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  • 05.08.2009 | Aktuelles Fallbeispiel

    Angststörungen: Diagnose, Therapie und Abrechnung

    Nach einer Studie der WHO von 1996 litten etwa 8,5 Prozent der Hausarztpatienten an einer generalisierten Angststörung und 2,5 Prozent an einer Panikstörung. Frauen erkranken circa zweimal häufiger als Männer. 50 Prozent der Menschen mit Angststörungen leiden zusätzlich an einer Agoraphobie.  

     

    Angststörungen lassen sich viel schwieriger definieren als „Angst“, die ja ein notwendiger und normaler Affekt ist. Dennoch werden Angststörungen, Panikattacken und auch phobische Störungen nach der ICD-10-Klassifizierung nicht der Rubrik F3 (Affektive Störungen) zugeordnet, sondern der Rubrik F4 (Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen).  

     

    Die Diagnose ist oft schwierig, da Patienten mit Angststörungen oft gar nicht die Angst als das hervorstechende Symptom empfinden und dem Arzt häufig körperliche Symptome wie etwa Schwindel, Herzrasen, Zittern, verminderte Belastbarkeit oder auch Magen-Darm-Beschwerden zuerst vortragen.  

     

    ICD-10-GM*

    Diagnose  

    ICD-10  

    Agarophobie  

    F40.0  

    Soziale Phobie  

    F40.1  

    Spezifische Phobien  

    F40.2  

    Sonstige phobische Störungen  

    F40.8  

    Phobische Störungen n.n.b.  

    F40.9  

    Panikstörungen  

    F41.0  

    Generalisierte Angststörung  

    F41.1  

    Angst und depressive Störung  

    F41.2  

    * Zur Abrechnung ist die Zusatzkennung mit A = Ausschluss, G = Gesichert, V = Verdacht, Z = Zustand nach ... zwingend vorgeschrieben. Lokalisationsangabe ist fakultativ: R = rechts, L = links, B = beidseits.  

    Der Fall

    Eine 36-jährige, ledige Patientin stellt sich aufgeregt und unruhig in der Praxis vor. Sie klagt über Verdauungsstörungen, Übelkeit und Herzrasen. Sie sei ziemlich nervös und unruhig, da sie vor lauter Aufregung im Beruf alles falsch machen würde. Der geplante Praxisbesuch wegen ihres Problems beschäftige sie schon seit Tagen und habe ihr keine Ruhe gelassen. Bei ihren Schilderungen meidet sie den direkten Blickkontakt zum Arzt.  

     

    Sie ist seit sechs Jahren in einem Steuerberatungsbüro als Buchhalterin beschäftigt, wo sie bisher in ihrem eigenen Zimmer ohne viel Kundenkontakt ihre Arbeit verrichtete. Das sei ihr auch immer recht gewesen, da sie schon von Kindheit an wenig kontaktfreudig gewesen wäre und auch neuen Kontakten aus dem Wege ging.  

     

    Vor etwa fünf Wochen sei das Büro umorganisiert worden, sie arbeite jetzt in einem größeren Raum mit noch drei weiteren Kolleginnen zusammen und habe auch viel Kontakt mit Kunden. Vor den Kunden würde sie jedes mal rot, würde anfangen zu zittern und ständig würde es ihr die Sprache verschlagen. Mittlerweile schlafe sie schlecht. Bei dem Gedanken, ins Büro gehen zu müssen, würde ihr schon übel. Vor den Kundenkontakten drücke sie sich ständig. Immer habe sie das Gefühl, die anderen Kolleginnen würden sie kontrollieren und beobachten. Dadurch sei sie verunsichert und mache vermehrt Fehler, die ihr früher nicht unterlaufen wären. Jetzt befürchte sie, dass ihr gekündigt werde.  

