· Fachbeitrag · Gebäudeversicherung/Haftung
Offenbare Schwierigkeiten bei Wertbestimmung 1914 durch Makler ‒ keine Unterversicherung
von Rechtsanwältin Kathrin Pagel, Fachanwältin für Versicherungsrecht, Partnerin in der Kanzlei Michaelis, Hamburg
| Bei der Regulierung eines Brandschadens in der Gebäudeversicherung bringt der Versicherer gerne den Unterversicherungseinwand ins Spiel und kürzt die Versicherungsleistung. Doch Gegenwehr lohnt sich: Denn auch der Versicherer kann im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seine eigene Pflicht verletzt haben, den durch einen Versicherungsmakler beratenen Versicherungsnehmer (VN) zu unterstützen und zu beraten. Das ist etwa dann der Fall, wenn für ihn Schwierigkeiten bei Wertbestimmung 1914 offenkundig waren, er aber nichts unternommen hat. |
Streit bei Regulierung nach Brandschaden
In einem Fall, den das LG Itzehoe entschieden hat, war es zu einem Brandschaden gekommen. Bei der Regulierung berief sich der Versicherer unter anderem auf Unterversicherung. Er wollte aus diesem Grund die Versicherungsleistung kürzen. Damit war der VN nicht einverstanden und forderte die volle Versicherungssumme.
Brandschaden zum Neuwert (Wert 1914) versichert
In einem Gebäude, in dem der VN (= Kläger) einen Spielwarenladen betrieb, ereignete sich ein Brandschaden. Dabei wurde der Spielwarenladen vollständig zerstört. Nach dem Versicherungsschein waren im Rahmen der Gebäudeversicherung Brandschäden zum Neuwert (Wert 1914) versichert.
In den Versicherungsbedingungen war als Versicherungswert der Wert 1914 zugrunde gelegt. Dort heißt es unter anderem unter Ziff. 2.2:
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Die errechnete Neuwertentschädigung wird voll geleistet, wenn die „Versicherungssumme 1914“ mindestens dem „Versicherungswert 1914“ entspricht. Ist die „Versicherungssumme 1914“ niedriger als der „Versicherungswert 1914“ zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls (Unterversicherung), so wird nur derjenige Teil des Schadens ersetzt, der sich zu dem ganzen Schaden verhält wie die „Versicherungssumme 1914“ zu dem „Versicherungswert 1914“. (…) |
Gutachten mit Differenzen hinsichtlich des Gebäudewerts
Der VN holte hinsichtlich des Gebäudeschadens ein Sachverständigengutachten ein. Dieses bescheinigte einen Neuwertschaden in Höhe von 750.454 Euro und einen Zeitwertschaden in Höhe von 485.539 Euro. Das von dem Versicherer eingeholte Gutachten zum Gebäudeschaden benannte einen Neuwert von netto 561.122,41 Euro und einen Zeitwert von netto 332.417,75 Euro. Die Parteien einigten sich aufgrund der erheblichen Differenz der Ergebnisse der Gutachter hinsichtlich des Gebäudewerts zunächst auf ein Sachverständigenverfahren, das jedoch vorprozessual nicht abgeschlossen wurde. Der Versicherer regulierte in der Folge nicht.
Der Versicherer behauptete im Zuge der Regulierung eine eklatante Unterversicherung aufgrund der Ermittlung der Sachverständigen. Tatsache war zwar, dass der Versicherungsvertrag dahingehend abgewandelt war, dass die zuvor bestehende Versicherungssumme auf ca. 50 Prozent herabgesetzt wurde. Festgelegt war ein Betrag von 300.000 Euro, was dem Wert 1940 von 25.314 M entspricht. Nach den Feststellungen der Sachverständigen der Beklagten läge ein erhebliches Missverhältnis zum tatsächlichen Neuwert vor, der mit 45.500 M festgestellt wurde.
Dem ist neben dem VN auch der Versicherungsmakler als Streithelfer des VN im Prozess entgegengetreten.
Keine Unterversicherung trotz 50 % des tatsächlichen Werts
Das LG hat unter anderem entschieden, dass eine Unterversicherung nach dem Sachverhalt nicht festgestellt werden könne (LG Itzehoe, Urteil vom 19.01.2018, Az. 3 O 143/13, Abruf-Nr. 201551, nicht rechtskräftig).
Schwierigkeiten bei Bestimmung Wert 1914
Es bestanden Beratungspflichten des Versicherers, die an eine besondere Beratungsbedürftigkeit des Produkts und/oder die unterlegene Sachkenntnis des VN anknüpfen. Wenn der VN einen Makler zu Rate zieht, so das Gericht, hat er zunächst einen eigenen sachkundigen Berater beauftragt. Damit könnte grundsätzlich der Beratungsbedarf des VN entfallen. Andererseits muss aber ein erkennbar besonders unwissender Vertragspartner im Zweifel intensiver beraten werden als ein erkennbar Sachkundiger, so das LG.
