· Fachbeitrag · Bestandspflegeprovision
Streit um Rückzahlung von Bestandspflegeprovisionen bei Beendigung des Agenturvertrags
von Rechtsanwalt Lutz Eggebrecht, Kanzlei Rechtsanwälte Dr. Heinicke, Eggebrecht, Ossenforth & Kollegen, München
| Die Forderung der Versicherer auf Rückzahlung von Bestandspflegeprovisionen bei Beendigung des Agenturvertrags erhitzt die Gemüter der Versicherungsvertreter. Auslöser dafür sind zwei sich widersprechende Urteile aus Köln und Düsseldorf. Diese sollten auch Sie kennen, damit Sie nicht vor dem OLG Düsseldorf „ins Messer laufen“. |
Unterschiedlich vertragliche Regelungen in der Praxis
In Agenturverträgen finden sich zwei unterschiedliche Regelungen zu Bestandspflegeprovisionen - mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen für Versicherungsvertreter und Versicherer.
Bisher übliche Regelung
In den meisten Agenturverträgen wird seit vielen Jahren geregelt, dass die Bestandspflegeprovision mit Zahlung des Beitrags durch den Versicherungskunden fällig wird. Diese Regelung entspricht auch der gesetzlichen Regelung in § 92 Abs. 4 HGB: „Der Versicherungsvertreter hat Anspruch auf Provision, sobald der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision nach dem Vertretungsverhältnis berechnet“.
- Sofern ein Kunde seinen Beitrag z. B. vierteljährlich, halbjährlich oder jährlich bezahlt, und nicht monatlich, benachteiligt diese Regelung den Versicherungsvertreter zu Beginn seiner Agenturtätigkeit. Denn er muss die Bestandspflegeleistung auch für diejenigen Verträge bereits erbringen, für die die Beiträge erst später gezahlt werden mit der Folge, dass auch die Bestandspflegeprovisionen erst zu diesem späteren Zeitpunkt (bis zu elf Monate später) bezahlt werden.
- Bei Beendigung des Agenturvertrags hat der Versicherungsvertreter bei dieser Regelung dagegen einen Vorteil: Er muss die Bestandspflegeprovisionen, die bereits durch Zahlung des Kundenbeitrags fällig geworden sind, nicht mehr zurückzahlen. Das gilt auch, wenn sich der Zeitraum, für den die Beitragszahlung des Kunden erfolgt, auf einen Zeitraum nach Beendigung des Agenturvertrags erstreckt.
Wichtig | Insbesondere bei Kfz-Versicherungen zahlen zahlreiche Kunden im Januar eines Jahres den Beitrag für das gesamte Kalenderjahr in einer Summe voraus. Daher stellen Versicherungsvertreter und Versicherer für die Beendigung eines Agenturvertrags regelmäßig die Überlegung an,
- ob der Agenturvertrag erst nach dem Januar eines Jahres (günstiger für den Versicherungsvertreter) oder
- vor dem Januar eines Jahres beendet wird (günstiger für den Versicherer).
Abgeänderte neuere Regelung
Seit einigen Jahren haben einige Versicherer diese bisher übliche Regelung zulässigerweise (da § 92 Abs. 4 HGB vertraglich abdingbar ist) in ihren neuen Agenturverträgen abgeändert. Danach soll die Bestandspflegeprovision monatlich in Höhe von 1/12 des Jahresbeitrags entstehen und nur für die Dauer der tatsächlichen Bestandspflege somit für die Vertragsdauer bezahlt werden.
- Bei Versicherungskunden, die vierteljährlich, halbjährlich oder jährlich ihre Beiträge bezahlen, wird die Bestandspflegeprovision zwar häufig so wie bisher aus buchhalterischen Gründen in voller Höhe ausbezahlt. Diese Zahlungen werden jedoch ausdrücklich als Vorschusszahlung ausgewiesen. Bei Beendigung eines Agenturvertrags ist der Versicherer somit berechtigt, die vorschüssig ausbezahlten Bestandspflegeprovisionen zurückzufordern, sofern sie einen Zeitraum betreffen, der nach Beendigung des Agenturvertrags liegt.