    Diagnose und Abrechnung

    Der Anamneseerhebung folgt die körperliche Untersuchung, die neurologische Untersuchung und ein erstes Gespräch zur Diagnostik einer psychischen bzw. psychosomatischen Destabilisierung.  

     

    1. Konsultation

    EBM  

     

    GOÄ  

    Ziffern  

    Punkte  

    Euro  

    Legende  

    Ziffern  

    Punkte  

    03111  

    900  

    31,50  

    Versichertenpauschale / Beratung  

    - 1)  

    -  

    - 2)  

    -  

    -  

    Körperliche Untersuchung  

    7! 3)  

    160  

    - 2)  

    -  

    -  

    Neurologische Untersuchung  

    800 4)  

    195  

    - 2)  

    -  

    -  

    Psychiatrischer Status  

    801  

    250  

    35100 5)  

    430  

    15,05  

    Psychosomatische Differentialdiagnostik  

    806!
    analog  

    250  

    ! Die mit einem Ausrufezeichen gekennzeichneten Leistungen der GOÄ werden mit einem erhöhten Faktor abgerechnet. Begründung: „Umfangreiche Differentialdiagnostik“, „ schwierige Untersuchungsbedingungen“, „Zeitaufwand“.  

    1) Die hier in Frage kommende Beratung nach Nr. 1 ist nicht neben der Nr. 806 GOÄ berechnungsfähig und entfällt.  

    2) Diese Leistungen sind nicht gesondert berechnungsfähig. Als Bestandteil des Anhang 1 sind sie mit der Versichertenpauschale abgegolten.  

    3) Da neben der Erhebung des Ganzkörperstatus nach Nr. 8 die neurologische Untersuchung nach Nr. 800 nicht berechnungsfähig ist, wird die Nr. 7 mit entsprechend erhöhtem Faktor abgerechnet.  

    4) Die Nr. 800 beinhaltet eine eingehende neurologische Untersuchung, jedoch keine vollständige.  

    5) Die Berechnung der Nr. 35100 setzt die Genehmigung der zuständigen KV für die psychosomatische Grundversorgung voraus. Diese Leistung ist Bestandteil eines Zusatzbudgets und wird damit außerhalb des RLV vergütet.  

     

    Für die weitere Diagnostik wird ein Termin vereinbart. An diesem Termin wird ein EKG abgeleitet und zum Ausschluss einer organischen Grunderkrankung eine Laboruntersuchung veranlasst. Ein erstes therapeutisches Gespräch wird geführt.  

     

    2. Konsultation

    EBM  

     

    GOÄ  

    Ziffern  

    Punkte  

    Euro  

    Legende  

    Ziffern  

    Punkte  

    - 2)  

    -  

    -  

    Beratung  

    - 1)  

    -  

    - 2)  

    -  

    -  

    EKG  

    650  

    152  

    - 2)  

    -  

    -  

    Blutentnahme  

    250  

    40  

    35110 3)  

    430  

    15,05  

    Therapeutisches Gespräch  

    804!  

    150  

    ! Die mit einem Ausrufezeichen gekennzeichneten Leistungen der GOÄ werden mit einem erhöhten Faktor abgerechnet. Begründung: „Beratungsintensives Krankheitsbild“.  

    1) Die hier in Frage kommende Beratung nach Nr. 1 ist nicht neben der Nr. 804 GOÄ berechnungsfähig und entfällt.  

    2) Diese Leistungen sind im EBM nicht gesondert berechnungsfähig. Als Bestandteil des Anhang 1 sind sie mit der Versichertenpauschale abgegolten.  

    3) Die Berechnung der Nr. 35110 setzt die Genehmigung der zuständigen KV für die psychosomatische Grundversorgung voraus. Diese Leistung ist Bestandteil eines Zusatzbudgets und wird damit außerhalb des RLV vergütet.  