Erkennbar fehlende eigene Sachkunde
Dies führt gerade nicht zur Entlastung des Versicherers, wenn bei einer besonders schwierigen Fragestellung erkennbare Irrtümer und Fehleinschätzungen des VN bestehen. Das LG differenziert dazu nach dem Schwierigkeitsgrad der zu beantwortenden Fragen des Versicherers.
- Handelt es sich um Fragen mittleren Schwierigkeitsgrads, die den VN zwar überfordern, aber einem Makler regelmäßig zumutbar sind, besteht kein Bedürfnis des VN für eine weitergehende Aufklärungspflicht des Versicherers.
- In Einzelfällen, also Fragen höheren Schwierigkeitsgrads, kann jedoch auch der Makler überfordert sein. Um eine besonders schwierige Frage mit höherem Schwierigkeitsgrad handelt es sich insbesondere bei der Bestimmung des Versicherungswerts 1914. Die Ermittlung des Versicherungswerts 1914 wird regelmäßig nur einem Gebäudesachverständigen zuverlässig möglich sein, so das LG. Soweit dies für den Versicherer erkennbar ist, könnte man an einer Beratungs- oder Hinweispflicht des Versicherers festhalten, so das LG unter Verweis auf Schirmer/Höhne (VersR 1998, 661).
Besondere Beratungs- und Aufklärungspflichten des Versicherers
Die Tatsache, dass der Versicherungsmakler in die Vertragsänderung eingeschaltet und einbezogen war, hat das LG als Einbeziehung eines sachkundigen Beraters angesehen. Es hat aber aufgrund des angeforderten und übersandten Bewertungsbogens eine besondere Beratungspflicht des Versicherers angenommen:
- Aus den konkreten Angaben des VN und seines Versicherungsmaklers im Bewertungsbogen war für den Versicherer ersichtlich, dass der Wert der Immobilie weder dem Versicherungsmakler noch dem VN bekannt war.
- Gerade deshalb wäre aber eine Bewertung durch den Versicherer erforderlich gewesen. Durch die Übersendung des Bogens und Vorlage der Bewertung der Bank wurde diese auch eingeleitet. Ohne dieses offenzulegen, hatte der Versicherer jedoch von einer Prüfung des Bewertungsbogens abgesehen; dies obwohl bekannt war, dass die Bewertung des Versicherungswerts 1914 besondere Schwierigkeiten in sich birgt und zudem der Versicherungsmakler auch durch die Anforderung des Bewertungsbogens beim Versicherer deutlich gemacht hatte, dass Unsicherheiten im Lager des VN bestehen.
Unterversicherungseinwand zieht nicht
Aufgrund der besonderen Schwierigkeit der Wertbestimmung und erkennbarer Irrtümer und Fehleinschätzungen war der Versicherer verpflichtet, den durch seinen Versicherungsmakler beratenen VN zu unterstützen und zu beraten. Die erkennbar irrtümlich getätigten Angaben hatte der Versicherer jedoch nicht überprüft. Aufgrund dieser eigenen Pflichtverletzung des Versicherers aus dem Vertragsverhältnis konnte der Versicherer
- mit dem Unterversicherungseinwand nicht gehört werden und
- demnach die geschuldete Leistung unter diesem Einwand nicht kürzen.
PRAXISTIPP | Der Makler ist aufgrund seiner Nebenintervention/Streithilfe aus dem Schneider. Er muss nicht fürchten, vom VN in einem Folgeprozess auf Schadenersatz verklagt zu werden. |
Beratungsverschulden des Versicherers in der Praxis
Ein Beratungsverschulden und damit ggf. eine Schadenersatzpflicht des Versicherers kommen in Einzelfällen auch in Betracht, wenn der VN vom Makler beraten ist. Das kann etwa der Fall sein, wenn für den Versicherer erkennbar ist, dass der VN einem Irrtum oder einer Fehleinschätzung unterliegt.
Dann besteht für den Versicherer ein Anlass zu weiterer Beratung. Und er muss den VN hinsichtlich des Irrtums oder der offenbaren Fehleinschätzung jedenfalls nach § 242 BGB aufklären. In einem solchen Fall ist der Versicherer nach Treu und Glauben zu einer Prüfung und Richtigstellung gegenüber dem VN aus dem bestehenden Versicherungsvertrag heraus verpflichtet. Tut er dies nicht, muss er dem VN gegenüber den aus dem Beratungsverschulden resultierenden Schaden ersetzen.