- Diese vertragliche Regelung einer monatlich fällig werdenden Bestandspflegeprovision hat dafür bei Beginn des Agenturvertrags den Vorteil, dass die Bestandspflegeprovisionen ab dem ersten Monat für alle Verträge bezahlt werden muss, auch wenn der Versicherungskunde z. B. die Beitragszahlung erst in elf Monaten leistet.
PRAXISHINWEIS | Beide vertragliche Regelungen sind zulässig und bieten jede für sich ein ausgewogenes Verhältnis von Vor- und Nachteilen für Versicherungsvertreter und Versicherer. Die Ausgewogenheit dieser beiden vertraglichen Regelungen wird jedoch empfindlich gestört, wenn diese Regelungen vermengt oder vermischt werden. |
Unterschiedliche OLG-Urteile
Mit dieser Problematik haben sich kürzlich zwei benachbarte Oberlandesgerichte mit unterschiedlichen Ergebnissen auseinandergesetzt. Auch wenn es in der Rechtsprechung immer wieder vorkommt, dass ähnliche Vertragsklauseln von verschiedenen Gerichten unterschiedlich bewertet werden, ist die unterschiedliche Rechtsauffassungen in den nachstehend beschriebenen Entscheidungen deshalb als gravierender Sonderfall zu bewerten, weil
- die identische Vertragsklausel
- des gleichen Versicherers
- unter Berücksichtigung der gleichen Schriftsätze
- der identischen am Verfahren beteiligten Anwaltskanzleien
von den beiden Gerichten unterschiedlich bewertet wurde.
Sachverhalt beider Gerichtsverfahren
In beiden Verfahren hat der Versicherer einen Teil der während der Laufzeit des Agenturvertrags ausbezahlten Bestandspflegeprovisionen zurückgefordert. Er hat behauptet, dem Versicherungsvertreter stünden die Bestandspflegeprovision, die den Zeitraum nach Beendigung des Agenturvertrags betreffen, nicht zu. Die maßgebliche vertragliche Regelung der im Übrigen wortgleichen Versicherungsvertreterverträge lautet:
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Die Provisionen kommen erst dann zur Auszahlung, wenn sie verdient sind, d. h. wenn der Versicherungsnehmer den Beitrag bezahlt hat. |
Diese vertragliche Regelung entspricht der seit vielen Jahren in den Agenturverträgen zahlreicher Versicherer enthaltenen Provisionsbestimmungen so wie sie oben unter „Bisher übliche Regelungg“ dargestellt sind. Die beiden erstinstanzlichen Gerichte haben deshalb jeweils die Klage des Versicherers abgewiesen (LG Düsseldorf, Urteil vom 21.08.2013, Az. 3 O 249/12, Abruf-Nr. 190522, LG Köln, Urteil vom 10.11.2015, Az. 22 O 224/13, Abruf-Nr. 190521).
Urteil des OLG Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 02.10.2015, Az. I-16 U 182/13, Abruf-Nr. 146555) hat der Klage überraschend stattgegeben und eine Rückzahlungspflicht des Versicherungsvertreters angenommen, obwohl
- die vertragliche Regelung dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung in § 92 Abs. 4 HGB entspricht, wonach der Vertreter Anspruch auf Provision hat, sobald der Versicherungsnehmer die Prämie bezahlt hat,
- eine Rückzahlungspflicht des Versicherungsvertreters vertraglich nicht vereinbart war und
- die Bestandspflegeprovisionszahlungen nicht als Vorschusszahlungen bezeichnet waren.