    Therapie und Abrechnung

    Aufgrund der durchgeführten Diagnostik lässt sich ausschließen, dass die Patientin unter organischen Störungen leidet. Neben der Angststörung (Soziale Phobie) liegt auch eine Depression vor, verbunden mit Schlafstörungen (Komorbidität).  

     

    Um den körperlichen Zustand zu verbessern und der Patientin die Angst von einer Kündigung weitgehend zu nehmen, wird sie initial pharmakotherapeutisch behandelt und gleichzeitig werden verhaltenstherapeutische Maßnahmen eingeleitet. Diese werden in Einzeltherapie durchgeführt.  

     

    Die Patientin wird von der Notwendigkeit einer Langzeittherapie überzeugt. Nur auf dem Wege der pharmakologischen Erhaltungstherapie erscheint es möglich, die Patientin vor Rückfällen in die Angststörung zu schützen.  

     

    3. Konsultation (Gesprächstherapien)

    EBM  

     

    GOÄ  

    Ziffern  

    Punkte  

    Euro  

    Legende  

    Ziffern  

    Punkte  

    - 1)  

    -  

    -  

    Symptombezogene Untersuchung  

    5  

    80  

    35110 2)  

    430  

    15,05  

    Therapeutisches Gespräch  

    804!  

    150  

    ! Die Nr. 804 GOÄ wird mit einem erhöhten Faktor abgerechnet. Begründung: „Beratungsintensives Krankheitsbild“, „Zeitaufwand“. Entsprechend der Indikation könnte auch die Nr. 806 GOÄ bzw. die Nr. 849 GOÄ erbracht und abgerechnet werden. Im Gegensatz zur Leistung nach Nr. 804 sind für diese jedoch jeweils Mindestzeiten von 20 Minuten gefordert. Das Überschreiten dieser Zeit kann mit einer entsprechenden Faktorerhöhung ausgeglichen werden. Beachten Sie bei der Begründung, dass sich diese auf das Krankheitsbild bezieht und nicht auf den Zeitaufwand, da für diesen in der Leistungslegende „mindestens“ 20 Minuten gefordert sind.  

    1) Diese Leistung ist nicht gesondert berechnungsfähig. Als Bestandteil des Anhang 1 ist sie mit der Versichertenpauschale abgegolten.  

    2) Die Berechnung der Nr. 35110 setzt die Genehmigung der zuständigen KV für die psychosomatische Grundversorgung voraus. Diese Leistung ist Bestandteil eines Zusatzbudgets und wird damit außerhalb des RLV vergütet.  

    Erkennung und Therapie von Angststörungen

    Angststörungen treten meist schon in jungen Jahren auf und bleiben wegen der bisher geringen diagnostischen Sensibilität für die typischen Symptome oftmals über Jahrzehnte hinweg unbehandelt. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Krankheit nach außen hin einen relativ mild erscheinenden, episodisch akzentuierten Verlauf zeigt. Dennoch sind die Betroffenen in ihrem Leben deutlich eingeschränkt. Der frühe Beginn einer Sozialen Phobie und der schleichende Verlauf, bei dem sich kontinuierlich Defizite und Probleme im Alltagsleben aufbauen, sind Gründe dafür, dass es zum Substanzmissbrauch und/oder zu depressiven Episoden kommt.  

     

    Zur Therapie der Sozialen Phobie stehen Verfahren zur Verfügung, die auf drei Ebenen erfolgen:  

     

    • In der pharmakotherapeutischen Ebene kommen Medikamente zum Einsatz, deren Wirksamkeit bei Angststörungen durch Studien geprüft und belegt worden ist. Sie sollten nicht zur Gewöhnung führen und auch kein Abhängigkeitspotenzial besitzen.
    • Auf der Ebene der Psychotherapie finden insbesondere Verhaltenstherapeutische Maßnahmen statt.
    • Die dritte Ebene besteht aus der Kombination von pharmakotherapeutischen und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen.
    Quelle: Ausgabe 08 / 2009 | Seite 17 | ID 128943