartners selbst. Maßgebend ist dafür der Inhalt des Vertrags des Geschädigten mit dem Sachverständigen.“ (BGH, Urteil vom 13.01.2009, Az. VI ZR 205/08, Abruf-Nr. 090691, Rz. 8).

    Sonderfall versus Regelfall

    Im Gesamtzusammenhang Ihrer Frage darf man aber nicht übersehen, dass der BGH die Quotenthematik auch im Auge hatte:

     

    „Die Möglichkeit, über die Inanspruchnahme von Internet-Restwertbörsen einen höheren Restwert zu realisieren, was je nach Haftungsquote und in Rede stehenden (Rest-)Werten auch für den Geschädigten selbst vorteilhaft sein kann, bleibt dabei unberührt.“ (BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, Abruf-Nr. 210470, Rz. 13).

     

    D. h. nichts anderes, als dass der Geschädigte zur Vermeidung aller Risiken auch auf die Ermittlung des Restwerts in maximaler Höhe ausweichen darf. Das allerdings müsste er dem Schadengutachter sagen, wenn er das möchte. Denn ‒ s. o. ‒ ohne Auftragsbesonderheiten muss der Schadengutachter das Gutachten an der geltenden Rechtsprechung ausrichten.

    Beratungspflicht des Schadengutachters?

    Dem Geschädigten wird jedoch oft das Bewusstsein für die Problematik fehlen. Daher stellt sich abrundend die Frage, ob der Schadengutachter beratend darauf hinwirken muss, dass sich der Geschädigte zwischen den beiden Möglichkeiten entscheidet. Ohne Anhaltspunkte für eine Mithaftung verneinen wir diese Frage ganz klar. Gibt es aber für den Schadengutachter erkennbare Anhaltspunkte für eine Mithaftung des Kunden, spricht vieles für eine solche Beratung, mindestens im Sinne der Kundenzufriedenheit.

     

    Am Ende ist das auch eine Frage der Gesamtabwägung: Tausendmal solche manchmal mühsamen Beratungsgespräche führen oder einmal mit einer Regressforderung konfrontiert zu sein, das sind die Bausteine auf der Waagschale. Und selbst wenn es keine Regresspflicht gibt, kann es dann die Situation befrieden, die Sache kulanzhalber mit einer Zahlung aus der Welt zu schaffen.

    Standgeld?

    Sie fragten noch, ob der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug standgeldpflichtig aufbewahren darf, bis alle Fragen auch hinsichtlich der Haftung geklärt sind. Wenngleich es in der Rechtsprechung Einzelfälle gibt, die dem Geschädigten bei bereits begonnenem Streit mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer die Aufbewahrung des Unfallfahrzeugs als Beweismittel zugestehen (AG Duisburg-Hamborn, Urteil vom 27.10.2017, Az. 9 C 224/17, Abruf-Nr. 197452, da ging es im Streit aber um den Zustand des Fahrzeugs), ist eine Verwahrung des verunfallten Fahrzeugs bis zur endgültigen Klärung eher nicht erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Damit ist der Versicherer wohl nicht in der Pflicht hinsichtlich der Standkosten.

     

    FAZIT | Wie geht man als Schadengutachter mit den meist theoretischen und gelegentlich praktischen Fällen des Restwerts bei Quotenfällen um?

    • Wenn sich eine Quote aufdrängt, muss der Geschädigte angesprochen werden, ob der Restwert auf Maximalebene ermittelt werden soll.
    • Wenn sich eine Quote nicht aufdrängt, Augen zu und durch. Die Anwendung der Örtlichkeitsmaxime schützt dann ja den Geschädigten. Dass sich auch das Autohaus freut, ist ein in der Natur der Sache liegender Nebeneffekt.
     

    Weiterführender Hinweis

    • Beitrag „Restwert örtlich ermitteln mit Weiterverkaufshinweis auf überregionale Restwertangebote?“, UE 4/2020, Seite 9 → Abruf-Nr. 46396675
    Quelle: Ausgabe 09 / 2020 | Seite 7 | ID 46793202