Dabei hat das OLG Düsseldorf in dem Urteil selbst festgestellt, dass es sich bei der fraglichen Klausel um AGB handelt und deshalb Zweifel bei der Auslegung zulasten des Verwenders - hier des Versicherers - gehen. Danach müsste eigentlich - wenn man an dem Wortlaut der Klausel überhaupt Zweifel haben kann - die für den Versicherungsvertreter günstigere Auslegung gelten und deshalb eine Rückzahlungspflicht entfallen, da mit der Zahlung des Beitrags die Provision insgesamt verdient war. Das OLG Düsseldorf hat jedoch zur Auslegung der Klausel wörtlich ausgeführt: „Außer Betracht bleiben dabei solche Auslegungsmöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und daher nicht ernstlich in Betracht zu ziehen sind“
PRAXISHINWEIS | Das OLG Düsseldorf hat die nach dem Wortlaut der Klausel viel nähere Auslegungsmöglichkeit des LG Düsseldorf und auch die Auffassung weiterer Gerichte für nicht ernstlich in Betracht zu ziehend angesehen (so z. B. OLG Hamm, Urteil vom 31.05.2012, Az. 18 U 148/05, Abruf-Nr. 190573, LG Köln, Urteil vom 30.06.2015, Az. 4 O 355/14, Abruf-Nr. 144894). Trotz der bekannten gegenteiligen Ansicht anderer Gerichte hat das OLG Düsseldorf die Revision nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde hat der BGH ohne Begründung zurückgewiesen, sodass das Urteil des OLG Düsseldorf rechtskräftig ist. |
Urteil des OLG Köln
Die vom Versicherer eingelegte Berufung zum OLG Köln blieb erfolglos. Das OLG Köln hat - in Kenntnis des anderslautenden Urteils des OLG Düsseldorf - die erstinstanzliche Klageabweisung mit folgender Begründung bestätigt und die Berufung zurückgewiesen (OLG Köln, Urteil vom 24.06.2016, Az. 19 U 181/15, Abruf-Nr. 190613):
- Die Vertragsklausel bezieht sich auch auf die Bestandspflegeprovision.
- Die Formulierung „verdient“ ist so zu verstehen, dass die Provisionen endgültig verdient sind und keinen Vorschuss darstellen.
- Die Bestandspflegeprovision ist eine Pauschalvergütung dafür, dass der Bestand zum Zeitpunkt der Zahlung des Versicherungsbeitrags noch vorhanden war und für die künftige Periode bestandsfest ist.
- Mit der Bestandspflegeprovision soll auch ein Erfolg in der Vergangenheit honoriert werden.
- Der Versicherungsvertreter hat bei Beginn seiner Tätigkeit Bestandspflegeprovisionen auch erst dann erhalten, als der Kunde den Beitrag bezahlt hat.
- Ein Versicherungsvertreter muss üblicherweise Provisionen für Verträge, die ungekündigt fortbestehen, nicht bei seinem Ausscheiden zurückzahlen.
- Die AGB-Klausel - sollte sie mehrdeutig sein - ist zumindest zugunsten des Versicherungsvertreters auszulegen.
PRAXISHINWEIS | Auch das OLG Köln hat die Revision nicht zugelassen, sodass dieses Urteil ebenfalls rechtskräftig ist. |
Ausblick und Empfehlungen für die Praxis
Für Versicherungsvertreter besteht nunmehr die kuriose Situation, dass sich widersprüchliche Rechtsauffassungen zur Rückzahlungspflicht von Bestandspflegeprovisionen nach Beendigung eines Agenturvertrags jeweils mit einem rechtskräftigen OLG Urteil belegen lassen. Es wäre wünschenswert, dass der BGH hier in naher Zukunft eine klärende Entscheidung erlässt.
PRAXISHINWEISE |
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Weiterführende Hinweise
- Beitrag „Provision des Versicherungsvertreters von A bis Z: Das sind die wichtigsten Spielregeln“, Teil 1, WVV 10/2016, Seite 3 → Abruf-Nr. 44254700
- Beitrag „Provision des Versicherungsvertreters von A bis Z: Das sind die wichtigsten Spielregeln“, Teil 2, WVV 11/2016, Seite 5 → Abruf-Nr. 44325182
- Beitrag „Provision des Versicherungsvertreters von A bis Z: Das sind die wichtigsten Spielregeln“, Teil 3, WVV 12/2016, Seite 3 v→ Abruf-Nr. 44371914