· Fachbeitrag · Verbringungskosten
Neue Urteile zum Dauerbrenner „Höhe der Verbringungskosten“
| Unbeeindruckt von der Rechtsprechung kürzen einige Versicherer den Erstattungsanspruch bei den Verbringungskosten auf fallunabhängige Pauschalen, die sie selbst festgelegt haben. Eine Reduzierung auf 80 Euro ist die derzeit meistgehörte Variante. Aus Sicht der Versicherer ist die Strategie vermutlich lohnend, weil in den meisten Betrieben die Auffassung vorherrscht, die Differenz zum berechneten Betrag sei zu klein, um sie zu verfolgen. Manche Werkstätten rechnen nach, was die Summe der Kleinigkeiten am Jahresende bedeutet. Und daraus resultieren interessante Urteile. |
Wechselwirkung von Schadengutachten und Schadenersatz
Das AG Essen stellt darauf ab, dass sich der Geschädigte auf das Schadengutachten verlassen darf und dass das Gutachten einen Betrag für Verbringungskosten in Höhe von 118 Euro netto vorgesehen hatte. Der wurde von der Werkstatt auch so berechnet (AG Essen, Urteil vom 13.09.2016, Az. 131 C 265/16, Abruf-Nr. 190902, eingesandt von Rechtsanwalt Christian Steding, Essen).
Pauschal und fallunabhängig geht nicht
Das AG Essen-Borbeck rügt die pauschale und offenbar fallunabhängige Kürzung auf 80 Euro als nicht ausreichend begründet.
Weil es so schön ist, wörtlich: „Hier müsste sich die Beklagte als Teil eines Versicherungskonzerns, der nach gern in anderen Rechtsstreiten aufgestellten Behauptungen jährlich 500.000 Schadenfälle bearbeitet, schon die Mühe machen, konkrete Tatsachen für das Stadtgebiet Essen vorzutragen, um überhaupt Anlass zu einer rechtlichen Prüfung im Rahmen des subjektiven Schadenbegriffs zu geben, ob dem tatsächlich so sein kann und der Geschädigte dies überhaupt erkennen kann.“
Legende von der Rückladung und der Leerfahrtvermeidung
Der Versicherer hatte in dem Verfahren vorgetragen, die Werkstatt habe ja bei jedem Transport auch Rückladung und berechne die Verbringungskosten folglich doppelt. Dafür hat der betreffende Versicherer (angesichts der angegebenen Zahl von 500.000 Schadenfällen und der erheblichen Regulierungsfantasie kommt eigentlich nur einer in Betracht) sogar einen Textbaustein.
Das kontert das Gericht wie folgt: „Dass es üblich sei, dass keine Leerfahrten entstehen, erscheint selbst bei größeren Reparaturbetrieben und Lackierereien ohne tatsächlichen Anhaltspunkt sehr weit hergeholt, weil eine solche Praxis einen nicht unerheblichen Aufwand für die Koordination der Arbeitsabläufe und der Termingestaltung beider Betriebe erfordern würde, der vermeintliche Kostenersparnisse bei der Vermeidung von Leerfahrten eher aufzehrt als erzeugt. Gerade im Unfallreparaturgeschäft ist die Vermeidung von Standzeiten der zu reparierenden Fahrzeuge geboten, weil jede vermeidbare Verlängerung von Reparaturzeiten zu einer Erhöhung anderer Kosten (z.B. Mietwagenkosten) führt. Deshalb ist es eher lebensfremd, dass die beteiligten Betriebe die zur Vermeidung von Leerfahrten mindestens erforderlichen drei Fahrzeuge (Fahrt A: Fahrzeug 1 hin, Fahrzeug 2 zurück; Fahrt B: Fahrzeug 3 hin, Fahrzeug 1 zurück) jeweils bis zur passenden Gelegenheit zwischenlagern. Insoweit erscheint es als eine zu vernachlässigende Ausnahme, wenn zufällig keine Leerfahrt anfällt.“ (AG Essen-Borbeck, Urteil vom 28.10.2016, Az. 6 C 97/16, Abruf-Nr. 189882, eingesandt von Rechtsanwalt Christian Steding, Essen).
Wichtig | Für kleinere Betriebe gilt das alles umso mehr.
Im Blick halten: Die Einflussmöglichkeiten des Geschädigten
So richtig die Überlegungen zu den Leerfahrten im Urteil im Ergebnis sind, so sehr ist noch einmal darauf aufmerksam zu machen: Es kommt nur darauf an, ob der Geschädigte überhaupt Einfluss auf die Höhe der Verbringungskosten und damit auf die Leerfahrtfrage hat. Er wird wohl kaum an der Werkstatt und quasi gleichzeitig an der Lackiererei warten können, um Leerfahrten zu verhindern.
Insoweit ist es ohnehin absurd, eine einzelne Schadenposition im Nachhinein zu betrachten. Das lässt sich an einem simplen Beispiel erklären:
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Der Geschädigte hat bei einem jungen Fahrzeug zweifelsfrei Anspruch auf eine Reparatur in einer Werkstatt der Marke. Er lebt im Grünen. Der Markenbetrieb auf dem Land berechnet 130 Euro Verbringungskosten. Die Lackiererstunde kostet 130 Euro, der Materialkostenaufschlag beträgt 35 Prozent. Der Betrieb in der Stadt, der wegen des Arbeitsorts des Geschädigten für ihn gut erreichbar ist, berechnet nur die legendären 80 Euro für die Verbringung. Um den Schaden insoweit zu mindern, wählt der Geschädigte mit einem scheuklappenbehafteten Blick auf die Verbringungskosten die Werkstatt in die Stadt. Die aber berechnet pro Lackiererstunde 150 Euro, der Materialkostenaufschlag beträgt 42 Prozent. |
Welche Rechenoperationen muss der Geschädigte nun anstellen, um zu wissen, wann er den Schaden mindert (via Verbringungskosten) und wann er ihn durch die höheren Arbeits- und Materialpreise erhöht? Braucht er möglicherweise zwei Schadengutachten oder muss er mit einer Excel-Tabelle arbeiten?
Was ist, wenn hüben der Mietwagen fünf Euro weniger kostet, als drüben? Wie ist sichergestellt, dass ein marginaler Kostenvorteil nicht durch eine auch nur um einen Tag verlängerte Reparatur aufgezehrt wird? Auch solche Überlegungen muss man den Gerichten aufzeigen, wenn es ernst wird.
Weiterführender Hinweis
- Textbaustein 425: Verbringungskosten und Leerfahrtfantasien (H) → Abruf-Nr. 44400092